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– Die drei Körper und fünf Hüllen

Inhalt

jnana yoga

 

Jnana Yoga, der Yoga des Wissens, ist neben Raja Yoga (Yoga des Geistes), Bhakti Yoga (Yoga der Hingabe und Gottesverehrung) und Karma Yoga (Yoga der Tat, des selbstlosen Dienens) der vierte der Haupt-Yogawege. Wichtige Unterwege des Raja Yoga sind Kundalini Yoga (Yoga der Energie) und Hatha Yoga (Yoga der Körperstellungen).

Vedanta beantwortet die Frage nach unserer wahren Identität in dem Sinne, dass wir reines Bewusstsein sind. Ich bin der Zeuge. Ich bin der Beobachter. Ich bin das Bewusstsein. Ich bin der göttliche Kern. Es gibt viele verschiedene Versuche, es auszudrücken, ohne es wirklich ganz zu treffen. Und dieses reine Bewusstsein drückt sich aus über verschiedene Körper. Im Jnana Yoga unterscheidet man zwischen drei Körpern und fünf Hüllen. Es gibt andere Systeme mit etwas anderen Einteilungen und Benennungen, aber letztlich drücken alle dieselben Strukturen aus.

Nach der Vedanta-Philosophie drückt sich unser reines Selbst, der atman, aus über die drei Körper:

  •  Physischer Körper, sthula sharira
  •  Astralkörper, sukshma sharira;
  •  Kausalkörper, karana sharira.

Diese drei Körper enthalten die fünf Hüllen:

  •  Annamaya kosha, die Nahrungshülle (physischer Körper)
  •  Pranamaya kosha, die Energiehülle
  •  Manomaya kosha, die geistig emotionale Hülle
  •  Vijnanamaya kosha, die intellektuelle Hülle (Astralkörper)
  •  Anandamaya kosha, die Wonnehülle (Kausalkörper)

Jnana Yoga - Fünf Hüllen

Der physische Körper (sthula sharira) und die Nahrungshülle (annamaya kosha)

Sthula heißt „grobstofflich“, sharira „Körper“. Woraus besteht der grobstoffliche Körper? – Aus Nahrung. Aus der Nahrung, die wir gegessen haben. Deshalb wird er auch als annamaya kosha bezeichnet. Kosha heißt „Hülle“, anna „Nahrung“ und maya „gemacht aus“ (maya mit kurzem a, im Unterschied zu maya mit langem a = Täuschung, Illusion). Woraus besteht also dieser wunderschöne Körper? Er ist die aus Nahrung gemachte Hülle.

Alle sieben Jahre erneuern sich die meisten Zellen, aber schon alle hundert Tage tauschen sich über 90 –95% aller Moleküle des Menschen aus, denn die Zellen sind ja ständig im Stoffwechsel. Das heißt, die Stoffe innerhalb der Zelle werden innerhalb von hundert Tagen ausgetauscht. Wer sich also von Schweinen und Kühen ernährt, dessen Nahrungshülle besteht aus Schweinen und Kühen. Wer sich von Vollkornmüsli, Löwenzahn, Äpfeln, Reis usw. ernährt, dessen Nahrungshülle besteht daraus.

Wenn jemand auf vegetarische Kost umstellt, dann besteht der Körper innerhalb von hundert Tagen zum größten Teil aus Pflanzen. Aber man muss es etwas relativieren, denn man muss den Nahrungskreislauf berücksichtigen: Wenn Tiere sterben und zerfallen, ernähren sich anschließend Pflanzen aus ihnen und wenn wir diese Pflanzen essen, essen wir indirekt auch die Tiersubstanz. Fische ernähren sich von Würmern und wer den Fisch isst, ernährt sich von Würmern. Oder angenommen, man pflanzt auf einem Grab eine Tomatenpflanze an. Sie ernährt sich von den Stoffwechselprodukten der Würmer, welche den Körper vorher zerfressen haben. Anschließend isst ein Mensch die Tomate. Das ist der Nahrungskreislauf.

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Der Astralkörper (sukshma sharira)

Sukshma heißt „feinstofflich“. Sukshma sharira ist also der feinstoffliche Körper. Er wird in drei Hüllen unterteilt:

  •  die pranamaya kosha, die Energiehülle
  •  die manomaya kosha, die emotionelle, geistige Hülle
  •  die vijnanamaya kosha, die intellektuelle Hülle.

Der Kausalkörper (karana sharira)

„Karana“ bedeutet „Ursache“. Er wird auch als anandamaya kosha, die Wonnehülle, bezeichnet.
Das Wirken dieser Körper kann man sich in beide Richtungen vorstellen: Entweder, man geht vom grobstofflichen Körper immer tiefer nach innen zu seinem eigentlichen Wesen. Oder man könnte sich vorstellen, man geht vom physischen Körper immer weiter in die Ausdehnung.

Verschiedene Dichtigkeitsstufen

Die anderen Körper und Hüllen neben dem physischen Körper sind als subtilere Materie zu verstehen.

Schon auf der physischen Ebene gibt es ja Materie verschiedener Dichtigkeitsstufen, die sich durchdringt und überlagert.

Es gibt zum Beispiel ein Einteilungskriterium nach den fünf Elementen:

  •  Erde,
  •  Wasser,
  •  Feuer,
  •  Luft
  •  äther.

Die Elemente sind entweder grob- oder feinstofflich.

