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Eine der größten Schwierigkeiten macht es mir, das Gesetz „Jedes an seinem Platz“ im Hause lückenlos durchzuführen. Ich laufe Gefahr, oft zwei, drei, bis ein Dutzend Plätze für eine Sache zu haben. Erst eine geringe Macht ist mein in diesem Reich – und doch ist dieses Reich nur ein Zimmer – von mir selbst – für mich erschaffen. Oft weise ich Dingen Plätze an und vergesse sie wieder. Ich hänge die Bratpfanne auf sechs verschiedene Haken. Dann bringe ich wieder Dinge zur Aushilfe in den Haushalt und lasse sie wild laufen. Eine Tasse, ein Löffel, ein Fetzen, eine Flasche ohne festen Wohnsitz ist sicher, anderen fleißigen und ordentlichen Sachen beständig über den Weg zu laufen in einem Zustand chronischer Rebellion gegen den häuslichen Frieden.

Je mehr nomadenhafte Dinge, um so erbitterter der Krieg- um so größer die Mühe, diese Revolution zu unterdrücken. Da ist ein bestimmter Kochlöffel – aus Eisen auch noch -, seit Wochen ist eine lebhafte Fehde zwischen uns im Gang. Mindestens ein halbes Dutzendmal habe ich ihm schon einen festen Platz angewiesen und dann wieder vergessen, auf welchem Nagel er hängen soll. Resultat: Er hängt an allen Nägeln – oder er liegt an allen Plätzen – ein kulinarischer Ismael. Er hat auch nichts zu tun – lungert im Haus herum. Ein leerer Glaskrug ist in dem gleichen Zustand – stellenlos und rebellierend.

Ich habe ihm keine rechte Beschäftigung angewiesen, – so wandert er ziellos durch das Haus und stört die friedlichen und ordentlichen Krüge, die nach dem Rechten zu sehen haben – und ihr Pensum zu erledigen – und natürlich wollen, dass man sie in Ruhe lässt. Tief auf dem Grund dieses Übels liegt mein Hang, alle möglichen Dinge zu kaufen und zu sammeln, ohne zu wissen, was ich dann mit ihnen anfangen soll, wenn die Freude des Kaufens einmal vorbei ist. Ich habe ein wundervolles und scharfes Auge. Bin ich in der Stadt dann sehe ich unaufhörlich Sachen, von denen ich mir sage: „Das wäre gut zu haben.“ Es mag eine Gummiwanne sein – ein Tisch, eine Tasse – ein Teekessel – alles und jedes! „Gut zu haben!“ Gut wozu? Das weiß ich nicht. Es passt mir nicht, der Frage nachzugehen. Ich traue mich nicht. Ich weiche in solchen Situationen meinem bedächtigeren Selbst aus. Wie ich es nur kommen sehe, lauf‘ ich schon ums Eck! – Ich will eben die Sache um des Habens willen. Will das „Haben“, nicht die Sache. Es ist ein Instinkt, zu akkumulieren. Vielleicht war ich einmal eine Elster und schwelgte in Haufen von altem Mist, Knochen und Fetzen. Froh, meinen Willen gegen das andere vernünftige Wesen in mir, das ich aber ungern als „ich“ anerkenne, durchgesetzt zu haben – schleppe ich meinen Schatz nach Haus. Jetzt beginnt der Jammer. Er will gepflegt sein – er will versorgt sein, einen Platz haben – abgestaubt werden. Oder er könnte zerbrechen und also meiner Seele Schmerz bringen. Auf irgendeine Weise verlangt er Teile meiner Aufmerksamkeit meines Geistes – meiner Lebenskraft – schmarotzt sich in mich hinein – frisst an mir bis ans Ende meiner Tage. So ein Ding der Laune degeneriert sofort im Hause, wird eine Pest. Es muss auf alle Fälle isoliert oder eingesperrt werden. „Zuchthäuser“ dieser Art für unbotmäßige Dinge finden sich zu Tausenden in Form von Kellern – Böden – Rumpelkammern, wo alle toten Verbrecher vom hinkenden Sessel, blinden Spiegel bis zum aggressiven Eierköpfer ihr verruchtes Dasein spinnen.

Ein Haufen solchen „Auswurfs der Sachheit“ liegt in einer Ecke meines Zimmers. Ein unbrauchbarer Korb, eine große Zinndose, eine kleine, ein Deckel ohne Topf! Eine Zwiebel hat sich den Aufständischen angeschlossen nebst zwei Kartoffeln, die abwechselnd frieren und wieder auftauen – und dann ein Lampenschirm, den ich dem Tag entgegenhüte, da durch Affinität die ihm von Gott vorherbestimmte Lampe von gleichen Maßen sich ihm zugesellen wird. In den Spalten des Haufens nisten Nägel, Spagatreste und dergleichen.

