Ein Geplänkel mit einem Baum
So etwa eine halbe Stunde würde es mich kosten, stellte ich mir vor, ein paar Nistkästchen für Stare zwischen den Zweigen der prachtvollen Eiche zu befestigen, die mein Haus beschattet.
Diese Eiche ist der Stolz des Besitzes. Sie ist gerade, luftig gebaut, symmetrisch, jetzt auf der Höhe ihrer Kraft, ein Tempel, nicht von irdischen Händen erbaut, wunderbarer konstruiert als alle Paläste und in der Wertung meines Nebenmenschen gut für Brennholz oder Eisenbahnschwellen. In dem Bestreben, die Nistkästen anzubringen, finde ich, dass Perversität in ihren Ästen wohnt.
Oder vielleicht ist es nur der Wunsch, in keiner Weise belästigt zu werden, ein Zug starken Charakters und ausgeprägter Individualität, sei es in Männern, Frauen oder Eichen. Etwa zwanzig Fuß vom Erdboden wollte ich die Häuschen befestigen. Ich lehnte eine Leiter an den Stamm des Baumes. Der Baum weigerte sich, zu gestatten, dass die Leiter an seinen breiten Stamm sich lehne. Wie immer ich die Leiter drehen oder wenden mochte, immer prallte sie an kleinen, aber harten Ästen ab, fest wie Stahlfedern. Diese bekämpften die Leiter und schlugen jeden Nahangriff erfolgreich ab.
Ich versuchte die Leiter zwischen diese bockbeinigen kleinen Ästchen einzuschmuggeln. Sie widerstanden voll Intelligenz jeder Taktik.
Sowie ein Leiterende hereinglitt, gelang es irgendeiner Katzenkralle von Zweig, das andere Ende zu erwischen. In all der Zeit verbrauchte ich – die menschliche, bewegliche Maschine am Fuß der Leiter – viel Kraft in diesen vergeblichen Versuchen. Denn es war eine altmodische, sehr schwere Leiter – eine Anstreicherleiter.
Ich sah: Diese Äste mussten abgesägt werden.
Von der Erde konnte ich sie nicht erreichen, noch konnten sie von der Leiter aus abgesägt werden, während diese gegen sie lehnte – da hätte ich mich in gewissem Sinne selbst mit abgesägt.
Abhauen mit der Axt erwies sich als unmöglich, denn nirgends konnte ich rechten Fuß fassen, um einen wirksamen Hieb auszuführen.
Ich flüchtete zur Handsäge. Auf meiner Fußleiter stehend, würde ich die Zweige absägen.
Die Fußleiter nahe genug zu postieren, war ein Unterfangen von ungeahnter Schwierigkeit, denn der Boden war zu uneben und musste erst künstlich nivelliert werden, um eine sichere Basis zu gewähren. Da kam es über mich, dass ich eigentlich ein recht gutes Stück Weges davon entfernt sei, diese Nistkästen aufzuhängen. Jeder notwendige und sich natürlich ergebende Schritt schien mich von der eigentlichen Tat immer weiter zu entfernen – nämlich dem Annageln der Kästchen.
Es hatte mit meinem Bestreben, eine Leiter gegen den Stamm zu lehnen, begonnen. Geist und Leib waren durch den Eigenwillen jener Zweige aufgehalten worden, dann hatte ich die Zweige verlassen und fand mich jetzt, mit einem Spaten und einer Schaufel die Erde bearbeitend, wieder.
Ich dachte: „Ich bin doch neugierig, wie weit ich noch von den Nistkästen fortwandern muss, um hinzugelangen!“
Gehört auch diese zur Familie jener Affären im Leben, die mit geheuchelter Einfachheit verlocken, die sich maskieren als Tageswerk und dann Jahre kosten?
Immerhin spitzt sich das Ganze zu einem Zweikampf zwischen mir und diesem eigentlich sympathischen Gentleman von einem Baum zu. Ich will alle Hast, allen Ärger ausscheiden und einfach sehen, wer nun eigentlich von uns beiden Herr der Situation bleiben wird. Mit der Luftlinie zwischen mir und meiner Aufgabe ist es Essig – nun heißt es Schritt vor Schritt, Brust an Brust kämpfen.
