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Abschnitt I. Das Phänomen der Sexualität | Abschnitt II. Die Glorie des Brahmacharya | Abschnitt III. Die Technik der sexuellen Sublimation | Abschnitt IV. Ein Symposium


Abschnitt IV. Ein Symposium

23. Kommentare von Swami Chidananda
23.1 Die Aufrechterhaltung der Arten
23.2 Die Kraft des Brahmacharya
23.3 Die Aufgaben der Familienväter
23.4 Brahmacharya in der modernen Gesellschaft
23.5 Vorteile des Brahmacharya
23.6 Bücher über Brahmacharya

24. Die überragende Bedeutung des Brahmacharya (Swami Chidananda)
24.1 Die vier Ziele des Lebens
24.2 Die Bedeutung des Dharma
24.3 Energieerhaltung im spirituellen Leben
24.4 Die sexuelle Energie
24.5 Der menschliche Körper verglichen mit einer Villa
24.6 Wie man über die Sexualität hinauswächst
24.7 Freiwilliges Zölibat ist keine Unterdrückung

25. Brahmacharya – Ausdruck des Bewusstseins (Swami Krishnananda)
25.1 Wie die sexuelle Energie vergeudet wird
25.2 Brahmacharya und Brahma-Verwirklichung
25.3 Das Individuum – Ein Zentrum des Drucks
25.4 Stress und Spannung – Ursache und Heilung
25.5 Durch die Sinne droht Verwüstung
25.6 Wünschen – ein metaphysisches Übel
25.7 Befreiung aus der Umklammerung der Natur

26. Geburtenkontrolle (Swami Sivananda)
26.1 Anweisungen für Familienväter
26.2 Die Bevölkerungsentwicklung sollte kontrolliert werden
26.3 Gefahr der künstlichen Verhütung

27. Wird sexuelle Energie in Ojas Shakti umgewandelt?
27.1 Das Sexualleben der Löwen und Tiger
27.2 Erleuchtung = selbstinduzierte epileptische Mikroanfälle?

28. Nachträge
28.1 Der Bestseller Autor Napoleon Hill über die Enthaltsamkeit
28.2 Der kulturelle Einfluss auf die Sexualität
28.3 Führt Enthaltsamkeit zur Impotenz?
28.4 Der Sufismus und das Zölibat

23. Kommentar von Swami Chidananda

8. Spirituelle Anweisung: Bewahre die lebenswichtige Kraft, den männlichen Samen, sehr sehr sorgfältig. Der Same ist Ausdruck Gottes, göttliche Kraft. Der Same ist Energie, er ist die Quelle des Lebens, der Gedanken und der Intelligenz. Brahmacharya ist die dritte der fünf Verhaltensregeln in den Yoga-Sutras von Maharshi Patanjali. Brahmacharya wird in praktisch allen Heiligen Schrift der Veden, der Bhagavata, des Ramayana und in allen Puranas erwähnt. Es ist ebenso in allen Yogas enthalten, im Bhakti Yoga, im Jnana Yoga, im Hatha Yoga und im Raja Yoga. In der hinduistischen Tradition sind drei grundlegende Regeln für die Praxis der spirituellen Entwicklung festgelegt. Sie sind Nichtverletzen, Ehrlichkeit und Keuschheit. „Wenn du höchste Glückseligkeit wünschst, dann gib den Wunsch nach sinnlichen Genüssen auf, und wie Nektar werden die dreifachen Tugenden der Keuschheit, des Nichtverletzens und der Ehrlichkeit dich mit Seligkeit erfüllen.“ Durch die Jahrhunderte bestimmte diese Lehre das Streben nach höherer Spiritualität.

Im Rahmen des christlichen Glaubens, der durch Jesus von Nazareth gelehrt wurde, sind Glaube, Hoffnung und Nächstenliebe die Kardinaltugenden. Innerhalb des Christentums sind die Mönchsorden eine christliche klösterliche Tradition. In dieser klösterlichen Tradition sind drei Gelübde unentbehrlich. Dies sind Armut, Keuschheit und Gehorsam. Es ist das Gelübde der Mönche. Es ist das Gelübde der Mönche und Priester in den Priesterseminaren, als auch das Gelübde der Nonnen in den Nonnenklöstern. Es bestand auch in der vorchristlichen Zeit, für die mystischen Orakel von Delphi in Griechenland. Nur keusche Priesterinnen waren qualifiziert, in Trance den Willen Gottes zu erbitten, der dann von den Oberpriestern interpretiert wurde. Diese keuschen Priesterinnen hatten ihr Leben Gott und ihrer Aufgabe gewidmet. Man war davon überzeugt, dass Gott seinen heiligen Willen, nur solchen Jungfrauen mit reinem Geist und reinem Herzen offenbaren würde. Sie wurden die unberührten Jungfrauen von Delphi genannt. So begann die Tradition des Brahmacharya, der Keuschheit, der Selbstkontrolle, der sexuellen Reinheit, nicht erst im Christentum, es gab sie bereits innerhalb der Tradition des Judentums.

Anmerkungen des Übersetzers:

Zölibatäre Juden

Die bekanntesten zölibatären Juden des Alten Testaments waren Josua (1.230 v.Chr.), der Sohn Nuns, der Moses diente und später sein Nachfolger wurde, der biblischen Prophet Elija (Elias), der im 9. Jahrhundert vor Christus lebte und als Vater des monastischen (mönchischen) Lebens betrachtet wird und Gideon (zwischen 1.230 und 1.000 v.Chr.), der Israel aus der Hand der Medianiter rettete.

Bereits in der religiösen Überzeugung und dem Glaubensleben des Judentums nahm Elija einen außerordentlichen Platz ein, so dass das Auftreten Johannes des Täufers und Jesu selbst die Erinnerung an Elija, der wiederkommen sollte, lebendig werden ließen. Elija wurde selbst als Vorläufer oder Begleiter des Messias oder selbst als messianische Gestalt erwartet. Elija gilt als alttestamentliches Urbild des monastischen (mönchischen) Lebens. „Monastisch“ sei hier in seinem ursprünglichen Sinn verstanden, als „einsam mit Gott“, oder „für Gott allein“. In Elija, dem geheimnisvollen Fremdling, ohne Haus und Familie, erkannten bereits die Wüstenväter diejenigen Eigenschaften, die den Monachus (Mönchen) ausmachen.

Die bekanntesten zölibatären Juden des Neuen Testaments waren zunächst einmal Jesus Christus der Erlöser. Weitere zölibatäre Juden waren Johannes der Täufer, der als Asket in der Wüste lebte, sich von Heuschrecken und wildem Honig ernährte und eine Schar Anhänger um sich gesammelte hatte. Er taufte Jesus und wurde später ins Gefängnis gesperrt und enthauptet. Auch die Apostel Paulus und Johannes lebten zölibatär.


Priester im alten Testament

In den alttestamentlichen Büchern Exodus (2. Buch Mose) und Levitikus (3. Buch Mose) ist die Rede von Reinheitsvorschriften. Bei bestimmten Festlichkeiten und heiligen Handlungen übten die Juden sexuelle Enthaltsamkeit, aber auch Enthaltsamkeit von der Arbeit, von Speisen usw. Vor Christus breitete sich die jüdische Essenerbewegung (die Frommen) aus. Die Essener sagten sich vom Tempel und seinem Opferdienst los. Sie lebten meist ehelos in Klostergemeinschaften zusammen und mussten sich vielen Reinheitsvorschriften unterziehen. Voll Eifer in einem Leben des Gebetes, der Enthaltsamkeit und der Arbeit erwarteten sie die nahe Ankunft des Messias.

Die Essener


Jesus und die Essener

Heute ist es unter Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Theologie eine allgemein akzeptierte Tatsache, dass Jesus Christus der Gemeinschaft der Nazarener angehörte, welche ein Zweig der Essener Glaubensgemeinschaft war (aus diesem Grunde müsste sein Beiname „Jesus von Nazareth“ korrigiert werden zur wohl richtigeren Bezeichnung „Jesus der Nazarener“, da zudem keinerlei Hinweise gefunden werden können, dass ein Dorf namens Nazareth in Jesus‘ Tagen existierte). 1974 wurden in den Höhlen der Quaratania-Bergen über dem Toten Meer Pergamenthandschriften und Papyrusrollen entdeckt, welche nachweisliche Überreste einer großen Schriftensammlung dieser religiösen Gemeinschaft der Essener sind. Obwohl die Schriften bis heute noch nicht vollständig übersetzt und ausgewertet worden sind, kann man eine große Ähnlichkeit zwischen der Lehre der Essener und der Lehre Jesu finden. Besonders interessant ist, dass sich die meisten der Jesus Christus in der Bergpredigt zugeschriebenen Seligpreisungen schon in diesen Schriftrollen vom Toten Meer finden, welche teilweise schon mehrere Generationen vor Jesus Leben verfasst worden sind! Hier stellt sich die Frage nach dem Ursprung dieser Lehren. Lassen sie sich noch weiter zurückführen als bis zur Glaubensgemeinschaft der Essener?

War Jesus also einer der ersten jüdischen Mönche (Yogis)?

yoga-vidya journal


Priester im Heidentum

Ebenso ist uns die Weihe der Ehelosigkeit heidnischer Priester bekannt, sowie ihre freiwillige Entmannung als Ausdruck der Götzenhuldigung und ihres priesterlichen Götzenkultes:

»Damit sie nicht durch Geschlechtsverkehr befleckt würden, sondern reine und heilige Mittler zwischen den Menschen und dem Gott oder der Göttin sein könnten, haben sich viele heidnische Priester entmannt. Kultische Entmannung findet sich z. B. in Babylonien, im Libanon, in Phönizien, auf Cypern, in Syrien, beim Artemiskult in Ephesus, im Osiriskult in Ägypten, im phrygischen Kybele-Attiskult, der sich im Morgen- und Abendland weit verbreitete. . . «

 


Zölibat im Judentum – Jesus Sirach
Das Buch Jesus Sirachist ein Buch der Weisheitsliteratur, das ungefähr 180 v.Chr. von dem in Jerusalemlebenden Juden Jesus ben Eleazar ben Sira auf hebräisch verfasst wurde. Obwohl das Buch nicht in den jüdischen Kanon aufgenommen wurde, wird es im Talmudzitiert, was die Hochschätzung des Buches durch die Rabbiner bezeugt. Es ist Teil der Septuaginta, der altgriechischen Übersetzung des hebräischen Alten Testaments und die älteste durchgehende Bibelübersetzung überhaupt, und wird von Katholiken und orthodoxen Christen, jedoch nicht von Protestanten und den meisten freikirchlichen Christen, als Teil der Bibel angesehen. Jesus Sirachschreibt u.a.:

Jesus Sirach 23, 16-18 : 16Zwei Gruppen von Menschen häufen die Sünden, drei ziehen den Zorn herbei: Leidenschaftliche Begierde, sie brennt wie Feuer und erlischt nicht, bis sie sich verzehrt hat; der Mensch, der am eigenen Leib Unzucht treibt und nicht aufhört, bis das Feuer verglüht; 17der Wollüstige, dem jedes Brot süß schmeckt, der nicht aufhört, bis er tot ist; 18der Mensch, der Ehebruch treibt auf seinem Lager, der bei sich denkt: Wer sieht mich?

An diesem Beispiel kann man sehr gut erkennen, wie die Heiligen Schriften oftmals durch den Zufall entstehen. Hätte man die Weisheiten des Jesus Sirach mit in den jüdischen Kanon aufgenommen, dann sähe der Talmud und wahrscheinlich auch die Bibel heute anders aus. Dann wäre die Enthaltsamkeit ein selbstverständlicher Bestandteil dieser heiligen Schriften. Es wäre also interessant, zu erfahren, warum man diese Weisheiten nicht mit in den jüdischen Kanon aufgenommen hat.


