Die folgende, leicht bearbeitete Meditationsanleitung wurde entnommen aus „Der Weg der Achtsamkeit: Vipassana-Meditation – ein 10-Tage-Kurs“ von Rosemary und Steve Weissman, ISBN 3-88034-757-3.
Wir danken den Autoren und dem Heinrich Hugendubel Verlag für die freundliche Genehmigung.
Der Atem als primäres Meditationsobjekt
Wie ist bei der formalen Sitzmeditation vorzugehen?
Wenn wir uns zur Meditation niedergesetzt haben, beschäftigen wir uns mit dem sogenannten primären Konzentrationsobjekt. Und das ist in diesem Fall die Achtsamkeit auf den Atem.
Das ist ein universales Objekt. Jeder atmet. Es ist etwas, das uns das ganze Leben hindurch bis zum Augenblick des Todes begleitet. Der Atem ist einfach da: einatmen, ausatmen. Normalerweise ist der Atem völlig neutral hinsichtlich unserer Gefühle; das heißt, normalerweise gehört er nicht zu dem, was uns aufregen oder aus der Fassung bringen könnte. Das macht ihn zu einem hervorragenden primären Meditationsobjekt.
Der Atem kann uns helfen, Geist und Körper kennen zu lernen, sogar besser, als Geist und Körper selbst dies vermögen. Der Atem ist nämlich oft das Bindeglied zwischen den Gedanken und den körperlichen Reaktionen. Wenn wir unseren Atem beobachten, stellen wir fest, dass der Wechsel zwischen schnellem und langsamem Atmen, zwischen groben und feinen, heftigen und sanften Atemzügen oft die jeweilige innere Verfassung anzeigt. Auch andere Körperteile sind oft Indikatoren. Als deutliches Beispiel nehmen wir mal jemanden an, der sehr wütend ist. Dieser Gefühlszustand veranlasst die betreffende Person in der Regel zu schnellem und heftigem Atmen und verursacht ein Gefühl von Enge und Anspannung im Körper.
Gefühlszustände deutlich zu erkennen ist oft schwierig, und aus diesem Grunde benutzen wir die Achtsamkeit auf den Atem und die körperlichen Reaktionen, um unsere Gefühle und Gedanken klarer wahrnehmen zu können.
Die Praxis sieht im Wesentlichen so aus: einfach dasitzen und auf den Atem achten, wie jeder Atemzug kommt und geht. Lasst es ganz natürlich und zwanglos geschehen. Wenn der Atemzug lang ist, einfach erkennen, dass er lang ist. Wenn er kurz ist, ist er eben kurz. Wenn der Atem heftig ist, einfach erkennen, dass er heftig ist. Wenn er sanft ist, ist er eben sanft. Was auch immer, so wie es ist, ist es in Ordnung, kein Problem. Unser Job ist es lediglich zu erkennen, was Sache ist und anzufangen, es zu verstehen. Wir versuchen, jeden Atemzug zu benutzen. Kein Atemzug ist besser als der andere. Jeder Atemzug kann zum Bestandteil unserer Meditationspraxis werden.
Wandernde Gedanken
Dies ist zwar eine sehr grundlegende Praxis, aber keineswegs eine leichte. Unser Geist ist es nicht gewohnt, sich nur auf ein einziges Objekt zu konzentrieren. Unser Geist ist daran gewöhnt, an dieses oder jenes, an alles Mögliche zu denken. Wahrscheinlich beobachten wir den Atem zwei Sekunden lang und schon schweifen wir ab.
Der Geist beginnt mit seinen Gedankenketten, verliert sich mal in der Vergangenheit, mal in der Zukunft und gelegentlich in der Gegenwart. Unter Umständen verlieren wir uns für fünf bis zehn Minuten in einer Tagträumerei. Während wir in der Meditation sitzen, wird das oft geschehen. Sobald ihr merkt, dass der Geist das Meditationsobjekt verlassen hat, gibt es nur eines: ganz sachte zur Kenntnis nehmen, dass der Geist spazieren gegangen ist und zum Atem zurückkehren.
Dieses Zurkenntnisnehmen herumwandernder Gedanken ist in der Tat ein äußerst wichtiger Bestandteil unserer Meditationspraxis. Genau hier fangen wir an, uns kennen zu lernen. Unsere Denkschemata hängen von Konditionierungen der Vergangenheit ab – das Abschweifen ist ein normaler Bestandteil davon. Zu verstehen, wer oder was wir sind, und dieses Verständnis anzuwenden, macht einen Großteil der Praxis aus.