Dieser Haufen gibt mir einen Riss, – so oft ich ihn ansehe. Weil er nicht nur in der Ecke liegt – sondern mir im Sinn! Schwer lastet er dort – nimmt Raum weg den lichten und größeren Gedanken.

Desgleichen tun die nomadisierenden Löffel und Tassen und Krüge. Es wäre gewinnreicher, sie zu vernichten – bei Sachen bin ich schon für Todesstrafe! –

Ich habe einen Koffer voll alter Kleider – nein, leider nicht ganz alt… so entre deux ages.

Wozu behalte ich sie? Sparsamkeit. Um sie erst noch abzunützen – in der Zwischenzeit nützen sie mich ab. Drei- oder viermal wöchentlich besuche ich diesen Koffer, um nach etwas zu suchen, von dem ich nicht sicher bin, ob es dort ist oder nicht. Im Durchstöbern und Herausräumen dieser alten Kleider vergeude ich nicht wenig Zeit und Kraft. Sind sie das wert?

Ich hebe das gleiche Paar alter Hosen mindestens fünfundzwanzigmal im Jahr heraus – lege es flach auf den Boden – dann wieder zurück in den Koffer, desgleichen eine Weste – eine Tropenausrüstung, die ich seit vier Jahren nicht getragen habe – vielleicht nie wieder brauchen werde, und drei bis vier Röcke, Unterkleider von geschwächter und zweifelhafter Konstitution – und nach all dieser Zeit und Mühe werde ich wahrscheinlich die Röcke einzeln – „tropfenweise“ wegwerfen. Oder ich werde in gebührlichen Intervallen einen winzigen Spalt meines geizigen Herzens öffnen und vielleicht den Tropenhelm einem Bettler schenken, der ihn für Schnaps versetzt, indes ich mich herze und küsse für meine Großmut, also über einen Gegenstand verfügt zu haben, der mich belästigte. Oder ich werde einen Trödler kommen lassen, und sein Feilschen wird diesen Raum, den ich mit eigenen Händen mir gebaut, auf dass er rein bleibe, so verpesten, dass ich am besten täte, ihm das Haus noch draufzugeben.

Wäre ich nicht besser daran, wenn ich alles jetzt und gleich verschenkte oder vernichtete, für das ich keinen Gebrauch weiß oder denken kann? Befreie ich damit nicht ebenso mein Bewusstsein wie den Koffer? Ist erst gründlich Luft geschaffen – vielleicht kommen bessere Dinge.

Die Moral, die ich hieraus – und ausschließlich für mich, ableite, ist (ich bin nämlich für hausgemachte Moral – statt sie aus Glaubensfabriken zu beziehen), nie mehr Dinge im Gesichtskreis haben, als man vermutlich in den nächsten vierzehn Tagen braucht (Kunstgegenstände ausgenommen)!

Soll aber die Moral jetzt damit schon aufhören. Wieviel nutzlose Abfälle von Daten, halbzerfallenen Meinungen, Tatsachen und Ereignissen sind in meinem Bewusstsein, für die ich weder eine Verwendung habe noch eine solche weiß.

Muss ich, um als weise zu gelten, für den kommenden Tag schon heute angehäuft sein mit Meinungen, Tatsachen, Ansichten, die sich vielleicht eben morgen als irrig erweisen werden? Wieviel von dem Komplex all dessen, was man „Bildung“ nennt, ist es gut, zu behalten? Sollten all die „Daten“ und „Tatsachen“ nicht ausgeschieden werden wie „Ermüdungsstoffe“ aus den Muskeln? Wenn nur der Muskel elastisch und beweglich bleibt, das ist das Wesentliche.

Warum wird die Kunst des Vergessens nicht besser gelehrt wertlose Mitteilungen durch das Gehirn einfach hindurchfallen zu lassen? Sind wir nicht im Gemüt voller Narben, entstanden durch das rohe Losreißenmüssen der Dinge, die wir als lebensschädlich erkannt? Wo aber Narben sind, verstumpft das Gefühl.

Was, wenn ich wirklich die Namen aller Flüsse der Erde kenne und ihre Länge – und die Wasserscheiden und alle Seen und Teiche und Becken und das römische Recht und die chinesischen Dynastien und wann Sizilien an das Haus Anjou fiel – alles das habe, was man „präsentes“ Wissen nennt. Warum soll ein Mensch selber tun, was jedes Lexikon für ihn kann… und das man noch obendrein zuklappen darf, wenn man genug hat.

Niemals etwas tun – was ein anderer für uns tun kann. Alle Kraft sparen für das, was nur wir tun können. Wozu soll ein Mensch die Leistung eines Almanach, eines Eisenbahnkuriers oder einer Enzyklopädie anstreben?

