Trotz allem und allem dringen „die Sorgen der Welt“ ein in das Schutzhaus – das Bollwerk, von meinen eigenen Händen im Jersey-Sumpf erbaut. Zum größten Teil sind sie – wie eben Sorgen sind nicht der Mühe wert.
Ob ich mein undichtes Dach mit Zink decken lassen oder es selbst mit Wachsleinwand reparieren soll; ob ich in einer bestimmten Ecke noch ein paar Borde anbringen soll – zu welchem Zweck, ist mir selbst unklar; ob ich nächsten Sommer besser den hübschen vernickelten Rechaud für sieben Dollar fünfzig kaufen soll oder einen gewöhnlichen; ob ich Korn oder Kartoffeln pflanzen soll, und wenn Korn, ob es dann besser ist, eine Sichel zu kaufen oder auszuleihen; wer für meine Hühner und Tauben sorgen wird, wenn ich nach Boston gehe; ob ich beim Barbier noch Zeit genug haben werde, vor Abgang des Zuges mir die Haare schneiden zu lassen; ob ich Toast zum Frühstück nehmen soll oder Eier auf Toast, ob ich die tausend Dinge der Alltagsgedanken, deren ich mich wahrlich vor anderen schämen möchte, tun oder nichttun – können oder nichtkönnen werde! All dieser Gedankenmob, diese Pläne, Spekulationen, Wünsche, Sorgen, Launen, Vorurteile groß und klein, brauchbar und überflüssig, kommen oft in einem Haufen und verpöbeln mir die Seele in der halben Stunde, da ich von dem Sumpf zur Station stapfe und die Gottheit ihr Bestes tut, mich mit der Glorie eines Sonnenaufgangs zu unterhalten.
Dann, wie ich auf dieser öden, ausgefahrenen Gedankenstraße auf und ab reise! Von Zeit zu Zeit immer wieder an die eine ranzige alte, selbe Sorge, Laune, Frage anrenne und mich lieber von dem ganzen Mob langweilen lasse als auch nur einen einzigen überflüssigen Eindringling ein für allemal abzutun!
Wie ich ausweichende Antworten gebe und Unentschlossenheiten ausarbeite, statt sofort das Pensum für den Tag zu entscheiden. Wie ich dann sage: „Oh, im Geschäft selbst werde ich schon sehen, wie mir wegen dieses neuen Besens zumute sein wird“, und „möglich, dass ich den neuen Frühlingsüberzieher kaufe – vielleicht aber auch nicht „und dem fragenden Gedanken erwidere: „Bitte melden Sie sich gelegentlich wieder“, und drei Minuten später tut er es auch schon, und wie ich darauf bestehe, meine Hühner ungefüttert, ungepflegt und verendend zu sehen, während ich in Boston sein werde.
Vielleicht war Marthas Seele also mit Dienen überladen. Es ist gleich, um was man sorgt und dient, – sei es, einen alten Topfdeckel aus dem Jahre 30 n. Chr. blank zu scheuern oder einen Überrock aus dem Jahre 1900 zu bürsten. Maria erwählte „das bessere Teil“ nicht durch Vernachlässigung ihrer Pflichten, sondern da sie sich weigerte, sich von diesen anpöbeln und beherrschen zu lassen. Ich bin nie vor solchen Invasionen sicher, vor herumstrolchenden Sorgen.
Gestern ging ich zur Stadt in serener, sonniger Stimmung. Es war der erste, echte Frühlingstag. Die Elemente in ihrer sanftesten, liebevollsten Laune – demütig tat ich es ihnen nach. Ich schlenderte gemächlich die Chambers Street hinauf, ließ mir die Stiefel von einem italienischen Neuling putzen, fühlte einen Moment lang Entrüstung über den kläglichen „Shine“, bereute sogleich und rief Milde und Rücksicht zu Hilfe für den armen Kerl, der sein ehrliches Fortkommen suchte, dachte mich in seine Lage – (da wurde mir besser) -, bezahlte ihn und marschierte mit einem ungleich geputzten Paar Stiefel davon – beglückwünschte mich zu meiner Güte, stopfte mich bis oben hinauf voll mit geistigem Hochmut und prahlte vor mir selber, was für eine Seele von einem Menschen ich doch sei – verglichen mit all den harten, rücksichtslosen Egoisten ringsumher.
Menschen gingen an mir vorüber voll Geschäftssorgen, voll Zweifel, voll Angst – planend, hastend, spinnend, wie es ihre Art ist.
Ihre Gesichter zu harten finanziellen Knoten verzogen, ihre Beine aus Leibeskraft vorwärtsrasend, ihre Geister diese Leiber antreibend zu immer schnellerer Bewegung – die Seelen ganz gefangen in den „Sorgen der Welt“. Da sprach ich „in meinem lieben Herzen“: Wie gut, dass ich nichts gemein habe mit diesen Sündern. Ich stehe Gott Lob über solchen Dingen – mich überfallen und fesseln die Sorgen der Welt nicht mehr. Ich bin zufrieden, glücklich und reich im Genuss der Stunde.
Siehe, der da steht, dass er nicht falle!
Natürlich war wieder alles falsch! Ich kenne mich nie. Habe mich nie gekannt. Seit neunundvierzig Jahren versuche ich mit diesem Kerl in meinem Inneren bekannt zu werden – manchmal schien es mir, als kenne ich ihn durch und durch und sah mich getäuscht! Irgendein neuer Zug, ein neuer Fehler oder ein alter Fehler in neuer Verkleidung sprießt immer auf.