Erde entspricht der festen Materie, Wasser ist flüssige Materie, Feuer ist ein anderer Aggregatzustand von Materie, den es auf der Erde nicht gibt, aber zum Beispiel auf der Sonne. Die Sonne besteht aus Plasma, sie ist weder flüssig noch gasförmig, sie ist etwas dazwischen. Als viertes gibt es den gasförmigen Aggregatzustand, Luft. Und das fünfte, was als äther bezeichnet wird, umfasst das ganze elektromagnetische Spektrum, welches aus verschiedensten Wellen besteht. Und gerade auf dieser Ebene ist alles von allem durchdrungen. Früchte zum Beispiel sind fest und haben doch viel Flüssigkeit in sich. Oder ein Schwamm, der viel Flüssigkeit aufsaugt und dazwischen vielleicht auch noch Luft hat. Und jede feste Materie ist in jedem Fall vom elektromagnetischen Spektrum mit Wellen durchdrungen.

Die fünf Elemente werden in verschiedenen Zusammenhängen verschieden angewendet und interpretiert. Sie sind Einteilungskategorien. äther zum Beispiel kann als Raum gemeint sein, auf der Ebene der Erscheinungen ist äther die Wellen.

Im Erdkern ist auch Feuer , eine Mischung aus Erde, Feuer und Wasser. Der Erdkern, das Magma, ist ja flüssig, nur sehr heiß.

Es gibt verschiedene Aggregatzustände. Alles auf der physischen Ebene besteht eigentlich nur aus Energie. Die moderne Naturwissenschaft hat ja auch herausgefunden, dass es so etwas wie feste Materie nicht gibt. Alle Materie besteht nur aus Energie. Und Energie gibt es nicht als etwas Festes, sondern auf atomarer und subatomarer Ebene gibt es einfach nur Wahrscheinlichkeitsfolgen. Man geht sogar so weit, zu sagen, man kann nicht wirklich beschreiben, was Energie ist, denn die Gesetze auf dieser Ebene sind dem Intellekt nicht zugänglich.

Aber alles besteht aus der gleichen Energie. Letztlich gibt es keinen Unterschied zwischen einem Mikrofon und einem Buch, zwischen Lichtstrahlen und der Erdanziehungskraft; es ist alles die gleiche Energie. Die moderne Physik hat neuerdings das Universum auf drei Grundkräfte reduziert, die interessanterweise Eigenschaften aufweisen wie die drei gunas (Eigenschaften der Natur) aus der Yogalehre:  sattwa (Reinheit, Klarheit, Leichtigkeit), rajas (Aktivität, Unruhe) und tamas (Dunkelheit, Trägheit). Interessanterweise kommt die Physik der Vedanta- und Jnana-Yoga-Philosophie immer näher, je weiter sie forscht.

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Pranamaya kosha

Jnana Yoga geht jedoch über die Physik hinaus und erklärt, das physische Weltall sei nicht alles. Es gibt nicht nur verschiedene Energieschwingungen auf der physischen Ebene, sondern Energie kann noch subtiler schwingen als physikalische Messinstrumente es jemals messen konnten und jemals messen werden. Mit rein physikalischer Messung wird es niemals möglich sein, den Astralkörper wirklich zu messen. Es ist zwar möglich, die Wirkungen des Astralkörpers zu messen – es gibt da schon Ansätze wie zum Beispiel die Kirlian-Fotografie, die man manchmal auf Messen sehen und ausprobieren kann.

Man legt die Hand auf eine elektrische Platte; Hand und fotografische Platte werden an Elektroden angeschlossen und Strom in einer sehr hohen Frequenz durchgejagt. Was dabei gemessen wird, sind einige Parameter der Hand, Hautwiderstände etc. Diese Werte werden dann über einen Computer ausgewertet und auf ein Foto projiziert. Das wunderschöne Bild, das man dann sieht, hat aber nichts mit Parapsychologie zu tun, sondern es gibt eher gewisse physiologische Parameter wieder, die rational zugänglich sind – was nicht heißt, dass es deshalb nicht aussagekräftig wäre. Es ist die Ausstrahlung von prana (Lebensenergie), die dabei gemessen wird.

Die Bilder, die man dabei erhält, sind je nach Situation und Gefühlslage sehr unterschiedlich. Wenn zum Beispiel zwei ineinander verliebte Menschen, die Hände gegeneinander halten, vereinigen sich ihre beiden Auras. Wenn zwei Menschen sich nicht mögen, dann stoßen die Auras sich gegenseitig ab. Das ist ganz interessant und lustig zu sehen. Es reicht sogar schon, wenn man zwei Menschen sagt, sie sollen sich vorstellen, sie mögen sich wahnsinnig gern oder sie können sich nicht ausstehen, um diesen Effekt hervorzurufen. Ich würde das aber jetzt nicht als ausreichende Entscheidungsgrundlage für eine Heirat empfehlen….

Die pranamaya kosha ist nun also die Lebenshülle, die Ebene des pranas. Sie selbst ist nicht physiologisch fassbar, aber ihre Auswirkungen sind sichtbar, fühlbar und messbar. Prana ist das, was den physischen Körper lebendig macht. Wenn kein prana mehr da ist, ist der Körper tot und verfällt innerhalb kürzester Zeit. Ist prana da, ist auch Leben da, deshalb heißt es ja auch die Lebensenergie.

Manche Menschen haben viel prana – das sieht man ihnen an, sie strahlen etwas aus, in ihrer Gegenwart ist man gerne und fühlt sich irgendwie gut. Andere Menschen haben ein sehr unruhiges prana. Wenn man mit ihnen zusammen ist, wird man selbst nervös. Andere haben ein deprimiertes prana. Wenn man mit ihnen eine Weile zusammen ist, dann geht es ihnen sehr gut und einem selbst weniger gut – das sind die so genannten Vampire. Es gibt ja keine echten physischen Vampire, auch in Transsilvanien nicht, wo diese Geschichten herkommen.