Haben Sie bemerkt, wie Leute, die alles vom Anfang bis zum Ende wissen – und wo es herkommt – und wo es hinkommt und wie es aufbewahrt wird -, dass diese Repetiergewehre der Weisheit, die bei der leisesten Berührung Wissen und Belehrung auf die Umgebung abschießen, meist untergeordnete Stellungen einnehmen? Ihr Wissen drückt so sehr auf ihr Gehirn, dass ihnen für den Tag, für die drängende Stunde, das wundervolle „Jetzt“ keine Spannkraft bleibt – sie versagen im entscheidenden Augenblick.

Ist es wirklich nötig, vorauszulernen für alle möglichen Situationen? Wenn ich einmal ein Pferd hätte und es verfiele in Krankheit, wäre dann nicht Zeit genug zu ermitteln, wo der Pferdearzt wohnt? Aber ich habe jetzt kein Pferd, und das Pferd, das ich noch nicht habe, wird vielleicht gar nicht krank werden, und ich weiß nicht, wo der Pferdearzt wohnt, weder mag ich jetzt mich mit der Mühe plagen, es herauszufinden, noch später mein Gedächtnis, sich der Adresse zu erinnern.

Ich habe diese rauen wildgewachsenen Jünglinge gesehen – sie hatten im philiströsen Sinn „keine Bildung“ und standen in rührender Ehrfurcht vor jedem Trottel, der lateinische Zitate kannte, wie sie Kontrakte aufsetzten und ihre großen Wege über die Sierras bauten und alles Mächtige ausführten, was sie versprachen. Sah, wie sie Tausende von Menschen verproviantierten und der Gehirne diplomierter Ingenieure sich bedienten! Und wenn sie ein Faktum oder ein Werkzeug oder einen Spezialisten brauchten – so gingen sie hin, nahmen sich den gewünschten Artikel – sicherten ihn sich verwendeten ihn und ließen ihn dann fallen.

Ich brauche nicht zwei Theorien über eine Sache – ich brauche nicht zwei Deckel für einen Topf. Ich kann nicht drei Paar Beinkleider auf einmal tragen – so nützlich diese Kleidungsstücke auch sein mögen.

Soll ich mir weiter Ofenröhre an Ofenröhre fügen, Pelion auf Ossa türmen – weil eine Ofenröhre eine nützliche Sache ist? Wieviel von meinem jugendlichen Schulwissen – war solch endlose Ofenröhre. Was hat es mich wirklich gefördert zu wissen, dass Columbus gerade im Jahre 1492 Amerika entdeckte? Hat es mich veredelt? Hat es mich sozial gehoben? Meine Denkkraft vertieft? Hat es mich moralischer oder ehrlicher gemacht? Hat es mich in meinem Menschentum befestigt? Hat es mir Vertrauen oder Freunde gebracht? Meinen Kredit auch nur um zehn Cent gehoben?

Was war es denn am Ende mehr als ein überflüssiges Stück historischer Ofenröhre – das in gutem Zustand zu erhalten mir durchs ganze Leben eine lästige Mühe blieb? Wie viele tausend Jahre noch – gesetzt, die Erde hält so lang – wird es für das Kind weiter nötig sein zu lernen, dass im Jahre 1492 Columbus Amerika entdeckte? – Später habe ich gefunden, dass sogar dieses Stück Ofenröhre undicht war! Columbus hat gar nicht als erster Amerika entdeckt. Ich las, es waren viele Jahrhunderte früher die Normannen – und noch früher marschierte man schon über die Beringstraße hinüber… und nächstens sickert es durch: – die allerersten Amerikaner waren überhaupt die Ägypter!

Ich lasse mich ja gern ab und zu unterhalten durch solche Theorien, wie ein Jongleur hundert Meter Ofenröhre zum Sport auf seiner Nase balancieren mag. Aber ich wehre mich dagegen, es müsse eine Verpflichtung für mich sein – solle ich als vollwertiger Kulturmensch gelten -, in panischem Erschrecken alle Jahre zur Historie zu rennen und nachzusehen, ob es wirklich noch Columbus ist, der 1492 Amerika entdeckte… und ob es wirklich noch 1492 ist!

Dass ich verpflichtet sein soll, die Reihenfolge dieser vier Zahlen lebenslänglich in mein Gehirn eingebrannt zu tragen, wie ein Stück Vieh sein Zeichen am gegenüberliegenden Organ, dünkt mich unsäglich abgeschmackt. Bildung erscheint mir oft als die systematische Ansammlung vieler Deckel zu einem Topf – vieler Stile zu einem Besen und kilometerlanger Reserveofenröhren!

Ist denn der Geist ein Papierkorb – eine Rumpelkammer – ein Dachboden -, immer vollgestopft mit jedem Gerümpel, das dort zu verstauen andere für gut finden? Oder ist er nicht vielmehr ein Spiegel, den Bildung reinigen soll, auf dass er immer klarer spiegle, was ist?

Soll das Leben noch weiter in zwei Hälften zerfallen, von denen die erste mit Anfüllen, die zweite mit Ausräumen freudelos hingebracht wird?

Dieses hohe BordInhaltsverzeichnisEin Geplänkel mit einem Baum

 

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