Mut und Geistesgegenwart sind ein und dasselbe.
Auch Feigheit und Unbeherrschtheit sind identisch.
Feigheit wurzelt in der Überstürzung, in dem Mangel an Ruhe. Alle Grade und Arten jeglichen Erfolges aber beruhen auf Mut – an Leib und Geist. Auch Misserfolg und Verschüchterung sind identisch. Man kann zu jeder Stunde des Tages Mut züchten, ihn stündlich steigern, kann die zweifache Genugtuung haben bei allem, was man tut, zugleich mit der Leistung, einfach durch die Art ihrer Ausführung, wieder ein Atom der Mutsubstanz für immer dem psychischen Tresor gewonnen zu haben. Man erreicht dies durch Kultivieren der Bedachtsamkeit – (nicht zu verwechseln mit „behäbig“ oder „langsam“).
Wo ein bisschen Eile ist, ist immer ein bisschen Furcht. Wer zum Zug eilt, eilt aus Angst zurückzubleiben, und mit dieser Angst kommt jene vor all den Konsequenzen des Zurückbleibens. Wer zu einer Gesellschaft, einem Rendezvous stürmt, tut es aus Angst vor den schädlichen Folgen seines Zuspätkommens. Es ist erstaunlich, wieviel „Kleingeld“ an Furcht tagtäglich verausgabt wird. Diese winzigen Psychosen können durch unbewusstes Training eines Menschen Geist derart überschwemmen, dass er gar nicht mehr anders kann als überall und zu jeder Zeit irgendeinen Verlust fürchten, wo absolut keiner droht. Er saust zum Beispiel einem Straßenbahnwagen nach wie etwas Unwiederbringlichem, kalt vor Erbitterung, als hätte er sein Liebstes begraben, während ein zweiter Wagen knapp hinterdrein fährt oder schlimmstenfalls drei Minuten später. Aber die Furcht, diese drei Minuten warten zu müssen, schwillt zu einem Berg wie die Kissen im Fiebertraum… zu einer ganz scheußlichen Möglichkeit.
Einfach durch Gewohnheit wird eine ähnliche Katastrophenstimmung einen solchen Menschen durch seine Mahlzeiten, Spaziergänge, Korrespondenz – „Erholung“ – kurz alles, was er tut, begleiten und es ihm immer schwieriger machen, einen klaren Kopf zu behalten. Die Emotion, die dieser ganzen gehetzten Stimmung und gehetzten Tat zugrunde liegt, ist aber einfach Furcht. Furcht ist nur ein anderer Name für die Unfähigkeit, die Entstehung von Gedanken zu beherrschen. Das bespritzt alles aus unserem hilflosen Ich wie aus einem Schlammvulkan, unseren ganzen Tag bekleckernd und grau überkrustend.
Dieses ganz unbewusste Training zeugt einen chronischen Zustand des Geistes, der ihn großen und kleinen Paniken bei den trivialsten Anlässen ausliefert – Enttäuschungen brütet, wo keine vorhanden wären. Wer aber Angst in irgendeiner Form kultiviert, schafft in sich ausgefahrene Geleise, in die dann auch das große Entsetzen sich im Schicksalsmoment stürzt. Wer sich hinreißen lässt, eine halbe Stunde voll Angst dazusitzen und zu harren, ob der Wagen, der ihn zur Bahn bringen soll, auch rechtzeitig kommt, der wird wesentlich empfänglicher sein – nicht nur für alle trivialen Hindernisse, die auf dieser speziellen Reise ihm vielleicht bevorstehen, sondern auch die wirkliche Gefahr bei einem Eisenbahnunglück – einem Schiffszusammenstoß – wird ihn nicht bei voller Geistesgegenwart finden.