Es ist einfach ein Ausdruck dafür, dass jemand einem anderen Energie, Lebenskraft, aussaugt. Als Yogis brauchen wir trotzdem nicht geizig zu sein mit unserer Energie, denn wir kennen viele Möglichkeiten, Energien zu sammeln, unser prana wieder aufzuladen – mit Asanas, mit Atemübungen, durch die Meditation, usw. Also wir können ruhig anderen Menschen auch ein bisschen von unserer Energie abgeben. Und wir können uns als Kanal Gottes oder der kosmischen Energie fühlen.

Wir wissen, wir brauchen uns nur zu öffnen, uns zu verbinden, dann fließt unendliche kosmische Energie durch uns hindurch, so dass wir uns immer wieder aufladen können. Und wir stellen uns nicht vor, dass wir uns abkapseln. In manchen Büchern, die sich mit Energien beschäftigen, steht zum Beispiel, man soll sich vorstellen, man sei von einem Ei oder einer eisernen Ritterrüstung umgeben, in die nichts einbrechen kann. Das halte ich für eine furchtbare Vorstellung – so durch die Gegend zu gehen und sich von allem abzukapseln.

Ich meine, Energie muss fließen. Am besten ist es, sich vorzustellen, man empfängt ständig Energie, ist in Verbindung mit dem kosmischen Energiefluss und schickt Energie und strahlt Energie aus. Wenn wir dafür sorgen, dass wir diesen Zugang zur kosmischen Quelle von prana haben, dann können wir die Energie frei ausstrahlen.

Es heißt, dass Liebe eines der wenigen Dinge ist, die mehr werden, wenn man sie verschenkt. Und ab und zu mal muss man sich Zeit für sich selbst nehmen, meditieren, Pranayama machen, Asanas üben. Denn wenn man Yoga übt, profitiert man nicht nur selbst davon, sondern alle Menschen in seiner Umgebung. Wichtig ist, andere nicht zum Yoga missionieren zu wollen – das macht einen selbst eher aggressiv und unbeliebt -, sondern einfach nur praktisch zu üben. Nach einer Weile suchen andere von selbst die Nähe und fühlen sich wohl.

Letztlich ist Schönheit auch nichts anderes als Prana.  Schönheit ist nicht nur das richtige Verhältnis von Nasenhöhe zu Nasenlänge, von Farbe der Augen zum Rot der Wangen, die Länge des Ohrläppchens usw, sondern Schönheit ist Ausstrahlung. Das sieht man auch in Bildern von großen Heiligen, da strahlt das noch durch. Swami Sivananda hätte wahrscheinlich keinen Schönheitswettbewerb gewonnen, aber es ist eine Schönheit im Gesicht, da strahlt etwas, selbst noch in Fotos.

Prana macht auch den Unterschied aus, ob man jemandem zuhört, wenn er spricht oder ob man dabei müde wird und jedes Interesse verliert. Die Vorträge mancher Menschen sind faszinierend, während man sich bei anderen wahnsinnig zusammenreißen muss, damit der Geist nicht abschweift. Und es ist nicht nur die rhetorische Kunst, die das ausmacht, sondern im wesentlichen die Ausstrahlung. Wie kann man nun seine Ausstrahlung zum Ausdruck bringen? Vor allem durch die Atmung. Das Allerwichtigste beim Sprechen ist der richtige Atem. Wenn man nicht die tiefe Bauchatmung einsetzt, sind Vorträge langweilig, man kann sich selbst nicht konzentrieren und keiner will zuhören.

Das gilt sogar im persönlichen Gespräch. Unser Prana-Speicher ist das Sonnengeflecht im Bauchbereich. Wenn wir von dort aus atmen, ist Kraft darin. Es gibt da den berühmten Armversuch: Jemand streckt seinen Arm aus und hält ihn mit aller Kraft oben, während jemand anders den Arm nach unten drückt. Vorher macht der Zweite ein paar Armbewegungen vor dem Bauch der Versuchsperson nach unten. Drückt er dann den Arm nach unten, so senkt sich dieser, egal wie stark die Versuchsperson dagegen drückt. Dann lässt man die Versuchsperson ein paar mal in Kapalabhati (Schnellatmung, yogische Atemtechnik) atmen, wedelt mit den Armen vor dem Bauch nach oben  und wiederholt den Versuch. Dieses Mal bleibt der Arm oben.

Das kommt daher, weil im Bauchbereich das Sonnengeflecht als Prana-Speicher ist und das prana weit nach vorne und oben ausstrahlt. Bringt man mit Armbewegungen das prana nach unten, fehlt die Energie. Macht man umgekehrte Armbewegungen, steigt es wieder nach oben.

Prana ist nichts Körperliches, aber es ist etwas, was körperlich sehr relevant ist. Körperliche Gesundheit ist der Normalzustand, wenn die Energie gut fließt. Wenn die Energie nicht fließt, ist auch der Körper nicht gesund. Wir müssen also dafür sorgen, unser prana immer wieder aufzuladen und die Energie in uns auch nicht zu blockieren.

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Manomaya kosha

Blockaden hängen mit der nächsten Hülle zusammen, der manomaya kosha, der geistig-emotionalen Hülle. Auf dieser Ebene sind unsere Emotionen, Gefühle, das einfache Denken, das Unterbewusstsein, unsere Wünsche und Handlungstendenzen sowie die Sinnes- und Wahrnehmungsorgane angesiedelt. All das wird zusammengefasst als manas, das einfache Denkprinzip, chitta, das Unterbewusstsein und indriyas, die Sinnesorgane.

