Skip to content

Die Geburt der Gedanken

Neue Gedanken sind neues Leben.

Wenn eine Erfindung, eine Entdeckung zum ersten Mal im Gehirn ihres Schöpfers aufglänzt, erfüllt sie ihn mit Lust und Entzücken; das Blut seiner Adern strömt nach neuem Rhythmus, jede Zelle scheint verwandelt. Der Autor oder Künstler wird durch eine Konzeption in Ekstasen erhoben… ich meine die relativ sehr seltenen, wirklich schöpferischen Geister, nicht die vielen, die an fremdem Feuer ihr eigenes Stallaternchen angezündet und das Glas ein bisschen anders gefärbt haben.

Eine gute Nachricht, mitten hinein in eine Periode der Verdüsterung, Trübsal und Bedrücktheit, die winkende Verwirklichung einer Hoffnung, das Abwenden einer Gefahr – sie sind schließlich doch bloß ein Gedachtes – nur das Gedankenbild des Ersehnten, nicht dieses selbst, und doch, welche Kraft treibt Hoffnung schon durch den Körper. Ein fesselndes Schauspiel, eine Begegnung mit jemandem, der eine starke Anziehung auf uns ausübt, ein Streben, ein Werk, das fasziniert und anregt, das alles ist Nahrung und lebendiges Stimulans für den Körper, und in der Versenktheit und Erregung wird irdische Notdurft ausgeschaltet, nicht nur übertäubt.

Denn wir leben nicht nur vom Brot allein, und unser Wesen verlangt nach immer frischerer, immer neuer geistiger Speise. Ein Kunstwerk, so reizvoll beim ersten Ansehen oder Anhören, verliert seine Leuchtkraft, und Sehnsucht nach passagerem Wechsel ergreift jeden Ehrlichen auch gegenüber der wertvollsten Seele, dem liebsten Menschen, von dem er das Beste empfängt.

Vielleicht zeitweiser Wechsel nur. Denn das Drama, die Oper, der Künstler und auch der liebe Mensch können nach angemessener Pause steigernde Eindrücke geben, je nach der Verwandlung und dem Wachstum unserer eigenen Persönlichkeit oder jener des ausübenden Künstlers. So kann man denn jede erhöhende Emotion eine Ernährung nennen, von deren Zusammensetzung für die Menschheit auf ihrem Weg, auch zu leiblicher Vollkommenheit, mehr abhängt als von ihrem Mittagessen. Dies ist „Brot des Lebens“. Wie den Menschen immer nach frischer und frischzubereiteter teter Speise verlangt, so braucht er frische Gedanken an Inhalt und Form – danach sollte ihn hungern. Diesem gesunden Grundbedürfnis verdankt ja die Tagespresse ihren unerhörten Aufschwung und diesem Aufschwung wieder die Menschheit einen Teil ihres Niedergangs, denn an demselben alten Karussell von Morden, Lügen, Verleumdungen, Tratsch und Kitsch ist immer nur das Datum oben neu, und die arme zerlechzte Herde der Hereingefallenen kauft Druckerschwärze statt Leben; merkt nicht, dass der Mord in der Fünfundfünfzigsten Straße sich von dem in der Achtundsechzigsten nur dadurch unterscheidet, dass der eine Mittwoch und der andere Donnerstag breitgequatscht wurde. So legt das Pressegeschmeiß sein Eintagspapier täglich in Millionen Exemplaren in den Mist… heraus kriecht immer das gleiche Ungeziefer.

Wiederholung desselben alten Gedankens involviert aber Verfall – Verrottung im Leib und Verrottung im Geist.