Gedanken, die sich mit der Vergangenheit beschäftigen, mit der Zukunft, mit was auch immer; zornige Gedanken, liebende Gedanken, Gedanken der Einsamkeit und Furcht; ein jeglicher Gedanke ist Teil der Meditation. Das Objekt jedoch ist nicht das Denken. Am Anfang geht es darum, sich an der Atem-Achtsamkeit zu versuchen. Und jedes mal, wenn wir uns beim Abschweifen erwischen, dies einfach nur feststellen und zum Atem zurückkehren.
Es ist nicht nötig, dass ihr diese Gedanken beurteilt oder ablehnt oder in ihnen schwelgt. Nicht nötig, euch irgend etwas über diese Gedanken oder ihre Ursache auszumalen. Das hängt alles von den Konditionierungen aus der Vergangenheit ab. Wir versuchen, die Gedanken zu erkennen und einfach nur ihre Anwesenheit festzustellen, dann sachte loslassen und zum Atem zurückkehren. Es besteht kein Grund zur Aufregung, wenn ihr feststellt, dass der Geist nicht in der Lage ist, längere Zeit beim Atem zu bleiben, bevor er sich wieder in Gedankenmustern verstrickt. Das ist ganz normal.
Mit Beharrlichkeit, Geduld und Durchhaltevermögen werden Konzentrationsvermögen und Achtsamkeit Stück für Stück, Schritt für Schritt wachsen. Jedes mal wenn ihr das Abschweifen des Geistes bemerkt, befindet ihr euch eigentlich in einem Moment der Achtsamkeit und des Wachstums und eure Praxis macht Fortschritte.
Es ist ganz normal, sich gelegentlich über den umherwandernden Geist aufzuregen: „Oh nein, ich kann mich nicht mal eine Sekunde lang auf den Atem konzentrieren!“ Aber Achtsamkeit auf die Unfähigkeit zur Achtsamkeit ist bereits ein Augenblick von Geistesgegenwart. Zu wissen, wann man nicht achtsam ist, bedeutet ein Anwachsen von Verständnis. Und das ist ein ausgesprochen wertvoller Teil der Praxis.
Es ist ein ständiges Zurückkehren zur Atem-Achtsamkeit. Wahrnehmen, dass sich der Geist mit Denken beschäftigt, es erkennen und dann wieder beim Atem anfangen. Einatmen, Ausatmen.
Verschiedene Techniken des Beobachtens
Wenn es darum geht, den Atem zu beobachten, stehen zwei Körperzonen zur Auswahl, auf die sich die Achtsamkeit richtet. Erstens die Nase, da wo die Luft ein- und ausströmt. Mundatmung findet normalerweise keine Verwendung. Die Berührung des Luftstroms ist tatsächlich körperlich spürbar, in den Nasenlöchern, an der Nasenspitze oder auf der Oberlippe. Die zweite Beobachtungszone ist die Gegend von Brustkorb und Bauchdecke. Hier ist der Atem im Heben und Senken, im Ausdehnen und Zusammenziehen spürbar.
Ein guter Rat, sucht euch eine Zone aus und bleibt dann dabei. Versucht nicht, zwischen den beiden Möglichkeiten hin- und herzuspringen. Das bringt nur Schwierigkeiten und Verwirrung.
Die eigentliche körperliche Wahrnehmung, wenn der Atem über die Nasengegend streicht, bzw. wenn sich die Bauchdecke hebt und senkt, das ist das primäre Objekt der Konzentration. Es ist nicht leicht, sich auf ein einziges Objekt zu konzentrieren. Aber wir haben da eine Methode, die euch helfen kann, Fortschritte im Konzentrieren zu machen. Mag sein, dass einige von euch diese zusätzliche Hilfe nicht benötigen, aber viele von euch werden davon profitieren können. Was wir empfehlen ist, beim Ein- und Ausatmen den jeweiligen Vorgang behutsam mit einem Etikett zu versehen.
