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Ein Kurs in Wundern

Vortrag von Dr. Kenneth Wapnick, gehalten 1984, in Orange, Kalifornien, USA.

(Übersetzung aus dem Amerikanischen)


Ein Kurs in Wundern – im nachfolgenden der Kurs genannt – ist in mancher Hinsicht einzigartig. Zum einen in seiner Grundstruktur. Die meisten Denksysteme präsentieren sich in linearer Form, d. h. die Ideen beginnen einfach und werden komplizierter, wenn die einzelnen Teile zusammengebaut werden. Beim Kurs ist das nicht so. Er beginnt am höchsten Punkt, wo es am Anfang heißt: „Es gibt keine Schwierigkeits-Abstufung bei Wundern. Eines ist nicht „schwieriger“ oder „größer“ als ein anderes.“ Dies ist das erste Prinzip des Kurses. Seine Grundstruktur ist kreisförmig und nicht linear. Die gleichen Ideen werden in verschiedenen Formen immer wieder erläutert. Jede Erläuterung beinhaltet das Ganze so, dass wenn wir irgendeine Erklärung des Kurses in ihrem umfassendsten Sinne verstehen würden, wir das ganze Kursdenken vor uns hätten.

Der Zweck dieser Struktur ist, so glaube ich (Kenneth Wapnick), den Kurs nicht einfach als intellektuelles System aufnehmen zu können, sondern ihn als Erfahrung erleben zu müssen. Wenn man den Kurs macht, wird man zur Erfahrung geführt und nicht so sehr zur intellektuellen Beherrschung des Stoffes. Das Endziel des Kurses ist, den Frieden Gottes zu erlangen. Mein Vortrag hier wird linear aufgebaut sein, nicht kreisförmig wie der Kurs.

Was ich (Ken Wapnick) tun werde ist, das Grundsystem des Kurses in logischer Folge darzulegen so, dass ich dich Schritt für Schritt durch die Theorie des Kurses führen kann.

Ich glaube, dass einer der schwierigen und verwirrenden Aspekte des Kurses die Tatsache ist, dass er auf zwei Ebenen geschrieben ist, uns jedoch nicht sagt, auf welcher Ebene er in einem gegebenen Moment gerade ist. Diese zwei Ebenen wechseln sich andauernd ab und zwar durch alle drei Teile (Textbuch, Handbuch u. Übungsbuch) des Kurses hindurch. Wir betrachten nun die zwei Ebenen. Diese Darstellung wird uns helfen zu sehen, auf welchen Voraussetzungen der Kurs aufgebaut ist.

kurs ebenen

Die Ebene 1 vermittelt das Fundament für das ganze Gedankengebäude des Kurses, das jenseits unserer Sinne liegt (Metaphysik). Wir können sagen, diese Ebene unterscheide nochmals zwischen zwei Wirklichkeits-Ebenen. Die eine Ebene ist die Welt von Gott, welche Wahrheit ist, und die andere Ebene ist die Welt des Ego (unser Ich-Denken), welche eine Welt der Illusion ist. Oft sagen Schüler, der Kurs sei ein dualistisches System, aber das ist im Grunde nicht so. Der Kurs ist ein nicht-dualistisches System, denn von den zwei Wirklichkeits-Ebenen sagt er, nur eine sei wahr und das ist natürlich die Welt von Gott.

Auf dieser ersten Ebene entdecken wir die kompromisslose Beschaffenheit des Kurses. Denn er lehrt uns, dass alles was von Gott kommt, wahr ist. Alles was vom Ego kommt ist falsch. Es gibt keinen neutralen Standpunkt. Der Kurs lehrt, wir können nicht ein bisschen Himmel und Hölle haben und auch nicht ein bisschen Hölle und Himmel. Es sei das eine oder das andere. Wenn wir glauben, Gott sei wirklich und die Welt des reinen Geistes (spirit) sei wirklich, dann kann die Welt des Ego nicht wirklich, sondern nur illusorisch sein. Und wenn wir glauben, das Ego sei wirklich, so muss Gott eine Illusion sein. Lasst uns nun etwas detaillierter betrachten, woraus diese zwei Welten bestehen, Gott und Ego. Wir beginnen am Anfang, wo es kein Ego gab, nur Gott. Er wird definiert als Quelle allen Seins, als der Schöpfer. Er ist die erste Ursache und sein Wesen ist reiner Geist (spirit). Die grundlegende Dynamik, die wir im Himmel finden, wird im Kurs als Erschaffung (Schöpfung) bezeichnet, oder auch als Ausdehnung.

Wenn „Ausdehnung“ verwendet wird, um auf die Welt des reinen Geistes (spirit) hinzuweisen, dann ist Ausdehnung das gleiche wie Schöpfung. Dies weist auf eine grundlegende Eigenschaft des Geistes hin, der sich andauernd ausdehnt. Was immer im Geist ist, wird sich nach außen ausdehnen. Aber wenn wir von dieser Dynamik mit Bezug auf den Himmel sprechen, dann gibt es kein „außerhalb“; dann gibt es nur Gott. Daher sprechen wir von einer Dynamik, die auf einer Ebene existiert, die jenseits von Zeit und Raum ist. Das ist Ebene 1, und sie ist aus dem genannten Grund schwierig zu verstehen. Wenn sich Gott ausdehnt, erschafft er das, was der Kurs Christus nennt. Dieser wird als Gottes eine Sohn bezeichnet.

Christus, so wie der Kurs das Wort definiert, wird nicht mit Jesus gleichgesetzt. Christus ist also der eine, geistige Sohn Gottes – auch als wahres SELBST bezeichnet – und jeder von uns ist Teil dieser Sohnschaft. Dies schließt Jesus mit ein. So wie Gott Christus erschuf, indem er sich ausdehnte, so erschafft auch Christus wie sein Schöpfer. Die Ausdehnungen von Christus, nennt der Kurs Schöpfungen. Das ist ein eigenartiges Wort, das immer wieder erscheint und es wird eigentlich nirgends erklärt. Es ist aber wichtig zu wissen, dass wenn der Kurs „Schöpfungen“ erwähnt, er nie Bezug auf etwas in dieser materiellen Welt nimmt. Wenn du also das Wort „erschaffen“ im Kurs liest, denke nicht, es habe etwas zu tun mit der Erschaffung eines Kunstwerks oder eines Kindes oder einer kreativen Idee. Es bezieht sich nur auf reinen Geist (spirit). Wenn wir also von der zweiten Person der Dreieinigkeit sprechen, d. h. vom Sohn Gottes, so schließt das sowohl den Sohn = Christus ein, als auch die Schöpfungen von Christus. Was am “Anfang” existierte, war Gott und Sein Sohn Christus – eine große, glückliche Familie. Dann schien etwas zu geschehen, von dem der Kurs sagt, es sei im Grunde überhaupt nie geschehen. Was zu geschehen schien ist, dass der Gedanke der Trennung, der Gedanke des Anders-sein-wollens, sich in den Geist von Gottes einem Sohn einschlich.

Dies ist dargestellt durch die Linie von „Geist“ zu „Geist“ auf dem Bild. Als der Gedanke der Trennung – eigentlich der Gedanke des Getrennt-sein-wollens – entstanden war, schien es, nun zwei unterschiedliche „Geister“ (minds) zu geben. Der Groß-Geschriebene Geist, der den Geist Gottes oder den Geist Christi darstellt und der klein-geschriebene Geist, der das Ego, das Ich-Denken, darstellt. Das Ego ist der Glaube, dass die Trennung von Gott geschehen könne und auch geschah. Das Ego ist nichts anderes als eine falsche Denkweise. Es ist nichts Wirkliches; es ist nicht auf Erfahrung beruhend, sondern es ist eine Überzeugung.

Der Kurs definiert das Ego als  Sünde, d. h. der Glaube, dass wir uns von Gott trennen können, dass wir ein eigenes Selbst bilden können sowie einen Willen, der unabhängig ist vom wahren SELBST und vom Willen Gottes, der uns erschuf. Wenn die Bibel sagt, Gott habe den Mensch nach seinem eigenen Bilde geschaffen, so war das nicht das Ego, sondern unser wahres, geistiges SELBST. Die grundlegende Eigenschaft von Geist ist, sich auszudehnen. Und die gleiche Dynamik hat auch das Ego, welches auch Teil des Geistes ist. Wenn das Ego sich ausdehnt, verwendet der Kurs das Wort Projektion. Wir können sagen, dass Gott sich ausdehnt, und das Ego projiziert. Wenn das Ego sich ausdehnt, geschieht etwas Interessantes. Was nämlich in unserer Außenwelt gesehen wird, ist die Widerspiegelung des grundlegenden aber unwahren Gedankens, dass unsere Trennung von Gott und voneinander wirklich sei.

Somit entsteht durch diesen Gedanken eine Welt des Getrenntseins. Das ist der Ursprung des gesamten physikalischen Universums. Aufgrund unserer Projektion entsteht die Welt unserer Körper, die Welt, die aus dem Planeten Erde besteht, sowie aus dem ganzen Sonnensystems, der Milchstrasse und allen anderen Galaxien. All das ist nichts anderes als die Projektion dieses einen Gedankens, von Gott getrennt sein zu wollen. Die Zuhörer, die den Raum nun verlassen möchten, können dies jetzt tun. (Pause)

Einer der großen Werte des Kurses ist seine tiefgründige Metaphysik (die Lehre darüber, was jenseits von Materie, Energie, Raum und Zeit liegt). Diese Metaphysik ist eine erhabene Schau Gottes, die unsere Beziehung zu Gott integriert mit einer praktischen Betrachtungsweise, wie wir in dieser Welt leben sollen. Der Kurs und seine Lektionen sind aber unmöglich zu verstehen, ohne diese metaphysische (jenseitige) Beschreibung des Getrennt-sein-wollens. Denn die ganze Erscheinungswelt, so besagt der Kurs, ist eine Projektion des einen, falschen Gedankens, dass wir uns von Gott tatsächlich getrennt haben.

Es gibt ein wichtiges Kursprinzip das uns hilft zu verstehen, warum es so ist. Es heißt: Ideen verlassen ihre Quelle nicht (Übungsbuch Seite 318). Was bedeutet nun dieses Prinzip, wenn wir es auf Gott anwenden? Es bedeutet folgendes:

Da wir ein Gedanke in Gottes Geist sind, und weil wir alle der eine, geistige Sohn Gottes in Gottes Geist sind, können wir nie seine Quelle (Gott) verlassen haben, entsprechend dem Prinzip: „Ideen verlassen ihre Quelle nicht.“ Weil unsere Quelle Gott ist und weil wir eine Idee von Gott sind, können wir Ihn nie wirklich verlassen. Daher ist genau dieses Prinzip die Widerlegung des Ego-Glaubens.