Wäre es nicht möglich, wir erhöben uns jeden Morgen mit der Gewissheit, es werde auch dieser Tag und jeder, der nach ihm kommt, eine Lebenserhöhung bringen? Irgendeine Entdeckerfreude: ein Nützliches und Beglückendes für uns wie für andere – etwas, das Dauer hat -, oder eine fertige Erkenntnis, die gestern schon endgültig erstarrt schien, blüht plötzlich noch einmal überraschend aus, ganz woanders hin, als man je geahnt: eine Erkenntnis, den Weg weisend in eine Fülle dauernder und zugleich harmloser Freuden; irgendein großes, einfaches Naturgesetz, das nun zum ersten Mal zart, lieb und unendlich in einer „Kleinigkeit“, wie man bis jetzt zu sagen pflegte, offenbar wird: dem Fallen eines Blattes, der Färbung eines Seetieres. Die Natur unterbreitet dem Lebendigen ja unaufhörlich Myriaden von Vorschlägen, je nachdem es die Vorschläge angenommen oder abgelehnt hat, ist ein Elefant – eine Blindschleiche – ein Adler – eine Palme – ein Bankdirektor – ein Heiliger daraus geworden. Die Qualle (ohne ihr nahetreten zu wollen) hatte noch relativ wenig Organe, mit ihnen eine nennenswerte Menge aus diesen Myriaden von Vorschlägen wählen zu können – und es ist doch gegangen. Wir mit unserem weit größeren Empfindungs- – Prüfungs- – Denkfeld, wie könnte für uns jeder neue Morgen erfüllt und reich sein, läge die große empfindliche Membran unseres Geistes diesen Propositionen der Natur frei! Zögen wir nicht vor, sie von Kindheit an vollkritzeln zu lassen mit toten Meinungen, Dogmen, Vorurteilen Welcher Wahnsinn, sich sein lebendiges Inneres verbauen zu lassen! Immer irgendeine Mache, einen Ritus, einen Irrsinn und bombastischen Kinkerlitz vor sich und über sein klares Selbst zu setzen!

Sind wir denn auch nur voll zum Bewusstsein erwacht, Empfänger fließender Gedanken aus dem Unendlichen zu sein, und mit diesen Gedanken Einsicht, mit dieser Einsicht Macht ohne Grenzen zur Verfügung zu haben, weil ja die Unendlichkeit aus eben diesen besteht: eine Bank, die auszahlt und auszahlt, ohne dass auch der Ausdauerndste sie je zu sprengen vermöchte. Wann werden wir endlich aufhören, einander unsere Erfindungen, unsere Güter, unseren Besitz zu neiden, abzuluchsen, abzujagen; lächerlich und kläglich wie Irre, die am Ufer des Mississippi sich um ein abgestandenes Glas Wasser balgen wollten, statt die Hände in den ewigen Strom zu tauchen und zu schöpfen nach Herzenslust.

Wer schöpfen will, muss sich allerdings zuerst die Hände freimachen, den Krampf alter Bürde abtun von ihnen.

Es gibt Tausende von Dingen, Ereignissen, Szenen in jedem, auch dem glücklichsten Leben, die viel besser vergessen wären; am meisten vielleicht eben diese „glücklichen Erinnerungen“, weil auch Glück ranzig wird. Auch der Standard der Freude sollte von Jahr zu Jahr wachsen dürfen und das Morgen immer reizvoller als das Gestern wirken. Wer vergisst, schafft Raum für neue Gedanken, daher für neues Leben… Wer sich hermetisch in gegenwärtiges oder vergangenes Glück einschließt, wird auch an ihm alt und grau.