Manchmal glaube ich, es stecken ein halbes Dutzend Individuen wie die Zwiebelschalen in meiner Haut, jedes mit seinen Privatfaxen, Vorurteilen, Unarten und Begierden und einzeln „Urlaub“ verlangend, – sich auszuleben, wie Matrosen, die an Land einen „freien Tag“ haben wollen. Ich habe schon die Hoffnung aufgegeben, je mit der ganzen Menagerie bekannt zu werden. In verblendeten Stunden nenne ich das „reiches Innenleben“.
Verklärt, ruhevoll, erhaben mich dünkend über „die Sorgen der Welt“, mit nichts zu tun, als die Schöpfung zu genießen, kam mir von ungefähr die Idee, eine übrige Stunde in der Stadt zu benützen, um aus meiner Stadtwohnung ein messingbeschlagenes Mahagonischreibpult, das ich hier zurückgelassen hatte, zu holen.
Ich weiß nicht genau, was ich damit tun werde. Ich habe keine Verwendung dafür in meinem Jerseyhaus. Es wäre in der Stadt ganz sicher aufgehoben gewesen. Ich werde wahrscheinlich gezwungen sein, es nächsten Winter wieder vom Lande nach New York zu transportieren.
Es war nur eine flüchtige Laune von mir oder einem der anderen Trottel.
Es war nicht nur eine Laune, sondern eine „Sorge der Welt“. Sie fing mich, band mich, hetzte mich zur City-Hall-Hochbahnstation, trieb mich wie irrsinnig die Treppen hinauf, den Zug zu erwischen, und am anderen Ende der Straße wieder heraus. Sie hastete mich, verknäult in einen anderen Haufen Gefangener, zum „uptown South-Ferry“-Zug. In meinem Zimmer angelangt, fand ich, dass mir eine halbe Stunde weniger bliebe, den Halbvieruhrzug nach dem Sumpfe zu erreichen, als ich erwartet hatte.
Es bestand keine wirkliche Notwendigkeit für mich, gerade diesen bestimmten Zug zu benützen, als die Not der Laune.
Das war eine andere „Sorge der Welt“.
Nichts wäre verloren gewesen, niemand geschädigt oder enttäuscht – die ganze Schöpfung im Status quo verblieben, hätte ich einen der vielen Züge benutzt, die nach halb vier Uhr verkehrten.
Aber Ungeduld und Eile hatten mich!
Ich schoß herum und fand keinen Bindfaden, drei Treppen sauste ich wieder hinab ins nächste Geschäft, welchen zu kaufen – dann wieder hinauf, rang natürlich mit dem sich wehrenden Pult – es boxte und stieß, die Verpackung wurde schlampig, und andere Gegenstände stellten mir, es ist dies mein Schicksal, in dem wüsten Gemenge regelmäßig ein Bein.
Ich zerkratzte mir die Finger an den Messingbeschlägen, schwitzte, fluchte im Herzen, kochte und schäumte vor Ungeduld. Das elende Pult blähte sich ganz dick auf, als ich es zuschnürte, machte sich dann wieder dünn und schlüpfte heraus – endlich riss der Strick. Mit beschmierten Kleidern schleifte ich es hinaus und zur Hochbahnstation, erkletterte den falschen Perron, wartete zehn Minuten auf einen Zug, der dann nach Harlem ging statt nach der City-Hall; dann boxte ich das boshafte Ding die uptown-Treppe wieder hinunter und die down-town-Treppe hinauf, wartete wieder ein paar qualvolle Minuten auf einen anderen Zug, kam in Chambers Street fünf Minuten zu spät an und fand mich endlich erschöpft außer Stimmung, mit zwei leeren Stunden vor mir und zwanzig Pfund Schreibpult auf mir, den Sechs-Uhr-Zwanzig-Express auf einem zugigen Perron erwartend.
Sehe, der da steht, dass er nicht falle.
Ich war gefallen! Gefallen aus dem Zustand der Gnade – einer Lockung der Welt erlegen und einer eingebildeten, selbstgeschaffenen noch obendrein.
Ich war reich noch eben, ehe das Ding mich verlockte. Ich war reich in dem Bewusstsein, gerade nichts zu tun zu haben, mit reichlich Zeit, um es zu tun. Reich an Stille im Herzen und Zufriedenheit im Sinn. Um nichts bekümmert als um die Vorgänge um mich her – und in mir, folgte meine Seele dem Fluss des inneren und äußeren Geschehens voll lebendiger Ruhe. Ist das nicht Wohlstand? Kann mein Bruder Jay Gould, von dem die meisten Menschen aus purem Neid so übel sprechen, mehr genießen? Sichern Millionen im Tresor die Ruhe? Ist denn immer Geld allein auf dem Grunde aller „Sorgen der Welt“? Es war kein Geld mit dieser Pultgeschichte zu gewinnen, und ich investierte mindestens für fünf Dollar Kraft, Geist und Sorge!
Die Sorgen der Welt umfassen Ballkleider, die nicht rechtzeitig fertig werden, entkräuselte Straußenfedern, versäumte Züge – Dinge, die mit Gelderwerb oder Notdurft des Lebens nichts zu tun haben. Und was sollte das alles mich kümmern!
Habe ich nicht genügend Arbeit und genügend Muße, um den „Sorgen der Welt“ widerstehen zu können? Und ertappe ich mich trotz allem nicht täglich dabei, gerade wenn ich am festesten zu stehen vermeine, wie ich das Gleichgewicht verliere – und aus dem Zustand der Gnade falle?