Oder man schreibt, arbeitet, denkt etwas unendlich Fesselndes, man will nicht gestört werden; da fällt der Zirkel herunter, die Feder, irgendein kleines Mistvieh von einer Sache, natürlich ein unentbehrliches; wütend bückt man sich danach mit einer linkischen, weil unfrohen Bewegung, während der Geist ganz woanders weilt. Man mag ihn nicht von dem Interessanten wegnehmen um des albernen Zirkels, des albernen Bleistifts willen, versucht die erste Arbeit fortlaufen zu lassen und zugleich den Gegenstand aufzuheben. Nun wird die Bewegung des Körpers augenblicklich linkisch und unfroh, weil es uns nicht verlohnte, für eine Minute jene Kraft in sie herüberzuwerfen, die ihr zukam. Jede Handlung aber – und gerade die trivialste, weil sie die häufigste, ja geradezu Tagesinhalt ist, sollte eine Freude sein und kann es auch, wenn mit der größten Grazie, Geschicklichkeit und Präzision jedes spielenden Muskels ausgeführt. Wer es als „kindisch“ belächelt und ablehnt, einen Essay über das Aufheben von Scheren ernst zu nehmen, mache sich einmal klar, welches Armutszeugnis sich ein Mensch ausstellt, der es nicht riskieren will, für die Arbeit einer Minute seinen Denkapparat umzuschalten: erstens gibt er damit zu, dass seine Ideen so locker sitzen, so wenig in ihm verankert sind, dass er von einer Minute zur anderen nicht sicher ist, noch ein Genie oder schon ein Strohkopf zu sein, zweitens aber lässt er ganz klägliche Schlüsse auf seine persönliche Gleichung zu: ein Fachausdruck, der das Maß der Denkgeschwindigkeit bezeichnet, kurz dessen, was der Engländer „bright“, der Berliner „helle“ nennt. Es ist die Zeit, die ein Eindruck braucht, um von der Peripherie der Sinne kommend, im Gehirn bewusst zu werden. Um sie zu messen, benutzt man meist ein astronomisches Ereignis: etwa einen Sterndurchgang, den Apparate automatisch registrieren und der außerdem mathematisch vorausberechnet ist. Nun lässt man einen Menschen den Sterndurchgang beobachten und den Moment der Beobachtung etwa an einem Taster fixieren. Die Differenz zwischen der mechanischen Registrierung und der menschlichen Perzeption heißt „persönliche Gleichung“. Diese ist bei höchststehenden Menschen nur verschwindender Bruchteil einer Sekunde, bei einem Büffel zwanzig Sekunden (nach anderen Methoden gemessen), bei manchem Fachmann zweiundzwanzig. Der Leser, dessen persönliche Gleichung ihm das ordentliche Aufheben der Schere nicht mehr lohnend erscheinen lässt, ziehe nun selbst die Konsequenz seines Hohnes.
Die Fähigkeit, Kräfte blitzschnell aus einem Zentrum ins andere zu werfen, wächst wie alles, auf das man einmal sein Augenmerk gerichtet, durch Übung.
Wer hastig eine Nadel aufhebt, einen Schuhriemen verknüpft, tut es nicht nur, weil ihm die Handlung lästig ist, sondern auch aus Furcht, eben für diesen Moment ein Stückchen Freude zu verlieren. Er hat sein Herz also schon wieder dem Angststrom eröffnet, der Angst, etwas zu versäumen.
Die Züchtung des Mutes aber beginnt mit der Pflege der Bedachtsamkeit in diesen allerkleinsten Tagtäglichkeiten. Mut und Bedachtsamkeit sind so eng verbunden wie Angst und Hast. Wer die Kraftbeherrschung, die Präsenz der Bewegung nicht an den kleinsten Dingen übt, wird sie auch in den großen dann nicht zur Hand haben.
Analysiert man die größere Form der Furcht, so stellt sich heraus, dass der Geängstigte es immer mit zuviel des Gefürchteten auf einmal aufnehmen will. Das Gefürchtete in relativ kleine Teile zerlegen, jeden einzelnen der Reihe nach überwinden und nur mit dem ihm gebührenden Aufwand an Kraft: das ist der Weg. Mit zunehmender Gewohnheit, in jeder Gefahr nur schrittweise vorzugehen, wächst die Fähigkeit, alle Kraft blitzschnell in die gebotene Richtung werfen zu können… eine Kraft, die sich in unaufhörlicher Zucht auf die trivialsten Dinge erstrecken sollte, bis sie zur zweiten Natur, noch besser zur ersten Natur geworden.