Das Egodenken besagt, dass Ideen ihre Quellen verlassen, so dass Gottes Sohn seine Quelle (Gott) verlassen und seine eigene Welt bauen könne. Durch diesen Ego-Glauben entsteht die Welt des Getrenntseins als Ersatz für die Welt Gottes, welche die Welt des Einsseins ist. Das gleiche Prinzip gilt, wenn wir das Ego erforschen. Weil uns das Ego lehrt, Ideen verlassen ihre Quelle, lehrt es uns auch, dass die Idee der von Gott getrennten Welt ihre Quelle (Gott) verlassen hat. Diese Idee ist im Geist. Sie lässt uns glauben, dass es tatsächlich eine physische Welt außerhalb von uns gibt. Also, wenn ihr mich jetzt seht und ich sehe euch, ist das so, weil wir alle glauben, Ideen verlassen ihre Quelle, d. h. dass die Idee des von Gott Getrennt-sein-wollens den Geist verlassen kann, und tatsächlich eine unabhängige, getrennte Existenz erfinden kann.

Die Wahrheit jedoch ist, dass Ideen, d. h. Gedanken, ihre Quelle, den Geist, gar nicht verlassen können. Dies bedeutet, dass die Idee der Trennung den Geist nicht verlassen hat. Daher ist die Welt in unserem Geist geblieben, obwohl es so aussieht, als ob sie außerhalb von uns existiere. Was uns lehrt, dass es da draußen eine Welt gibt, ist der Körper. Überlegen wir einmal, wie wir wissen oder doch zu glauben wissen, dass es da draußen eine wirkliche, objektive Welt gibt. Folgendes läuft ab: Unsere Sinnesorgane sind nach außen gerichtet und nehmen die Welt wahr, worauf sie die Mitteilungen zum Gehirn senden, wo diese Mitteilungen interpretiert werden. Das einzige Problem besteht nun darin, dass der Körper – wie alles andere – ein Teil der Welt des Von-Gott-getrennt-sein-Wollens ist. Deshalb sagt der Kurs: „Warum den Körper fragen, was da draußen existiert, wenn der Körper das ist, was es überhaupt nicht wissen kann?“ Trotzdem tun wir es alle. Wir versuchen, mittels unserer körperlichen Sinnesorgane die Welt zu erfassen und das Wesen der Wirklichkeit zu begreifen.

Also nochmals: Was uns überzeugt, dass es da eine wirkliche Welt gibt, ist unser Körper. Aber der Körper ist auch eine Projektion der grundlegenden Ego-Überzeugung, wir seien von Gott getrennt. Der Körper ist sogar die Verkörperung dieser Überzeugung. Denn was tun Körper? Sie trennen sich, sie unterscheiden sich. Deshalb wissen wir, wie unterschiedlich wir voneinander sind. Wir sehen auch, wie jeder Einzelne da sitzt, nicht alle als ein Ganzes.

Der materialisierte Ego-Gedanke der Trennung, genannt Körper, ist nun unsere Wirklichkeit und sagt uns, mittels unserer fünf Sinne, was angeblich Wirklichkeit ist. Doch der Körper ist nicht in der Lage, es uns zu sagen, denn sein Zweck ist, die wahre Wirklichkeit von uns fern zu halten. Eine weitere Art zu verstehen, was gemeint ist mit „Ideen verlassen ihre Quelle nicht“ ist, dass alle Eigenschaften der Quelle vorhanden sein müssen in dem, was von der Quelle kommt. Gott ist unsere Quelle und er ist reiner Geist (spirit). Gott ist formlos und er ist unveränderlich und darum ist er auch ewig. Was also Gott erschafft, d. h. was eine Ausdehnung von ihm ist, muss diese gleichen Merkmale haben, d. h., dass unser wahres SELBST reiner Geist (spirit) ist, formlos,  unveränderlich und ewig. Es ist unmöglich, dass etwas von Gott Erschaffenes anders ist als er. Da wir alle ein Teil von Gott, d. h. von unserem wahren SELBST, sind, ist unsere wahre Identität, unsere wahre Wirklichkeit also, reiner Geist (spirit), welcher formlos, unveränderlich und ewig sein muss.

Somit wissen wir, dass Gott weder den Körper noch die Welt erschuf. Diese Welt ist nämlich eine Welt der Form, der Veränderung und des Todes. Doch was Gott erschaffen hat, hat gegenteilige Eigenschaften, denn es ist formlos, unveränderlich und unsterblich. Eine andere Art zu verstehen, was Trennung, sprich getrennt-sein-Wollen bedeutet, wenn wir über Sünde sprechen, ist, dass Sünde ein Angriff auf Gott ist. Denn was tun wir eigentlich, wenn wir sagen, dass wir von Gott getrennt sind? Wir sagen, dass wir nicht zufrieden sind mit dem, was Gott uns gab. Wir sagen: „Wir können es besser, denn etwas fehlt in uns. Gott ist nicht perfekt.“ Deshalb stellten wir uns vor, uns von Gott getrennt zu haben und es nun besser zu machen. (Anmerkung des Übersetzers: Der Kurs sagt, wir hätten uns nie wirklich von Gott getrennt, aber da wir völlig davon überzeugt sind, uns von Gott getrennt zu haben, scheinen wir von ihm getrennt zu sein.)
Wir etablieren dann unser eigenes Selbst und sagen zu Gott: „Wir können eine bessere Welt erschaffen als du“. Somit stürzten wir Gott gedanklich vom Thron des Schöpfers, erhoben uns Selbst zu Schöpfern und machten unsere eigene Welt. Und was wir um uns herum sehen und hören, ein Theater worin alle sterben müssen, ist jetzt diese Welt. Wir haben es hervorragend gemacht, nicht wahr?

Die Schöpfungsgeschichte in der Bibel hat nichts zu tun mit Gottes wahrer Schöpfung des Himmels.  Die Schöpfungsgeschichte hat jedoch alles zu tun mit dem Machen dieser Welt durch das kleine Ich, das Ego, was man auch als das Getrennt-sein-wollen bezeichnen kann. Die so gemachte Welt, ist eine Welt der Gegensätze, eine Welt der Dualität, denn die Schöpfungsgeschichte beginnt so: “Ordnung entstand aus Chaos, Licht aus der Dunkelheit, Himmel und Erde”. Wir leben in einer Welt von Gegensätzen, von gut und böse, schwarz und weiß, Licht und Dunkelheit, männlichen und weiblichen Körpern, Yin und Yang. Gottes Welt hingegen ist nicht eine Welt der Gegensätze, sondern eine Welt des Einseins.

In der Einleitung zum Text lesen wir: „Das Gegenteil von Liebe ist Angst, aber was allumfassend ist, kann kein Gegenteil haben.“ D.h., es gibt kein Gegenteil von Liebe. Dies bedeutet: „Angst existiert nicht.“ Was allumfassend ist, d. h. Gott/Liebe, kann keinen Gegensatz haben. Doch wir leben in einer Welt von Gegensätzen. Deshalb ist es klar, dass Gott mit dieser Welt nichts zu tun hat. Wir haben die Welt gemacht, die Sache verpfuscht, und jetzt machen wir Gott dafür haftbar. Später werden wir dann sehen, dass es sich hier um Projektion handelt. Wir griffen also Gott an, als wir uns von ihm trennten. Da Ideen ihre Quelle –  ihren Ursprung im Geist – aber niemals verlassen können, enthält die Welt, die ein Gedanke des Getrennt-sein-Wollens im Geist ist, ebenfalls die trennenden Eigenschaften. Ergebnis: Alles was wir sehen, ist von allem anderen getrennt.

Darum lehrt der Kurs am Ende des Übungsbuches, dass diese Welt als Angriff auf Gott gemacht wurde. Alles in dieser Welt stellt das genaue Gegenteil von dem dar, was Gott erschaffen hat. Die ganze klägliche Angelegenheit begann wie folgt: Gott erschuf uns vollkommen, doch wir leben in einer Welt, die weit weg ist von Vollkommenheit. Gott erschuf uns als Einheit, doch wir leben in einer Welt von Teilung und Unterteilung. Gott erschuf uns als ewig, doch wir leben in einer Welt, wo alle einmal sterben. Im Kurs heißt es deshalb: „Wenn das die wirkliche Welt wäre, dann wäre Gott grausam.“ Zum Glück ist das nicht die wirkliche Welt und Gott ist nicht grausam.

Eine andere Darstellung unserer Problematik ist die Aussage: „Als wir uns von Gott trennten, fielen wir in einen tiefen Schlaf, in dem wir von einer getrennten Welt träumen. Und wir leben alle in diesem Traum und glauben dabei, es handle sich um Wirklichkeit.“ Der Kurs sagt: „Wir sind zu Hause bei Gott und träumen vom Exil (Ort der Verbannung).“ Dort haben wir diesen Alptraum, worin der Körper der Held ist. Wir glauben, der Körper gebe uns Leben und deshalb glauben wir auch zu sterben.

Das gerade Beschriebene ist die Ebene 1 des Kurses, welche uns lehrt, es gebe Gottes Welt als Welt der Wahrheit und die Ego-Welt als Welt der Illusion, der Täuschung. Die Ego-Welt ist nicht wirklich, weil sie nicht die Eigenschaften von Gottes Welt hat und somit nicht von ihm erschaffen worden sein kann. Das ist offensichtlich keine praktische Art, um in dieser Welt zu leben und um sie zu verstehen. Es tut uns ja nicht gut, immer und immer wieder zu hören: „Diese Welt ist eine Illusion!“, wenn wir mit all den physischen und psychischen Bedürfnissen und Wünschen konfrontiert werden, die wir haben.

Der Kurs sagt von sich selber aber immer wieder wie praktisch er sei. Daher gibt es eine andere Ebene auf welcher der Kurs geschrieben ist. Sie heißt Ebene 2. Die Rechtgesinntheit (Handbuch von Ein Kurs in Wundern, S. 76) und die Falschgesinntheit sind beide Teil des Ego, des abgespaltenen Geistes. Deshalb sind beide Kästchen in der Grafik Teile der Welt der Illusion. Ebene 2 besteht aus den zwei Denkweisen, Recht- und Falschgesinntheit, womit wir im Alltag umgehen. Hier erhält der Kurs seine alltägliche Verwendbarkeit.

Auf Ebene 2 können wir verstehen lernen, was Vergebung ist. Wenn wir Ebene 1 betrachten, sehen wir: Wahrheit widerspiegelt nur die Welt des reinen Geistes (spirit). Illusion hingegen widerspiegelt alles andere, d. h. die Welt des Körpers. Auf Ebene 2 jedoch spiegelt Wahrheit, was immer der Heilige Geist uns sagt.

Wahrheit ist die Interpretation dieser Welt durch den Heiligen Geist. Illusion/Täuschung ist vom Ego. Daher sprechen wir auf Ebene 2 von zwei verschiedenen Denkweisen, um die Welt wahrzunehmen. Wenn ich hier stehe und mit einem geladenen Revolver auf jemanden in diesem Raum ziele, dann sagt uns die Ego-Betrachtungsweise, dass ich jetzt gerade eine große Sünde begehen werde. Die Betrachtungsweise des Heiligen Geistes sagt aber zur gleichen Situation, dass ich im Grunde laut nach Liebe rufe. Bitte beachte, dass der Heilige Geist uns nicht auffordert, etwas zu sehen, was nicht da ist oder etwas nicht zu sehen, das da ist. Was uns der Heilige Geist aber sagt, ist: „Es gibt eine andere Betrachtungsweise dieser Situation“. Der Zweck des Kurses ist, uns zu lehren, dass es eine andere Betrachtungsweise gibt. Die Definition des „Wunders“, ist: Veränderung der Betrachtungsweise.

