Ein Teil unserer Gedankenemanation wird von den Kleidern absorbiert, und wenn Kleider lange Zeit getragen werden, erscheinen sie förmlich gesättigt mit solchen Elementen. Jeder Gedanke ist ein Teil unseres Selbst; unser letzter Gedanke ein Teil unseres neuesten frischesten Selbst. Wer alte Kleider trägt, resorbiert in das frische Ich die Gedanken, die er längst als überlebt von sich abgetan hat, – aus seinen alten Kleidern dringen in das junge Selbst Reste aller Launen und Kümmernisse, Sorgen und Ärger zurück, die einst von ihm in jene Kleider strömten. Er beschwert also sein neues Ich mit dem alten, toten Ich vergangener Jahre. Dieses Launenhafte, psychisch Verweste ist es, was alte Kleider so widerlich zu tragen macht. Neue aber befreien, machen den Geist leicht; sie sind die frische, die äußerste Haut über die Epidermis hinaus, noch nicht gefüllt und beschwert mit den geistigen Emanationen vieler Tage. Selbst Kleider aus guten Perioden des Lebens sollten nicht verwahrt werden, denn man soll in altes Glück nicht zurückkriechen. Es ist somit Kraftvergeudung, alte Kleider zu tragen, sich mit seinen eigenen Leichenteilen zu bekleiden – aus Sparsamkeit!
Nicht einmal die Schlange kriecht in ihre alte Haut zurück – aus ökonomischen Rücksichten. Die Natur trägt keine alten Kleider! Die Natur spart nie nach Menschenart am Gefieder, Fell und Farbenschmelz. Sonst würde ihre herrschende Farbe bald die alter Hosen sein, und Gottes Firmament glänzte speckig wie ein Trödlerladen dritten Ranges.
Es ist heilsam, sich mit farbigen Dingen zu umgeben. Was das Auge freut, erfrischt den Geist, und was den Geist erfrischt, erfrischt den Körper. Wir haben heute zwanzigmal mehr Farbennuancen zur Verfügung als noch vor wenigen Jahren. Im Kunstgewerbe, in der Konfektion, auf allen Gebieten der Industrie! Ich fasse das als Zeichen einer wachsenden Spiritualisierung unserer Zeit auf. Denn Spiritualität bedingt wachsende und nuancierte Freude am mannigfaltig Schönen. Spiritualität bedeutet einfach die Fähigkeit, immer höhere und subtilere Quellen des Glückes in allen Dingen zu entdecken. So werden, dem steigenden ästhetischen Bedürfnis breiterer Schichten entsprechend, auch die Gewänder mannigfaltiger an Form und Farbe.
Und eine richtige Intuition bestimmt auch die Menschen, zu gewissen Gelegenheiten bestimmte Kleider anzulegen, auf dass nicht mit dem Alltagsgewand auch der Alltagsgedanke sich in das Fest herüberschleiche. Jede Beschäftigung sollte ihr spezielles, aber stets geschmackvolles und hübsches Kleid haben, um Verschleppung von Kräften hintanzuhalten, – dann wird man mit jedem Gewand zugleich in die Stimmung der Tätigkeit geraten, der es dient. In allen uns bekannten Religionen trägt daher der Priester, wenn er sein göttliches Amt erfüllt, das priesterliche Gewand, das nur dieser bestimmten Zeremonie geweiht ist. Es wird nie im gewöhnlichen Leben, im Hasten oder Gedränge der Menschen angelegt, damit seine Aura rein bleibe von den Gedanken der Niederungen. Vom Priester selbst, trüge er es stets, strömte dann jede Laune, jede Regung des Alltags in das heilige Kleid; so aber bleibt es in der Sphäre des höchsten Gedankens von Zeremonie zu Zeremonie für die Augenblicke, da der Priester gesammelt ist zu der Weihe seiner Mission. Darum liegt auch dem Glauben an den Zauber, der von Amuletten, Reliquien oder geweihten Dingen ausgeht, eine Wahrheit zugrunde! Insofern aber nur, als jeder Gegenstand beladen ist mit dem Wesen dessen, der ihn besaß oder auch nur berührte. So werden wir mit den Lumpen des Bettlers gewiss etwas von der bangen, lauernden Demut in uns strömen fühlen; in den Kleidern eines bedeutenden Mannes vielleicht Einfälle haben, die uns sonst fremd sind.
Man kann Gewänder „ausruhen“ lassen wie Organismen.
In gewisser Hinsicht werden sie „gedankenundicht“! Denn Gedanken haben, so befremdlich es klingt, auch verschiedenes spezifisches Gewicht; es gibt solche, die hinabsinken, und andere ohne Schwere, die, den Anziehungen anderer Sphären gehorchend, aufzusteigen vermögen! An tiefgelegenen Orten, Kellern usw. flutet daher etwas geistig Trüberes; es ist eine Tendenz zum Bösen da, die auf den Höhen fehlt.