Wer zu einer sehr gefürchteten Unterredung geht mit einer schroffen, unbeugsamen, überhebenden Persönlichkeit, pflegt die ganze Sache schon vorher durchzuleben, setzt sich alle Augenblicke mitten hinein und betrachtet sie a priori als peinlich und unangenehm – vielleicht war er schon heute früh in ihr während des Ankleidens -, damals aber war doch das Ankleiden seine Aufgabe! Als notwendiger Schritt zu dieser Unterredung… und sich gut anzukleiden obendrein. Vielleicht beschäftigte sie ihn auch während des Essens, damals aber war doch zu essen seine Aufgabe, und zwar weise und richtig zu essen, möglichst viel Wohlbefinden und Nutzen aus dieser Mahlzeit zu ziehen. Das war der zweite Schritt. Je friedlicher und geruhsamer die Speisen durchgeschmeckt werden, desto besser gehen Assimilierung und Blutbereitung vor sich. Möglicherweise kämpfte er auch die Pein der Unterredung auf dem Weg zu ihr durch, während es doch seine Aufgabe gewesen wäre, aus dem Gehen alle mögliche Freude zu schöpfen. Das war wieder ein Schritt. Mit dem vorteilhaftesten Äußeren, gesättigt, somit frei von körperlichen Hemmungen, gesund durchpulst von einem anregenden Spaziergang- so hätte er nun dem Gefürchteten gegenüberzutreten gehabt.
Vergnügen resultiert aus richtiger Innervation; aus dem Zaubergewirk von Trieben und Hemmungen kann jegliches Tun zu einem kleinen Kunstwerk gelingen, während aus dem Wegschicken der Lebenskraft dorthin, wo sie nichts zu tun hat – durch die Verarmung des Moments, notwendig früher oder später Pein und Unfreude folgen müssen.
Wer beim Essen, Ankleiden, Gehen seine Gedanken woanders hat, macht aus dem Essen, Ankleiden, Gehen etwas Störendes und Unangenehmes, ja, alles muss da schließlich unangenehm werden, durch dieses Training, Willen und Wirklichkeit überquer zu stellen. Was alle doch anstreben, ist Glück – Glück aber ist Stimmung schaffen können – freier Herr sein über die Gedanken immer und überall. Das ist nur durch Training im kleinsten erreichbar. Auch jeder Soldat hat Reih und Glied zu halten, damit die Armee in Präzision große Manöver ausführen könne. Nur Präsenz des Wissens ist Wissen – Präsenz des Könnens – Können. Wenn mir etwas nur Mittwoch früh einfällt und ich brauchte es unerwarteterweise einmal Dienstag nachmittag, so ist das so gut, als wüsste ich es gar nicht. Das Leben besteht aber aus lauter Unerwartetstem und gerade dort, wo es am lebendigsten ist – „das Glück ist nur ein Augenblick“ -, wer immer gleich einen Nachmittag davon verbürgt haben will, ehe ihm ein Zustandswechsel lohnt, weiß überhaupt noch nicht, was Glück ist: sich leben spüren: sein ganzes Ich – in jedem Augenblick, an jeder Stelle, wo es auch stehen mag! Es ist aber durchaus nicht zur Stelle, wenn wir ein Schuhband knüpfen und eine Meile weg denken – einen Bleistift spitzen und in der morgigen Sorge herumstochern. Lebenslängliche Gewohnheit der Gedankenvagabundage, dieses „nie bei der Sache sein“, lässt es nicht nur immer schwieriger werden, die Geisteskraft zurückzurufen, nein, auch die Zurückgerufene funktioniert nicht mehr reibungslos, lässt sie sich wirklich einmal herbei zu folgen.
Umgekehrt kann jede beliebige Masse Energie durch Training so lange und so intensiv auf eine Sache konzentriert werden wie einem beliebt, dann ist man Herr über jeden Gedanken, Herr über jede Stimmung, Herr des Schlafes, Herr der Träumerei, und auch all dies ist nur verschwindendster Teil dessen, was dem menschlichen Geist zu erreichen bestimmt. Denn erreichbar ist alles, was Phantasie nur ersinnt. Macht ohne Grenzen und ohne Ende. Die Schritte, die dahin führen, sind aber so klein, so einfach und relativ so leicht, dass sie aus diesem Grunde wahrscheinlich verschmäht werden dürften.