„Vergessen“ bedeutet nicht völliges Auslöschen, wäre über dies unmöglich, weil wir ja die Summe unserer Erfahrungen sind. Jede Szenerie, jeder Duft, jedes Wort und jeder Kuss sind organische Bestandteile – sind eingebaut worden in das Ich, ob auch verwischt, begraben, unsichtbar, doch stets bereit, nach rätselhaften Assoziationsgesetzen wieder über die Schwelle zu tauchen. Nur dem eigensinnigen und manischen Herausheben einer bestimmten Gruppe von Erinnerungen – wodurch sie überwertig wird, sei hier widerraten. Rechte Erfahrung ist das, was man vergessen hat. Wer siegesrasch geradeaus in die Vollendung fahren will, darf den Wagen hinter sich nicht ungleich belastet haben. Es gibt Menschen, die mit alten Widersachern vergangene Kämpfe immer wieder geistig durchhadern, und nicht zu leugnen ist ja, dass diese jahrelangen „Geisterschlachten über dem Amselfeld“ stets ordnungsgemäß, d. h. für den Abwesenden vernichtend enden. Es spinnt sich da eine fortlaufende Geschichte an, unendlich reich an wohltuenden Varianten, gipfelnd in wonniglicher Schlusspointe: Schlotternd steht der Hund, Reue im Schwanz, vernichtet an Haupt und Gliedern, vor unserem überwältigenden Resümé all seiner Niedertrachten. Wer meint, dass es damit doch nichts auf sich habe – eine harmlose, billig-solipsistische Genugtuung für Schlechtweggekommene bedeute -, irrt schwer. Es ist das so ziemlich der kostspieligste Luxus, dem ein Mensch zu frönen vermag: denn er kostet Leben. Wer ihm verfällt, geht wie in einer Wolke von psychischem Leichengift dahin, mesmerisiert sich in ein Scheinleben zurück, das längst verwest ist, und opfert imaginärem Triumph im Vergangenen, wirklichen im Kommenden. Jemand hat Rache: „um der Vergangenheit willen handeln“ genannt, sie ist also eine um 180 Grad falsch gedrehte Energie. Auch kann keiner einen Körper frisch und schön erhalten, der sich von ausgelaugten Gedanken nährt – von den Exkrementen seiner veralteten Ichs! Neuer Influx, junge Zukunft findet die Seelenzellen verklebt. Fleisch, Bein, Mark und Blut sind starre Hülse toten Geistes geworden… Solch immer wachsende Krustenlast muss in Schwäche und Jammer herniederdrücken. Nur wer seine verbrauchten Schalen abwirft, vorwärtsdrängend ins Neue, den fliegt junges Leben an mit jungen Gedanken, und diese materialisieren sich auch den neuen, ihnen korrespondierenden Körper. „Jeden Tag sterben können“ bedeutet, dass irgendein Gedanke von gestern sicher heute schon zu den Toten gehört. Wo Geister in gesundem Wachstum sich befinden, müssen sie am Ende jeden Tages mit einem Teil ihres Selbst für immer fertig geworden sein; es ist ausgelebt. Es weiter verwenden wollen, schädigt nur. Psychische Substanz muss abgestoßen werden, wie die Epidermis täglich Zellen abstößt – sonst leiden Hautatmung, Zirkulation, Ernährung und alles. Wer Gedankenerneuerung zu steigern versteht, durchlebt in Tagen Welten. Glück wird fast unabhängig von Ort und Umständen, er kann es zu sich in den Kerker zwingen, während Leute, von alten Vorstellungen eingekerkert, in Palästen verfaulen. Es ist ein Weg zu fast völliger Unabhängigkeit vom Physischen – und Unabhängigkeit ist Macht. Solang wir noch in irgendeiner Form auf einen Menschen, eine Speise, eine Droge, ein Stimulans angewiesen sind, bleiben wir Sklaven. Nur auf neuen Gedanken, deren Zeugung wir beherrschen, gibt es ein Entkommen aus den Gefängnissen materieller und seelischer Armut. Niemand kann auch im weltlichen Sinn lange arm bleiben, der in unserem Sinne spirituell reich ist. Doch wird spiritueller Reichtum nie nach mehr verlangen, als er gebrauchen kann, um Tag und Stunde voll auszugenießen. Er wird nicht „für das Alter sorgen“, weil er erkannt haben wird, dass dieses „Vorsorgen“ selbst schon den “ Nur die Entwicklung – die Entfaltung – die Irradiation der Geistgewalt selbst über die materiellen Sphären kann all dieses Übel verhindern, den Körper unbegrenzt erhalten, verjüngen, verwandeln. Nicht, indem man Jugend in Knechtschaft für „Altersversorgung“ vergeudet, nur im Hinwerfen dieses heute noch kläglichen und kleinlichen Ichs in den großen erneuernden Strom werdender Wunder und Erkenntnisse liegt Hoffnung und Heil gegen die Grundschmach von Alter und Tod.