Die Fußleiter sympathisierte mit dem Baum und war ganz unvernünftig diffizil wegen des Bodens, torkelte, sobald ich auf ihr stand, einmal nach rechts, einmal nach links und dann wieder ganz woanders hin in einer dekrepiten hilflosen Art – wenn sie zu Hause ist, kann sie ganz stramm und vergnügt sein. Es war so ein schlagendes Beispiel, diese ganze Beinstellerei, davon, was einer meiner Freunde „die totale Schamlosigkeit der leblosen Dinge“ nennt!
Endlich erstieg ich die Leiter und begann mit der Säge Operationen am Zweig Nr. I.
Da der Zweig grün und voller Saft war, so klebte und stak die Säge in obstinater Weise fest.
Auf der obersten Stufe der Fußleiter war mein Stand zitterig und unsicher.
Ich sägte und sorgte bei dem Gedanken an einen möglichen Bein oder Genickbruch – das zerrte und zupfte an meinen Nerven bis zur Erschöpfung.
Zweig Nr. II erforderte einen Ortswechsel für die Leiter und neuerliche Nivellierung des Bodens.
Desgleichen Nr. III.
Um die Zeit, da diese drei Zweige unten waren, hatte ich den ursprünglichen Zweck der ganzen Unternehmung schon halb vergessen – war ab und zu voll Verwunderung, wozu ich da eigentlich drauflos arbeite.
Schließlich waren die Zweige aus dem Weg- die Bahn schien frei. Ich hob die schwere Leiter gegen den Baum – sicher lehnte sie daran. Ich stieg hinauf, eines der Kästchen in den Händen, bis zu zwei Drittel der Höhe, hörte etwas verdächtig knacken und fand, dass durch die linke Seite der Leiter ein diagonaler Riss von oben bis unten klaffte und dass mein Genick in größerer Gefahr war als je. Schnell, doch vorsichtig, kroch ich wieder herunter.
Es blieb nichts übrig, als jetzt die Leiter zu reparieren. Das Aufhängen der Starhäuschen aber verdämmerte immer mehr in der Ferne.
Ich sagte mir: „Neugierig bin ich, wohin mich diese Unternehmung noch führen wird – es schien doch schließlich kein solch vermessenes Unterfangen! Ein paar Nistkästchen festnageln! Werden jetzt die Nistkästchen mich festnageln in Mühsal bis an das Ende der Tage?“
Was wird noch alles nötig werden! Vielleicht führt mich diese Annaglerei zum Reparieren meines Hühnerstalles oder in die Stadt – vielleicht nach Europa! Am Ende falle ich gar einer Horde wilder Advokaten in die Hände, durch irgendeine Nebenentwicklung, einen Seitenschritt – etwas Indirektes, das sich aus der Starhäuschenaffäre herauswächst. Schon jetzt kostet sie mich drei und eine halbe Stunde Arbeit statt der geplanten dreißig Minuten. Aber der Geist des Krieges ist über mir. Ich bin bereit. Ich will mich diesem Ziele ganz opfern, nach bestem Können, Wissen und Wollen. Es ist eine Ehrensache geworden. Die Nistkästchen selbst mag der Kuckuck holen.
Sorgfältig reparierte ich die Leiter, nagelte Metallstreifen innen und außen an – und stellte sie in Position.
Wieder kletterte ich – ein Starkästchen in den Händen – empor. Auf der obersten Stufe angekommen, fand ich es unmöglich, mit dem Kästchen an die richtige Stelle zu gelangen. Ich stieg also wieder herab, deponierte erst das Kästchen am Boden, stieg wieder bis zur obersten Stufe und begann von dort auf allen Vieren zu klettern.
Noch mehr Hindernisse! Äste kamen von fern her, mir den Weg zu verlegen – Zweige versuchten mir die Augen herauszukratzen! Stückchen trockener Rinde ließen sich von oben kontinuierlich hineinfallen!
Noch mehr Abhacken! Ich stieg also wieder einmal hinunter um die Hacke, nahm sie und hieb mir eine Straße den Baum hinauf. Jetzt, da alles bereit schien, stieg ich wieder hinab, die Kästchen zu holen, und dann wieder hinauf. Es war nötig, einen Hammer, eine Zange und einige Nägel mitzunehmen.