Es ist nichts Äußerliches, wie z. B. auf dem Wasser zu gehen oder Wasser in Wein zu verwandeln. Es handelt sich beim Wunder um eine Wahrnehmungs-Verschiebung, z. B. wenn wir jemanden gehasst haben, sehen wir ihn nach der Wahrnehmungs-Verschiebung als unser geistiges Geschwister, als Teil unseres wahren SELBSTES. Der Kurs nennt alle Menschen und andere, geistige Wesen immer Bruder (ohne männliche Eigenschaften). Wir verleugnen also nicht, was wir sehen, sondern wir verändern unsere Interpretation einer gegebenen Situation. Ebene 2 behandelt die Unterscheidung zwischen Rechtgesinntheit und Falschgesinntheit. Grundsätzlich sind die Rechtgesinntheit und Falschgesinntheit beide Teile des Ego. Beides sind Teile des abgetrennten Geistes (separated mind). Aber wenn der Kurs das Wort Ego verwendet, dann gebraucht er es fast ausschließlich, um die Falschgesinntheit zu beschreiben. Und so werden wir es auch halten. Es gibt eine Ausnahme hierzu, wo es im Kurs heißt: „Das Ego kann lernen“.

Der Teil des Ego, der lernfähig ist, ist die Rechtgesinntheit. Aber wenn wir vom Ego sprechen, meinen wir all das, was sich in Kästchen Falschgesinntheit befindet. In der nächsten halben Stunde werden wir darüber sprechen, was dieses Kästchen enthält und darstellt. Die Ego-Denkweise ist in jedem von uns vorhanden. Wenn wir sie nicht hätten, wären wir nicht in dieser Welt. Der ganze Zweck unseres Erscheinens auf der Welt ist, zu lernen, dass wir nicht das Ego sind. Also nochmals, wenn wir kein Ego hätten, wären wir nicht hier. Was ich darum beschreibe und was der Kurs beschreibt, ist eine Denkweise, die in jedem einzelnen von uns gefunden werden kann. Es ist gar kein schönes Denksystem. Die drei Grundlagen dieses Denksystems sind: Sünde, Schuld und Angst. Sünde und Getrennt-sein-wollen (im Kurs meistens Trennung genannt) sind dasselbe. Trennung ist ein Angriff auf Gott. Wenn wir gesündigt haben, empfinden wir Schuld.

Im Kurs wird Schuld in einer viel breiteren Vorstellung beschrieben als im normalen Sprachgebrauch. Üblicherweise denken wir, Schuld sei das Gefühl über alles, was wir falsch gemacht haben, was wir getan haben sollten oder die Dinge, die wir getan haben und nicht hätten tun sollen. Aber diese bewusste Erfahrung von Schuld ist nur ein kleiner Teil eines viel größeren, allumfassenderen Gefühls aller negativen Überzeugungen oder Erfahrungen, die wir in Bezug auf uns selbst je gehabt haben, z. B. Versagen, Minderwertigkeit, Wertlosigkeit, d. h. alles Negative, das man sich ausdenken kann, auch das Gefühl der Scham, z. B. der Scham über unseren Körper oder über unser psychisches Wesen. All das sind verschiedene Aspekte von Schuld. Grundsätzlich ist Schuld der Glaube, dass etwas in uns fehlt, dass wir einen Mangel haben. Das Gefühl der Schuld ist so groß, dass wir glauben, nicht einmal Gott habe die Macht oder den Wunsch uns zu vergeben. Die schrecklichste Eigenschaft von Schuld ist, dass sie immer nach Strafe ruft. Da wir meinen, Gott durch unsere Trennung, die nur erträumt ist, angegriffen haben, glauben wir, dass er sich an uns rächen wird. Also, sobald wir glauben, Sünde existiere wirklich, glauben wir auch, Gott werde uns strafen. Dann bekommen wir Angst.

Der vorher beschriebene Mechanismus – Trennung von Gott durch Angriff auf ihn und anschließende Schuld – ist der Ursprung aller Angst, egal welcher! Unsere Angst vor irgend etwas in der Welt ist immer nur eine Nebelwand vor der Tatsache, dass wir glauben, Gott angegriffen zu haben. Solche Ängste vor dem rächenden Gott findet man auch beschrieben im alten und neuen Testament. Der Mechanismus Angriff auf Gott, Schuld darüber und anschließende Angst, hat nichts zu tun mit dem liebenden Gott, der uns erschuf. Er hat jedoch alles zu tun mit der Ego-Version von Gott, d. h. mit einem rächenden Gott. Darum spricht der Kurs im Abschnitt „Hindernisse vor dem Frieden“ vom vierten und letzten Hindernis, welches die Angst vor Gott ist. Wir sind alle in folgender Situation: Das Ego hat uns überzeugt, dass es tatsächlich wirklich sei. Das ist eine andere Art zu sagen, „der Körper ist wirklich“, denn der Körper wird zum Symbol, dass das Ego erfolgreich gewesen ist.

Wenn wir sagen, „unser Körper ist wirklich“, sagen wir damit aus, dass wir getrennt sind. Und wenn wir getrennt sind, sagen wir demnach auch, „Gott existiert nicht“. Erinnern wir uns an Ebene 1, wo es hieß: „Wenn das Eine wahr ist, muss das andere unwahr sein.“ Daher: Trennung = Sünde = Schuld; d. h. wir haben einen Körper und fühlen uns daher schuldig. Wir haben demnach einen unterbewussten Selbsthass, welcher auf dem Grund des Ego liegt. Jeder von uns trägt diesen Hass in sich. Nachdem uns das Ego also überzeugt hat, dass die Schuld wirklich ist, lehrt es uns, dass wir davor Angst haben müssen. Unterbewusst lässt mich das Ego folgendes glauben: „Wenn ich je zu nahe an meine Schuld heran komme, steht dieser rachsüchtige Gott dahinter, und wird mich zerstören.“ Das bedeutet, dass wir dieser Schuld nie nahe kommen wollen, um unserer vermuteten Zerstörung zu entrinnen. Wenn wir jetzt mit diesem Schrecken leben, hat das Ego auch eine Lösung parat.

Der Kurs lehrt, dass es grundsätzlich nur zwei Stimmen in uns gibt, auf die wir hören können, nämlich die Stimme des Ego und die Stimme des Heilige Geistes. Das Ego hat vorgebeugt, indem es uns lehrte, Gott sei der Feind. Darum wenden wir uns nicht an Gott, wenn wir mit unserer Angst konfrontiert werden, denn wir denken unterbewusst, Gott sei die Quelle all unserer Schwierigkeiten. Dies lässt dann nur noch eine Möglichkeit zu: Wir verbinden uns mit dem Ego, das uns zwei Methoden anbietet, um die riesige Schuld nicht anschauen zu müssen. Und dies bezeichnet der Kurs als „den Plan des Ego zur Erlösung“.

Das Erste was uns das Ego lehrt, ist so zu tun, als ob die Schuld nicht da sei. Das wird im Kurs Verleugnung (der Schuld) genannt und ist gleichbedeutend mit Verdrängung. Wir unterdrücken somit einfach unseren Selbsthass und unsere Angst, d. h., sie sind in unserem Unterbewusstsein, und sie sind uns daher nicht zugänglich. Wir haben nun die magische Hoffnung, das Problem sei nicht da, weil wir es nicht spüren. Dies ist die erste Verteidigungs-Linie des Ego und sie ist sehr wirksam. Sehr primitiv zwar, aber sie funktioniert. Das tun wir alle, wenn ein Problem kommt, das wir nicht bearbeiten wollen. Wir hören oder sehen es nicht, d. h. wir tun so, als ob es gar nicht da wäre. Nur geht das nicht allzu lange gut. Jetzt kommt die zweite Methode des Ego, um uns von der Schuld zu „befreien“: Wir projizieren sie auf jemand anderen, d. h. wir sehen Schuld in anderen.

Projektion bedeutet „wegwerfen oder gegen jemand anderen werfen“. Wir spüren also diese Schuld in uns und sagen dann: „Sie ist nicht in mir, sie ist in dir“, denn meistens sieht es so aus. Somit suchen wir immer wieder unsere „Sündenböcke“ aus, welche für alles die Ursache sein müssen von dem, was wir erleiden. Wir sagen z. B.: „Der Grund für meine miese Situation, mein Versagen oder meine Angst bist du!“ Wenn wir dann den Sündenbock gefunden haben, wollen wir soviel Distanz zu dieser Person schaffen wie möglich. Denn es ist unsere Schuld, welche wir im anderen sehen, die wir hassen, und wir wollen ihr nicht nahe kommen; d. h. wir schaffen Distanz zur Schuld, die wir auf den anderen projiziert haben und auch auf uns selbst. Das psychologische Mittel, das wir brauchen, um Distanz zwischen dem Sündenbock, d. h. dem Übeltäter und uns selbst zu halten, ist, wütend auf ihn zu werden.

Folgendes ist die einzige Ursache aller Wut; Distanz zum Andern halten zu wollen. Es ist der Versuch, die Projektion unserer Schuld auf jemand anderen zu rechtfertigen. Es ist, wie wenn man sagen würde: „Du solltest dich schuldig fühlen, nicht ich“. Dadurch schafft man eine Trennung. Man fühlt sich nicht verbunden mit jemandem, den man angreift. Grundsätzlich sagt man dann: „Du musst dich ändern, damit ich mich nicht ändern muss.“ Der Kurs sagt aber zweimal, dass Wut nie gerechtfertigt sei. Das heißt nicht,  man soll immer einverstanden sein mit dem, was andere tun. Aber es bedeutet, dass wenn man wütend wird, es etwas in uns gibt, das wir nicht anschauen wollen und das wir auf den anderen projizieren. Man macht also den anderen für den Verlust von Gottes Frieden verantwortlich. Aber da Gott uns den Frieden gab, gibt es nichts, das die Macht hat, den Frieden von uns zu nehmen, außer wir selbst. Ich bin frei, mich gegen Gottes Willen zu entscheiden, aber es gibt niemanden sonst, der das für mich tun könnte, außer ich gebe dieser Person den Schlüssel dazu, indem ich denke: „Ich gebe dir die Macht, den Frieden Gottes von mir wegzunehmen.“ Das heißt: „Es war nicht dein Fehler, dass ich den Frieden Gottes verlor, sondern mein Fehler, denn ich gab dir die Macht dazu.“

Hier sehen wir einen weiteren Grund, weswegen Wut nie gerechtfertigt ist. Denn Wut sagt uns immer, dass etwas anderes oder jemand anderer schuld ist, dass wir uns aufgewühlt fühlen. Folgendes ist der Ego-Plan zur Erlösung des Menschen:
“Schuld ist eine Tatsache und wir sollen Angst davor haben”. Dann errettet uns das Egodenken vor dieser Schuld, indem es uns lehrt, sie zu verdrängen, sie auf einen anderen zu projizieren und diesen dann anzugreifen. Dadurch werden wir errettet, entsprechend dem irren Ego-Glauben. Dies baut eine Wahrnehmung der Welt auf, die in zwei Lager aufgeteilt ist; die Guten und die Bösen. Der letzte Schritt im Ego-Plan ist, jemanden anzugreifen. Darum investieren wir so viel Zeit in das Rechfertigen unseres Ärgers, in das Rechtfertigen unsere Urteile über andere Leute und Gruppen. Der Angriff ist auch die Grundlage für alle Vorurteile. Und all das kommt von unserer Ausführung des Egodenkens, das uns glauben lässt, besser dazustehen, wenn wir jemand anderen schlechtmachen.