Solche Geistgewalt beginnen wir zu pflegen und zu entwickeln, sobald wir an ihre Herrschaft über die Welt der Materie glauben – glauben, dass was immer wir als Teil von ihr ausdauernd träumen, denken, als Willen aus uns stoßen, wir auch wirklich, realiter erschaffen.

Aus Unwissenheit wurde bisher immer in der falschen Richtung geträumt, gedacht und folglich – erschaffen. „Wir ackern uns mit unseren Käferköpfen“ immer tiefer voraus und hinein in die irdische Verwesung. Nur ein Beispiel: Der erste Satz, den das Kind in der Logik zu lernen bekommt, lautet: „Alle Menschen sind sterblich, Cajus ist ein Mensch – folglich muss Cajus sterben.“ Alle Menschen sind aber noch lange nicht geboren, geschweige denn gestorben, wie also dürfen sie, die noch gar nicht Existierenden, über die noch keinerlei Erfahrung vorliegt, fälschlich in die Prämisse „alle“ eingeschmuggelt werden. Und so lehrt man Kinder Logik!

Wer allerdings noch in den primitiven Vorstellungen der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts lebt, nach denen Geist höchstens als störende Nebenerscheinung der Mechanik widerwillig geduldet wurde, wer noch nicht gelernt, das Unbegreifliche und das Wunder bereits darin zu sehen, dass Wasserstoff und Sauerstoff einander anziehen, gewisse chemische Elemente Affinitäten zueinander haben – andere wieder nicht: was Empedokles „Liebe und Hass“ nennt und nach ihm hinzustoßen hat zur Materie, damit der Kosmos das „Geordnete“ werde – wer tellerflach und viertelgebildet, also ärger als ungebildet, sich hinter einer dogmatischen Taschenphilosophie für Minderbemittelte verkalkt, als hätte sie Ewigkeitswert, wird all dies wundervolle Kommen, soweit seine planen Kräfte reichen, verzögern – aufhalten wird es niemand.

Der Advent ist nahe, nicht weil ich oder ein anderer etwas schreibt oder behauptet, sondern um der Fülle strebender und stürmisch anwachsender Menschengeister willen – der Milliarde von Hirnen, die heute an den Toren jedes Wunsches steht, im Gegensatz zu früheren, schwach bevölkerten Zeitaltern. Das sechste Jahrhundert v. Chr. war gewiss an überragenden Menschen reicher als vielleicht irgendein anderes (Konfuzius, Buddha, Pythagoras, Heraklit, die Eleaten), aber es waren nur einzelne, und ihre gewiss hochstehenden Völker damals zu dünn gebreitet auf dem Planeten für dauernde materielle Auswirkungen. Was heute ein auch nur mittelmäßiger Mensch als Wille aus sich herausstellt, findet weit mehr tragende Elemente um sich; der Geistäther ist infolge der Übervölkerung dichter geworden.

Nie noch waren Umwelt und Wirkungswelt so zur Empfängnis reif wie jetzt.

Es genügt, wenn die Wenigen aus der Vorhut weiterdrängen und nicht müde werden zu verkünden: „Aber so seht doch, da – gerade unter euren Nasen ruht, unausgenutzt, die gewaltigste aller Verwandlungskräfte: der wollende Gedanke: eine Realität, ein Wirkliches und Wirkendes… es ballt und entlädt sich, funkt durch den Raum – aufbauend und niederreißend, heilend und tötend, Vermögen schaffend, Vermögen vernichtend – im Guten wie im Bösen tätig zu jeder Stunde, Tag und Nacht – im Schlafen, im Wachen – die Gesichter der Menschen – ihre Leiber meißelnd, färbend und formend zu dauernder Vollendung oder passagerem Verfall.