Spiritualität und Sexualität im Judentum

Frage: Sie stammen aus einer weit zurückreichenden chassidischen Tradition (einer osteuropäischen orthodoxen Gruppe), und daher wollte ich mit Ihnen darüber sprechen, wie Sexualität im traditionellen Judentum gesehen wird. Was ist Ihrer Meinung nach die allgemeine jüdische Sichtweise von Sexualität?

Rabbi Schlachter-Shalomi: Im Judentum wird vom Moment der Eheschließung an „Ja“ zur Sexualität gesagt, nachdem es so viele Jahre lang „Nein“ dazu geheißen hatte. Die Hochzeit heißt „Kedushin“, aus der Wurzel „kadosh“, und das bedeutet heilig. Wenn der Ring gereicht wird, sagen sie: „Harai, at mekudeshet“, was bedeutet: „Du bist angetraut.“ Es herrscht also eine ganz besondere Einstellung dazu.

Frage: Können Sie mehr darüber sagen, was in der Jeschiwa (in den Tagesschulen oder den orthodoxen jüdischen Schulen) gelernt wird?

Rabbi Schlachter-Shalomi: Als ich etwa zwölf war, studierte ich den Talmud, und es gab Fragen, die damit zu tun hatten, ob der Geschlechtsakt vollzogen werden soll oder nicht. Das war eines der Dinge, die wir im Talmud studierten, also beschäftigten wir uns damit. Dieses Material wurde nicht versteckt, aber andererseits durften wir nichts dergleichen tun, Sie verstehen, was ich meine? Es gibt zum Beispiel eine sehr klare orthodoxe Lehre, die besagt, dass der Penis durch die Beschneidung heilig geworden ist und vor der Ehe nicht berührt werden darf.

Frage: Weil er Gott geweiht ist?

Rabbi Schlachter-Shalomi: Das war der Ausgangspunkt. Denn er wurde mit dem Zeichen des Bündnisses versehen. Und traditionellerweise durfte vor der Ehe natürlich nichts geschehen, und Masturbation wurde als Sünde betrachtet. Frage: Gab es jemals Rabbis, die im Zölibat lebten?

Rabbi Schlachter-Shalomi: Es gab einige, und sie wurden schief angesehen.

Frage: Gab es welche, die Schüler hatten, obwohl sie im Zölibat lebten?

Rabbi Schlachter-Shalomi: Nein, es gab nicht so viele Menschen in dieser Situation. Sie waren irgendwie suspekt. Vor langer Zeit, in den Zeiten des Talmud, gab es einen Rabbi, der von Feuer umgeben war, wenn er die Torah las; es hieß, es war so, als ob Engel um ihn herum wären. Er hieß Ben Azzai. Ben Azzai sagte: „Ich möchte nicht heiraten, denn meine Seele sehnt sich nach der Torah“, was soviel hieß wie: Ich habe keinen Platz für eine Beziehung. Aber im großen und ganzen runzelte man die Stirn darüber. Zum Beispiel wenn jemand Kinder unterrichten wollte, ließ man es nicht zu, wenn er unverheiratet war.

Rabbi Schlachter-Shalomi: Es steht in den Rollen vom Toten Meer geschrieben, dass es eine jüdische Sekte abseits der anderen gab, wo das Zölibat praktiziert wurde und man sich anscheinend nur mittels Adoption fortpflanzte. Man kann bei Philo und Josephus darüber lesen.

Frage: Was geschah mit ihnen?

Rabbi Schlachter-Shalomi: Wir wissen nicht genau, was mit ihnen passierte, denn sie mussten fliehen, aber es ist ganz klar, dass die frühen Kirchenväter, die in der Wüste lebten, aus dieser jüdischen Gruppe von Mönchen und Eremiten stammten. Sie trugen den Namen „Abba“, Vater. Wenn man die Wüstenväter liest, sieht man, dass sie Abba Poemen, Abba Ephraim und Abba Soundso genannt wurden. Und die Frauen, die großen Mütter dieser Zeit, hießen „Ima“, Mutter.

Frage: Das ist faszinierend. Es gab tatsächlich eine ganze Sekte von asketischen und zölibatären Juden?

Rabbi Schlachter-Shalomi: Ja.
Spiritualität und Sexualität im Judentum

Ende Anmerkung des Übersetzers

Bereits 500 Jahre vor Jesus hatte Buddha die Lehre der Keuschheit als eine notwendige Vorbereitung für die Suche nach Weisheit und Erleuchtung gelehrt. Buddha lebte als junger Prinz mit seiner Frau und seinem Sohn Rahul in einem Palast. Eines Tages verließ er seine Familie und ging als Mönch für 7 Jahre in den Wald. Die Abkehr von der Welt, eine große Entsagung, wurde wundervoll von Edwin Arnold in seinem Buch „Die Leuchte Asiens“, eine poetische Darstellung von Buddhas Leben, beschrieben. Daher ist das Zölibat etwas, dass der Menschheit vor undenklichen Zeit übergeben wurde. Es ist ein Teil des globalen Erbes aus unterschiedlichen Kulturen. Noch weiter zurück, bevor Zarathustra (altiranischer Prophet) und Buddha lebten, verkündeten die Propheten der Upanishaden (hinduistische philosophische Schriften, 700 v. Chr.) die gleichen Lehren. In den Veden (heilige Schriften des Hinduismus – 1200 v. Chr. bis 900 v. Chr.) befragten Indra (Kriegsgott) und Virochana (ein dämonischer Prinz, der sich der Sinneslust verschrieben hatte) einen der drei Hauptgötter Brahma (die anderen Hauptgötter sind Vishnu und Shiva) nach dem Weg zur Erleuchtung. Brahma schickte sie zurück und empfahl ihnen, für einige Jahre Brahmacharya zu praktizieren.

Brahma sagte zu ihnen: „Dann kommt zurück und fragt mich nach dem weiteren Weg. Ich werde euch mein Wissen übermitteln.“ Dann gingen sie, befolgten für einige Jahre das Zölibat und kehrten zu Brahma zurück. Brahma offenbarte ihnen einen weiteren Teil der Wahrheit. Er sagte: „Kehrt zurück und beachtet für weitere Jahre das Zölibat.“ Es ist notwendig, das Konzept zu erfassen, da es über die Reichweite des Verstandes und der Sinne, über Rede und Gedanken hinaus geht. Aber Indra und Virochana waren nicht in der Lage, es zu erfassen. Ein grober Verstand, der sich mit dem Körper, mit den Sinnen identifiziert, der dem Lustprinzip verfallen ist, ist unfähig, über theoretische Konzepte nachzudenken. Ein Verstand, der sich wegen der fortschreitenden Zunahme von unreinen und trägen Gedanken nur grob entwickeln konnte, ist nicht in der Lage, dem Ruf nach einem spirituellen Leben zu folgen. Erst müssen die Unreinheiten beseitigt und der Verstand verfeinert werden. Es sollten keine Grobheiten, keine Wünsche, keine Verhaftungen und keine sinnlichen Begierden mehr vorhanden sein. Eine bestimmte psychische Feinheit des Geistes ist dafür unerlässlich. Dadurch kann der Geist sich zu erhabenen Ideen, Gedanken und Prozessen aufsteigen, er kann Unterscheidungskraft entwickeln und Atman (die Seele) erforschen. Dieser Prozess der Reinigung, das Aufsteigen vom groben zum feinsinnigen, ist das wesentliche Konzept des Brahmacharya.

Der Weise, Rishya Sringa, war ein erfahrener Brahmacharya. Als das ganze Königreich durch eine Dürre von einer Hungersnot bedroht war, war der König tief beunruhigt und die Menschen des Landes waren in großer Furcht und Sorge. Darum rieten einige Weise, man solle diesen heiligen Mann, der das Gelübde des Zölibats abgelegt hatte, in das Königreich, in die königliche Stadt, holen. Dann würden die Himmel sie mit Regen segnen. So baten sie ihn, zu kommen. So wurde der Hunger und der mögliche Hungertod von vielen Menschen abgewendet. Vor langer, langer Zeit hatten die Puranas, die heiligen Schriften der Hindus, die primär der Anbetung der Gottheiten Brahma, Vishnu und Shiva dienen, und das Srimad Bhagavata Mahapurana, ein Text vishnuitischer Prägung, den höchsten Stellenwert für eine Frau, die ein Vorbild der Tugend, der Keuschheit und der Treue zu ihrem Ehemann war. Niemals dachte sie auch nur in Gedanken an einen anderen Mann, selbst nicht in ihren Träumen oder in ihrer Phantasie. Sie war so rein, dass die drei großen kosmischen Gottheiten, der Schöpfer, der Bewahrer und der Zerstörer, Brahma, Vishnu und Shiva ihre Größe anerkennen mussten.

Aber die drei Götter wollten die Frau auf die Probe stellen, um herausfinden, ob sie unter allen Umständen an ihrer Keuschheit festhielt. Sie aber bestand die Probe und erlangte Unsterblichkeit. Sati Anasuya, die Mutter des Trimurti, der göttlichen Dreigestalt (Brahma, Vishnu, Shiva), die alle drei göttlichen Aspekte, das Erzeugende, das Erhaltende und das Zerstörende in sich vereinigt hatte, inkarnierte später als Avatar Sri Dattatreya, eine hinduistische Gottheit, eine Verkörperung der Dreigestalt (Trimurti) Brahmas, Vishnus und Shivas. Er wird dargestellt als eine dreiköpfige männliche Gestalt in safrangelben Asketengewändern. Die große Weltenmutter Sita Janaki, die Königin und Frau des Gottes Rama, wurde durch ihre Tugenden als treue Ehefrau unsterblich. Ebenso die Paare, Maryada Purushottam und Bhagavan Sri Ramachandra sowie Jagan Mata und Sita Janaki. Sie werden von allen, die an den Veden und der vedischen Lebensart interessiert sind, als Ideale für das zweite Lebensstadium (es gibt insgesamt 4 Lebensstadien: 1. Brahmacharya = Schüler, 2. Grihasta = Eheleben, 3. Vanaprastha = die Kinder sind erwachsen, 4. Sannyasin = Mönch), dem Grihastashrama, betrachtet.

14 Jahre lang beachtete Laxmana, der Bruder des Gottes Rama, das Gelübde des Zölibats. Das gab ihm schließlich die Kraft, den Dämonen Indrajit, den unsichtbaren und unverwundbaren Sohn von Ravana, zu besiegen. In der Kulturgeschichte Indiens, erweckt der Name Bhishma’s Ehrfurcht und Bewunderung im Herzen eines jeden, der von ihn gehört und vom Gelübde, das Bhisma auf sich genommen hat, um den Wunsch seines Vaters zu erfüllen. Es ist in die Geschichte als Bhishma-Gelübde eingegangen. Er beachtete lebenslang das Brahmacharya und war einer der unbesiegbarsten Krieger in der Erzählung der Mahabharata, dem bekanntestes indische Epos. Man nimmt an, dass das Mahabharata erstmals zwischen 400 v. Chr. bis 400 n. Chr. niedergeschrieben wurde, aber auf älteren Traditionen beruht. Es umfasst etwa 100.000 Doppelverse. Ebenso ist die Entschlossenheit Bhagirath’s, ein anderer Nachkomme der königlichen Familie, der einst den Ganges vom Himalaya auf die Erde gebracht haben soll, beispiellos in die Geschichte eingegangen. Man spricht von den Bemühungen Bhagirathas!