Die physiologischen Sinnesorgane sind natürlich im physischen Körper, zum Beispiel die Augen. Aber damit die Augen sehen können, muss eine Verbindung hergestellt werden zwischen Körper und Geist, muss also das prana funktionieren und muss auch der Geist anwesend sein. Denn wenn unser Geist abwesend ist, dann mag unser Auge offen sein, aber wir sehen gar nichts. Es gibt manche Menschen, die schlafen mit offenen Augen – einmal in dem Sinn, dass sie geistig abwesend sind, aber es gibt Menschen, die liegen wirklich mit offenen Augen da, wenn sie schlafen. Das sieht recht eigenartig aus. Und sie sehen dann im Schlaf natürlich nichts, weil ihr Geist woanders ist.

Auf der anderen Seite kann es auch sein, dass man ohne die physischen Augen etwas sieht. Zum Beispiel gibt es Menschen, die ihren physischen Körper verlassen, versehentlich oder willentlich, entweder bei der Meditation oder der Tiefenentspannung als so genannte Astralreise oder eventuell bei einer Nah-Tod-Erfahrung, einem Unfall, einer Ohnmacht. In solchen Situationen kann man etwas sehen, obwohl die physischen Augen geschlossen sind und nicht einmal die Gehirnwellen etwas wahrnehmen.

Der Astralkörper funktioniert normalerweise im physischen Körper. Solange wir in der physischen Inkarnation sind, können wir auch im physischen Körper verhindern, dass die Fähigkeiten des Geistkörpers zum Ausdruck kommen. Wenn wir durch grauen Star oder einen Unfall erblinden, können wir nichts sehen. Aber es gibt manche Blinde – sehr wenige, zugegebenermaßen -, die es lernen, ein ganz normales Buch Satz für Satz mit ihren Fingern zu lesen – nicht in der Blindenschrift, sondern ein ganz normales Buch. Sie lernen, irgendwie über die Finger wahrzunehmen, zu „sehen“. Sie sehen auch Farben dabei und ein geistiges Bild.

In der manomaya kosha sind nicht nur die Wahrnehmungsorgane, sondern auch die Handlungsorgane. Nach der Jnana-Yogalehre hat der Mensch neben den fünf Sinnesorganen für Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Tasten/Fühlen fünf Handlungsorgane:

  •  die Füße, um zu gehen
  •  die Hände, um etwas zu verändern
  •  der Mund, um zu schlucken und zu sprechen
  •  der Anus und die Ausscheidungsorgane
  •  und die Geschlechtsorgane.

Sie sind nicht nur Körperglieder oder -organe, sondern stehen für die fünf Dinge, die wir in der physischen Welt, im Alltag, im Leben tun. Wir bewegen uns in der Welt, dafür steht der Sinn der Füße. – Aber das ist vielen heute schon fremd geworden, denn die meiste Bewegung erfolgt heute nicht mehr über die Füße, sondern übers Auto, die Bahn, usw. Also die Füße als Handlungsorgan stehen für den Wunsch und die Fähigkeit des Menschen, sich fortzubewegen. Das klingt sehr banal, aber eine Pflanze zum Beispiel hat weder den Wunsch noch die Fähigkeit, sich zu bewegen.

Die Hände stehen dafür, dass wir die Welt verändern wollen. Und auch da verändern wir heutzutage nicht nur mit den Händen, sondern wir haben alle möglichen Instrumente, mit denen wir Dinge verändern.

Den Mund haben wir zum Essen und zum Kommunizieren. Essen tun wir immer noch in herkömmlicher Weise. Aber für die Kommunikation haben wir andere Möglichkeiten gefunden: Fax, Telefon, E-Mail, Fernsehen, Radio.

Die Ausscheidungsorgane stehen auch dafür, dass der Mensch Müll produziert. Nicht nur persönlichen Müll. Gerade die westliche Zivilisation produziert jede Menge von Müll.

Und Geschlechtsorgane stehen natürlich für die Sexualität und die Fortpflanzung, im übertragenen Sinn auch für den Wunsch nach Kreativität, sich auszudrücken, zu entfalten.

All das ist der manomaya kosha zugeordnet und kann sich mittels des prana und des physischen Körpers in der physischen Welt ausdrücken.

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Vijnanamaya Kosha

Die nächste Ebene ist die vijnanamaya kosha, die intellektuelle Hülle. Sie hat zwei Hauptfunktionen:

· Ahamkara, das Ego
· und Buddhi, der Intellekt im Sinne von Vernunft. Gemeint ist das logische Denken, wo auch Urteils-, Entscheidungs- und Willenskraft herkommen.

Die vijnanamaya kosha ist das, was den Menschen vom Tier unterscheidet, so wie die manomaya kosha das Tier von der Pflanze und die pranamaya kosha die Pflanze vom Mineral unterscheidet. Alles auf der Welt hat eine Ausstrahlung, auch ein Mineral hat sein prana, aber es steht nicht in lebendigem Kontakt mit der Außenwelt. Kommuniziert man hingegen mit Pflanzen, so wird man feststellen, dass da wirklich ein Energieaustausch stattfindet.

Es gibt schon viele Versuche, die das belegen. Die Tiere haben eine manomaya kosha, das heißt, sie haben Emotionen, Gefühle, die sie auch ausdrücken wollen und die dazu führen, dass sie sich bewegen, auf die Umwelt einwirken wollen, aktiv sind. Ein Tier hat also manas (instinktives niederes Denkvermögen), chitta (Unterbewusstsein) sowie Sinnes- und Handlungsorgane.