Ehe du dich, lieber Mitmensch, ganz einem parlamentarischen Interpellationsmodus, einer Suppenanstalt, der Versorgung von Negerkindern mit Wollstrümpfen, dem Sammeln von Stanniol, Briefmarken oder Zahnbürsten aus der Zeit der Karolinger, dem Jagen nach einer neuen Zeckenart unter dem Schwanz des wilden Elefanten widmest, frage dich, ob du einen Teil deines Lebens nicht versuchsweise drangeben möchtest, die hier vorgeschlagenen Wunsch- und Denkmethoden am eigenen Leib zu prüfen. Es bedarf keiner „Bildung“ hierzu – keiner Staatsprüfungen, keiner Geldmittel – nicht einmal des Glaubens.

Wir stellen keine Dogmen auf, wir sagen nur: „Versuche selbst.“ Sollten sich jedoch etwas wie erste Resultate in der erwarteten Linie einzustellen beginnen, wäre es dann vernünftig, ihnen eine willkürliche Schranke, ein: bis hierher und nicht weiter irgendwo im Möglichen vorschreiben zu wollen? – Glaube – Vertrauen sind dann nichts anderes als geradlinig verlängerte Erfahrung.

Im Angesicht der Ausblicke, die sich hier eröffnen – welche andere Tat, welches andere Ziel käme diesem an Bedeutung gleich für die gesamte Menschheit! Dass es bisher keiner erreichte! – So sei eben du der erste… Zeige du, wie man sich aufbauen könne zu einer lebendigen Allmacht – wie man mit anderen Gleichstrebenden am eigenen Leibe beweise: Kraft und Gesundheit können der Vergreisung erfolgreich entgegenstehen – Krankheit auf immer verbannt werden, Reichtum und Genie fließen – natürliche Ergebnisse – aus bisher nur unvollkommen oder unbewusst angewandten Methoden und Gesetzen. Nicht aber ist das Leben die passagere, unbefriedigende, hoffnungslose Sache, als die es bis heute selbst im glücklichsten Ausnahmefall galt. Solange der Mensch sterben muss, nachdem er eben angefangen, ein bisschen das Leben zu lernen solange sind alle seine Genies: Gelehrte, Seher, Philosophen, Künstler doch nur Fehlschläge; Inseln des Vergessens auf der Todesfahrt.

Die Menschheit aber verlangt nach Besserem. Ihr Verlangen, ihr Schrei schwillt ständig an durch die Jahrhunderte – formt sich aus dem Unsichtbaren die Erfüllung. Diese wird erst den Wenigen werden, dann den Vielen… schließlich allen. Neuem Licht, neuem Wissen, neuen lebendigen Resultaten geht die Menschheit entgegen.

Zeit kennt nur eine Dimension, eine „Richtung“: vorwärts. Da wir in ihr vorwärtsfließen, ist es auch besser, vorwärts zu schauen. Eine mächtige, geheimnisvolle, ewige Kraft drängt uns am Band der Zeit ins Ungelebte. Auch die Trägsten, Dumpfesten, Rohesten, Verhorntesten können der Wandlung innerhalb der Zeit nicht widerstehen. Viele aber treiben dahin, den Rücken gegen die Zukunft, den Blick in die Vergangenheit gewandt. Durch solche falsche Haltung hofieren sie Übel, Leid, Krankheit und Verfall.

Es klingt ja sehr wunderbar, wie alles Schicksal innerhalb des Lebens, wie Glück und Unglück von so einfachen Bräuchen abhängen sollten: von einer Richtung des Gemüts. Aber die sogenannten „einfachen“ Dinge haben sich bei genauerem Zusehen noch immer als die tiefsten, die Kern- und Urphänomene, erwiesen.

Was uns vorläufig und zu allererst beschäftigen muss, ist nicht ein Spekulieren über die Attribute der „ersten Ursache“, uns gilt es, Mittel in der Natur aufzudecken, die bestimmte Resultate in bestimmter Richtung ergeben. Haben wir einmal die lebendige Gewissheit erlangt, Realitäten aus uns herausdenken zu können – Realitäten in Bezug auf Gesundheit, Anmut, Reichtum, Stellung, Geist, dann ist das erste Vordergrundziel erreicht, „eine Perle von hohem Preis“ – als Zeichen aber, dass wir weiser geworden sind an diesem Ziel und reif für den nächsten Schritt, werden wir eilen, unserem Nachbar zu helfen, auf dass auch dieser die „Perle von hohem Preis“ in sich suche und finde, denn jeder findet nur, was ihm allein zu finden vorbehalten; er nimmt niemandem damit, nur alle werden reicher, weil mit der Zahl der Wissenden die Gesamtkraft wächst; aus jedem, dem geholfen ward, wird automatisch ein Helfer.