Die meisten Religionen der Welt haben sich aufgrund dieses Prinzips etabliert. Sie sind die Auserwählten und alle anderen schmachten in der Hölle. Dies gründet auf der Überzeugung: „Uns geht es besser, wenn wir jemand anderen angreifen.“ Aber was wir somit tun ist, einen Teil von uns selber auszuschließen – der Teil nämlich, der sich sündig und schuldig fühlt – und ihn jemand anderem zuzuschreiben. Das Ego hat uns somit gelehrt, vor unserer Schuld sicher zu sein, durch das Angreifen eines anderen. In einem Wort ausgedrückt: der Ego-Plan zu unserer Erlösung heißt „Angriff“. Was uns das Ego nicht sagt – sonst würden wir seinen Plan nicht ausführen – ist, dass Angriff das wirksamste Mittel ist, um schuldig zu bleiben. Die beste Art, unsere Schuld zu verstärken ist, jemanden anzugreifen.

Wann immer wir ärgerlich werden, fühlen wir uns schuldig. Auch wenn wir Gedanken des Angriffs oder der Verurteilung haben, fühlen wir uns schuldig. Bewusst oder unbewusst realisieren wir, dass der Grund unseres Ärgers der Versuch ist, der schrecklichen Last unserer Schuld zu entrinnen. Wir fühlen uns schuldig, weil wir innerlich spüren, dass wir die entsprechende Person ungerechtfertigt angegriffen zu haben. Dies setzt den Teufelskreislauf von Schuld und Angriff in Gang. Je schuldiger wir uns fühlen, desto stärker ist das Bedürfnis, unsere Schuld zu verdrängen, sie dann auf jemanden zu projizieren – Schuld in jemand anderem zu sehen – und ihn anzugreifen. Und je mehr wir angreifen, desto größer wird unsere Schuld. So geht es weiter und weiter. Darum ändert sich in der Welt nie etwas. Wir kämpfen immer noch die gleichen Kriege, die wir das letzte Jahrhundert, das letzte Jahrtausend oder noch weiter zurück, führten. Wir sind nur raffinierter geworden wie wir angreifen und auch raffinierter wie wir diese Angriffe rechtfertigen.

Es gibt einen Sekundärkreislauf, der dem Schuld-Angriffs-Kreislauf unmittelbar folgt. Dies ist der Angriffs-Verteidigungs-Kreislauf. Er wirkt immer nach dem Schuld-Angriffs-Mechanismus. Das heißt, wenn ich einmal glaube, meine Erlösung hänge vom Beibehalten meiner Schuld durch Angriff auf dich ab, so erwarte ich gezwungenermaßen, dass du mich dann auch angreifst. Denn Schuld führt immer zu Angst vor Bestrafung. Wenn ich dich also angreife – und ich fühle mich deswegen schuldig, weil es folgerichtig ist – sagt mir mein Ego, dass ich verdiene, bestraft zu werden. Die Strafe besteht in der Tatsache, dass du mich angreifen wirst. Da ich deinen Angriff also erwarte, stelle ich meine Verteidigung jetzt schon bereit. Wenn du nach dem gleichen Muster denkst, werden wir stets miteinander kämpfen, wobei beide glauben, im Recht zu sein. Wir sehen dieses Spiel zwischen Personen ablaufen, aber auch zwischen Nationen. Das ist der Wahnsinn, welcher z. B. dem internationalen Wettrüsten zugrunde liegt. Was Regierungen tun, ist nur ein größeres Bild von dem, was in jedem von uns abläuft.

Der nun folgende Schritt ist der große, denn der Kurs unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Projektionen: spezifischem Hass und spezifischer Liebe. Beide zusammen heißen „besondere Beziehungen“, d. h. es sind die zwei einzigen Formen der Projektion, welche wir gegeneinander anwenden. Besonderen oder spezifischen Hass haben wir schon besprochen. Hier handelt es sich um die Sündenböcke, die wir uns aussuchen, um unsere Schuld in ihnen zu sehen, d. h. auf sie zu projizieren. Die zweite Art der Besonderheit ist anders, denn was spezifischer Hass von spezifischer Liebe unterscheidet, ist nicht die treibende Ego-Kraft dahinter – denn die ist immer gleich zerstörerisch – sondern die Form, welche diese Ego-Dynamik annimmt. Was spezifische Liebe – also bedingte Liebe, nicht bedingungslose – zu einer so starken Waffe im Arsenal des Ego macht, ist die Tatsache, dass spezifische Liebe etwas zu sein scheint, das sie nicht ist. Meistens ist es uns bewusst, wenn wir ärgerlich sind, d. h. etwas oder jemanden hassen.

Dieses Empfinden von Hass ist bei spezifischer Liebe nicht vorhanden. Sie scheint das Wunderbarste der Welt zu sein. Aber wenn wir genau hinsehen, was wir gleich tun werden, stellen wir fest, dass diese Art der Liebe nur ein dünner Schleier ist, der über dem Hass liegt. Und Hass ist nun wirklich kein schönes Bild! Eines der eindringlichsten Kapitel im Textbuch des Kurses heißt allegorisch: „Die beiden Bilder“ (beide Bilder bestehen aus dem Bild und dem Rahmen). Dort wird das Bild des Ego mit dem Bild des Heiligen Geistes verglichen. Das Bild des Ego ist das Bild des Todes, das Bild der Schuld und das Bild des Hasses.

Aber das Ego zeigt uns dieses Bild nicht, denn es tarnt das Bild mit einem Rahmen der spezifischen Liebe. Dieser allegorische Rahmen ist wundervoll geschmückt und verziert mit Juwelen, die glänzen sowie mit Diamanten und Rubinen. Diese ziehen uns in der spezifischen Liebesbeziehung an und verführen uns. So werden wir nicht gewahr, dass das, was wir bekommen, eigentlich das allegorische Bild des Ego ist, denn es besteht wie immer aus Schuld, Hass und Tod. Erst wenn wir nahe beim Bild sind, sehen wir – wie der Kurs bildhaft erklärt – dass die Diamanten Tränen und die Rubine Blutstropfen sind. Dahin werden wir also gezogen, d. h. der schöne Rahmen lockte uns zu einem Bild, das wir nicht wollen.

Deshalb bezweckt der Kurs, uns zu helfen, den Bilderrahmen der spezifischen Liebesbeziehung genau anzuschauen, damit wir sehen, was uns wirklich angeboten wird. Dann können wir unsere Ansicht entsprechend ändern. Schuld lehrt uns, dass etwas in uns fehlt, dass etwas unvollständig ist und dass etwas nicht erfüllt ist. Dies nennt der Kurs das Mangelprinzip. Es ist der Glaube an einen Mangel in uns. Aber das Ego sagt uns natürlich nie, was uns fehlt. Denn was uns fehlt, ist Gott, sonst wäre das Ego vertrieben, d. h. nicht mehr da.

Die Geschichte von Adam und Eva endet damit, dass Gott beide aus dem Garten Eden vertreibt. Aber so war es nicht, denn Adam und Eva verbannten eigentlich Gott aus ihrem Bewusstsein. Aber das Ego sagt uns das nicht. Es sagt nur: „Da fehlt etwas und du kannst gegen diese angeborene Tatsache nichts tun“. Das ist die angeborene Schuld. Das Ego überzeugt uns, dass unsere Schuld wirklich ist, weil etwas in uns fehlt. Und dann lehrt es uns folgendes: „Obwohl du nichts tun kannst, um das zu verändern, was du nun bist, gibt es ein Mittel, um deine Schmerzen zu dämpfen oder zu unterdrücken“. Das heißt, wir sprechen hier über Erlösung aus unserer misslichen Situation. Das Ego sagt uns daher: „Du brauchst jemanden, der dieses Manko in dir überdecken wird. Du glaubst nämlich, diese Mangel-Situation sei deine wahre Wirklichkeit“.

Wir haben also zuerst das Gefühl des Mangels, welches uns glauben lässt, dass wir etwas brauchen, um diesen Mangel auszugleichen. Also eine Person oder eine Sache, um unsere Leere auszufüllen. Was wir in spezifischen Liebesbeziehungen finden, ist das Prinzip, das besagt: „Ich habe diese spezifische Liebes-Bedürfnisse, welche Gott nicht befriedigen kann – denn Gott ist der Feind im Egodenken – aber wenn ich dich treffe, du besondere, spezielle Person, mit deinen spezifischen Charakterzügen und Vorteilen, und du meine Bedürfnisse befriedigst, so werde ich dich lieben. Und wenn ich deine Bedürfnisse und Anforderungen ebenso befriedigen kann, wirst du mich auch lieben.“ Das ist die Ego-Version der Ehe, welche im Himmel geschlossen wird. Offensichtlich ist es aber vielmehr eine Ehe, die in der Hölle geschlossen wurde, denn bald wird die Schuld hoch kommen und die bedingte Liebe überschatten.

Wir glauben, die spezifische Liebesbeziehung sei der Himmel, weil damit unsere Bedürfnisse befriedigt werden. Das fühlt sich wunderbar an. Unser Bedürfnis ist der Wunsch, dem Schrecken unserer eigenen Schuld zu entrinnen, d. h. unserer Schuld nicht ins Gesicht schauen zu müssen, also das getrennte Wesen nicht sehen zu müssen, das wir tief in unserem Innern fälschlich zu sein meinen. Wir befürchten unterbewusst die unvermeidliche Bestrafung für unsere Sünden. Wenn wir eine spezifische Liebesbeziehung haben, geschieht folgendes: Wir fühlen uns geschützt vor der Wahrscheinlichkeit, uns mit dem Schmerz unseres Selbst-Hasses befassen zu müssen und mit dem daraus hervorgehenden Schrecken. Psychologisch bezeichnet man diese Situation mit Abhängigkeit. Denn ich bin jetzt abhängig von dir, denn ohne dich werde ich meine Schuld spüren. Im Zusammensein mit dir jedoch spüre ich meine Schuld nicht. Deshalb ist der Ausdruck „spezifische  Liebesbeziehung“ nur ein anderes Wort für Abhängigkeit.