Der Mensch hat zusätzlich das so genannte ahamkara, das Ego, das Selbstbewusstsein. Das heißt, er hat die Fähigkeit, sich selbst wahrzunehmen als eine Person, die in Zeit und Raum begrenzt ist und er hat eine bestimmte Vorstellung von sich. Dieses Ich-Bewusstsein ermöglicht der buddhi, dem Intellekt, Dinge zu hinterfragen, sich selbst ein Urteil zu bilden und Fragen nach dem Sinn des Lebens zu stellen wie: „Wer bin ich?“, „Woher komme ich?“, „Was ist der Sinn des Lebens?“, „Gibt es etwas Höheres?“

Und es ist der Grund dafür, dass der Mensch nicht auf reine Reiz-Reaktionsketten beschränkt ist. Ein Tier kann konditioniert werden, man kann es erziehen und wenn man das richtig macht, wird das Tier glücklich sein und alles tun, was man ihm beigebracht hat. Der Mensch ist glücklicherweise nicht in dieser Art und Weise dressierbar. Es gab ja in der Menschheitsgeschichte und nicht zuletzt in diesem Jahrhundert ausreichend diktatorische Regime, die – zum Teil über mehrere Generationen – versucht haben, die Menschen umzuerziehen, umzuprogrammieren. Aber selbst bei systematischer Gehirnwäsche hat das langfristig nicht gewirkt. Der Mensch ist nicht so programmierbar wie das früher angenommen wurde.

Der Mensch hat ein Selbstgefühl, ein Ich-Wertgefühl. Das führt natürlich auch zu allen möglichen Problemen. Auf dem spirituellen Weg geht es ja zum großen Teil darum, unsere Identifikationen loszuwerden. Aber man muss auch wissen, dass das Ego evolutionsmäßig seinen Sinn hat. Nur dann, wenn wir uns als Einzelwesen sehen, können wir weitergehen und auf einer höheren Ebene zur Einheit zu kommen. Ein rein emotionales Einheitsgefühl ist etwas anderes als die volle Verwirklichung – Verwirklichung, die mit intellektuellem Verständnis, eigener Erfahrung und Bewusstheit dieser Erfahrung einhergeht.

Buddhi, die Vernunft, ermöglicht uns, nicht selbst alle Fehler machen müssen, sondern wir können aus Fehlern lernen. Wir können uns entscheiden. Wenn wir merken, dass wir konditioniert sind, in einer bestimmten Situation immer das oder das zu tun oder uns in einer bestimmten Weise zu verhalten, können wir uns fragen: „Warum tue ich das überhaupt?“, „Will ich das tun?“, „Ist das gut für mich?“, „Macht es mich glücklich?“

Und natürlich können wir den Intellekt auch nutzen für logische Schlussfolgerungen. Die meisten Menschen benutzen den Intellekt hauptsächlich, Wünsche und Bedürfnisse aus dem Unterbewusstsein zu befriedigen. Ein ganz banales Beispiel, das auf alles Mögliche übertragbar ist: Man sieht zum Beispiel eine Reklame und will jetzt unbedingt dieses Auto haben. Also überlegt man, wie bekomme ich dieses Auto? Dabei stellt man fest, man braucht so und soviel Geld dafür. Als nächstes denkt man darüber nach, wo oder wie man das Geld beschaffen kann. Von welcher Bank? Mit welchem Kredit? Wie hoch sind die Zinsen? Wie kann ich mehr Geld verdienen? Usw.

Also man denkt sehr logisch und systematisch darüber nach, wie man sich diesen Wunsch erfüllen kann. Wobei man, wenn man seinen Intellekt anders benutzen würde, vielleicht erkennen würde, das man es eigentlich gar nicht braucht. Swami Vishnu hat gern gesagt: „Westliche Zivilisation heißt, Dinge zu kaufen, die man nicht braucht, mit Geld, das man nicht hat, um Menschen zu beeindrucken, die man nicht mag.“ Da liegt viel Wahres drin, obwohl es natürlich, wie alle Sprüche, übertrieben ist.

Aber auf jeden Fall setzen wir unseren Intellekt sehr häufig dafür ein, Dinge zu kaufen oder zu bekommen oder zu erreichen, ohne vorher darüber nachzudenken, ob sie wirklich für unser Glück zuträglich sind. Und die wenigsten Menschen stellen sich heutzutage wirklich Fragen wie: „Wer bin ich?“, „Woher komme ich?“, „Was soll das Ganze?“, „Was ist wirklich?“, „Was ist unwirklich?“, „Was ist Glück?“, „Wie kann ich wirklich glücklich werden?“ – Das wäre die höhere Funktion der buddhi. Die buddhi ist durchaus auch die praktische Vernunft, die man braucht, um im Leben zurechtzukommen, seine Arbeit richtig machen zu können usw. Aber daneben gibt es auch die reine Vernunft. Und dort liegt die Fähigkeit des Menschen, aus vorgegebenen Bahnen auszubrechen.


Anandamaya Kosha

Der Wunsch, auszubrechen, Grenzen zu überwinden, ist aber noch ein viel tieferer. Er kommt aus der so genannten anandamaya kosha, der Wonnehülle, die dem Kausalkörper  (karana sharija) entspricht. Er wird Kausalkörper genannt, weil er die Ursache ist für alles andere. Er enthält auch die Urprinzipien, die Archetypen und in ihm ist alles angelegt, was wir als Karma noch erleben müssen, um wieder zur Ganzheit zurückzukehren. In dieser Ebene ist auch die höhere Intelligenz, das höhere Selbst, die Intuition.