Das tägliche Einströmen neuer Ideen bringt neue Macht. Ihre schweigende Triebkraft weckt und erregt auch alle anderen Wesen, die bewusst oder unbewusst mit uns zusammenarbeiten.

Auf den höheren seelischen Stufen sind alle Frohen, Vitalen, Serenen, Siegessicheren. Sie haben sich emporgebildet zu dem Gesetz und seine Richtigkeit sich selbst bewiesen. Sie wissen: Ein bestimmter Hang des Gemüts, die Beherrschung der Gedanken erregt dauerndes Einströmen von Glück und Macht – weil Glück und Macht parallel gehen müssen. Macht, nicht als Knechtung anderer, sondern: Wirkungen entfalten können – Freiheit – Lebensraum. Sie wissen: Jedes Unternehmen, in der Richtung des unendlichen Gesetzes orientiert, muss Erfolg haben. Das Leben für sie ist eine Schnur von Siegen, ihrem Herzen so ganz Gewissheit wie uns, dass Feuer brenne und Wasser es lösche. Durch tiefes, dauerndes Begehren (nicht Betteln und nicht ungestümes Drängen) können wir uns mit dieser Insel höheren Lebens in Verbindung setzen und aus ihr neues, kraftspendendes Fluidum ziehen. Diesem wertvollen Kontakt zu den reinsten Intelligenzen wird der Weg geebnet durch das Bemühen, alles trübe, neidische, streitsüchtige Wesen auszutreiben. Ein Gedanke, der uns schadet, ist unrein. Lebenslange Misszucht der Gewohnheit mag souveräne Beherrschung im Anfang schwierig erscheinen lassen… dauerndes Streben: Aspiration, wird aber mit steigender Leichtigkeit alle ruinösen Tendenzen abzutöten vermögen. Unreine Gedanken sind wie ätherischer Aussatz an einer unsoignierten Seele – sie versperren uns den Eintritt in „bessere Gesellschaft“. Auf höhere Instinkte, auf feinere Helfer kann die Aura eines Menschen als Kloake oder als Blütenhain wirken.

Manch großer Schriftsteller, Künstler, Heerführer… überhaupt Führer der Menschheit auf irgendeinem Gebiet des Lebens, mag ein gut Teil seiner Größe auf mediumistischem Weg erlangt haben – Sprachrohr solcher Intelligenzen, solch unsichtbarer Helfer gewesen sein. Vielleicht blieb sein Wesen in manchem klein, eitel, vulgär, schlechtrassig – irgendwie aber hatte er teil an Größe. In erlesenen Momenten gab sich etwas in ihm ganz und schrankenlos hin, da wurde er zum Medium, zum erlesenen Träger fremder Geistergrade Er hatte in diesen empfangenden Momenten die hochempfindliche Membran seiner Seele hinauf- und hingebreitet in die Wirkungswelt von Strahlen und Wirbeln, weit feiner und mächtiger, als sie seinem Alltag vergönnt. Beladen mit Astralgeschenken, kehrte er dann „zu sich“ zurück. Denn:

Der hat’s wahrhaftig in der Kunst
Nicht hoch hinausgetrieben,
In dessen Werken nicht mehr steht,
Als er hineingeschrieben…

Es waren eben Einflüsterungen. Für Geistwesen, überfließend in ihrem Reichtum, ist es tiefe Notwendigkeit, ihre Visionen von Süße und Kraft anderen mitzuteilen – mit anderen zu teilen. Sie bedienen sich jedes Mittlers, jedes Mittels, scheint es nur halbwegs tauglich… suchen den Weg geringsten Widerstandes – das ist Naturgesetz. Solch höhere Intelligenzen sind gleich gestauten Quellen: es strömt und strömt aus ihnen; Geben ist nicht Pflicht, sondern Erlösung. Wenn Gedanken ihre Reife erreicht haben, müssen sie sich eben ablösen wie überschwere Früchte vom belasteten Ast.