Ein Wort der Beruhigung ist hier angebracht. Werde nicht entmutigt, wenn du alle deine spezifischen Beziehungen zu betrachten beginnst und dich dabei aufregst über all die vergangenen Beziehungen, die gegenwärtigen und die welche du innig erbittest! Denn der Kurs sagt, dass auf dieser Welt alle Beziehungen als spezifische Beziehungen beginnen und man sie gar nicht vermeiden kann. Das Verkehrteste, was man tun kann ist, sich dieser Beziehungen schuldig zu fühlen oder Angst davor zu haben. Denn das würde verhindern, dass der Heilige Geist diese Beziehungen benutzen kann, um uns von unserem wahrgenommenen Mangel zu erlösen. Der Kurs ist nicht gegen spezifische Beziehungen, aber er ist gegen das Festhalten am Zweck dieser Beziehungen. Dieser Zweck ist Schuld beizubehalten.

Die wichtigste Beziehung, die wir je haben, ist jene zu unseren Eltern. Es ist die stärkste und normalerweise am längsten andauernde Beziehung. Sie beginnt damit, dass wir vollkommen abhängig sind. Wir können also nicht verhindern, diese spezifischen Beziehungen in unserem Leben zu haben. Wenn wir perfekt wären und keine Schuld in uns hätten, so wären wir nicht in einem Körper und wir wären deshalb nicht hier. Die Tatsache, dass wir hier sind, zeigt uns an, dass wir unterbewusst, uns schuldig glauben. Und da Schuld immer projiziert werden muss, und außerdem Projektion immer in spezifischen Beziehungen erscheint, gibt es keine Möglichkeit in dieser Welt, derartige Beziehungen zu vermeiden. Deshalb ist der Zweck des Kurses uns erkennen zu helfen, was diese Beziehungen sind, uns erkennen zu helfen, welches Geschenk sie für uns sein können und wie wir sie nutzen können, um uns Erlösung vom Glauben an das Getrennt-sein zu bringen.

Ein Kurs in Wundern sagt, der Heilige Geist nehme uns die spezifischen Beziehungen nie weg, sondern er verändere sie nur. Wir sollen uns also wegen all unserer Beziehungen nicht schuldig fühlen, besonders in der Hinsicht darauf, was jetzt gleich besprochen wird. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie wir erkennen können, dass spezifische Liebe nichts anderes ist als überdeckter, spezifischer Hass. Erstens, indem wir betrachten, was uns zur anderen Person hinzieht. Denn wenn ich dich treffe und mich in dich verliebe, ist das eine spezifische Liebesbeziehung. Übrigens gilt das nicht nur für Beziehungen mit romantischem oder sexuellem Inhalt. Alle Beziehungen, in denen ich die Zustimmung eines anderen Menschen oder seine Aufmerksamkeit suche, sind spezifische oder besondere Beziehungen, z. B. Kind und Erwachsener, Erwachsener und Kind, Lehrer und Schüler oder Therapeut und Patient, sind alles verschiedene Formen von Besonderheit.

Beispiel: Einer fühlt sich dumm, macht irgendeinen Kurs, bewundert den Lehrer und respektiert ihn, d. h. entwickelt eine spezifische Beziehung zu ihm, weil er Zustimmung von ihm sucht, was ihm zeigen wird, dass er gar nicht dumm ist. Wenn er eine Eins erhält denkt er, der Lehrer sei der Größte. Und wenn die Note schlecht ist, hasst er ihn mehr als alle anderen. Deshalb haben spezifische Beziehungen nicht nur mit romantischen oder sexuellen Beziehungen zu tun.

Gehen wir nun zurück: Ich treffe dich und entscheide, dass du meine besondere Liebe bist, d. h., dass du die Person bist, die es mir ermöglicht, meinen Selbst-Hass, d. h. meine Schuld nicht spüren zu müssen, die unterbewusst in mir ist. Wenn du mir das also ermöglichst, mich selber nicht ansehen zu müssen, wie ich zu sein glaube, so verliebe ich mich in dich. Aber ich verliebe mich nicht in das göttliche Licht, das von dir ausgeht, nicht in die Schönheit deines Wesens als Gottes Schöpfung, sondern ich verliebe mich in die spezifische Form der Besonderheit (Ego-Attraktion), die du hast und die sich ergänzt mit der Besonderheit (Ego-Attraktion), die ich habe. Ich verliebe mich also in deine Fähigkeit, mein Bedürfnis zu befriedigen. Tief in mir fühle ich mich aber aufgrund meines Selbst-Hasses und meiner Schuld unwürdig und elend, d. h. ich fühle mich eigentlich unwürdig, von irgend jemandem geliebt zu werden. Und dann kommst du und  liebst mich. Was ich an dir liebe, ist nicht, was du bist, sondern deine Fähigkeit mich gut fühlen zu lassen über mich selbst. So muss ich mich nicht mehr damit befassen, was ich von mir selbst halte.

Dies führt natürlich zu einem widersprüchlichen Gefühl. Auf einer bewussten Ebene fühle ich mich dir gegenüber dankbar, wann immer ich dich sehe. Ich fühle mich als der glücklichste Mensch der Welt und ich denke, du seist der wunderbarste Mensch der Welt. Ich danke Gott jeden Tag für dich und fühle mich von Liebe erfüllt. Auf einer unterbewussten Ebene jedoch, fühle ich etwas ganz anderes. Denn unterbewusst werde ich an den Zweck erinnert, den ich dir in unserer Beziehung gegeben habe. Unter-bewusst bist du die Person, welche mich vor meiner eigenen Schuld beschützen muss. Du wirst also die Abwehr gegen meine Schuld. Dies bedeutet: wann immer ich mit dir zusammen bin, oder wenn ich an dich denke, werde ich unterbewusst immer daran erinnert, was du für mich symbolisierst, egal, was das Bewusstsein wahrnimmt. Du symbolisierst nämlich meine Schuld.

Da ich meine Schuld mehr hasse als alles in der Welt, muss ich auch die Person hassen, die mich an meine Schuld erinnert. Wenn also mein Bewusstsein mit Gedanken der Liebe erfüllt ist, ist mein Unter-bewusstsein mit Hass-Gedanken erfüllt. Ich muss die Person hassen, die andauernd als Symbol meines Hasses da ist. Deshalb sagen und lehren Psychologen, dass Abhängigkeit Verachtung erzeuge. Wir werden immer die Leute hassen, von denen wir abhängig sind, denn sie erinnern uns unterbewusst an das, was wir in uns selbst so verachtenswert finden, nämlich unsere Schuld. Im Kurs steht unter dem Titel „Die beiden Bilder“ folgendes: „Abwehr verursacht das, was sie abwehren sollte.“ Dies bedeutet: Der Zweck unserer Abwehr ist, uns zu schützen vor der Schuld, die uns so viel Angst macht. Und was uns so beängstigt, ist die Gefahr, zu nahe an unsere Schuld heran zu kommen. Aber genau die Tatsache, dass ich eine Abwehr habe, dass ich soviel Zeit und Energie aufwende, um diese Abwehr aufrecht zu erhalten, lehrt mich, dass etwas in mir ist, vor dem ich mich fürchte.

Wenn nicht all diese unterbewusste Schuld in mir wäre, bräuchte ich keine Abwehr. Mit anderen Worten: Abwehr oder Verteidigung scheint uns einerseits zu schützen vor dem Empfinden der Schuld, die wir so sehr fürchten. Aber auf einer tieferen Ebene wird die Schuld – vor der wir uns zu schützen suchen – nur verstärkt. Deshalb sagt der Kurs: „Abwehr verursacht das (in diesem Falle Schuld), wovon sie schützen sollte“. Die geliebte Person oder die geliebten Dinge, die ich wähle um meine Schuld unspürbar zu machen, genau diese verstärken unterbewusst unsere Schuld. Dies sagt uns das Ego nicht, doch genau das geschieht. Die zweite Art zu sehen, warum spezifische Liebe ein dünner Schleier über spezifischem Hass ist, besteht darin, zu beobachten, was geschieht, wenn die Flitterwochen vorbei sind. Die Flitterwochen sind jene Zeit, wo alles wie von selbst läuft. Ich erfülle dein Bedürfnis und du meines und alles ist fantastisch, weil unsere Abmachung noch funktioniert, dass ich dich vor deiner Schuld schütze und du mich vor meiner.

Als bildlicher Vergleich denken wir uns eine Schranktür. In den Schrank (unser Unterbewusstsein) ist die ganze Schuld gestopft, welche wir hassen. Die Idee ist, die Schuld im Schrank verborgen zu halten. Der spezifische Liebespartner wird zur Schranktür: solange er das tust, wozu der andere sie/ihn braucht. Das heißt, solange du mich gut fühlen lässt, bleibt die Schranktür geschlossen. Die Schuld ist unbewusst, ich spüre sie nicht. Das ist die Zeit der Flitterwochen; jeder gibt dem anderen, was er oder sie erwartet, und somit spürt keiner von beiden seine eigene Schuld.

Aber wenn sich die Flitterwochen dem Ende nähern und du meinen Idealvorstellungen nicht mehr ganz entsprichst, beginnt die Schranktür sich zu öffnen, d. h. aus dem Unterbewusstsein steigt eine gewisse Abneigung in unser Bewusstsein auf. Jetzt haben wir Probleme. Nehmen wir an, du rufst mich täglich zweimal an, ich fühle mich dadurch wertvoll und wichtig und spüre dadurch meine Schuld nicht. Plötzlich entscheidest du, mich täglich nur noch einmal anzurufen, d. h. 50% weniger. Die Ego-Version von Liebe ist mengen-abhängig; du liebst mich also 50% weniger; ich bin dir nur noch die Hälfte wert. Deshalb kommt ein Teil meiner Schuld hervor. Ich wollte aber immer vor meiner Schuld fliehen, sie also nicht spüren, denn ich habe halb-bewusst immer irgendwie vermutet, dass hinter meiner Schuld dieser rachsüchtige Gott steckt. Jetzt ist es mein Ziel, mich nicht mehr mit dem neu aufgekommenen Selbst-Hass, also dem Schuldgefühl auseinander setzen zu müssen. Ich möchte mich wieder als feinen Menschen wahrnehmen, aber was mache ich?

Ich beginne, dich irgendwie zu manipulieren, so dass du mich täglich wieder zweimal anrufst. Der beste Weg jemanden dazu zu bringen, etwas zu tun, das er eigentlich nicht will ist, in ihm ein Gefühl der Schuld aufkommen zu lassen. Schuld ist die große Motivation in der Welt. In meinen Augen ist diese andere Person unfair, und ich mache ihr ihre Schuld bewusst, während ich heimlich hoffe, sie werde wieder zu früherem Verhalten zurückkehren und mich zweimal täglich anrufen, was mich sehr gut fühlen lässt. Deshalb sage ich nun: „Du warst so eine nette, liebenswürdige, aufmerksame Person, und jetzt bist du so nachlässig und unfreundlich geworden. Du kümmerst dich nur noch um dich selbst und alle anderen sind dir gleichgültig. Man kann dir nicht mehr trauen.“ Ich hoffe somit, die Person werde sagen: „Es tut mir leid; ich werde wieder so sein wie vorher. Sei bitte nicht böse mit mir, denn ich komme mit meiner eigenen Schuld nicht zurecht.“ Und wenn das dann so funktioniert, geht die Schranktür wieder zu, und ich fühle mich wieder gut, weil ich meine Schuld nicht mehr spüre.