Es ist zweifellos, dass diese Konzentrations- und Innervationsübungen und ihre Resultate den Wenigen schon seit Menschenaltern bekannt waren, doch haben sie sich fast immer wechselnd versteckter Ausdrucksweisen bedient, sind ja auch die mystischen Wege der Rassen verschieden. Der weißen Menschheit mangelt eben noch das erweckende, nur ihr verständliche Wort. Indianer und Asiaten vermochten und vermögen stets, wie tausend beglaubigte Fälle beweisen, ihr Bewusstsein nach Willkür zu verlegen, das Zentrum zu wechseln, um für Schmerz und Furcht völlig unempfindlich zu werden. Hier hilft sich die Eitelkeit des weißen Mannes leicht, indem er Unempfindlichkeit eben als Merkmal tieferen Niveaus dekretiert, vergißt aber, dass diese Rassen mit einer Sinnenzartheit und Sinnenschärfe auf Eindrücke reagieren – wenn sie wollen -, die ans Wunderbare grenzt. Nur der Weiße beweist, wie man stumpf und wehleidig zugleich sein kann. Er hat nämlich alles kultiviert, nur nicht sich selbst.
Die Kraft, sich in einen geistigen Zustand zu werfen, war es eben, was den Indianer Nordamerikas befähigte, als Gefangener jede Folter zu ertragen, mit klarer Stimme sein Todeslied zu singen im Feuer und unter Martern, die, zu grauenhaft für Worte, jeden Europäer zum Wahnsinn getrieben hätten.
Der Indianer ist viel ruhevoller, dabei lebendiger in jeder Bewegung als die meisten unserer Rasse… schon von ferne wird man ihn am wunderbar freien, gleichsam genießenden Gang erkennen. Unbewusst, ein natürlicheres Leben lebend, kultivierte er das animalische Genie, die Herrschaft des Willens, aus der allein Leidverlöschung fließt.
Was linkisch, ungeschickt, taktlos macht, ist immer wieder die direkt trainierte Unfähigkeit, ein Ding zu seiner Zeit zu tun.
Der panikbefallene Mensch läuft bei plötzlicher Gefahr planlos auf dem Schiffsdeck auf und ab, und diese „Tätigkeit“ korrespondiert genau jenem lebenslangen Geisteszustand, der Gedanken wie ungezogenen Hunden gestattet, alles benagend, alles verunreinigend, ziellos hin und her zu schießen. Ein Konzentrierter hingegen, der weiß, wie lange zehn Sekunden richtig angewendet sind – wie vieles sich nacheinander in ihnen vollbringen lässt, wird sich Zeit nehmen, nach einer Rettungsgelegenheit systematisch auszuspähen. Diese beiden Menschen werden aber auch eine Nadel auf ganz verschiedene Weise aufheben. Ruhe in großer Gefahr ist eben das blitzhafte Nacheinandersehen von zwanzig Dingen und das Nacheinandertun mit der Präzision einer Maschine. Der Feigling sieht nicht nur die Tatsache der Gefahr, sondern auch noch die möglichen Folgen, was ihm passieren oder nicht passieren kann… alle Schrecken auf einem Haufen.
Keine Eigenschaft ist aber wichtiger für den Erfolg als Mut, Mut und wieder Mut. Der Untrainierte wird im entscheidenden Moment einen guten Gedanken ebenso linkisch aus dem Hirn fallen lassen wie den Zirkel aus den Händen. Denn Mut im Denken ist ebenso wesentlich wie Mut im Handeln… einen neuen Gedanken lang genug halten können, bis der erste Schreck über seine Neuheit vorüber ist, und statt ihn fallen zu lassen, lieber der Zeit eine Chance geben, ob es sich nicht verlohne, nach Wegen der Verwirklichung zu suchen, gerade weil er so kühn, gerade weil er so neu.