Wir können diese Tatsachen nicht einfach als Torheiten oder als bedeutungslos beiseite schieben. Dies waren keine normalen Menschen. Es waren überdurchschnittliche, außerordentliche Persönlichkeiten mit großer Weisheit, großer Intuition und überragender Größe, die Selbstverwirklichung erreicht hatten. Heilige wie Vyasa (Autor der Mahabharata/Bhagavad Gita) und Valmiki (Autor des Ramayana), waren keine kindlichen, unvernünftigen Idealisten. Sie waren Brahma-Jnanis, Weise, die fähig waren, die Wirklichkeit des Brahman zu erkennen, und die uns damit unsere Unwissenheit, und unsere Unfähigkeit, Unterscheidungskraft zu entwickeln, demonstrierten. So scheint es wichtig zu sein, dass es nicht nur im Rahmen der vedischen Philosophie, sondern in allen großen Religionen der Welt, heute etwas gibt, das zutiefst wissenschaftlich und sinnvoll erscheint, und deren Einhaltung als äußerst bedeutend angesehen wird. Zarathustra, Sokrates, Jesus und Buddha, propagierten keinen Yogaweg, sondern sie lehrten einen Weg, um die höchste Seligkeit zu erlangen, indem sie das höchste Ziel der menschlichen Liebe, die Vereinigung mit Gott, anstrebten.

Dieses sind Anzeichen für das Konzept zur Bewahrung einer bestimmten dynamischen Energie im menschlichen biologischen Sein und dem Umwandeln dieser Energie während des Lebens. Ich bin hier, Chidananda, sitze und unterhalte mich mit euch, durch die Gnade Swami Sivanandas. Dies ist möglich, weil meine Eltern diesen Körper zeugten, in dem ich zum Zeitpunkt der vorbestimmten Geburt geboren wurde. Ebenso wie die Eltern Buddhas, von Raja Shuddhodana und Mutter Yasodhara ihren Körper auf die Geburt eines göttlichen Kindes vorbereiteten, haben wir die inspirierende Aufgabe, die Lehren unseres großen Meisters, Swami Sivananda, der viele Anhänger hat, der uns eine große Religion, eine Philosophie lehrte, und der einen Yoga-Ashram aufbaute, weiter zu tragen. Brahmacharya ist das Konzept des Bewahrens einer dynamischen biologischen Energie innerhalb des menschlichen Systems um es durch Sublimation in eine höhere und feinere Energie umzuwandeln. Diese veredelte und erhabene physische Energie wird als Ojas-Shakti bezeichnet. Ojas-Shakti bedeutet, das was leuchtet, das was strahlt. Diese intelligente Technik, eine wissenschaftliche Methode des Umwandelns von grober in feiner, von physischer in spiritueller Energie, wurde uns von erleuchteten Heiligen übermittelt.


23.1 Die Aufrechterhaltung der Arten

Durch die Fürsorge der kosmischen Intelligenz, die wir Para-Brahman und der kosmische Energie, die wir Para-Shakti, Adi-Shakti und Maha-Shakti nennen, ist es möglich gewesen, dass sich unterschiedliche Arten von Lebewesen, unterschiedliche Pflanzen und botanisches Leben, entwickeln konnte. Die Aufrechterhaltung der Arten ist das Gesetz des Lebens im gesamten Universum, in jeder Form des Lebens. Sie gilt nicht nur für den Menschen, sondern auch für die Tiere, für die Insekten, die Reptilien, die Fische, aber auch für die botanische Welt. Bei den Blumen gibt es die Bestäubung. Sie ist ein kompliziertes und geheimnisvolles Wunder und ermöglicht die Fortpflanzung der Blume. Diejenigen, die diese wundervolle Wissenschaft studieren, sind erstaunt über diese unbekannte und geheimnisvolle kosmische Intelligenz, die diesen Prozess hervorgebracht hat. Sie sind voller Bewunderung, wenn sie tiefer in die verewigten Prozesse des Lebens eindringen, angefangen beim rudimentären Leben einer Einzellzelle, die sich aufteilt und vervielfacht.

Wie wundervoll, dass selbst ein kleiner, zarter Same fähig ist zu keimen, so dass die Energie sogar die Kraft entwickelt, schweren Erdboden zu durchdringen oder gar einen Felsen zu durchbrechen. Was für ein Wunder! Welch große Kraft! Er spaltet die Erde, die zehn mal härter als sein weicher Sprössling ist, und dringt an die Oberfläche. Wenn zufällig ein keimender Same auf einer Betonterasse abgelegt wurde, dann bricht er sogar durch Ziegelsteine und Zementwände, verdrängt sie, und beginnt zu blühen. Diese Akt der Artenerhaltung und der Fortpflanzung ist überall anzutreffen. Es erfüllt und durchdringt das ganze Universum. Das gesamte Universum ist das Resultat eines ursprünglichen Wunsches nach Vermehrung. „Ich bin eins, kann ich mich vermehren?“ Darum sagen die Veden, dass dort ein unabwägbares, geheimnisvolles Sein existiert. Was dieses geheimnisvolle Sein ist, mag niemand zu sagen. Ein zweites Sein scheint nicht zu bestehen. Wer dieses Sein erfahren hat erkennt, dass Gott allein existiert.

Und in diesem geheimnisvolles Sein, entsprang der Keim einer Idee. Es entstand der Wunsch: „Ich möchte mich vermehren. Ich bin allein. Ich hätte gerne Kinder.“ Das ist der Versuch, die Schöpfungsgeschichte zu erklären. Das Konzept der Fortpflanzung, ist das Herz und der Kern der Existenz. Es wurde aus Brahman geboren und ist überall anzutreffen. In der Bibel wird sie auf verschiedene Weise dargestellt. Gott erschuf den Mann und sagte ihm: „Gehe hin und vermehre dich.“ Und wenn du in den Heiligen Schriften anderer Religionen forscht, dann findest du dort den gleichen Sachverhalt beschrieben. Die kosmische Intelligenz wird als Gott oder Paramatman bezeichnet, als oberste Seele oder Universalgeist und beinhaltet alles, was besteht. Und wenn in einer bestimmten Periode des Lebens eine Entscheidung getroffen wird, dann entspringt sie der Natur nach einem heiligen Akt. Der Atman ist kein Kind, der von Eltern gezeugt wurde. Er ist ein spiritueller Kern, ein Bewusstsein, der das ganze Universum durchdringt. Die Erschaffung neuen Lebens ist eine Akt, bei dem die Ehepartner mit dem Schöpfer Brahman kooperieren. Sie übernehmen einen Teil der Aufgabe Brahmans. Darum ist die Zeugung ein heiliger Akt.


23.2 Die Kraft des Brahmacharya

Es ist die unschätzbare Kraft des Brahmacharya, die Erfolg im Hören und Verstehen des Wortes Gottes, im Betrachten und in der Konzentration auf Gott, gibt. Sie gibt Erfolg in der Praxis der neun Methoden des Bhakti Yoga (dem Weg der liebenden Hingabe an Gott): 1. Sravana (das Hören von Gottes Wort), 2.Kirtana (das Singen oder Sprechen des Namen Gottes), 3. Smarana (das Erinnern an Gott), 4. Archana (das Opfern von Reis oder Blumen), 5. Vandana (Verehrung, Lobpreis), 6. Pada-Sevana (Liebe zu Gott, durch den Dienst am Nächsten), 7. Dasya (liebevolle Hingabe zu Gott als sein Diener), 8. Sakhya (freundschaftliche Liebe) und 9. Atma-Nivedana (Selbsthingabe). Es ermöglicht die erfolgreiche Praxis vom Raja Yoga, dem Königsweg, der die Herrschaft über den Geist anstrebt, und der aus Yama (die 5 Enthaltungen = Nichtverletzen, Nichtstehlen, Ehrlichkeit, Brahmacharya und Unbestechlichkeit), Niyama (5 Verhaltensregel = Reinheit, Zufriedenheit, Disziplin, Selbsterforschung und Hinwendung zu Gott), Asana (Yogaübungen), Pranayama (Atemübungen), Pratyahara (Zurückziehung der Sinne), Dharana (Konzentration), Dhyana (Meditation) und Samadhi (Erleuchtung), besteht.

Die Praxis von Asana (Yogaübungen), Pranayama (Atemübungen), Mudra (Fingeryoga, symbolische Handgesten), Bandha (Energieverschlüsse = Muskelkontraktion die wie eine Sperre wirkt und dazu dient, den Fluss der Lebensenergien zu lenken), Kriya (Atemübungen, Zurückziehen der Sinne, Meditation – auf der Grundlage von Yama und Niyama) führen zu Samadhi (Erleuchtung). Es ist diese Kraft, die Ravindranath Tagore (bengalischer Dichter, Philosoph, Maler, Komponist, Musiker, der 1913 den Nobelpreis für Literatur erhielt), Bhagat Singh (indischer Revolutionär), Mahatma Gandhi, Beethoven, Bach, Albert Schweitzer, Jeanne d’Arc (die Jungfrau von Orléans, französische Nationalheldin) und Mutter Theresa (katholische Nonne albanischer Herkunft, Gründerin des Ordens „Missionarinnen der Nächstenliebe“ und Trägerin des Friedensnobelpreises) zu etwas Besonderem machten. Es ist diese erstaunliche Kraft, die den Weisen Valmiki und viele andere überragenden Menschen der Geschichte hervor brachte. Ihr Geheimnis bestand in der der Bewahrung und Sublimation der sexuellen Energie für einen höheren spirituellen Zweck.

Die lasterhaften Menschen, die diese lebenswichtigen Energien vergeuden, werden zu Nervenbündeln und zu Opfern verschiedener Krankheiten. Sie sind wie der törichte Sohn eines Multimillionärs, der sein Geld für Trinken, Spielen, Autos, Häuser und Land in Deutschland, in der Schweiz, in Italien, für Inseln auf Capri und Monte Carlo ausgibt, um irgendwann bankrott zu gehen und ein Leben als Bettler zu führen. Was auch immer ihm gegeben wurde, es wurde verschwendet. Er erkannte den Wert des Reichtums nicht, und wurde zu erbärmlicher Armut verurteilt. Was für ein bedauernswerter, bemitleidenswerter Zustand! Energie und Stärke sind für alle Prozesse und alle Tätigkeiten erforderlich. Um so intensiver die Aktivität ist, um so größer ist der Energiebedarf. Diesel kann Dieselmotoren antreiben. Benzin dagegen treibt Benzinmotoren an. Weder Diesel noch Benzin können ein Flugzeug zum fliegen bringen. Ein Flugzeug benötigt einen Treibstoff mit einer höheren Oktanzahl. Darum ist eine grobe Energie für körperliche Funktionen ausreichend. Eine feinere Energie ist für die intellektuelle Arbeit, für das Studium der Rechtswissenschaften oder der Kernphysik an der Universität erforderlich. Eine im hohem Grade veredelte und extrem feine Energie ist notwendig, um dich von der normalen Ebene in die göttliche Ebene zu tragen.

Meditation erfordert die feinste Energie. Es ist ein Läuterungsprozess, der dich persönlich mit der göttlichen Realität vertraut macht. Es ist die Stufe des Yoga, die dich zur Erleuchtung führt, in dem der Geist das Bewusstsein seiner vollkommenen Freiheit, Unabhängigkeit und seiner göttlichen Natur erfährt. Vielleicht kannst du dir jetzt vorstellen, wie feinsinnig und veredelt der Geist für diesen Prozess sein muss. Darum muss das grobe Bewusstsein zuerst verfeinert werden. Es ist wie bei der Erzgewinnung. Das Erz enthält Gold, aber es ist noch kein Gold. Es muss erst verfeinert, gesiebt und geschmolzen werden, bis es zu reinem Gold veredelt ist. So muss auch die biologische sexuelle Energie in eine subtile psychische, spirituelle Energie, die Ojas genannt wird, umgewandelt werden.