Aber nehmen wir an, es funktioniert nicht. Dann ruft die betreffende Person überhaupt nicht mehr an, weil sie vom Ganzen die Nase voll hat. Jetzt bekomme ich meine ganze Ladung Schuld zu spüren und reagiere völlig durchgedreht. Dann kommen Anschuldigungen wie: „Du hast mich ruiniert, ich werde mich umbringen. Ich kann nicht mehr essen und schlafe keine Nacht mehr.“ Es gibt dann keine andere Lösung, als sich dieses Mistviech vom Hals zu schaffen und jemand anderen zu finden, der mich liebt und somit verhindert, dass ich meine Schuld (Selbst-Hass) spüre. Darum sagt der Kurs vom Ego: „Ein anderer (Mensch) kann gefunden werden.“

Das Ego lässt sich mit einer endlosen Kette von Beziehungen ein. “Wenn du mir nicht mehr dienst, kümmere ich mich nicht mehr um dich”. Meine bedingte Liebe ist nun in Hass verwandelt, was sie im Grunde schon immer war. Und jetzt finde ich eine andere Person für mein Spiel, genannt besondere Beziehungen. Dieses Reaktionsmuster ist der verheerendste Teil der Existenz von uns allen. Dieses Reaktionsmuster kann mit Sicherheit als das Problem der Welt bezeichnet werden. Der Kurs sagt deshalb von diesen Beziehungen, in ihnen liege die ganze Schuld der Menschheit. Der Zweck der besonderen Beziehungen sei, die Schuld zu verstärken, immer wieder anzugreifen und dadurch das Egodenken weiter zu verstärken.

Immer wenn wir jemanden benutzen, um unser Bedürfnis zu befriedigen, oder es auch nur versuchen, so ist das ein Angriff, da die Absicht ausbeuterisch ist. Denn wir sehen die Person nicht so, wie sie von Gott erschaffen worden ist, wir sehen sie nicht als Teil unseres einen, wahren SELBSTES, sondern wir sehen jeden Menschen als ein Ich, ein Ego. „Was kann dein Ego, für mich tun?“ oder “Wie kannst du mir nützlich sein?“ Wenn wir jemanden als Ego sehen, greifen wir die Person an, genauso wie wir Gott angriffen, vor langer Zeit, als wir uns zu trennen glaubten. Alle Besonderheit ist deshalb eine Verleugnung der Wirklichkeit von dem, was wir beide sind. Es gibt niemanden, der dies nicht tut. Wenn du das nicht glaubst, bist du ganz einfach nicht ehrlich mit dir selber, denn das ist die Ich-Dynamik. Besondere Beziehungen sind der äußerste Ausdruck des Egodenkens. Darin habe wir alle teil. Der Zweck des Kurses ist nicht, uns über unsere Beziehungen schuldig zu fühlen, sondern uns zu zeigen, was wir fälschlich als Wirklichkeit festgelegt haben.

Der Kurs sagt, das Ziel des Ego sei immer Mord. Und er meint dies wörtlich. Der Höhepunkt der besonderen Beziehungen ist, die andere Person zu zerstören. Denn wir glauben fälschlich, wir würden zerstört. Dies ist das grundsätzliche Egodenken. Es beginnt mit Schuld und es endet mit Schuld. Wenn wir im Egodenken feststecken – wie im Treibsand – so gibt es keinen Weg hinaus. Das Egodenken ist vollkommen logisch und folgerichtig. Wenn wir eine Ego-Überzeugung angenommen haben, nämlich, dass wir von Gott und allen geistigen Wesen getrennt sind, so haben wir alle anderen Ego-Überzeugungen auch angenommen.

Diejenigen, die sich an das Fach Logik in der Schule erinnern, werden wissen, dass man ein perfekt logisches System haben kann, das falsch ist, weil es auf einer falschen Annahme (Prämisse) gründet. Trotzdem ist das System aber logisch. Das Egodenken ist genauso. Das Endergebnis des Egodenkens ist Tod, denn es ist zwar logisch, beginnt aber mit der falschen Annahme, nämlich, dass unsere Trennung von Gott wirklich sei. Deshalb ist das gesamte Egodenken falsch. Das hindert uns aber nicht daran, in diesem Denken gefangen zu sein und an es zu glauben. Einmal im Egodenken gefangen gibt es keinen Weg hinaus – indem wir uns selbst etwas Kluges ausdenken – außer, es komme Hilfe von außerhalb des Ich-Denkens. Wir sind alle in unserem eigenen Denken gefangen, d. h. wir sind hier in einem Körper gefangen, der eine Projektion unseres falschgesinnten Geistes ist. Also können wir uns selbst nicht helfen.

Das einzige, das uns aus diesem Ich-Denken befreien kann, ist natürlich Gott. Und der Teil von Gott, der in diese Erdenwelt hineinreicht, wird „heiliger- oder göttlicher Geist“ genannt. In dem Moment, als die Trennung geschah, bzw. zu geschehen schien, erschuf Gott den Heiligen Geist und platzierte ihn in uns, wo das Problem, d. h. unser Glaube, wir seien von Gott getrennt, eben ist. Wohlgemerkt, der Heilige Geist ist nicht in der Welt. Er wirkt nicht in der Welt, sondern in unserem Geist. Warum?

Weil es laut Kurs keine Außenwelt gibt. Es gibt nur einen Glauben an diese Welt. Und diese Welt hat nie den Geist verlassen, der die Welt erdacht hat (Ideen, d. h. Gedanken, verlassen ihre Quelle nicht). Gott hat deshalb den Heiligen Geist in unserem Geist “getan“, denn dort entstand der Fehler, d. h. unser falscher Glaube, wir seien von Gott getrennt. In unserem Geist wird der Gedanke, dass wir von Gott getrennt sind, durch den heiligen Geist berichtigt, doch nur, wenn wir dies wollen. Mit dem heiligen Geist in uns, sind wir nicht von Gott getrennt. Im Kurs wird der heilige Geist auch als Kommunikationsverbindung zwischen Gott und seiner einen, geistigen Schöpfung, wovon wir alle ein Teil sind, bezeichnet. Diese eine Schöpfung wird übrigens im Kurs als das wahre SELBST bezeichnet. Wir glauben immer noch, diese Welt sei wirklich, doch besagt der Kurs, dass wir im Grunde schlafen, während wir bei Gott sind und träumen, wir seien in der Welt, bestehend aus Materie, Energie, Raum und Zeit. Der Beginn des falschen Glaubens, es könnte noch etwas anderes geben als die Vollkommenheit in Gott, ist die Zeit, als wir einschliefen.

Der  heilige Geist kommt deshalb in unseren Traum, den wir als Wirklichkeit erfahren und verbindet sich dort mit uns, wenn wir dies wollen, damit wir sanft erwachen können. Leider sind wir immer noch nicht sicher, dass das, was der heilige Geist uns sagt, wahr ist. Ein anderes Bild, das die gleiche Situation darstellt, ist folgendes: Wir sinken wie im Treibsand und das Ich-Denken drückt uns noch tiefer hinein, indem es uns sagt, es errette uns durch unsere Angriffe auf andere. Es gibt aber den heiligen Geist, der gleichbedeutend ist mit der Stimme Jesu, die sagt: „Nimm meine Hand, und sie wird dich aus dem Treibsand hinausführen.“ Das Problem ist nun ein offensichtliches: Das Ego hat uns gelehrt, dass wir noch viel schlechter dran wären, wenn wir auf die Stimme des heiligen Geistes hören würden. Deshalb denken wir uns jeweils selbst eine Lösung aus, wodurch wir noch tiefer sinken. Deshalb kann man sagen, der Kurs mache uns klar: Erstens, dass es zwei Stimmen gebe, die zu uns sprechen oder zwei Hände, die bis zum Treibsand hinunterreichen. Von den zweien, gebe es nur eine, die uns helfen werde.

Der Kurs versucht, uns zu lehren, wie die zwei Stimmen zu unter- scheiden sind. Er versucht auch, uns zu überzeugen, dass der  heilige Geist uns vom Glauben an das Getrennt-sein erlösen werde. Dazu gibt es eine wunderbare Stelle im Übungsbuch, die Lektion 70, in der es heißt, wir sollen versuchen, durch die Wolken der Schuld hindurch zu kommen. Und dann sagt Jesus in der Lektion 70: „Wenn es dir hilft, so denke, dass ich deine Hand halte und dich führe. Und ich versichere dir, dies wird kein leeres Trugbild sein“. Das Mittel, um uns durch die Wolken der Schuld zu bringen, ist Vergebung. Denn es ist Vergebung, die uns lehrt, dass wir nicht die Führung des Ego wollen, sondern die Führung des heiligen Geistes.

Meistens hören wir die Ego-Stimme, die uns rät, anzugreifen, indem wir Gefühle der Manipulation, der Schuld und der Abhängigkeit haben. Doch jetzt werden wir uns einer anderen Stimme bewusst, die uns etwas ganz anderes sagt. Es ist grundsätzlich einfach zu begreifen, was Vergebung erreicht, sofern wir verstehen, was der Erlösungsplan des Ego ist. Wirkliche Erlösung bewirkt die Aufhebung des Ego. Der Kurs lehrt: „Vergebung tut nichts, außer rückgängig zu machen, d. h. ungeschehen zu machen oder wieder in Ordnung zu bringen“. Eine wunderbare Kurs-Stelle sagt: „Gott vergibt nicht, denn er hat nie verurteilt“. Vergebung hat nur einen Sinn, wenn zuerst verdammt oder verurteilt worden ist. Daher sei wiederholt: Vergebung ist das Ungeschehenmachen von dem, was das Ego getan hat. Vergebung ist die Berichtigung des Ego durch den heiligen Geist. Der Kurs nennt es auch Sühne, was gleichbedeutend ist mit göttlicher Berichtigung unseres Egodenkens.

Stellen wir uns einmal vor, dass jeder von uns ein Filmprojektor ist. Der Film, der andauernd durch unseren Geist (Kopf) läuft, ist ein Film unserer Schuld. Wir haben über diese Schuld gesprochen. Sie ist all das, was in der Falschgesinntheit enthalten ist, also Sünde, Schuld, Angst, Verdrängung und besondere Beziehungen. Jetzt projizieren wir diesen Film – projizieren heißt ja hinauswerfen – und sehen ihn, in unserem Alltagsleben, wie auf einer Leinwand vor uns ablaufen. Auf der Leinwand, d. h. im Alltag erscheinen all die Menschen und Situationen, die unser Leben sind, von der Geburt bis zum Tod. Wir schauen alles durch den Filter unserer eigenen Beurteilung an, sodass die Leute auf der Leinwand nicht göttliche Wesen sind, sondern durch den Filter unserer Schuld betrachtet werden. Deswegen sind sie entsprechend verzerrt.