Wenn ihr den Atem in der Nasengegend beobachtet, könnt ihr die Worte „Einatmen, Ausatmen“ verwenden, während der Luftstrom kommt und geht. Oder bloß „Ein, Aus“, wenn euch das lieber ist. Wenn ihr die Bauchdecke beobachtet, könnt ihr die Worte „Heben, Senken“ verwenden. „Ein, Aus“ beschreibt den eigentlichen physischen Vorgang, der sich in der Nasengegend abspielt. „Heben, Senken“ beschreibt den eigentlichen physischen Vorgang an der Bauchdecke. Wenn ihr euch auf die jeweilige tatsächliche physische Wahrnehmung konzentrieren könnt, braucht ihr diese Methode des geistigen Etikettierens nicht. Aber wenn ihr sie benutzen wollt; sie kann euch auf jeden Fall helfen, stärkere Konzentration und Achtsamkeit zu entwickeln.
Okay, wir sitzen also in der Meditation, beobachten den Atem, etikettieren behutsam mit „Ein, Aus“, „Einatmen, Ausatmen“ oder „Heben, Senken“. Und schon geht der Geist spazieren. Wenn wir das feststellen, können wir die gleiche Methode anwenden. Sobald wir uns beim Abschweifen ertappen, können wir behutsam mit „Abschweifen, Abschweifen“ oder „Denken, Denken“ etikettieren. Dann versuchen wir, die Gedanken sachte loszulassen und wieder beim Atem zu beginnen.
Wenn uns Geräusche ablenken, können wir sanft ein „Hören, Hören“ aufkleben und versuchen, zum Atem zurückzukehren. Kurz vor den Mahlzeiten kann es durchaus sein, dass uns Essensgerüche ablenken. In diesem Fall probieren wir es mit „Riechen, Riechen“. Jedes mal, wenn wir feststellen, dass wir nicht beim Atem sind, versuchen wir, das was geschieht, mit einem Etikett zu versehen und dann zum Atem zurückzukehren.
Sitzpositionen
(Meditations-Sitzpositionen im Bild siehe hier)
Es gibt verschiedene Sitzweisen für die Meditation. Manche Leute verwenden Kissen, manche nicht. In der Regel sitzt man mit gekreuzten Beinen; im Viertel-Lotossitz, mit einem Fuß auf dem Unterschenkel des anderen Beines, im Halb-Lotossitz, mit einem Fuß auf dem Oberschenkel des anderen Beines; auch im Voll-Lotos, mit beiden Füßen auf den Oberschenkeln des jeweils anderen Beines, wenn der Köper flexibel genug ist, das schaffen aber nicht viele.
Dann gibt es die burmesische Stellung mit parallel liegenden Unterschenkeln; ein Bein kann auch nach hinten abgewinkelt werden, die sogenannte thailändische Sitzweise. Sogar der normale Schneidersitz ist okay für kurze Entspannungsphasen. Danach sollte man sich aber wieder um eine geeignetere Stellung bemühen. Des Weiteren gibt es den japanischen Stil, eine knieende Position, entweder unter Verwendung eines Meditationsschemels oder mit Kissen unter dem Gesäß. Bei größeren körperlichen Problemen kann man sich zum Meditieren auch auf einen Stuhl setzen.
Es ist wichtig, in der Sitzposition entspannt zu bleiben, es bequem zu haben. Und den Rücken aufrecht und gerade zu halten; aufrecht, aber nicht verkrampft. Es ist wie bei einer neuen Sportart, es dauert seine Zeit, den Körper zu trainieren.
Viele Meditierende müssen den Rücken des öfteren ausruhen; versucht einfach, euer Bestes zu geben. Versucht, während der Meditationsperioden die ganze Zeit über still zu sitzen. Aber wenn das zu schwierig wird, ist es schon in Ordnung, die Beinstellung zu wechseln. Wenn ihr euch bewegen müsst, versucht dabei leise zu sein, um die anderen Meditierenden nicht zu stören. Und versucht dabei, auf die Körperbewegungen zu achten.
Die Hände können im Schoß oder auf den Knien liegen, mit den Handflächen nach unten oder oben, wie ihr wollt. Wiederum bequem und entspannt. In der Regel sind die Augen geschlossen, aber nicht zusammengekniffen. Sanft und behutsam, einen winzigen Spalt zwischen den Lidern. Etwa so, dass ihr eine Veränderung der Helligkeit erkennen könnt, wenn jemand die Hand vor euren Augen bewegt. Solltet ihr euch zu irgendeinem Zeitpunkt mal schläfrig fühlen, dann raten wir euch, die Augen zu öffnen und den Blick auf den Boden – in ca. eineinhalb bis zwei Meter Entfernung – zu richten.