Ich band mir den Hammer mit einer Schnur um den Hals und steckte Zange und Nägel in die Westentasche. Gesunder Menschenverstand oder einige Sekunden Überlegung, was dasselbe ist (Verstand ist Zeitnehmen), hätten mich belehrt, die Axt für alle Fälle im Stamme stecken zu lassen. Aber nein. Vom Baum hatte ich sie kopfüber hinabgeworfen. So stieg ich wieder der Hacke wegen die Leiter hinab.
Diese unausgesetzten Auf- und Abstiege begannen mich nachgerade zu beunruhigen. Sie schienen endlos. Ging es in diesem Tempo fort, rückte die ganze Angelegenheit in einen Ewigkeitsaspekt – dem Auf und Ab der Engel auf der Jakobsleiter vergleichbar, aber noch immer ohne – Nistkästchen.
Die Arbeit in den Zweigen vollendete ich mit der Hacke und war eben im Begriff, meine Gedanken wieder dem Hammer zuzuwenden, als dieses Instrument – ich trug es um den Hals gebunden, plötzlich bei einer raschen Neigung meinerseits einen Purzelbaum schlug, durch die Schlinge schlüpfte und gerade zu Boden fiel.
Es fiel wunderbar gerade durch die Zweige – das muss man ihm lassen – und lag dann da mit einer bockig mürrischen Komm-herab-und-heb-mich-auf-Miene.
Ich kam nicht gleich herab.
Ich lehnte über einen Zweig und beschimpfte den Hammer. Aber er stand nicht auf – wenn es ihnen passt, können sie ja so leblos sein, die Sachen! – Dann fiel mir ein, wie erheiternd das alles einem Dritten erscheinen müsste, der nichts zu tun hätte, als dem Theater beizuwohnen. Ich dachte: „Warum soll nicht ich dieser Dritte sein?“ Überlegte aber dann, wie der Dritte eben gar nichts zu tun habe, als dabeizusitzen und amüsiert zu sein, während ich außerdem das Auf- und Absteigen besorgen musste. Das Feld der Betätigung war zu groß! Ich konnte mich nicht so recht von Herzen amüsieren und außerdem die ganze Arbeit tun.
So stieg ich wieder hinab mit soviel Geduld, als man in der Eile zusammenraffen kann. Ich klaubte den Hammer auf. Ich hätte ihm gerne den Hals umgedreht. Aber was hat man davon, einem Hammer den Hals umzudrehen? Nichts als die Notwendigkeit, einen neuen Hammer zu kaufen.
Der Hammer wurde aufgehoben, wie er gewünscht.
Wieder kletterte ich die Leiter hinauf.
Mitten im scheinbar raschen Fortschreiten der Arbeit erschien ein neues Hindernis auf dem Plan. Der Baum hatte seine Taktik geändert und rief einen neuen Verbündeten zu Hilfe. Eine Henne, eine meiner Hennen! Die Haustür war offen geblieben. Diese Henne war eingetreten, auf den Tisch gestiegen, verzehrte die Reste meines Frühstücks und drohte Zerstörung allem Gebrechlichen mit ihren dummen Klauen.
Diese spezielle Henne seckiert mich mehr als alle übrigen zusammen. Während die anderen nur fremde Felder beschädigen, lungert sie um das Haus herum, auf Diebstahl und Plünderung bedacht.
Ich rief von oben wiederholt „shoo!“ – Aber ohne Effekt. Sie wollte nicht „shooen“. Sie nahm nur in unrespektierlicher Weise Notiz von meinem Befehl. Sie wusste, es war reichlich Zeit zu verduften, ehe ich von dem Baum herab kam. Ich machte drohende Bemerkungen. Sie verdrehte eine Pupille – zwinkerte in verächtlicher Weise und sprang mit beiden Beinen in den Kaffee. Ich warf zwecklos Äste ins Zimmer.