Auf diese Weise wird im Kurs immer wieder aufgezeigt, dass es da draußen keine Welt gibt. Auf der Leinwand gibt es ebenfalls nichts, jedoch scheint es, dort etwas zu geben und zwar sehr wirklichkeitsnah! Es ist die Welt unserer Gedanken, die wir außerhalb von uns abgebildet sehen, genau wie im Kino. (siehe Text, Seite 449, Kapitel 21) Die ersten 50 Übungsbuchlektionen präsentieren uns diese Idee sehr klar, nämlich dass es keinen Unterschied gibt zwischen der Innenwelt, d. h. dem Projektor und der Außenwelt, d. h. der Leinwand. Die moderne Physik lehrt genau dasselbe: Wir glauben, es gäbe eine Innenwelt und eine Außenwelt, ein Subjekt und ein Objekt. Aber das ist Teil der Illusion. Das wissen wir seit dem Umsturz der Physik von Isaac Newton (geboren vor rund 350 Jahren), die besagte, dass wir alles außerhalb von uns studieren, messen, voraussagen und kontrollieren können.

Quanten-Physiker haben uns jetzt aber gezeigt, dass dies nicht wahr ist. Denn wir sind ein Teil von dem, was wir studieren, d. h. was ich in dir sehe, ist das, was ich eigentlich in mir habe. Daher lehrt der Kurs, dass Projektion die Wahrnehmungen bewirkt, denn unsere Wahrnehmung wird erst durch unser Projizieren gemacht. Wir haben immer irgendeine innere Haltung und wie sie sich anfühlt, bestimmt, was wir außerhalb von uns sehen. Wenn ich z. B. am Morgen übellaunig aufwache, so sehe ich die Welt als unfreundlich und bedrohlich. Und in dieser Welt fühle ich mich verletzlich. Wenn ich aber aufwache und mich gut über mich fühle, d. h. die Liebe Gottes in mir spüre, dann sehe ich genau die gleiche materielle Welt, jedoch, wie man sagt, mit anderen Augen. Ich sehe überall Menschen, mit denen ich mich EINS fühle, d. h. die den gleichen Weg zurück zu Gott gehen wie ich.

In der Außenwelt hat sich nichts verändert, sondern ich habe mich mit dem heiligen Geist verbunden und fühle mich daher wohlwollend anderen gegenüber und in Frieden. Das Ego, dessen Erlösungsplan uns auffordert anzugreifen, lässt uns alle Aufmerksamkeit auf die Außenwelt konzentrieren. Das Egodenken sagt uns: „Dein Problem ist nicht der Film, welcher durch deinen Geist läuft, also nicht die Vorstellung, die du von dir selber hast, sondern die Situationen, die du in deiner Außenwelt antriffst“. Als das Ego in unserem Geist erschien, d. h. als wir begannen zu glauben, wir seien von Gott getrennt, gab Gott uns gleich die Lösung zum Problem, die er, wie schon erwähnt, in unseren Geist platzierte. Gott gab uns den Heiligen Geist. Das Egodenken war das Problem und Gott gab die Lösung dazu. Doch diese Lösung will das Ego nicht. Denn es hat uns gelehrt, das Erschreckendste in der Welt sei, nach innen zu schauen und die grauenhafte Sünde zu sehen, die wir begangen zu haben meinen. Diese Sünde ist unser Getrennt-sein-wollen von Gott.

Was uns das Ego nicht sagt, ist, dass wir den zornigen Gott nicht antreffen werden, wenn wir nach innen schauen, sondern den liebenden Schöpfer, der bereit ist, uns – symbolisch gesehen – mit ausgestreckten Armen zu empfangen, in dem Heim, das wir in Wahrheit nie verlassen haben. Wir sprechen hier das berühmte Gleichnis des verlorenen Sohnes an, das eigentlich „der liebende Vater“ genannt werden sollte. Das Ego sagt uns aber: „Wenn du nach innen schaust, wirst du ausgelöscht oder zerstört werden, weil du die Ungeheuerlichkeit deiner Sünde entdecken würdest.“

Was das Ego uns nicht sagt ist, dass es in Wahrheit keine Sünde gibt und das Ganze nur erträumt ist. Der heilige Geist in uns sagt genau das. Deshalb will das Ego uns so weit wie möglich von unserem Geist entfernen. Es erfindet dazu die überwältigende Lüge, wie Gott uns zerstören wolle, indem er sich für unser Getrennt-sein-wollen, an uns rächen werde. Deshalb fliehen wir von unserer Innenwelt, indem wir uns eine Außenwelt erträumen. Wir projizieren nämlich die Schuld von uns hinaus und dann sehen wir sie in anderen Menschen, eben in der Außenwelt, welche die Projektionsfläche unserer Innenwelt ist. So hat das Ego das Problem von der Lösung, dem heiligen Geist, entfernt, d. h. abgetrennt, und uns überzeugt, dass all unsere Probleme da draußen in der Welt seien. Deshalb glauben wir folgende, unwahre Behauptung: „Du bist der Grund für alles, was ich fühle.“ Das heißt:

„Ich bin das schuldlose Opfer von dem, was du mir angetan hast.“ Somit sehen wir eine Welt von Gut und Böse, eine Welt von Siegern und Besiegten. „Ich glaube, ich bin das schuldlose Opfer von dem, was du mir angetan hast.“ Doch was ich wirklich getan habe, das ist von innen nach außen projiziert worden. Denn Gott, so glauben wir fälschlich, sei das Opfer unseres Angriffs, weil das Getrennt-sein-wollen von ihm bedeutet, ihn angegriffen zu haben. Somit glauben wir, Gott werde es uns heimzahlen und davor haben wir tatsächlich große Angst. Das ist die grundlegende Ursache für unseren Glauben, wir seien Opfer. Jesus kam, um uns zu zeigen, dass dieser Glaube ein Irrtum ist. Das Ego bewirkt, dass wir glauben, da draußen in der Welt zu sein. Das Ego überzeugt uns, unsere Probleme seien in der Welt allerdings in jemand anderem, nicht in uns. Der heilige Geist bedient sich aus diesem Grund, der erfolgreichen Ego-Projektion. Der heilige Geist benutzt nämlich diesen Mechanismus, um das zu berichtigen, was das Ego getan zu haben glaubt. Damit befreit er uns von unserer Schuld. Der heilige Geist tut in diesem Zusammenhang folgendes:

Wenn das, was ich in dir angreife, mein eigenes Selbst ist, worüber ich mir jedoch nicht bewusst bin, so erinnere ich mich, dass vor der Projektion stets meine Schuld-Verdrängung vorhanden war. Somit ist die Schuld, die ich in dir sehe eigentlich die Schuld in mir, die ich aber wegen meiner Verdrängung nicht wahrnehmen kann.
Wenn du nun daherkommst und ich finde, du seist für irgend etwas schuldig, geschieht folgendes, wenn ich mir erlaube, mich mit dem heiligen Geist zu verbinden: Ich sehe in dir zwar all die Schuld, die ich in mir nie sehen konnte (wegen der Verdrängung meiner eigenen Schuldgefühle), übergebe aber meine Wut (bewirkt durch meine Schuld), die ich in dir sehe dem heiligen Geist. Wie?… Indem ich mein Aufgewühltsein zusammen mit ihm urteilslos betrachte. Das ist Vergebung, denn die in der Außenwelt wahrgenommene Schuld, ist eine Widerspiegelung meiner eigenen Schuld.

Am Ende des Kurs-Textbuches gibt es eine Stelle, die „unsere geheimen Sünden und verborgenen Hassgefühle“ erwähnt. Wir können nichts dagegen tun, denn die Hass-Gefühle sind verborgen und die Sünden sind geheim (unterbewusst). Wir können nichts tun gegen etwas, das uns nicht bewusst ist. Wenn ein Problem nicht wahrgenommen wird, kann es nicht gelöst werden. Wenn du nun in mein Leben trittst und ich meine geheimen Sünden und unterbewussten Hassgefühle in dir sehe, d. h. auf dich projiziere, so habe ich eine günstige Gelegenheit gefunden, um verstehen zu lernen, dass deine Sünden und Hassgefühle im Grunde meine eigenen Sünden und Hassgefühle sind. Denn jetzt sind sie in meinem Alltag sichtbar geworden, dadurch, dass ich mich aufgewühlt fühle durch dein Benehmen. Und jetzt, wo ich weiß, was es ist, kann ich mich anders besinnen, d. h., das gleiche Problem („du bist schuldig, nicht ich“), anders betrachten, anders verstehen.

Die gleiche Dynamik, die das Ego benutzt, um unsere Schuld zu verstärken, wird vom heiligen Geist auch genutzt, um uns vom inneren Aufgewühlt-fühlen zu erlösen, das durch unsere Schuldgefühle bewirkt wurde. Wenn ich dich als Feind betrachte, so kann ich nie sehen, dass der wahre Feind in mir selber ist. Darum sagt der Kurs, wir sollten am dankbarsten sein für die Menschen, die uns am meisten Schwierigkeiten bereiten. Denn sie sind es, die das an die Oberfläche bringen, was wir an uns selber am meisten hassen. Wenn du von diesem Vortrag nur diese eine Information mitnimmst, dann wirst du sehr viel mit nach Hause nehmen. Denn das ist alles, was du im Kurs wirklich verstehen musst. Wenn wir wütend, ängstlich, deprimiert, enttäuscht und zurückgewiesen werden, so ist das immer eine Gelegenheit zu erkennen, was wir in uns verdrängt haben.

Ego-Projektion
Darstellung der Ego-Projektion

Gespiegelt werden uns die Unterdrückungen von Leuten, die uns wütend machen oder ängstlich machen oder deprimiert, d. h. von Leuten die uns enttäuschen oder zurückweisen. Wenn wir diese Gefühle als Widerspiegelungen unserer eigenen Schuld erkennen, so können wir unsere Ansicht ändern, d. h. die Betrachtungsweise der gegenwärtigen Situation ändern. Daher sind unsere scheinbaren Feinde in Wirklichkeit unsere größten Geschenke. Lasst uns jetzt besprechen, was folgende Äußerung im Kurs bedeutet: „Wenn wir andere Menschen angreifen, so greifen wir im Grunde uns selber an“. Das scheint nicht der Fall zu sein.

Dieses Prinzip wird in der Übungsbuch-Lektion 134 beschrieben. Da heißt es: „Lass mich die Vergebung wahrnehmen, wie sie ist“. Etwa in der Mitte der Lektion steht, dass wenn wir jemanden beschuldigen, etwas Verwerfliches zu tun, wir uns zuerst fragen sollten: „Müsste ich mich dessen anklagen?“ Denn das ist immer der Fall. Wenn wir jemanden wegen etwas beschuldigen so ist das, weil wir unterbewusst glauben, uns diesbezüglich selbst anschuldigen zu müssen.