Diese Kräfte, Seelen, „Geister“, wie man sie nennen will, aus den oberen Sphären, finden vielleicht auf dem irdischen Stratum des Lebens einen impressionablen Organismus, sie mögen einzeln auf ihn wirken oder, zum Ring geschlossen, eine Atmosphäre um ihn schaffen, in der er, weit über seiner Täglichkeit und kleinen Eigenkraft, für eine Spanne zu schweben vermag – „frei“, wie den mächtigen hochgespannten Kupferspulen mitten inne – von ihnen durch Fernwirkung gehalten – der Magnet „frei“ schwebt. Dieser geistige Ring wird auf den eindrucksfähigen Organismus wie ein Stimulans wirken. Hebt, trägt und hält ihn über sich. Für den Augenblick sieht er die Dinge im Licht eines höheren Lebens – reiner, als es um ihn gelebt wird. Er ist inspiriert, berauscht, verklärt, auch weil feine und mächtige Gedankensubstanz eine entflammende Droge ist, proportional wirkend der Zartheit und Feurigkeit des Individuums, durch dessen Nerven sie sich ergießt. Dieses Stimulans heißt auch „persönlicher Magnetismus“. In ihm liegt das Geheimnis jener rätselhaften unerklärlichen Anziehungen von Mensch zu Mensch. Sie sind trunken aneinander – trunken von dem Fluidum, das sie wechselseitig absorbieren: “ Frau Minne gab die Kranken zwei, eins dem andern zur Arznei.“

Auf jeder Stufe, auf jedem Gebiet, zu jedem Zweck, ob hoch, ob nieder, wirkt irgendeine Abart der Droge „Geist“.

Da ist kein mächtiges Geschehen, keine Tat, keine Erfindung, kein Kunstwerk, das ganz aus einem Einzelwesen entstanden wäre, unumarmt von dem zeugenden Äther ringsum. Wir sind alle Teile des Ganzen; was ohne Hilfe geschieht, bleibt „unbehilflich“. Wer es anders weiß, weiß es aus Wahn und Dünkel.

Der inspirierte Dichter, Gelehrte, Erfinder, Staatsmann mag mit einem großen Namen hinübergehen, ohne seine ganze Berühmtheit verdient zu haben. Seine Werke waren zum Teil das Resultat der auf ihn konzentrierten Kräfte kooperierender Intelligenzen aus dem Unsichtbaren. Sie entluden sich in ihm, dem klaren und willigen Empfänger, der sie nicht störte, um dann erleichtert aufzusteigen zu Regionen, in denen der Geistäther vielleicht schon zu fein ist, um einem Erdenmedium noch übermittelt zu werden.

Je schneller, je großzügiger man im Geistigen gibt, desto rascher fließt Neues wieder ein… Wer geistiges Eigentum ängstlich zurückhält, schwächt und verarmt seine Aufnahmefähigkeit. Wer ein Medium ist, um Kräfte der Welt durch sich hindurch anderen zu vermitteln, muss vorsichtig sein, damit ja nichts in seinem Wesen den freien Durchzug hemme. In dem Augenblick, da er eine Wahrheit, eine Idee, eine Erfindung in sich aufspeichert mit dem Entschluss, sie ausschließlich für sich zu behalten, verstopft er die Mediumschaft.

Er wird in jedem Sinn nur ärmer werden durch solches Zurückhalten.

Gibt er reichlich, so wird er wieder reichlich empfangen und aus dem Überfluss jederzeit leicht genügend zurückbehalten können, um aus ihm seine materiellen Bedürfnisse zu decken.