Zum Beispiel kommen die wenigsten Menschen über den Intellekt, eine logische Überlegung, zum Yoga. Manche kommen aus Verzweiflung dazu, andere aus Neugier oder durch einen Freund. Aber meistens ist es so, dass die Intuition plötzlich wach geworden ist. Da ist diese innere Stimme, diese innere Führung, vielleicht plötzlich, vielleicht auch über längere Zeit, vielleicht sogar schon jahrelang und man hat nur dieser Stimme nicht nachgeben wollen. Aber es gibt ganz tief im Innern etwas, das einem etwas sagen, einen leiten will. Das kann man zulassen oder auch nicht. Wenn man es nicht zulässt, dann wird es sich auf andere Weise manifestieren.

Dann wird es sich die Außenwelt suchen, um einen aufzuwecken. Wenn man der inneren Stimme so nicht folgt, muss es eine äußere Katastrophe geben, die einen ein bisschen durchrüttelt. Ist man dann immer noch nicht bereit, ihr zuzuhören, wird es eine größere Katastrophe geben oder noch eine ganz große. Deshalb kommen nicht wenige Menschen über schwere Schicksalsschläge auf den spirituellen Weg, zum Beispiel auch über Krankheiten. Das heißt nun nicht, dass jede Krankheit notwendigerweise diese Ursache hat, denn im Yoga ist ein sehr breiter Karmabegriff angelegt ist, der oft zu sehr reduziert und vereinfacht wird.

Aber es gibt verschiedene Formen von Intuition, zwischen denen man unterscheiden muss. Es gibt die überbewusste Intuition, von der ich gerade gesprochen habe, aber auch die unterbewusste Intuition, eine Art Ahnung. Das ist dann oft nicht wirklich etwas überbewusstes, sondern es sind Inhalte, die aus dem Unterbewusstsein aufsteigen, zum Beispiel Projektion von Angstgefühlen etc. Die überbewusste Intuition ist immer verbunden mit einer Erweiterung des Bewusstseins, mit einer Erfahrung von Wonne, mit einer starken inneren Gewissheit, mit einer Kraft und einem Gefühl von Ausdehnung und Weite.

Eine Ahnung hingegen ist oft eher beklemmend, macht ängstlich usw. Sie kann sich auch mit Emotionen vermischen, so dass man manchmal nicht mehr weiß, ist das nun eine Ahnung oder ein Angstgefühl. Man kann die unterbewusste Intuition auch als Instinkt bezeichnen, ähnlich wie ihn auch Tiere haben.

Der Kausalkörper ist jenseits der Sprache und nicht mehr in den gleichen Zeit-Raum-Kategorien wie der Astralkörper. Auf der astralen Ebene sind Zeit und Raum schon anders als auf der physischen Ebene, aber es gibt eben noch Zeit und Raum. Auf der kausalen Ebene ist der Körper irgendwie verbunden mit anderen, aber es ist nicht die vollständige Einheit und auch nicht die vollständige Dualität. Er ist die Ebene der Urprinzipien und von allem, was sich anschließend in der Polarität ausdrückt. Aber dennoch ist er etwas anderes als der atman, das Selbst.

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Die wahre Natur des Selbst

Der atman ist die Ebene, wo nichts da ist, wo ich nichts ausdrücken muss, sondern es ist einfach. Das Selbst, obgleich es keine Eigenschaften hat, kann dennoch beschrieben werden mit drei Eigenschaften. Es heißt, das Selbst ist

  • sat,
  • chit,
  • ananda.

Sat heißt reines Sein, absolutes Sein. Und absolut bedeutet ohne Grenzen. Es gibt weder physische, also räumliche, noch zeitliche Grenzen.

Jnana Yoga behauptet also, unser wahres Selbst ist absolut – nicht Zeit, Raum und Kausalität unterworfen. In unserem wahren Selbst gab es uns immer schon, gibt es uns immer und wird es uns immer geben, und zwar nicht nur hier sondern überall. Wenn ich zum Beispiel von einem Ort zu einem anderen gehe, bringe ich nur den Körper von hier nach dort. Mein wahres Ich, mein Selbst, ist schon da. Oder ein anderes Beispiel: Ich habe ein leeres Gefäß und stelle es jetzt zwei Meter weiter.

Bewege ich dann den Raum von hier nach dort? Luft ja, aber Raum? Nein. Und obgleich es so scheint, als ob ich den Raum von hier nach dort bewege, ist es nur eine Täuschung. Und wie unterscheidet sich der Raum in einem Zimmer von dem Raum draußen? – Es scheint, als trenne die Mauer den Raum, aber in Wirklichkeit ist die Essenz des Raums drinnen und draußen dieselbe. Der Raum bleibt gleich.

Wir sind also reines Sein; wir sind, wir waren, wir werden sein, wir sind überall. Und daher kann es auch nur ein Sein geben, es kann nicht mehrere Seine geben, die auch überall sind. Ebenso ist es mit dem Bewusstsein. Das Bewusstsein als solches – ohne konkrete Inhalte – ist dasselbe. Es kann nicht mehrere Bewusstseine geben. Letztlich heißt das, dass mein Selbst und das Selbst von Herrn Y und Frau X identisch ist. Und nicht nur von uns drei, sondern von allen Menschen. Und nicht nur von allen Menschen, sondern von allen Wesen, von allem, was ist.

Chit wird meist übersetzt als Wissen, gemeint ist absolutes Wissen oder eigentlich Bewusstsein, reine Bewusstheit. Das Sein ist also nicht einfach nur da, sondern es ist Wissen und Bewusstheit. Die Antwort auf alle wichtigen Fragen ist in uns und drückt sich über die anandamaya kosha als intuitive Erkenntnis aus. Die Schwierigkeit ist nur, wir wissen nicht, dass wir es wissen. Wir müssen erst Zugang bekommen zu diesem inneren Wissen.