Wenn ich z. B. in den Nachrichten höre, jemand sei vergewaltigt worden und ich äußerst wütend werde auf den Sexualverbrecher, heißt das zwar nicht, dass ich selbst vergewaltigen würde. Meine schreckliche Wut bedeutet jedoch, dass ich mich beschuldige, in Bezug auf die Bedeutung der Vergewaltigung, d. h. meinen oftmaligen Versuch, meinen Willen jemandem aufzuzwingen, jemanden zu manipulieren oder zu zwingen, das zu tun, was ich will, der andere aber nicht. Vergewaltigung ist – der Bedeutung nach – nichts anderes als ein Ausleben eines Bedürfnisses, ohne sich jedoch darum zu kümmern, was dieses Ausleben bei der anderen Person bewirkt. Und wer hätte so was noch nie getan? Wir tun es vielleicht nicht in der gewalttätigen Form der Vergewaltigung, aber wir tun es alle dem Sinne nach. Wir identifizieren uns nämlich ganz allgemein nicht mit dem, was wir tun sondern wir identifizieren uns mit der Bedeutung von dem, was wir tun. In unserem Beispiel ist es das Vergewaltigen.

Das extremste Beispiel dazu ist Hitler, der Mann, der eine der größten Sünden der Welt symbolisiert. Dieser Mann gab der Welt eigentlich ein großes Geschenk, allerdings ohne dies zu beabsichtigen! Das Geschenk ist, dass er uns in einer fast unglaublichen Explosion zeigte, was das mörderische Egodenken bedeutet, wenn es ausgelebt wird.

Wenn du den Kurs liest und darin erfährst, was das Egodenken tatsächlich ist, so wird dir klar, dass wir es mit einem paranoiden Denken zu tut haben (paranoid = intelligent, geistesgestört, mit Verfolgungs- und/oder Größenwahn). Das Egodenken ist der Glaube, die Welt wolle uns unterkriegen. Es ist der Glaube, wir seien die Opfer der Welt. Deshalb, so sagt uns das verrückte oder paranoide Egodenken, bestehe die einzige Methode, um sicher zu sein, darin, anzugreifen. Dieses System ist in der Grundstruktur von uns allen enthalten. Was Hitler tat, war, dieses Denken in der radikalsten und extremsten Form auszuleben. Aber jeder von uns hat einen Hitler in sich. Jeder von uns versucht, sich zu schützen und sich gegen die überwältigende Unzulänglichkeit zu verteidigen, die er in sich spürt, indem er versucht,  jemand anderen herunter zu machen.

Wenn wir uns also versucht fühlen, einen Bösewicht anzugreifen, was jedem Betrachter einer schrecklichen Szene als logisch erscheinen würde, dann tun wir, was Lektion 134 empfiehlt, nämlich, zu vermuten, dass etwas Ähnliches in uns ist, wie das was wir dem Bösewicht in der Außenwelt vorwerfen möchten. Das ist ein Prinzip ohne Ausnahme. Ob es jemand in deinem Privatkreis ist, dein Lebenspartner, dein Kind, dein Freund, dein Arbeitgeber oder jemand, von dem du in der Zeitung liest und der dich innerlich aufwühlt, das Prinzip ist stets dasselbe. Was immer Aufwühlendes wir auf unserer Leinwand, d. h. in unserem Leben sehen, ist ein Warnzeichen, das uns sagt: „Es ist etwas in mir, das unbewusst war und das ich hasse. Ich habe jetzt leider entschieden, es jetzt in dir zu sehen. Wenn es meine Sünde ist, die ich in dir sehe, dann vergebe ich mir selbst, wenn ich dir vergebe. Wenn ich dich aber für deine dunklen Seiten verfluche, dann verfluche ich mich selbst. Denn was mich an dir stört, ist eine Widerspiegelung meiner eigenen, dunklen Seite.

Ego und Vergebung

Erinnern wir uns, was der Kurs ganz klar hervorhebt: Es gibt keine Außenwelt. Es scheint nur, eine zu geben. Die Innenwelt und die Außenwelt sind in Wirklichkeit dieselbe. Wenn ich über das Getrennt-sein hinwegsehen will, und stattdessen das göttliche Licht sehe, das in dir strahlt, so tue ich dasselbe für mich. Das ist Vergebung wie sie der Kurs lehrt.

Wir können den Prozess der Vergebung in drei einfache Schritte unterteilen, die jedoch nicht leicht durchzuführen sind. Sie geschehen im Grunde nicht einmal als getrennte Schritte, sondern sie finden alle gleichzeitig statt. Aber es ist hilfreich, sie als drei getrennte Schritte zu betrachten. Der erste Vergebungs-Schritt ist, wahrzunehmen, dass das Problem, das wir in der Außenwelt sehen und das uns bewegt, z. B. jemand der uns beschimpft, dass diese Hassäußerung nur die Projektion von dem ist, was in uns selbst verborgen liegt. Was wir also beim ersten Schritt tun ist, die Dynamik der Projektion umzukehren. Denn die Schuld-Projektion sagt fälschlich: „Die Schuld ist nicht in mir, sondern in dir“. Wenn wir die Dynamik der Projektion jetzt umkehren, sagen wir: „Die Schuld ist nicht in dir, sondern in mir“. Egal was du getan hast: „Der wirkliche Grund, dass ich so aufgewühlt bin, liegt in einer Entscheidung, die ich getroffen habe. Es ist demnach mein Problem, nicht deines. Dein Problem ist dein Problem, aber mein Problem ist, wie ich dein Problem betrachte“.

Der Grund, dass wir uns so sehr gegen diesen ersten Schritt sträuben, ist unsere tiefe Überzeugung, dass Wut gerechtfertigt ist. Wir erhalten die Illusion aufrecht, in einer Welt von Siegern und Besiegten zu leben, die Illusion also, in einer Welt des Getrennt-seins zu leben. Wenn wir aber den ersten Schritt getan haben, so haben wir das Problem genommen und es dorthin zurückgebracht, wo die Lösung ist. Wir haben dann folgendes erkannt: „Das Problem ist nicht da draußen in der Welt, sondern mein Problem ist in mir, d. h. das Problem ist, wie ich denke und wie ich wahrnehme“. So nehmen wir also das Problem von dort, wo es das Ego hingetan hat – in irgend etwas nur nicht in uns – und wir sagen jetzt richtigerweise: „Das Problem ist in mir“, d. h. dort, wo auch der heilige Geist ist. Dies bedeutet also, das Problem zur Lösung, also zum heiligen Geist zu bringen.

Wenn es auch schwierig ist, den ersten Schritt zu tun, so ist es noch schwieriger, den zweiten Vergebungsschritt richtig durchzuführen. Den Schritt wollten wir schon das ganze Leben lang vermeiden. Wenn wir ihn jetzt tun, müssen wir uns mit der schrecklichen Illusion auseinandersetzen, die uns das Egodenken als Wahrheit vorgegaukelt hat, nämlich, dass die Schuld außerhalb von uns vorhanden sei, niemals aber in uns. Im zweiten Schritt stellen wir verblüfft fest, dass der Bösewicht nicht außerhalb von uns ist, sondern in uns. Dazu sagt die Übungsbuch-Lektion 170: „Dieser Moment kann schrecklich sein“. Denn der Mörder ist in uns und wendet sich gegen uns selbst, wenn wir andere angreifen oder uns von ihnen angegriffen fühlen. Dies ist natürlich der grundlegende Ausdruck von Schuld, nämlich Selbst-Hass.

Selbst-Hass ist gleichbedeutend mit der Absicht, sich selbst zu zerstören. In diesem zweiten Vergebungs-Schritt müssen wir uns klar werden, dass genau so wie die Wut, die eine Entscheidung ist, andere zu beschuldigen, für das, wofür wir uns unterbewusst selber beschuldigen, dass also unsere Schuld ebenfalls eine Entscheidung ist. Es ist die Entscheidung, uns nicht als schuldlose Geschöpfe Gottes zu betrachten, sondern als schuldige Geschöpfe des Ego. Deshalb müssen wir uns über diesen Fehler im zweiten Vergebungs-Schritt anders besinnen. Es ist hier wichtig, uns daran zu erinnern, dass der Glaube an Sünde nur ein falscher Glaube ist. Deshalb sagen wir nun zu uns: „Ich habe mich als schuldig betrachtet. Jetzt betrachte ich mich als schuldlos“. Nur diese zwei ersten Schritte werden von uns verlangt. „Nur“ heißt es! Aber das ist eine Menge.

Der dritte Vergebungs-Schritt wird nicht von uns, sondern vom heiligen Geist durchgeführt. Das ist, wenn er die Schuld von uns wegnimmt, was wir als Gefühl der großen Erleichterung empfinden. Da wir uns selber die Schuld verschafft haben und darum im eigenen Denken (Egodenken) gefangen sind, können wir uns nicht selber daraus heraus helfen. Das ist die Aufgabe des heiligen Geistes. Unsere Aufgabe ist es zu wollen, dass der heilige Geist uns von unserer Schuld befreit. Und dieses Wollen nennt der Kurs „die kleine Bereitwilligkeit“, uns mit dem Geist der Heiligkeit zu verbinden.

Wir gehen nun zum Bild zurück, das wir vorhin gemacht haben: Die ersten zwei Vergebungs-Schritte stellen unsere Entscheidung dar, die Hilfe des heiligen Geistes zu anzunehmen, statt die Denkweise des Ego. Die Hilfe des Ego bedeutet Wut, Angriff und Schuld. Die Hilfe des heiligen Geistes jedoch, ist eine der Erlösung aus unserer vorgestellten Schuld. Die ersten zwei Schritte lehren uns, dass wir uns mit der urteilslosen Betrachtungsweise des Geistes der Heiligkeit verbinden, was uns aus unserer Schuld heraushebt. Das also ist grundsätzlich was wahre Vergebung bedeutet.

Wir gehen nun nochmals alles kurz durch, was wir heute über das Ego gesagt haben. Nimm zur Kenntnis, was die Absicht des Ego ist, d. h. die grundsätzliche Absicht unseres eigenen Denkens. Seine Absicht ist, sich zu schützen, indem es unsere Aufmerksamkeit von unserer Schuld ablenkt. Es tut dies durch Projektion, welche bewirkt, dass wir die Außenwelt als schuldig betrachten, uns selber jedoch nie. Dies lässt uns noch schuldiger fühlen und lässt das Egodenken weiterhin an der Macht.

Die Lösung dieses Problems ist, jemanden zu betrachten, den wir verurteilt, oder als Feind eingestuft haben und dann unsere Einstellung gegenüber dieser Person zu verändern. Diese Wahrnehmungs-Verschiebung wird vom Kurs Wunder genannt. Und das ist die ganze Bedeutung von Vergebung.

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Kenneth Wapnick


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