Da Kleider bis zu einem gewissen Grad eine mentale Hülle darstellen, ist es ebenso nötig, in tiefster Einsamkeit neu und schön gekleidet zu sein wie in Gesellschaft; die Grazie und Eleganz der Kleidung stammt aber von innen heraus; es ist ein Seelisches, das den Leib bekleidet.
Farben sind der Ausdruck psychischer Zustände; Unfreiheit, Trauer, Hoffnungslosigkeit wählt das Schwarze. Unsere Rasse, die im innersten Herzen nur an den Tod glaubt, das heißt, an das Erlöschen des bewussten Ego mit dem Zerfall seines Leibes, muss vorwiegend düstere Farben tragen, insbesondere beim Sterben eines Verwandten oder Freundes – der Chinese, dem der Tod nur den Verlust eines Instrumentes der Geistigkeit bedeutet, wählt im gleichen Falle weiß, das keine Farbe, nur lichte Stille ist!
Symbolisch für unsere Rasse ist auch, dass Menschen, die das sogenannte „gesetzte“ Alter erreicht haben, fast nur mehr dunkel gekleidet gehen, weil sie sich bereits im Niedergang empfinden und glauben, in jene Gegenden des Lebens zu versinken, wo alle Freudigkeit und Lust und Hoffnung nach und nach ausgesperrt erscheint – weil sie mit gebundenen Händen gleich Märtyrern erwarten, in wenigen Jahren hinfällige Greise zu sein. Sie alle tragen schon im vorhinein um sich selbst Trauer. Der Anblick von Jugend in frischen Farben ist ihnen unangenehm und beleidigend, und im Innersten hält nur der geheime Trost sie aufrecht, dass auch jene bald aus dem Lande der Jugend hinweg müssen, in das gleiche Leben voll Härte, Freudlosigkeit und Öde.
Dies Land ist voll Menschen, die, sobald die erste Jugend vorbei ist, anfangen, ihren Anzug zu vernachlässigen; das ist ein Todeszeichen; die Körper dieser Menschen haben zu sterben begonnen, sie „lassen sich gehen“ – in den Tod gehen –, sie geben sich auf! Nachlässigkeit in der Kleidung bedeutet Mangel an Liebe für die Anstrengung und Arbeit des Kleidens – und was für den Leib ohne Liebe geschieht, ist eine direkte Schädigung. Wenn man’s von dieser Seite aus betrachtet, kann es sich nicht einmal ein Milliardär gestatten, einen schäbigen Hut zu tragen. In der Jugend ist am meisten spirituelle Weisheit oder Intuition. Weil der Geist einen neuen Körper hat und bis zu einem gewissen Alter frei bleibt von der allmählich anwachsenden Last alter, toter Meinungen, die ihren Ausdruck findet in den wachsenden Vorurteilen und widerlichen Gewohnheiten der reiferen Jahre.
Die Jugend aber, im jubelnden Bewusstsein ihrer intuitiven Weisheit, ist spielerisch! Schätzt Sorgen nach ihrem wahren Wert, das heißt, gar nicht und wirft sie ab! Sie liebt es, sich zu schmücken, schwelgt gleich der Natur in einem Königreich von Farben und ist weiser als das „reife Alter“, das, in falsche Scheingesetze verstrickt, sich selbst den Weg zu neuer Hoffnung und Freude durch tote fremde Erfahrung sperrt. Darum heißt es: „und wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder“ usw., denn durch jeden zarten neuen Leib fühlt die Seele gleichsam ein Cherubdasein schimmern, einen Blitz, eine Verheißung, die allzubald in sinnloser Willkür verlöscht wird durch die irdischen Gedanken einer rohen Materialität.
Ich höre manche still für sich sagen: „Wie können wir, auf denen das Leben schwer liegt, noch Zeit und Mittel nehmen, um jeder Gelegenheit ihr Kleid zu wahren, uns womöglich mehrere Male täglich umkleiden, statt für das Nötigste zu sorgen?“ Ich antworte: „Die Möglichkeit liegt in euch – richtet euern Willen, euer göttliches, ewiges Erbe, den Magneten, der die Dinge der Welt in euer Schicksal zieht, auch auf dieses scheinbar nebensächliche Gebiet! Weigert euch, still, fest und ohne Ungeduld, schlechte Kleider, schlechte Wohnung, schlechte Nahrung hinzunehmen – fordert das Beste -, und das Beste wird im Lauf der Zeit euer sein. Wer schlechte Lebensbedingungen fürchtet, und von Jahr zu Jahr mehr Sorgen voraussieht, setzt und erhält eine Kraft in Tätigkeit, die ihn niederdrücken, niederpressen wird – und niederhalten, dass die Fetzen an ihm und er an den Fetzen kleben bleibt.“