23.3 Die Aufgaben der Familienväter

Alles Reden über Brahmacharya sollte in uns nicht den Eindruck erwecken, dass die Sexualität in der hinduistischen Religion keinen Platz hätte, und dass das Zölibat die einzige Sache ist, auf der, als die höchste Tugend, beharrt wird. Das wäre ein Fehler, ein Missverständnis. Im Varnashrama Dharma, den vier Lebensstadien des Hinduismus (1. Schüler, 2. Familienvater, 3. Waldasket, 4. Sanyassin), in dem die Richtlinien für das Leben nach dem hinduistischen Glauben formuliert sind, wird das Brahmacharya als vollkommenen sexuelle Enthaltsamkeit, in der physischen, als auch in der mentalen Form, für drei der vier Lebensstadien, verlangt. Im Leben eines Familienvaters, wird die Sexualität als heilig betrachtet. Dafür wurden wohl durchdachte Regeln aufgestellt. Ein großes Abkommen an Ratschlägen, Anleitungen und Hinweisen sind für die zweite Lebensphase, für die Familienväter, erteilt worden, in dem die Sexualität nicht nur ein Recht, sondern als eine heilige Aufgabe betrachtet wird.

Es wird als eine wichtige und heilige Aufgabe betrachtet, Kinder zu zeugen, um für den familiären Nachwuchs und den Fortbestand der Generationen, zu sorgen. Dies wird als eine wichtige Funktion einer lebenslangen Partnerschaft, und als einer der heiligsten Aspekte des menschlichen Lebens, angesehen. Im Lebensstadium der Familie wird die Geburt eines Kindes einerseits als Freude, andererseits aber auch als Opfer betrachtet. Ebenso wie das Essen als ein Opfer betrachtet werden kann, nicht als eine Opfergabe, die man einem äußeren Feuer, sondern als eine Opfergabe, die dem inneren gastrischem Feuer angeboten wird; so wird auch der Zeugungsakt als ein heiliges Opfer angesehen, um die Ehepartner in ihren Kindern zu verewigen. Daraus entwickelte sich eine seriöse, gesetzmäßige Pflicht. Wenn die Eltern diese Pflicht nicht erfüllen, werden in den heiligen Schriften schreckliche Konsequenzen vorausgesagt. Wenn die Eltern keine Nachkommen haben und besonders, wenn sie keine männlichen Nachkommen haben, dann werden sie zur Hölle fahren. Eine spezielle Hölle ist für sie reserviert. Und darum sagen die vedischen Schriften, dass ein Brahmane sich eine andere Frau nehmen darf, wenn seine Frau kein männliches Kind bekommt. Er kann sogar vier Frauen heiraten. Da der männliche Nachwuchs besonders in einem königlichen Haushalt von Bedeutung ist, darf der König mehrere Frauen heiraten. Der Hinduismus hat also keineswegs eine sexualfeindliche Einstellung.

Anmerkung des Übersetzers: Zum einen sollte betont werden, dass die Sexualität in der Ehe ausschließlich zur Zeugung des Nachwuchses vorgesehen ist. Ich meine, dieses geht aus Swami Sivanandas Beitrag „Was bedeutet Brahmacharya in der Ehe?“ etwas deutlicher hervor. Außerdem gefällt es mir nicht so sehr, dass Swami Chidananda nicht weiter auf die Polygamie (Vielweiberei) und auf die Strafen eingeht, die einem Ehepaar drohen, falls sie keinen männlichen Nachwuchs bekommen. Ende Anmerkung.


23.4Brahmacharya in der modernen Gesellschaft

Unter Brahmacharya versteht man, sein Leben in der Art und Weise zu führen, dass man langsam aber sicher das Wissen über Brahman erlangt. In besonderer Weise, ist darunter die Enthaltsamkeit im Sexualleben zu verstehen. Aber dies ist ein unzureichendes Verständnis. Mahatma Gandhi sagte, dass kein Versuch, die sexuelle Leidenschaft unter Kontrolle zu bringen, erfolgreich sein wird, wenn man nicht gleichzeitig versucht, alle anderen Sinne ebenfalls zu kontrollieren. Vollkommenes Brahmacharya und vollkommene sexuelle Reinheit sind nur dann möglich, wenn man Selbstbeherrschung verinnerlicht hat. Du musst deine Ohren unter Kontrolle haben. Du musst deine Augen unter Kontrolle haben. Du musst deine Hände und Füße unter Kontrolle haben. Und du musst auch deine Zunge bzw. deinen Gaumen unter Kontrolle haben. Dann besteht die Möglichkeit, die sexuelle Reinheit zu verwirklichen. Swami Sivanandas Konzept des Brahmacharya beschränkt sich darum nicht nur auf die physische Zurückhaltung, auf die körperlichen Leidenschaften, sonders es schließt das geistige Brahmacharya mit ein. Er sagte: „Du musst sowohl das physische als auch das geistige Brahmacharya verinnerlicht haben, damit selbst im Traum kein sinnlicher Gedanke in deinem Verstand entstehen kann.“

Wie kommt es, dass in der heutigen modernen, materialistischen Gesellschaft die Sexualität solch einen bedeutenden Stellenwert einnimmt? Die Menschen sind von ihr besessen und werden von ihr beherrscht. Dies ist eine menschliche Perversion. Die Upanishaden, die philosophischen Schriften des Hinduismus, sprechen von der Stadt mit den neun Toren, die der geheimnisvolle Aufenthaltsort des Brahman ist. Diese Stadt ist unser Körper. Jede medizinisch bewanderte Person wird dir erklären, dass die Tätigkeit der Körperprozesse durch Anabolismus (Aufbau) und Katabolismus (Abbau) geschieht. Zusammengenommen werden sie als Stoffwechsel bezeichnet. Der Anabolismus ist ein Aufbauprozess, der Katabolismus ist ein Abbauprozess. Der Abbauprozess führt normalerweise zur Ansammlung von Rückständen. Angehäufte Rückstände sind unerwünscht und sie bedrohen, falls sie nicht entfernt werden, die Gesundheit oder gar das Leben des Menschen. Sie müssen also entfernt werden. Der Mensch kann diese Stoffwechselprodukte aufnehmen, indem er isst und trinkt. Weil das Leben Sauerstoff benötigt, atmet der Mensch durch die Nase. Möchtest du dagegen Wissen aufnehmen, dann geschieht das durch sehen, sprechen und hören.

Der Mensch besitzt zwei Ausscheidungsausgänge, durch die er seine Rückstände beseitigt. Die wichtigste Funktion der Ausscheidungsorgane ist die Beseitigung von Kot und Urin, die mit der Geburt beginnt und im Augenblick des Todes endet. Vom ersten Atemzug an, in dem die individuelle Seele in den Körper eintritt, bis zum letzten Atemzug, in dem die individuelle Seele den Körper wieder verlässt, bleibt die Ausscheidungsfunktion erhalten. Auf die gesamte Lebensdauer bezogen, ist dagegen die Fortpflanzungsfunktion nur in einer kurzen Periode erforderlich. Wenn wir die Anweisungen der Veden streng befolgen, beträgt diese Periode etwa ein Zehntel der Lebensdauer. In der restlichen Zeit, morgens, mittags, abends und nachts, wird dieser Ausgang nur zur Harnentleerung benutzt. Man kann sich keinen Architekten vorstellen, der ein Haus oder ein Gebäude entwirft, ohne Entwässerungskanäle für die Küche und das Bad einzuplanen. Andernfalls wird sich der Schmutz im Haus ansammeln, und man ist irgendwann notgedrungen gezwungen, das Haus zu verlassen. Werden die Giftstoffe also nicht vom Körper beseitigt, dann sammeln sie sich an, es kommt zu einer Blutvergiftung und schon bald wird die Person sterben.

Vor langer Zeit, als ich noch ein Student war, erklärte mir jemand, dass die unteren Körperöffnungen hauptsächlich für die Ausscheidung vorhanden sind. Aber anstatt, dass man den Penis als ein Ausscheidungsorgan betrachtet, der nur für eine sehr kurze Zeit als Fortpflanzungsorgan benötigt wird, damit die menschliche Rasse weiter bestehen kann, verleitet uns unsere Phantasie dazu, ihn viel stärker als ein sexuelles Lustorgan zu betrachten, als es seiner natürlichen Funktion eigentlich zugedacht ist. Das führt dazu, dass die Menschen sexbesessen und zu Sklaven ihrer Sexualität werden. Warum ist die Sexualität mit so viel Lust verbunden? Es ist absolut notwendig. Denn wenn es dieses sexuelle Vergnügen nicht geben würde, würde niemand daran denken, Kinder zu zeugen. Ein großes Problem der modernen Gesellschaft, ist allerdings das sexuelle Verhalten der Menschen. Dieses hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vom Schlechtem zum noch Schlechteren entwickelt. Die, die in Kontakt mit der westlichen Gesellschaft gekommen sind wissen, welche Veränderungen dies, besonders im Eheleben, mit sich brachte.

Es kam zu Ehescheidungen ohne Begrenzung, eine Sache, die in der viktorianischen Zeit mit großer Empörung betrachtet wurde. Die Menschen waren empört, wenn ein Mann seine Frau verließ, um mit einer anderen Frau zusammen zu leben, oder wenn eine Frau ihren Ehemann für einen anderen Mann verließ. Es war ein Riesenskandal. Es war eine Schande! Heutzutage ist es die Regel. Spezielle Gerichte sind sogar nur für Scheidungsfälle zuständig. Anmerkung des Übersetzers: Man sollte nicht vergessen, dass das viktorianische Zeitalter, eine Zeit des Umbruchs war, in der natürlich viele traditionelle Werte an Bedeutung verloren. Als Beispiel für die viktorianische Doppelmoral wird oft die ausufernde Prostitution genannt, die scheinbar der oftmals gepriesenen Selbstbeherrschung und ehelichen Treue widersprach. Tatsächlich tendierten viele Männer des Mittelstands dazu, die Heirat bis zum Aufbau einer gewissen finanziellen Sicherheit aufzuschieben und Zuflucht bei Prostituierten – deren tatsächliche Gesamtzahl schwer zu ermitteln ist – zu suchen. Umgekehrt erschien die Prostitution vielen Frauen, hauptsächlich aus der Unterschicht, als Möglichkeit zur Aufbesserung des Einkommens. Ende Anmerkung.

Warum verloren die traditionellen Werte so rapide an Bedeutung? Das Geheimnis liegt darin, mit welchen Augen man das andere Geschlecht betrachtet. Wie sieht ein Mann eine Frau und wie sieht eine Frau einen Mann? Swami Vivekananda, ein Schüler Ramakrishnas, wurde gefragt, was der entscheidende Unterschied zwischen der indischen Gesellschaft und der westlichem Gesellschaft ist. Er hatte Indien kreuz und quer zu Fuß durchwandert und das Leben der indischen Gesellschaft studiert. Er durchwanderte die Dörfer, die Städte und war bei vielen Familien zu Gast. Darum war ihm die indische Gesellschaft sehr vertraut. Er sagte zwei Sachen: „Ein Unterschied besteht in der Beziehung zwischen einem Guru und seinem Schüler. Der zweite Unterschied ist die Stellung der Frau. In der westlichen Gesellschaft, ist die Frau eine Frau (Dame), sie ist Frau so und so. In der westlichen Gesellschaft wird die Frau als Frau betrachtet, während die Frau in der indischen Gesellschaft hauptsächlich als Mutter angesehen wird. Darum wird die indische Ehefrau von allen, außer von ihrem Ehemann, als Mutter betrachtet.

Die allgemeine Anrede für eine Frau in ganz Indien, von Kap Comorin am südlichsten Punkt Indiens, bis zum Himalaja im Norden Indiens, ist Mutter. In der Öffentlichkeit wird sie immer als Mutter angesehen. Wenn ein Ehemann etwas von seiner Frau möchte, ruft er sie nicht mit ihrem Namen, sondern er spricht sie als die Mutter seines Sohns oder als die Mutter seiner Tochter an. Wenn Besucher im Haus sind, stellt er seine Frau als die Mutter seiner Kinder vor. In diesem Punkt unterscheidet sich die indische Gesellschaft also von der westlichen Gesellschaft. Dieses gibt uns einen Hinweis, wie die normale und natürliche Beziehung eines Mannes zu einer Frau aussehen sollte. Ein Mann, der über eine kultivierte Psyche verfügt, wird sich, wenn er eine Frau sieht, sie als ein menschliches Wesen betrachten und dabei keinerlei sinnliche Gedanken hegen. Folglich ist ein Mann für eine Frau entweder ein Bruder, ein Vetter, ein Neffe, ein Onkel, ein Vater oder ein Ehemann und eine Frau ist für einen Mann entweder eine Schwester, eine Cousine, eine Tante, eine Nichte oder eine Mutter.