Und schließlich ist die Natur des Selbst ananda, Glückseligkeit. Nicht: Wir sind glücklich. Nicht: Wir erfahren Glück. Sondern: Wir sind Glück. Wir sind Glück und Wonne. Auch wenn wir uns gerade nicht danach fühlen, egal, wie die Situation ist, was auch immer geschieht, unser Wesenskern ist ananda. „Anandoham anandoham anandambram anandam –  Ich bin Wonne, ich bin Wonne, ich die Wonne von Brahman, dem Absoluten, das bin ich.“ Und es heißt, wir sind reine Wonne, reine Freude. Irrtümlicherweise identifizieren wir uns mit etwas anderem und glauben, das Glück kommt von außen, von einem äußeren Gegenstand oder einem anderen Menschen. Alle Freude, alles Glück kommt letztlich aus unserem eigenen Selbst.

Dazu gibt es einige sehr schöne Geschichten, die das etwas klarer machen.

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Geschichten von Nasrudin

Es war einmal ein persischer Sufimeister namens Nasrudin – er lebte eigentlich bei Bagdad im heutigen Irak, aber damals gehörte das alles zu Persien. Er hat dadurch gelehrt, dass er sich unorthodox, anders, als man es erwartet, verhielt. So versuchte er, die Menschen wachzurütteln, zum Denken anzuregen. Die Geschichten und Witze, die im Iran und in der Türkei teilweise noch heute über ihn erzählt werden, klingen ein bisschen wie Eulenspiegel-Geschichten. Den meisten Menschen ist nicht bewusst, wie viel da eigentlich drin steckt.

Eines Tages wurde Nasrudin also gesehen, wie er draußen auf der Straße etwas suchte. Ein Nachbar kam und fragte ihn: „Meister, was suchst du?“ Nasrudin antwortete: Ich suche den Schlüssel zu meinem Haus. Sie suchten nun gemeinsam eine ganze Weile in der glühenden Sonne die Straße ab, ohne den Schlüssel zu finden. Schließlich sagte der Nachbar: „Meister, versuch’ dich doch einmal, daran zu erinnern, wo du den Schlüssel verloren hast.“ Nasrudin: „Drinnen im Haus.“ „Aber warum suchst du denn jetzt hier draußen?“ „Ja, mein Lieber, erstens ist das Schloss zugefallen und ich komme nicht hinein. Und zweitens ist es hier draußen viel heller und leichter, etwas zu suchen.“

Der Schlüssel symbolisiert den Schlüssel zu unserem Glück, den wir in uns verloren haben. Aber es ist schwer, nach innen zu gehen, denn es ist verschlossen. Wodurch ist es verschlossen? Die Knie tun weh, die Brust tut weh, es ist schwierig, den Geist nach innen zu richten, und wenn es uns einmal gelingt, den Geist nach innen zu richten, dann ist es dort entweder sehr dunkel oder Tausende von Gedanken sind da. Dennoch, den Schlüssel zum Glück finden wir tatsächlich nur innen.

Und wenn wir analysieren, wie es ist und woher es kommt, wenn wir uns einmal wirklich glücklich fühlen, dann scheint es zwar so zu sein, als sei es durch ein äußeres Ereignis verursacht. Aber in Wirklichkeit hat der äußere Anlass – vielleicht die Erfüllung eines großen, langgehegten Wunsches -, nur bewirkt, dass der Geist in diesem Moment ganz ruhig und konzentriert ist, keine weiteren Wünsche und Ablenkungen mehr da sind. Und dann kann das innere Glück zum Vorschein kommen, durchscheinen.

Ein paar Monate später sah man Nasrudin auf der Straße eine furchtbare Grimasse ziehen. Jemand fragte ihn: „Meister, was ist mit dir los?“ „Ach, ich habe solche Schmerzen an den Füßen.“ „Warum denn?“ „Weil meine Sandalen so eng sind.“ „Ja, warum trägst du denn so enge Sandalen?“ Da lachte Nasrudin verschmitzt und sagte: „Abends, wenn ich zu Hause bin und die Sandalen ablege, dann ist das ein so wunderbares Gefühl. Und dafür rentiert es sich, den ganzen Tag Schmerzen zu haben.“

Das klingt vielleicht verrückt. Aber wofür stehen die Sandalen? Ein zu enger Schuh symbolisiert neue Wünsche, die wir haben. Wir bilden uns ein, unser Glück hänge davon ab, dass wir dieses oder jenes haben oder mit einem bestimmten Menschen zusammen sind oder dass etwas ganz Bestimmtes geschieht. Somit sind wir abgeschnürt, geistig nicht mehr frei, und eine ganze Reaktionskette läuft ab. Wenn der Wunsch erfüllt ist, befreit uns das zunächst mal von dem engen Schuh. Vorerst sind wir dann erst einmal glücklich und es kann kurzfristig oder auch eine ganze Weile lang schön sein. Aber ist es ein dauerhaftes Glück? – Es dauert nicht lange, bis wir neue zu kleine Schuhe anziehen.

Auf einer anderen Ebene steht die Geschichte natürlich auch dafür, dass wir uns oft das Leben selbst sehr kompliziert machen. Wir haben so viele innere Zwänge, Vorstellungen, was wie sein müsste, wie wir selbst sein müssten, wie andere sein müssten, wie die Gesellschaft und die Welt beschaffen sein müsste …. wenn wir diesen zu engen Schuh ablegen können, sind ist das tatsächlich eine große Erleichterung und Befreiung.