Es ist auch wichtig, auf den Mund zu achten. Wir halten ihn geschlossen, aber nicht mit zusammengepressten Lippen. Die Zahnreihen bilden einen kleinen Spalt, die Zungenspitze berührt leicht die Rückseite der Schneidezähne. Der Kopf ist ein klein wenig nach vorn geneigt.
Eine Meditation mit Anleitung
Jetzt wollen wir eine Sitzmeditation durchführen. Bitte richtet es euch in der Sitzstellung ein. Entspannt, nicht steif. Es ist gut, zuerst den Körper durchzuchecken und zu versuchen, dabei entspannt zu sein. Überprüft, ob die Beinhaltung in Ordnung ist. Dann könnt ihr euch so weit vorlehnen, dass das Gesäß von der Matte oder dem Kissen abhebt. Mit Hilfe der Muskulatur im Lendenwirbelbereich schiebt ihr nun das Gesäß leicht nach hinten und setzt euch wieder hin. Diese Vorgehensweise hilft gegen Probleme jeglicher Art im unteren Rückenbereich.
Als nächstes überprüft den restlichen Rückenbereich und die Bauch- und Brustgegend. Überprüft jetzt die Hände und die Arme bis hinauf zu den Schultern. Versucht, den Körper so gut wie möglich zu entspannen. Jetzt den Nacken und den Kopf. Entspannte Gesichtsmuskeln, die Augen sanft geschlossen. Der Mund ist entspannt, nicht verkrampft und locker geschlossen. Versucht, entspannt und bequem zu sitzen. Der Rücken ist gerade, aber nicht steif oder verspannt.
Es mag für die Entspannung von Nutzen sein, zu Anfang ein paar mal tief durchzuatmen, und danach richtet ihr die Achtsamkeit auf den Atem, entweder im Bereich der Nase oder der Bauchdecke. Wenn ihr es wünscht, notiert ihr „Ein, Aus“, „Einatmen, Ausatmen“ oder „Heben, Senken“. Gestattet dem Atem, einfach so zu sein, wie er eben ist. Wenn er kurz ist, ist er eben kurz. Wenn er lang ist, ist er eben lang. Ob er heftig, sanft oder was auch immer ist – egal. Wie er auch immer sein mag – einfach zulassen. Lernt den Atem und seine verschiedenen Gesichter kennen, wie er kommt, wie er geht.
Wenn ihr merkt, dass der Geist abgeschweift ist, einfach zur Kenntnis nehmen und zum Atem zurückkehren. Wenn ihr wollt, etikettiert mit „Abschweifen, Abschweifen“ oder „Denken, Denken“. Ich werde von Zeit zu Zeit ein paar Worte sagen, um euch beim Erlernen dieser Methode zu helfen.
(nach 6 Minuten)
Wenn ihr feststellt, dass der Geist abschweift, diese Tatsache sanft zur Kenntnis nehmen und zum Atem zurückkehren. Zum Bereich der Nase oder Bauchdecke.
(nach 12 Minuten)
Die Gedanken wandern in die Vergangenheit, sie wandern in die Zukunft. Nachdem ihr das zur Kenntnis genommen habt , kehrt ihr zum Atem zurück, zur Luft, die ein- und ausströmt, zur Bauchdecke, die sich hebt und senkt.
(nach 18 Minuten)
Wenn euch Geräusche ablenken, versucht einfach mit „Hören“ zu etikettieren und kehrt sachte zum Atem zurück.
(nach 24 Minuten)
Der Geist ist das Umherschweifen gewöhnt. Wenn ihr ihn dabei ertappt, nehmt behutsam zur Kenntnis, dass er spazieren war und kehrt zum Atem zurück. Ein, Aus. Heben, Senken.
(nach 30 Minuten)
Langsam und behutsam: entspannen, die Augen öffnen und die Meditation beenden.
Bei der Sitzmeditation liegt die Konzentration auf der achtsamen Beobachtung der Atmung. Genau so ist es natürlich möglich, die Konzentration auf das drittes Auge (6. Chakra = Punkt zwischen den Augenbrauen = Stirnchakra) zu lenken, statt auf die Atmung. Das hat den Vorteil, dass die Kundalini, die kosmische Energie, die im Basischakra ruht, bis zum Stirnchakra hinaufgeleitet wird.
Die Meditation kann mit oder ohne Mantra geübt werden. Yogananda lenkt die Konzentration auf das dritte Auge, verbindet die Meditation mit einem Mantra und beobachtet dabei die Atmung (Hong-So Meditationstechnik).