Wenn aber ein Mann auf eine Frau trifft und das bei ihm sinnliche Gedanken auslöst, dann ist etwas grundlegend falsch in der Einstellung des Mannes gegenüber Frauen. Wenn eine Frau einen Mann sieht und sagt: „Was für ein Mannsbild.“ und dies die einzige Idee ist, die hinsichtlich des anderen Geschlechtes erwähnt wird, dann deutet auch dieses Verhalten auf ein fehlendes Bewusstsein hin. Wie kann solch eine falsche Haltung, der Fehler in der Betrachtung, in der Einstellung, in der Annäherung, im Gefühl, erklärt werden? Der Fehler liegt in der Reduzierung des jeweils anderen Geschlechts auf seine körperlichen Merkmale, auf seine äußere Beschaffenheit. Ein Mensch ist aber nicht nur ein körperliches und biologisches Wesen, er ist ebenfalls ein geistiges, intellektuelles und psychologisches Wesen. Er ist ein lebendiges Lebewesen, das sowohl physisch als auch psychisch existiert. Er hat eine pranische Ebene, wo er Hunger und Durst verspürt und Gefühle von Hitze und Kälte empfindet. Er hat eine psychologische Ebene, auf der sich spontan Gedanken, Erinnerungen, Phantasien, Meinungen, Gefühle, Haltungen und Stimmungen einstellen, über die er keine Kontrolle hat. Und es gibt einen anderen Teil, das sein inneres göttliches Sein verkörpert.

Die unterschiedliche Wahrnehmung auf der psychologischen Ebene einerseits und auf der spirituellen Ebene andererseits, kann durch Selbstbeobachtung, durch bewusste Wahrnehmung und Unterscheidungskraft verfeinert werden. Es ist ein intellektueller Prozess, der logisches Denken, Unterscheidungskraft, Wissbegierigkeit sowie Reflexions- und Wahrnehmungsvermögen erfordert. Dies ist ein Vorgang höherer Natur, ein Vorgang des Intellekts. Beide zusammen bilden das innere psychologische Niveau unseres Seins. In einem verfeinerten Intellekt arbeitet ein Bewusstsein, dass uns vermittelt, was uns als Menschen erlaubt und was uns nicht erlaubt ist. „Wir haben alle eine Kultur geerbt. Wir leben nicht als isolierte Wesen, sondern sind unmittelbar mit unserer Vergangenheit verbunden. Viele unserer Vorstellungen haben ihre Wurzeln in der Vergangenheit: unsere Ideale, unsere Meinungen, unsere Verhaltensweisen und unsere Ansichten von richtig und falsch. Diese ganze bunte Vielfalt arbeitet in uns. Und so hat jeder ein anderes Bewusstsein davon, was schön oder hässlich, was edel oder verwerflich, was angemessen oder unangemessen, was richtig oder falsch ist, und darüber, was getan werden sollte oder was man lieber unterlassen sollte. Dieses Gefühl von einem Ideal, was richtig und falsch ist, wird als Ethik und Moral bezeichnet. Dies ist ein Handeln, das auf einer spirituellen Ebene stattfindet, die über das intellektuelle Niveau hinausgeht.

Wenn dein Bewusstsein eine bestimmte Verfeinerung erlangt hat, und diese Verfeinerung dein Bewusstsein mit deinem ethischen Niveau, mit deiner ethischen Individualität, in Verbindung bringt, dann findet dein Leben auf einer anderen Ebene statt. Herrscht allerdings noch eine gewisse Grobheit in deinem Bewusstsein und tendiert es gewohnheitsmäßig dazu, sich mit den gröberen Aspekten der menschlichen Persönlichkeit, mit dem physischen Körper, zu identifizieren, dann ist auch die gesamte menschliche Aufmerksamkeit auf den physischen und biologischen Aspekt gerichtet. In erster Linie ist es die biologische Ebene, die diese falschen Vorstellungen in uns weckt. Sie betrachtet das andere Geschlecht hauptsächlich unter einem physischen, sinnlichen Aspekt. Wenn du in dem Bewusstsein verwurzelt bist: „Ich bin dieser physische Körper“, dann betrachtet dein Bewusstsein ebenso alle anderen Menschen mit dem gleichen Bewusstsein. Lebst du in diesem Bewusstsein, und begegnest einer Frau, dann betrachtest du sie in erster Linie unter einem körperlichen Aspekt und reagierst aus einem animalischen, biologischen Empfinden heraus. Das weckt auf physischer Ebene Begehrlichkeiten und macht dich zum Sklave deiner Sinnlichkeit.

Es benötigt darum eine Verfeinerung des Bewusstseins. Du musst dich selbst erziehen. So wie man einen alten, losen Pantoffel abschüttelt und ihn durch einen neuen ersetzt, so solltest du deine alten Gewohnheiten abschütteln und sie durch neue ersetzen. Vor einigen Tausenden von Jahren, als es noch keine intellektuelle Entwicklung, noch keine Evolution gab, lebte eine menschlichen Rasse, die kaum durch eine spirituelle Entwicklung geprägt war. Diese Menschen lebten in einem Zustand von hundertprozentigem Körperbewusstsein, gerade so wie die meisten Tiere. Das Bewusstsein der Tiere ist total auf den Körper reduziert. Und wenn das Bewusstsein des Menschen sich überwiegend auf dem Niveau eines animalischen Bewusstseins befindet, dann ist es weit entfernt vom spirituellen Bewusstsein, und alles Reden über Yoga, über spirituelle Praktiken, über Ekstase und Erleuchtung ist vergebens. Wenn du die Kunst der Rede beherrscht und über gute Ideen verfügst, wird es dir vielleicht gelingen, die Menschen zum Nachdenken zu bewegen. Triffst du aber auf Menschen, die in einem Netz aus einem groben körperlichen Bewusstseins gefangen sind, dann wird es sehr schwer, sie zu überzeugen.

Die Hauptfunktion der unteren Extremitäten ist die Entwässerung, die Reinigung und die Beseitigung der Ausscheidungen. Das ist ihre eigentliche Funktion. Wenn aber diese Funktion, aus Gründen der sinnlichen Lust, beiseite geschoben wird, und die Sexualität in den Vordergrund rückt, weil der Verstand süchtig nach der sexuellen Befriedigung ist, dann verursacht das Probleme. Die kosmische Intelligenz und ihr offenkundiges Gegenstück, die Natur, hat innerhalb aller lebenden Geschöpfe einen biologischen Mechanismus errichtet, der einen Zeitpunkt vorgibt, an dem die Sexualität erwacht. Vorher zeigt sie nur sehr selten ihr Gesicht. In einem Kleinkind und in einem Kind erwacht sie nur äußerst selten. In ihrer Freude am Leben sind sie vollkommen nach außen gewandt. Kinder haben weniger Körperbewusstsein als Erwachsene. In dieser Beziehung haben die Erwachsenen ein gröberes Bewusstsein als Kinder. Folglich gibt es eine ausgeprägte Periode, in der dieses innere Element, dies innere sexuelle Prinzip, nicht empfunden wird. Es ist abwesend. Aber dann, von einem bestimmten Alter an, entwickelt sich allmählich die Sexualität. Zuerst äußert sie sich rein physisch. Verschiedene Symptome stellen sich ein.

Kleine Oberlippenbärte fangen an zu sprießen, die Stimme beginnt sich zu verändern und innerhalb des Körpers entwickelt sich ein erotisches Empfinden, das vorher in dieser Form nicht vorhanden war. Das sind vorpubertäre Veränderungen. Es ist eine Periode, in der der Mensch allmählich in die Pubertät kommt und erwachsen wird. Es ist die empfindlichste Zeit im Leben des Menschen und sie erfordert eine weise Führung, eine gute Atmosphäre, gute Ideen und ein gutes soziales Umfeld. Leider ist vieles in der modernen Welt, sozialschädlich, gefährlich und nicht wünschenswert. Dadurch wirken sehr viele negative Einflüsse auf die Jugendlichen ein. Im alten Indien entzogen sich die Menschen diesen negativen Einflüssen. Sie lebten in einer Gesellschaft, die das individuelle Wachstum, in allen Belangen förderte. Für dieses Lebensstadium entwickelten sie ein Erziehungsmodell, das den Namen Brahmacharya Ashrama trug. In diesem ersten Lebensviertel, lebten sie nicht mehr in der Stadt bei ihren Familien. Dadurch waren sie den negativen Einflüssen, sowie den vielfältigen Versuchungen und Verlockungen der Städte entzogen. Statt dessen lebten sie als Schüler in einer für sie förderlichen, erhebenden und natürlichen Umgebung.

Die Schüler standen mit dem ersten Sonnenstrahl auf, wenn der Wind sanft wehte und die Vögel zu zwitschern begannen. Sie atmeten unverschmutzte Luft, tranken sauberes Wasser und waren von einer herrlich blühenden Pflanzenwelt umgeben. Sie lebten im Haus eines Gurus, bei einem Weisen und seiner Frau, die in den heiligen Schriften bewandert waren. Der Guru und seine Frau führten ein Leben der Mäßigung, der Selbstkontrolle, hatten einen edlen Charakter und innere Reinheit verwirklicht. Die Schüler lebten in einer Familie mit einem vorbildlichen Tagesablauf. Dies war eine sinnvolle Basis, die ein Leben lang Früchte trug. In dieser wundervollen Atmosphäre, gediehen die Schüler hervorragend und sie entwickelten sich zu vorbildlichen Menschen. Sie glänzten durch ihre innere Reinheit, hatten starke, robuste Glieder und einen wohlgeformten Körper. Sie waren Frühaufsteher, machten ihre täglichen Yogaübungen und badeten in den Waldbächen. Im Laufe des Tages erledigten sie allerlei Arbeiten. Sie sammelten Brennholz für den Guru und für die Küche seiner Frau, sie schnitten Gras und sammelten Blätter für den Kuhstall des Gurus und arbeiteten auf dem Feld. Gleichzeitig studierten sie morgens und nachmittags zwei oder drei Stunden und wurden in den Abendstunden vom Guru unterrichtet. So wuchsen sie auf und waren von allen erniedrigenden Einflüssen geschützt.

Dieses Erziehungsmodell ist vollkommen anders, als das heutige Erziehungssystem, in der ein Schüler, eventuell sogar schon vom ersten Schuljahr an, mit ungünstigen Einflüssen zu kämpfen hat. Alles um sie herum, die Leute, der Anblick, der Lärm, der Schmutz, das Umfeld und die schlechten Einflüsse, alles ist negativ. Darum ist es notwendig, seine Stimme zu erheben und die Botschaft des Brahmacharya, der Selbstkontrolle und der Mäßigung, von den Hausdächern zu schreien, damit Reinheit in Gedanken, Worten und Werken wieder in die Seelen der Menschen einziehen kann. Die Menschen sollten alles menschenunwürdige vermeiden und lieber reine und aufbauende Literatur lesen, statt der entwürdigenden Schundromane. Sie sollten Pornofilme und Filme mit Gewalt verherrlichenden Darstellungen meiden. Alle diese negativen Einflüsse haben eine negative innere Entwicklung zur Folge. Schließlich ist der menschliche Verstand eine erstaunliche Kamera. Was auch immer er sieht, prägt sich ihm ein. Er ist wie ein Supercomputer. Man brauchst keine Daten einzugeben, er nimmt sie von selber auf. Die ganze Welt ist seine Quelle und dieser menschliche Computer wird, durch die gesellschaftliche Atmosphäre, wie ein Abfalleimer, mit Schmutz gefüttert. Darum ist es notwendig, den Menschen die rechten Anweisungen zu erteilen, ihnen die Augen zu öffnen. Die Lektion sollte beinhalten, wie man inmitten dieser vergifteten gesellschaftlichen Atmosphäre, von all dem Schmutz unberührt bleibt.