Manchen sind Ideen organisch. Schöpfer sind sie und Absorbierer zugleich. Jene sind es, die zur höchsten Form des Weltwesens hinaufzuleben trachten… nach größerer Vielseitigkeit in Geist und Tat drängen. Die heitere Notwendigkeit, unter der solch ein Mensch steht, dieses Schöpferische in ihm, das ihn zu einem Rundumausblühen seiner ganzen Persönlichkeit zwingt, bringt ihm vom Besten aus der ganzen Welt, auf dass er es zu seinem Aufbau verwende und assimiliere. Da er nicht nur ein Medium ist, d. h. ein Durchlässiges, für bestimmte Einflüsse passiv Empfängliches und Geeignetes, sondern ein ganzer, kleiner Kosmos für sich, vermag er nach dem Gesetz der Korrespondenz von allem in sich zu ziehen – an allem hat er teil, denn alles ist er selbst und bleibt, auch im Absorbieren des Fremden, schöpferisch und originell. Anderer Gedanken gehen mit den seinen neue „chemische“ Verbindungen ein, alles was an ihn rührt, wird an ihm umbelichtet, umgeboren erhält Weihe, Frische und Jugend. Je reiner und naiver die Anschauung, je selbstloser seine geistige Haltung den befruchtenden und ergänzenden Dingen gegenüber, umso rascher entstehen die neuen Gedankenverbindungen in ihm… desto origineller wird alles, was er berührt. Erklärlich ist es nicht, aber die Tatsache bleibt nicht weniger bestehen: die Rechtlichkeit, die Harmlosigkeit sind selbständige Elemente… wirkende Faktoren bei solchen geistig-chemischen Prozessen.

Das Medium… aus Schwäche oder Selbstsucht, begnügt sich damit, ausschließlich Entlehner zu sein. Es bedient sich fremder Gedanken, ohne von dem rechtmäßigen Besitzer – oder Schöpfer auch nur Notiz zu nehmen, ja ohne sich der Provenienz der angeflogenen Ideen auch nur bewusst zu werden. Aber Intelligenzen, von denen man fix und fertig entlehnen kann ohne eigenes „Veredlungsverfahren“, sind nicht immer erreichbar. Es muss eine Zeit kommen – in diesem oder einem anderen Leben, wo der Geist auf sich allein zurückgeworfen, plötzlich ohne Ressourcen dasteht… arm und verkrüppelt durch jene Einseitigkeit, wie sie aller Mediumismus ausbildet. Es wird die Fähigkeit fehlen, geistigen Rohstoff an einem eigenen Zentralfeuer umzuschmelzen.

Um die Schöpferkraft im Geistigen ringen, ihre kleinsten Ansätze pflegen, allen noch so augenfälligen Vorteilen der Mediumschaft so früh wie möglich entsagen, das ist unser Rat. Ja, aber woran soll man denn überhaupt erkennen, dass man Medium ist? An der einseitigen Richtung der Einfälle… Sie scheinen, wie die Sternschnuppenschwärme, immer aus einem bestimmten Punkt hervorzugehen, so groß der Streukegel dann auch werden mag. Das Kriterium der echten Schöpferkraft wird immer sein, dass sie sich auf allen Seiten des Lebens, wo immer man stehen möge, auf den verschiedensten Gebieten regen wird… zur Stelle sein wird. Durch alle Gegenden des Herzens aber läuft sie zündend mit als Fackel des Läufers. Das Medium hingegen muss immer in einer bestimmten Geistregion stille halten… unter einem bestimmten Einfallswinkel bleiben, das ist sein Merkmal.

Anmerkung: Nicht Prentice Mulford hat sich über die unbewiesene Prämisse in dem Logikbeispiel: Alle Menschen sind sterblich… Cajus ist ein Mensch, folglich usw…. aufgehalten. Diese Bemerkung stammt aus dem reizenden Buch Alexander Moskowskis: „Der Sprung über den Schatten“. Sie ist jedoch so sehr im Geiste Mulfords, dass sich der Bearbeiter es nicht versagen konnte, sie hier dem Ganzen einzufügen.

Über SpiritismusInhaltsverzeichnisDie hohe Kunst des Vergessens

 

An den Anfang scrollen