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Die Geschichte vom Ring

Es war einmal ein Ehepaar, das schon längere Zeit verheiratet war. Beide waren berufstätig – wir machen daraus ein modernes Ehepaar -, beide haben sich auch um die Kindererziehung gekümmert, beide haben sich die Hausarbeit geteilt, haben auch ab und zu einmal gekocht – das ist fast schon zu ideal, um wahr zu sein.

Eines Tages bekam der Mann bei der Arbeit eine freudige Nachricht: Er war der beste Verkäufer im letzten Jahr gewesen und hatte eine hohe Geldprämie bekommen. Er überlegte, was er mit dem Geld machen sollte. Irgendwie hatte er das Gefühl, seiner Frau ginge es zur Zeit gerade nicht so gut und außerdem war sie gerade an dem Tag an der Reihe, zu kochen. Deshalb wollte er ihr gern eine Freude machen. Er erinnerte sich, dass beim Schaufensterbummel seine Frau öfter bei einem Juweliergeschäft stehen geblieben war und einen Ring angeschaut hatte.

Sie hatte ihn sogar schon mal anprobiert. Aber sie waren nicht so reich und hatten für die Kinder gesorgt und für alles Mögliche gespart, deshalb hatte sie nie wirklich den Wunsch nach dem Ring geäußert. Aber der Mann wusste, sie mochte diesen Ring über alles. Also dachte er: „Jetzt kaufe ich diesen Diamantring, um sie richtig glücklich zu machen.“

Als er nach Hause kam, war die Frau schon da. Sie hatte einen anstrengenden Tag gehabt, ärger mit dem Chef und jemand hatte eine Delle in ihr geparktes Auto gefahren, eines der Kinder brauchte Hilfe bei einer wichtigen Schularbeit und das Essen war angebrannt. Ihre Stimmung kann man sich also vorstellen. Der Mann kam freudestrahlend nach Hause, überreichte ihr das Päckchen und sagte: „Sei glücklich, Liebling.“ Die Frau öffnete es und sah den Diamantring. Sie schaute ihn fragend an. Er sagte: „Ja, ich habe eine Prämie bekommen und die soll nur für dich sein.“

Nehmen wir an, die Frau hat sich diesen Ring wirklich sehr gewünscht, sie hat davon geträumt und nichts mehr ersehnt als diesen Ring. Ist sie jetzt, gerade in diesem Moment glücklich? – Ja. In dem Moment, wo ein großer Herzenswunsch in Erfüllung gegangen ist, ist sie glücklich. Und warum ist sie in dem Moment glücklich? Denkt sie in dem Moment an den Chef, an das Auto, an die Schularbeit des Sohnes oder der Tochter oder die verbrannte Suppe? – Nein. In dem Moment denkt sie eigentlich an fast nichts. Ihr Geist ist ruhig und konzentriert auf den Ring. Natürlich spielt auch eine Rolle, dass sie aus dieser Geste sieht, dass ihr Mann sie liebt.

Auf jeden Fall ist der Geist ruhig und nicht von anderen Wünschen oder Gedanken abgelenkt. Und wenn der Geist sehr ruhig ist, dann strahlt die Freude des Selbst durch. Es ist nicht wirklich der Diamantring und es ist auch nicht die Beziehung zum Mann, die das Glück auslöst. Wenn es so wäre, bräuchte sie in Zukunft nur noch ständig den Ring zu tragen und wäre immer glücklich. Oder sie bräuchte nur die ganze Zeit mit dem Mann Händchen zu halten, um immer glücklich zu sein.

Wir wissen alle, dass dem nicht so ist. Zärtlichkeit und Liebe ist natürlich dem Glücklichsein zuträglich, aber es ist nicht etwas, was einen dauerhaft glücklich macht. Nur in dem Masse, wie sie unseren Geist ruhig und damit durchlässig machen für das Glück des Selbst, können äußere Handlungen und Dinge uns Glück schenken.

Wenn wir dieses Spiel durchschauen, gibt uns das eine unglaubliche Freiheit. Wir sind dann immer noch nicht so weit, dass wir gleich auf Anhieb das innere Glück spüren können. Leider kann man das nicht willkürlich erzeugen: Augen zu, Gedanken still, Glückseligkeit. Aber wir erkennen wenigstens: Was ich für mein Glück brauche, ist nur eine Methode, eine Weise, meinen Geist zu konzentrieren und entspannt konzentriert zu halten. Dann kann das Glück des Selbst zum Vorschein kommen.

Und das kann sich schrittweise in der Meditation, bei regelmäßiger Praxis, entfalten, auch wenn ich das Glück nicht gleich beim ersten Mal und auch nicht jedes Mal auf Knopfdruck erfahre. Mein Glück hängt nicht davon ab, dass ich dieses oder jenes Haus besitze. Mein Glück hängt nicht davon ab, dass ich diesen oder jenen Beruf ergreife. Mein Glück hängt auch nicht von etwas anderem ab. Was nicht heißt, dass es nicht hilfreich sein kann, sich Ziele zu setzen. Ziele setzen hilft, den Geist zu konzentrieren.

Aber wir wissen: Mein Glück hängt nicht von irgendetwas ab, sondern ich selbst bin Glück. Und ich kann das Glück dann erfahren, wenn ich irgendwie meinen Geist dazu bringe, konzentriert zu sein. Wenn mein Herz bei einer Sache oder bei einem Menschen dabei ist, dann kann das Glück aus mir selbst heraus strahlen.

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Quelle: von Sukadev Bretz – yoga-vidya.de

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