Dafür aber ist eine Neuorientierung des eigenen Bewusstseins erforderlich. Es reicht nicht, die Missstände lediglich aufzuzeigen. Will man die Menschen zu einer Verhaltensänderung motivieren, dann sollte man mit gutem Beispiel voran gehen. Du bist eine Person, die in diesem Universum lebt. Du solltest nicht versuchen, dich aus Verzweiflung in dein inneres Schneckenhaus zurückzuziehen. Es sollte ein Austausch mit anderen Menschen statt finden, andernfalls wirst du innerlich krank. Du wirst neurotisch und egozentrisch. Das ist keine gesunde Sache und sollte vermieden werden. Es sollte einen normalen menschlichen Umgang auf einer freundlichen Basis geben. Solch eine unerschütterliche, gesunde Grundlage kann nur auf einem hohen Niveau des eigenen Bewusstseins Früchte tragen. Wenn das Niveau deines Bewusstseins grob ist, unwissend, körperorientiert, dann bekommst du natürlich Schwierigkeiten, weil du dann auch nur diese Schwingungen bei anderen Menschen wahrnimmst. Du siehst andere, verstehst andere und stellst Beziehungen zu anderen her, die durch dein grobes körperorientiertes Bewusstsein bestimmt sind. Wenn du das ändern möchtest, dann musst du das Niveau deines Bewusstseins auf eine höhere Stufe bringen. Du musst dir darüber klar werden, dass du nicht nur der physische Körper bist, mit geistigen und intellektuellen Fähigkeiten, sondern dass du ebenfalls ein spirituelles Sein besitzt.

Dieser Wechsel in deinem Bewusstsein, sollte entwickelt und gefestigt werden. Dies ist der Schlüssel zum Erfolg im Brahmacharya, die Grundlage aller Errungenschaften. Wenn du dich selbst als einen groben biologischen und physischen Körper empfindest, dann wird deine ganze Beziehung zur äußeren physikalischen Welt nach demselben Muster abgewickelt, und du kannst dir vorstellen, wie das Resultat für dich aussehen wird. Jedes menschliche Wesen wird für dich nur ein grober physischer Körper sein. Diese Vorstellung wird dich Tag und Nacht begleiten. Du wirst besessen sein von einem körperlichen Bewusstsein. Und solange du dich nicht selbst von diesem groben körperlichen Bewusstsein befreit hast, wird dir kein Lesen, kein Weiser, kein Glaube, in irgendeiner Hinsicht weiterhelfen. Du musst den Schlüssel um drehen und plötzlich verändert sich das Niveau. Sobald dieses Niveau überschritten ist, bekommt das Thema Brahmacharya eine ganz neue Bedeutung für dich.

Die Ursache aller Sünden ist das Körperbewusstsein. Wenn du dich vom Körperbewusstsein befreien möchtest, dann beginne auf körperlicher Ebene. Sei fest im Brahmacharya verwurzelt. Brahmacharya führt zur Beherrschung aller anderen Sinne. Selbstbeherrschung, eine gesunde Ernährung, eine gute Gesellschaft, aufbauende Literatur und edle Gedanken fördern dieses Vorhaben. Kommt irgendein negativer Gedanke auf, dann sollte er sofort hinaus geworfen werden. Es sollte ihm nicht erlaubt werden, auch nur für einen kleinen Moment, nicht für den Bruchteil einer Sekunde, zu verbleiben. Diese Art der Selbstbeherrschung, sollte kultiviert, in deinem inneren Sein entwickelt werden. Wenn eine Person versucht, einen exklusiven Club zu betreten, dann muss sie zunächst am Türsteher vorbei. Ist die Person in dem Club unerwünscht, dann wird ihr der Zugang verweigert. Notfalls packt der Türsteher sie am Kragen und wirft sie zur Tür hinaus. Sie erhält keinen Zutritt. Genau so solltest du in deinem Kopf deinen eigenen psychologischen und ethischen Türsteher haben, der allen falschen Gedanken den Zutritt verwehrt. In gleicher Weise gibt es in hoch entwickelten Nahrungsmittel-Fabriken Maschinen, in denen Früchte und Nüsse für den Export ausgewählt werden. Sie laufen über ein Förderband und werden nach unterschiedlichen Größen sortiert. Die Nüsse und Früchte von schlechter Qualität werden aussortiert. Nur die gute Qualität wird weiter verarbeitet.

In der gleichen Weise sollte in deinem Verstand eine Auswahl getroffen werden, die die Ausschussware, die deinem spirituellen und ethischen Idealen widerspricht, automatisch beseitigt, sie hinaus wirft. Brahmacharya bedeutet vollkommene Reinheit, eine differenzierte Betrachtung von Dingen, Menschen und Erfahrungen, eine differenzierte und schonungslose Selbstanalyse. Das führt dazu, dass du dein Bild von dir selber, vielleicht korrigieren musst. Die erste Veränderung sollte also in dir selber stattfinden. In einem sehr wichtigen Teil seiner Lehren über Brahmacharya sagte Swami Sivananda: „Ändere deinen Blickwinkel.“ Das ist eine psychologische Einstellung. Er hat an einigen Beispielen aufgezeigt, wie eine ?nderung des Blickwinkels, zur vollkommenen Veränderung der Sichtweise und des Verhaltens führen kann. Ändert sich die Einstellung, dann verändert sich auch das Verhalten. Wir sollten Gott und uns selbst das Versprechen geben, über ein neues Leben mit einem neuen Bewusstsein nachzudenken. Dies sollte ein inneres Erwachen sein, das ein neues Licht und ein spirituelles Bewusstsein in uns entzündet. Wir sind die Erben einer großen ethischen Tradition, einer großen ethischen Kultur. Wir sollten die lebende Verkörperung dieser großartigen Kultur sein. Wir sollten versuchen, diese ethische Lebensanschauung, diese Lebensart, zu verwirklichen. Gott segne dich, um die Klugheit zu gebrauchen, dieses Erbe anzutreten, das wir aus der Vergangenheit empfangen haben. Meine Gebete sind mit euch. Möget ihr diese edle und erhabene Aufgabe der Selbstkultivierung bis zur Vervollkommnung anstreben.


23.5 Vorteile des Brahmacharya

Brahmacharya ist ein magisches Wort, ein Schlüssel zum Erfolg in allen Bereichen des Lebens. Es ist ein Glanz, der durch jeden Gedanken, jede Rede und durch alle Aktivitäten hindurchscheint. Es ist Tejas (inneres Feuer) und Ojas (spirituelle Energie). Es ist Para Shakti, die höchste Energie und Bhagavati, die Verkörperung der göttlichen Mutter. Es ist dynamische Göttlichkeit, Gott in der Bewegung. Es ist göttliche Kraft. Gott ist in diesem Kosmos, in diesem phänomenalen Prozess, als Brahma, Vishnu und Shiva vorhanden. Er ist in der menschlichen Gesellschaft in Form ihrer jeweiliges Energie vorhanden, als Parvati, Lakshmi und Saraswati, die wir jedes Jahr während der neun Nächte von Navaratri verehren. Im Herbst wird Navaratri gefeiert. Dies ist das Neuntagefest für drei Göttinnen. Die erste Göttin ist Lakshmi, die Spenderin des materiellen Wohlergehens. Die zweite ist Parvati. Sie ist Shivas Frau und wird auch Amma oder Mutter genannt. Als dritte und letzte wird Sarasvati verehrt. Diese Göttin ist für die Weisheit, den Intellekt, die Musik, die Sprache und Poesie und für die Schrift zuständig. Das gleiche kosmische Sein, das sich als Brahma, Vishnu und Shiva offenbart, das ebenso in diesem phänomenalen Universum als die Göttinnen Sarasvati, Lakshmi und Parvati agiert, wohnt in uns als die große Kundalini Shakti. Der wichtigste Aspekte der Kundalini Shakti ist seine Energie, eine kreative Kraft, eine kreative Energie. Man sagt, diese kreative Energie ist Gott in der Bewegung, göttliche Kraft.

Es ist eine Erscheinungsform von Para Shakti, der kosmischen Energie. Die Kontrolle der Sinne verwandelt die grobe physische Kraft in eine feine geistige und spirituelle Kraft. Es entwickelt sich eine intensive spirituelle Sehnsucht, die als Konzentrationskraft für positive Gedanken und zur Meditation genutzt werden kann. Sie kann uns zur Selbstverwirklichung führen. Dies alles und noch mehr kann die Kraft der Enthaltsamkeit für den Menschen tun. Die meisten den großen intellektuellen Genies waren Personen von großen Charakter, großer Selbstkontrolle und Konzentration: Vivekananda, Dayananda Saraswati, Mahatma Gandhi. „Samyam!“ (Selbstkontrolle) sagen die Upanishaden (philosophische Schriften). Der, der seine Sinne nicht beherrschen kann, wird kaum die feineren Energien und spirituelles Wissen erlangen. Die Selbstkontrolle ist nichts für Schwache. Darum betonte Swami Vivekananda die Geistesstärke, die Charakterstärke, die Stärke der Selbstkontrolle, sowie die Stärke des Körpers und des Verstandes.

Die Basis einer durchdringenden Reinheit im Leben, die Reinheit der Gedanken, der Phantasie, der Handlungen und von Brahmacharya ist der Charakter. Hat jemand einen erhabenen Charakter, dann ermöglicht die Stärke seines Charakters es ihm, ein erhabenes Leben zu führen. Die Basis des Charakters ist die Selbstkontrolle. Die Basis der Selbstkontrolle ist ein kluges Leben, das alles vermeidet, was sich negativ auf die Selbstkontrolle auswirkt. Unterscheidungskraft, Selbsterforschung, das Vermeiden von ungünstigen Umgebungen und sinnlichen Versuchungen, helfen dabei. Man sagt: „Diskretion ist besser als Heldenmut.“ Folglich sollte man wissen, wann man tapfer und stark sein sollte und wann man es vermeiden sollte, tollkühn zu sein, und wann man lieber diskret sein sollte. Es gibt ein Sprichwort: „Narren eilen, wo Engel sich fürchten, zu schreiten.“ Darum ist Diskretion besser als Heldenmut. Diese Diskretion, diese Selbstkontrolle, diese einsichtige Lebensweise kann nur aus Wachsamkeit, einer aufmerksamen Wachsamkeit, einer inneren Wachsamkeit, entstehen. Sie bedenkt, wohin man geht, und was geschieht, wenn man diesen Weg beschreitet. Sie bewahrt sich auch die Möglichkeit einer Umkehr, wenn sie erkennt, dass man in die falsche Richtung gegangen ist und geht dann in die richtige Richtung.

Die Basis solch einer Selbstkontrolle sind Grundregeln für das Leben, die nach vielerlei Betrachtung angenommen werden. Die Basis solcher Richtlinien ist das Erstreben eines erhabenen Ideals: „Ich möchte gerne dieses und jenes Ziel erreichen.“ Dieser erhabenen Idealismus kann es ermöglichen, jeden möglichen Sieg zu erringen. Die Grundlage dieses Idealismus ist eine heftige Sehnsucht. Zuerst einmal muss diese Sehnsucht in einem erwachen. Die Grundlage einer erfolgreichen akademischen Laufbahn an der Universität ist die Fähigkeit zu hoher Unterscheidungskraft bei seiner wissenschaftlichen Arbeit. Die Basis einer hohen Unterscheidungskraft ist studieren, studieren und noch einmal studieren. Das Licht zu mitternächtlicher Stunde, sowie das Vermeiden aller kostspieligen und zeitraubenden Aktivitäten, das Vermeiden einer frivolen und hedonistischen Gesellschaft, sind Kennzeichen eines erfolgreichen Studiums. Stattdessen sollte man den Umgang mit positiv gesinnten Menschen pflegen und begeisterte Aufmerksamkeit im Hörsaal zeigen, wenn der Professor seine Vorlesungen hält und fleißig seine Hausaufgaben erledigen. Das bedeutet Unterscheidung.