Nur kein Missverständnis: Nicht die ganze Geisteskraft hat in jeder sogenannten kleinen Trivialität zu fokussieren, etwa im Schließen einer Tür, dem Einfädeln einer Nadel, dem Öffnen der Schublade… nur eben soviel, als der Akt erfordert – das richtig abzuschätzen, ist leibliche Vollendung; der Rest bleibt in Reserve und für unvorhergesehene Fälle. Wer ein Gewicht stemmt, wird ja bei einem Pfund auch anders zu Werk gehen als bei fünfzig. Wer seine Gedanken woanders hat, wird eben diese erforderliche Kraft immer falsch kalkulieren… wie sähe aber ein Kaufmann aus, der das bei seinem Lager täte, da jedoch hier nur das Leben, das einmalige, einzige, unwiderrufliche, verschleudert wird, verlohnt das ja keinen Gedanken. Diese Durchblutung, Belebung, Beherrschung in ihren tausend Variationen eines einzigen Tages ersetzte den Stadt- und Stubenmenschen auch bis zu einem hohen Grad den Sport, der ja nichts anderes als die ausnahmsweise Befolgung unseres Lebensrezeptes ist.
Man erinnere sich auch, dass alles im Geist Getane und dann noch einmal erst körperlich Vollbrachte Vergeudung ist. Da liegen jeden Morgen Leute im Bett, kalt wie Metall vor Entsetzen über das Frühstück, das nun zu kochen, die Zimmer, die aufzuräumen, die Einkäufe, die zu besorgen sind… liegen auf dem Rücken und rackern sich ab dabei.
Jeder Tat ihr Maß von Kraft zuweisen können, ist das Geheimnis der Vitalität, deren vielbeneidete Besitzer aus scheinbar unerschöpflichen Reserven strahlende Speise ziehen. Kein „Vitamin“, keine Tube Ambrosiaersatz „Speiofix“, nichts in noch so schöner Verpackung aus dem Kehrichthaufen der Farbfabriken gewonnen, mit dem Gutachten aller Fakultäten bekleistert, wird diese unentgeltliche Methode erreichen. Nicht nur Mut, auch Takt und Geschick sind Charakteristika der Vitalität. Sie gab jenem amerikanischen Offizier, als er sich in der Verwirrung der Schlacht plötzlich allein britischen Truppen gegenübersah, die Ruhe zu fragen: „Welches Regiment?“ „Royal scots“, war die Antwort. „Royal scots stehenbleiben“, und er ritt ruhig zu seinen Linien zurück.
Fechter, Tänzer, Dirigenten haben oft diese Treffsicherheit der Innervationen, doch außerhalb ihres Berufs sind sie zuweilen ebenso fahrig, launenhaft und unsicher wie die meisten anderen.
Hier sollen aber „Allround“-Menschen gezüchtet werden, nicht nur ein Bizeps, ein Ohr, ein Oberschenkel, wie die Arbeitsteilung, die nichts als Menschenteilung ist, es gerne sähe. Es ist vielleicht nicht für die „Wirtschaft“, aber für den Menschen besser, an allen Enden und symmetrisch rundum zu wachsen als zu einem einseitig überzüchteten Monstrum… oft fälschlich Genie genannt.
Hunderte und Hunderte dieser kleinen Bewegungen, die das Leben ausmachen: Aufheben und Weglegen von Gegenständen, Schließen von Läden, Reichen und Nehmen, Frisieren und Ankleiden werden linkisch, unachtsam, daher freudlos ausgeführt, besonders wenn Wichtigeres droht. Solches Herumfahren zwischen den Dingen macht müde, hässlich und schließlich feig, denn Panikstimmung wächst aus dem ganz Kleinen.
Langandauernde Gewohnheit kann natürlich nicht in einem Tag und nicht in einem Jahr gebrochen werden, noch können die seelischen und geistigen Folgen ohne weiteres ausheilen… langsames Wegwachsen ist alles.
Wer diesen Essay liest mit dem Gefühl, dass vielleicht doch „was dran ist“ – irgendeine Stelle den eigenen Fall trifft, hat mit der Selbstheilung begonnen. Überzeugung, lebendige Überzeugung kann nur von innen kommen, hört dann aber nie mehr zu wachsen auf.
Niemand erfindet eine Wahrheit, braucht es auch gar nicht, denn Wahrheit ist – man sollte es gar nicht glauben – die weitverbreitetste Substanz der Welt, ein „freies Gut“ wie Wasser, Licht und Luft. Wer andern hilft, hilft ihnen nur, sich selbst zu helfen, wie der Laternenanzünder weder Feuer noch Licht erschafft, wenn er dem Gas im fremden Leuchtkörper mit seinem Lichtchen naht.