Dann stieg ich hinunter und trieb sie wütend aus dem Haus. Sie entfernte sich – wie Hennen sich nun einmal von Orten, wo sie nicht hingehören, entfernen – auf dem längst möglichen Weg, mit großer Gefahr für alles Zerbrechliche durch flatternde Flügel und dummes Gebein, mit viel Gegacker und Getue, als wäre es ein empörendes Vorgehen meinerseits, sie in der friedvollen Beschäftigung zu stören, Frühstücksreste in schöne frische Eier für meinen Gebrauch umzusetzen. Ihr Gezeter wurde von der brütenden Verwandtschaft sekundiert, die laut und von Herzen ihrer Meinung über mich beistimmte.
Also zurechtgewiesen stieg ich wieder die Leiter hinauf und stellte mich in Positur, die Kästchen festzunageln. Es war ein schwieriges Unternehmen. Ich musste meinen Körper den Formen des Baumes anpassen – den verschiedenen Divergenzen und Konturen der Äste. In der einen Position konnte ich zu keinem ordentlichen Schlag mit dem Hammer ausholen, in einer anderen wieder die Nägel nicht aus der Westentasche nehmen durch das Dazwischentreten eines kleinen Baumgliedes. Für diese Arbeit fehlten mir immer gerade eine Hand oder ein Bein. Mir schien, als hätte ich da und dort sechs bis acht dieser Gliedmaßen ständig beschäftigen können. Ich wurde mir auf einmal der großen Vorteile bewusst, die gewisse Affenarten bei solchen Arbeiten hätten. Luftig und graziös würde sich der starke und flexible Fortsatz der Wirbelsäule um einen Ast schlingen, während das vollständige Arm- und Beinmaterial zu anderen Zwecken freibliebe.
Ganz warm und enthusiastisch geworden über solchen Betrachtungen, hörte ich einen winzigen, bescheidenen Fall zu Boden. Es war die Zange, für die ich augenblickliche Verwendung hatte. Sie war aus der Westentasche geglitten. Ein paar Nägel tröpfelten sanft hinterdrein. Dann gab es Wut.
Aber Zangen stehen so wenig auf und wandeln wie Hämmer. Ich schlug den alten und gewöhnlichen Weg baumab zur Zange ein und meditierte, als ich müde wieder hinaufstieg, ob das „tat twam asi“ und „liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ auch für Hämmer und Zangen gelte.
Ich nagelte die Kästchen an Ort und Stelle. Alles schien glatt zu gehen. Ich vollendete das Werk und stieg die Leiter hinunter – wie ich meinte, zum letztenmal. Ich betrachtete diese vier Starkästen mit Stolz und Bewunderung, zog die Leiter weg und schleppte sie in eine ferne Ecke. Dann überblickte ich noch einmal die Kästchen und sah, dass das oberste nur an einem losen Stück Rinde hing und hilflos im Winde hin und her schaukelte, weil der Nagel den Stamm nicht durchdrang.
Ich wollte nicht erliegen. Ich raffte mich auf – aller Starrsinn war geballt in mir – ganz hart ward ich vor Bockigkeit. Ich wollte meinen Willen; nicht die Starkästchen, diese herrliche Eiche musste besiegt werden. Die Leiter wurde im Fluge wieder aufgerichtet, das Kästchen für Zeit und Ewigkeit befestigt. Dann wartete ich ganz still, was weiter passieren würde! Welche neue Gemeinheit von seiten der Eiche. Aber nichts geschah. Ich hatte gesiegt.
Im Laufe der Woche haben mehrere wohnungsuchende Vogelpärchen die Häuser besichtigt. Sie scheinen sehr wählerisch und schwer von Entschluss.
Als ich anfing, diese Geschichte zu schreiben, schien mir, es würde irgendeine Moral an ihrem Schürzenband hängen oder sich sonst irgendwie herauswachsen. Jetzt, da ich fertig bin, finde ich keine.
So scheint es mir eigentlich zarter und taktvoller, dem Leser anheimzustellen, seine eigene Moral zu finden und gegebenenfalls anzuwenden. Ich bin früher zu viel herumgegangen und habe moralische Senfpflaster den Leuten auf die Haut geklatscht, unbekümmert, ob sie es wollten oder nicht.
Und keine Stare, keine Amseln – nicht der kleinste Vogel wollte je in diesen Kästchen wohnen.