Die Grundlage eines Studiums, einer wissenschaftlichen Ausbildung gegenüber einer schulischen Ausbildung ist Ernsthaftigkeit. Es muss der Wunsch nach Erfolg vorhanden sein: „Ich möchte die besten Zensuren haben. Ich möchte zu den Besten gehören.“ So wird dieses Drängen, dieser begeisterte Anspruch zu etwas instinktivem. Er ist gesund und richtig. Eifer, Begeisterung, Wissbegierigkeit und Streben sind in hohem Grade lobenswert. Dieses ist ein positives, kreatives und konstruktives Drängen. Dies sollte angestrebt werden. Solch ein Streben kommt vom Verstehen. Man strebt nach etwas, das wertvoll ist. Wenn es lediglich eine äußere Erscheinung ist, der ich nachlaufe, dann mache ich mich zum Narren. Jedes Glitzern, jedes äußere Funkeln, eine flüchtige, angenehme Empfindung, ein kurzer Nervenkitzel, sollte einen beschämen. Jede Nachgiebigkeit ist eine Bankrotterklärung der Weisheit, der Verstandesschärfe und des Mangels an tiefem Nachdenken. Dieses begeisterte Streben entsteht, wenn wir wissen, dass allein das Göttliche die Erfüllung aller Wünsche und Begierden in unserer Suche nach Glück ist. Das ist Ananda, das Glück. Es ist süßer als die Nektarine oder sonst etwas auf der Welt. Es ist die Schönheit der Schönheiten, unvergleichbar! Du entwickelst einen tiefen Glauben in diese Wahrheit, in diese zentrale Erkenntnis, dass allein das Göttliche Erfüllung, das Erreichen des höchsten Glücks, bringen kann.

Wenn du wüsstest, dass der Kontakt mit sinnlichen Sensationen und Vergnügungen nur der Schoß des Schmerzes ist, würdest du ihnen nicht erliegen. Dieses Wissen entsteht durch den Kontakt mit weisen Menschen, durch die Worte eines Gurus oder durch das Studium der heiligen Schriften. Erfolgreiches Svadhyaya, das tägliche Studium der heiligen Schriften, entsteht dort, wo es einen tiefen Glauben gibt. Es kann niemals falsch sein, wenn du tiefes Guru Bhakti praktizierst, wenn du tiefe Liebe für deinen Guru empfindest, absolutes Vertrauen zu den Worten deines Gurus hast. Es ist die rechte Annäherung zum Leben. Darum wird in der Gita gesagt, eine Person ist, was ihr Glaube ist. „Erzähl mir, was er glaubt, und ich werde dir sagen, was er ist. Zeige mir, was er für Freunde hat, und ich werde dir erzählen, was er für eine Person ist.“ Darum entwickle festen Glauben an die Lehren des Gurus und an die heiligen Schriften. Immer wieder wird dein Guru dir sagen, sei überzeugt von der Leere der flüchtigen Namen und Formen. Flüchtige Dinge, die dich anziehen, erscheinen dir real, sie sind es aber nicht. Und sei überzeugt, du wirst weise und aufgeweckt, du wirst entflammt mit Idealismus. Ein großes Verlangen wird sich bei dir einstellen: „Ich möchte das höchste Wesen, die höchste Erfahrung kennen lernen. Ich wünsche Gotterkenntnis, Selbstverwirklichung.“

Wenn dieses Verlangen mit diesem Idealismus von dir Besitz ergreift, kannst du kein planloses, zufälliges und charakterloses Leben führen. Idealismus kann sich nur dort bilden, wo edle und erhabene Leitsätze beachtet werden. Ein moralisches Leben ist die Grundlage für Selbstbeherrschung. Selbstbeherrschung ist die Basis für einen edlen Charakter. Ein edler Charakter ist die Basis von Brahmacharya. Brahmacharya ist die Basis göttlicher Vollkommenheit und der Befreiung vom Leid. Brahmacharya ist die Grundlage eines göttlichen Lebens mit großer Begeisterung und Leidenschaft. Solch ein göttliches Leben ist das Herz von Swami Sivanandas Evangelium, seiner Lehre, seiner Botschaft an die Menschheit. Gott segnen dich, wenn er diese grundlegenden Wahrheiten über dich selbst, über dein Leben, deinen Charakter, dein Verhalten, über die Ideale, die du aus der Vergangenheit geerbt hast und über den erhabenen Weg, den du zukünftig beschreiten wirst. So wird dein kluger und praktischer Weg, den du heute beschreitest, durch das Erbe aus der Vergangenheit gestützt und veredelt. Wenn die Gegenwart klug genutzt wird, kann deine Zukunft eine Sache der Schönheit, der Freude für dich und für andere sein und eine Genugtuung für deine Bemühungen. Mögest du ein glückliches Leben führen. Die Weisen sagten, genieße nicht für eine kurze Zeit, um danach dauerhaft als Nervenbündel ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Aber sie sagten genieße und lebe 100 Jahre. Du kannst das Leben 100 Jahre lang genießen, wenn du klug und gemäßigt lebst.


23.6 Bücher über Brahmacharya

Swami Sivananda hat ein ganzes Buch nur  über Brahmacharya geschrieben. Ein anderer heiliger Mann, der spirituelle Lebensart verbreitete – Charakterbildung, Ethik, Moral, Körperkultur, Gesundheitskultur und mit gleichem Namen – Swami Sivananda aus Amaravati, nahe Nagpur im Maharashtra, hat ebenfalls ein ganzes Buch über Brahmacharya mit dem Titel „Brahmacharya Hechi Jeevan“ (Brahmacharya alone is Real life) geschrieben. Es wurde in Marathi (indoiranisch) geschrieben und wurde in viele Sprachen, in Kanarese (Südindien), Hindi (Nord und Zentralindien) und in Englisch übersetzt. Swami Jagadishananda von der Sri Ramakrishna Mission hat auch ein Buch über Brahmacharya mit dem Titel „The Creative Power of Continence“ geschrieben. Ein anderer Lehrer, der später sehr bekannt wurde und die skandinavischen Länder regelmäßig besuchte, war Sri Swami Narayanananda Saraswati, der seinen Ashram auf der Dehradun Road in Rishikesh hatte, hat auch ein  sachkundiges Buch zum diesem Thema geschrieben (>> Brahmacharya für Jungen und Mädchen).


24. Die überragende Bedeutung des Brahmacharya

24.1 Die vier Ziele des Lebens

von Swami Chidananda

Vier große Werte sind von unseren Vorfahren als Ziele gesetzt worden, die zu erreichen, sich jeder Mensch bemühen sollte. Diese vier großen Ziele werden Purushartha Chathushtaya genannt. (Purushartha Chathushtaya = die vier Ziele des Menschen:

1. Dharma (richtiges Handeln)
2. Artha (Wohlstand)
3. Karma (Wunsch-/Sinneserfüllung)
4. Moksha (Befreiung)

Purushartha bedeutet rechte Anstrengung oder Bemühung. Was sind nun diese vier großen Ziele? Man gab ihnen eine führende Bedeutung, einen wichtigen Platz, in der Ethik und Moral. Das erste Ziel wird Dharma, richtiges Handeln, genannt. Was immer du auch tust, sollte korrekt getan werden. Es sollte das sein, das richtig, das rein, das moralisch und ethisch korrekt ist. Du solltest nichts tun, das dem Gesetz von Ethik und Moral widerspricht. Warum? Weil im ethischen Verhalten dein höchstes Gut liegt. Im ethischen Verhalten liegt dein höchstes Wohlergehen. Wenn deine Gedanken, dein Reden und dein Handeln moralisch und rechtschaffen ist, dann erfolgt daraus Glück. Andernfalls erntest du Bitterkeit. Dies ist ein Gesetzes, das dieses ganze Universum durchdringt. Es ist das Gesetz von Ursache und Wirkung. Dieses Gesetz besagt: „Woran ein Mensch denkt, das bekommt er.“ Dieses Gesetz kann auch in einer anderen Weise verstanden werden, nämlich: „Wie du säest, so wirst du ernten“. Dieses Gesetz von Ursache und Wirkung wird auch als das Gesetz des Karmas oder als Karmaphala (karmische Reaktionen) bezeichnet. Wenn du dich in einer gerechten Sache engagierst, wirst du mit Glück und Seligkeit belohnt. Das Resultat ist dein Wohlergehen, deine Zufriedenheit. Wenn du dieses Gesetz ignorierst oder vernachlässigst und deine Handlungen sind nicht richtig, was geschieht dann?

Du erntest eine Reaktion, die bitter ist, eine Reaktion, die nicht gut für dich, für dein Wohlergehen ist. Anstatt dass du dich um deine göttliche Vervollkommnung bemühst, sitzt du da und verursachst Hindernisse. Du bremst deinen Fortschritt in Richtung auf dieses große Ziel. Du erzeugst dein eigenes Elend. Um das höchste Wohlbefinden im Leben zu erfahren, setzten unsere Vorfahren die Ethik an die erste Stelle. Die Ethik sichert mehr als alles andere, den größten Gewinn für die individuelle Seele. Darum befolge die moralischen und ethischen Werte im Leben. Weiche nie vom ethischen Standard ab. Dann wirst du glücklich sein. Du kannst Schwierigkeiten haben. Die Leute können dir einige Schwierigkeiten bereiten; dennoch wirst du glücklich sein. In deinem Innern wirst du Glück und Frieden finden. Ich sage „innerlich“, weil körperliche Mühen und geistige Schwierigkeiten und Qualen durchaus vorhanden sein können. Die, die du entsprechend deinem Karma erleiden musst. Aber wenn du dich für das rechte Leben engagierst, wird es dir unermessliche Stärke geben. Nimm dir an den Pandavas (eine Fürstenfamilie aus der Mahabharata) ein Beispiel. Was für Schwierigkeiten, Versuchungen, Widerwärtigkeiten und Leiden sie durchmachten mussten!

Dennoch fanden sie innere Zufriedenheit, weil sie nicht vom rechten Weg abwichen. Das gab ihnen innere Stärke. Sie gaben ihren inneren Kampf niemals auf. Sie brachen niemals zusammen. Nichts konnte sie erschüttern. Sie befolgten immer die Tugenden. Darum besiegten die fünf Pandavas, die die Tugenden stets befolgten, die hundert Kauravas, denen es an innerer Stärke mangelte. Darum unterstützt das Dharma, die Lehre der Tugend, die, die das Dharma unterstützen. Und diejenigen, die das Dharma nicht unterstützen, fallen. Darum ist es unsere wichtigste Aufgabe, unser Leben nach ethischen und moralischen Werten auszurichten. Dies sind die ethischen und moralischen Verpflichtungen des Dharma. Nun kommen wir zum zweiten Wert, zu Artha, dem Wohlstand. Du hast den Körper. Du empfindest Hunger und Durst, Hitze und Kälte. Du wünschst dir Nahrung und Kleidung und Schutz vor dem Wetter. Und du wünscht dir andere lebensnotwendige Güter. Für alles dieses, brauchst du Geld. Folglich musst du einen Job haben, einem Geschäft nachgehen oder einen Beruf ausüben. Diesen Aspekt des Lebens ignorierten die Menschen des Altertums keinesfalls. Sie sagten: „Jawohl, dies ist ein unumgänglicher Wert, der aus der Tatsache heraus entsteht, dass du in dieser Welt lebst.“ Sie nannten diesen Wert Artha, den Wohlstand.

Artha ist Geld, der ökonomische Wert. Geld ist unvermeidlich, es ist notwendig. Darum musst du dich bemühen. Aber du solltest dich auf der Grundlage von Dharma, auf der Grundlage der Rechtschaffenheit, darum bemühen. Deine Bemühungen, deinen Lebensunterhalt zu erwerben, sollte nicht unmoralisch, unethisch oder unrecht sein. Das Dharma, das richtige Handeln, sollte die Grundlage deiner Berufstätigkeiten oder deiner Geschäftstätigkeiten sein. Alles, was du im Leben tust, sollte auf Dharma basieren. Dharma sollte die Basis sein. Und nun zum dritten Wert, dem Karma, der Wunsch- und Sinneserfüllung. Jedes Tier, sei es ein Hund, ein Esel, eine Kuh oder ein Büffel, ist zufrieden, wenn es Nahrung, Trinken und einen Platz zum Ausruhen hat. Aber der Mensch ist anders. Er hat viele Sehnsüchte, viele Wünsche und Ansprüche. Der Mensch ist ein psychologisches Lebewesen. Er hat Sehnsüchte, Wünsche, Ehrgeiz und große Pläne. Darum hat das Karma einen Platz unter den vier Lebenszielen bekommen. Der dritte Platz der lebenswichtigen Ziele, gilt den Wünschen des Menschen. Die Tiere haben kaum andere Wünsche. Sie haben nur ihren Instinkt, nach dem sie leben. Sie wünschen sich Nahrung, Trinken und einen Platz zum Ausruhen. Und darum sind sie zufrieden, wenn sie dies gefunden haben. Aber der Mensch ist nicht zufrieden. Er sind die unerfüllte Wünsche, die ihm die Zufriedenheit rauben. Man nennt dies Karma.


24.2 Die Bedeutung des Dharma

Unter Karma versteht man Wünsche jeder Art. Besonders sind damit Wünsche gemeint, die im Gegensatz zu Ethik und Moral stehen und eigentlich vermieden werden sollten. Diese Wünsche sollten nicht weiter beachtet werden und keinen Platz in deinem Leben haben, weil sie deinen Entwicklungsprozess stoppen, deinen Fortschritt, der dich zum Gottesbewusstsein führt. Es sollten nur jene Wünsche in deinem Verstand beherbergt werden, die mit den Regeln der Rechtschaffenheit, mit den Regeln des Dharma, übereinstimmen. Darum ist das Dharma das allumfassende und dauerhafte Fundament für alles menschliche Streben. Auch deine beruflichen und sozialen Tätigkeiten, sollten mit dem Dharma übereinstimmen. Das Dharma sollte deine Gedanken, dein Reden und Handeln leiten. Darum sollte dein ökonomisches und privates Streben, dein äußeres weltliches Leben, vom Dharma beseelt sein. Dann wird es dich zur Zufriedenheit führen. Wird das Dharma missachtet, dann führt das zu Leid. Das ist die einfache Wahrheit.

Ein anderer wichtiger Grund, warum alle Bestrebungen nach weltlichen Dingen vom Dharma getragen sein sollten, ist die Tatsache, dass nur dann dein Leben höchstes Glück erfahren kann. Was ist dieses höchste Glück? Es ist Gottrealisierung, Befreiung, göttliche Vervollkommnung, höchstes spirituelles Bewusstsein, Erleuchtung. Nur dafür sind wir geboren. Das allein macht das Leben lebenswert. Egal wie hoffnungslos das Leben sein mag, wenn du nur dieses eine Ziel hast, göttliches Bewusstsein zu erreichen, dann erhältst du die Stärke, alle Wechselfälle des Lebens zu ertragen und sie zu überwinden. „Ich bin göttlich. Vorübergehend hatte ich es vergessen. Und bis ich göttliches Bewusstsein erreicht habe, ist mein Leben nicht zufriedenstellend.“ Wenn dieses dein Ziel ist, egal was dir geschieht, wird alles andere zweitrangig und weniger wichtig. Wenn dein oberstes Ziel, die Verwirklichung deiner göttlichen Natur ist, dann wird es dein Leben beherrschen, und dich über alles Unglück hinwegtragen. Es gibt dir Stärke und bestimmt die Richtung in der sich dein Leben bewegt. Von diesem Moment an, bewegt sich dein Leben in der von dir bestimmten Richtung. Dieses Leben kann durch kein Unglück berührt werden. Hat man einmal Kraft und Energie gewonnen, dann reitet man triumphierend über alle Höhen und Tiefen des Lebens zum göttlichen Selbst.

Das höchste spirituelle Ziel sollte also darin bestehen, das Leben so lebenswert zu machen, das es eine tiefen Sinn erfüllt. Worin besteht der Sinn des Lebens? Besteht der Sinn des Lebens darin, zu Essen, zu Trinken, zu Schlafen und eines Tages zu Sterben? Sollte das Leben daraus bestehen, ein paar unbedeutende und verrückte Sachen zu machen und dann zu sterben? Am Ende wartet der Tod auf uns. Was ist es, das das Leben sinnvoll macht? Durch dieses Leben, das von Geburt, Kindheit, Alter, Krankheit und Tod gekennzeichnet ist, solltest du ein göttliches, ein spirituelles Element hineintragen. Du bist hier, um göttliches Bewusstsein zu erlangen. Du solltest beschließen: „Ich werde unsterblich. Ich verwirkliche meine unsterbliche Natur. Ich sollte einsehen, dass ich eine unsterbliche, göttliche Seele besitze“. Und du musst dich bis zum äußersten anstrengen, um dieses Ziel zu erreichen. Dieser höchste Wert ist der wichtigste Wert, der dem Leben Tiefe, wahrhafte Bedeutung und Zielstrebigkeit gibt. Er macht das Leben bedeutend, wichtig, heilig und sinnvoll. Darum ist die unsterbliche Seele der wichtigste Wert im Leben. Wenn das göttliche Bewusstsein vorhanden ist, erhältst du die Stärke, alle Schwierigkeiten, alle Spannungen und Belastungen des Lebens zu überwinden.

Das Dharma, die ethischen, moralischen und religiösen Verpflichtungen, ist aus zwei Gründen wichtig. Erstens, wenn du es in deinem weltlichen Leben aus Wohlstand und Karma, in deinem ökonomischen und spirituellen Handeln, praktizierst, führt es zu Glück. Ist es dort nicht vorhanden, dann führt es zu Sorge und Elend. Darum solltest du Dharma praktizieren. Dies ist der Sinn des Dharma. Wenn das Dharma dein Leben ausfüllt, dann führt es dein Leben zur Befreiung, zur Erreichung der höchsten geistigen Werte im Leben. Es befreit dich ein für allemal vom Rad des Lebens und des Todes. Dann gibt es keine Wünsche, keine Sorgen, keine Tränen, kein Wehklagen, keine Schwierigkeiten und keine Probleme mehr. Dann überschreitest du alles Leiden. Du erreichst einen Zustand absoluten Friedens, absoluter Seligkeit, absoluter Freude. Du erreichst höchste Zufriedenheit, wirst furchtlos und frei. Diese höchste Erfahrung, dieses höchste Bestreben, das Parama Purushartha (die vier Bestrebungen des Menschen: Karma, Wohlstand, Dharma, Erleuchtung), verwirklicht göttliches Bewusstsein. So hat Dharma eine direkte Verbindung zur Erleuchtung. Darum mache das Dharma zur Grundlage deines gesamten Lebens. Im Rahmen eines dharmischen Lebens, trägt die spirituelle Praxis schnell Früchte. Wann immer du Japa (Mantrameditation), Gebet, spirituelle Studien oder Meditation praktizierst, wird es sich wie beim Reiben eines trockenen Streichholzes an einer Streichholzschachtel, schnell wie ein spirituelles Feuer ausbreiten.

Dort, wo das Dharma dein Leben belebt und durchdringt, wird die spirituelle Praxis schnell fruchtbar und erzielt Fortschritte. Dieses ist das große Ideal Indiens. Es ist unvermeidlich, sich um die ökonomischen Werte zu bemühen, um die irdischen Belange zufrieden zu stellen. Aber es ist der spirituelle Wert, der das Leben erfolgreich und glücklich macht, der dich von Sorge und Knechtschaft befreit. Und es ist der ethische Wert, der von allen der wichtigste ist, weil er dir ein Leben in Glück und Zufriedenheit garantiert.


24.3 Energieerhaltung im spirituellen Leben

Um die vier Ziele des Menschen (Dharma, Wohlstand, Karma, Befreiung) zu erreichen, benötigen wir Stärke. Wir benötigen Energie. Jede Bemühung, jede Anstrengung, erfordert Stärke und Energie. Die Energie kann nur transformiert werden, wenn sie bewahrt wird. Aber wenn sie vergeudet wird, ist sie für immer verloren. Gerade so, als wenn man ein Haus bauen oder ein Geschäft beginnen möchtest, beginnt man zu sparen. Man spart und legt das Geld z. B. auf einem Festgeldkonto einer Bank an. Und nach 5 oder 10 Jahren, wenn man genug gespart hat, beginnt man mit dem Geschäft oder mit dem Bau des Hauses. Aber wenn du jeden Monat mehr ausgibst, als du verdienst, wenn jeden Monat deine Ausgaben höher als dein Einkommen ist, wie kannst du dann von einem Haus oder einem eigenen Geschäft träumen? Für dieses Verhalten, trägst du allein die Schuld. Du wirst dich hoch verschulden. Deine Situation wird im Laufe der Zeit immer miserabler werden. Genau so sparsam, wie man mit dem Geld umgehen sollte, sollte man mit seinen Energien umgehen. Die Erhaltung der sexuellen Energie, um sie für höhere spirituelle Zwecke zu nutzen, ist das zentrale Prinzip von Brahmacharya.

Was Brahmacharya genannt wird, ist eine kluge Empfehlung unserer Vorfahren, die individuellen spirituellen Bemühungen erfolgreich abzuschließen. Sie kamen zu der Erkenntnis: „Du solltest deine Energie bewahren.“ Denn, wenn du ausreichend Energie bewahrt hast, kannst du alles erreichen, was du erreichen möchtest. Aber wenn du deine Energie verschwenderisch verausgabst, wird es sehr schwierig, höhere spirituelle Ziele zu erreichen. Es wird ein langwieriger, schwerer und fast aussichtsloser Kampf. Darum ist die Bewahrung von Energie das Wesentliche von Brahmacharya. Energie wird in einem Dutzend unterschiedlicher Richtungen vergeudet. Zu viel Unterhaltung, zu viel Sorgen, zu viel Wünsche, bringen Wut, Zorn, Kampf, Streitlust und Esszwang mit sich. Alle diese Dinge rauben uns unsere Energie. Alle Ausschweifungen, alle extremen Gewohnheiten, die Verschwendung der nervösen und emotionalen Energie durch Gedanken des Hasses, des Neids und der Eifersucht und alle gesundheitsschädlichen Gewohnheiten, wie das Rauchen und Trinken, rauben uns unsere Energie. Darum ist die Sinneskontrolle ein unvermeidlicher Teil von Brahmacharya.

Das Arbeiten der Sinne verbraucht ebenfalls Energie. Das sollte klug beachtet werden. Und eine, der am stärksten verfeinerten, am stärksten konzentrierten Energien, ist die sexuelle Energie. Die sexuelle Energie, können wir als die Quintessenz der Energien bezeichnen. Es ist das Energiepotential in einer hochkarätigen Form. Es ist die Quintessenz all dessen, was wir essen, was wir zu uns nehmen. Genauso wie Honig die Quintessenz der Blumen und Butter die Quintessenz von Milch ist. Tausende von Bienen sammeln Nektar von Millionen von Blumen und bringen ihn in einem großen Bienenstock. Und wie durch ein biochemisches Wunder entsteht daraus Honig. Aus vielen Litern Milch entsteht Butter. In der gleichen Weise ist die sexuelle Energie die reinste Form der menschlichen Energie. Wenn die sexuelle Energie klug konserviert wird, dann kann sie in viele andere Formen umgewandelt werden. Wenn du z. B. fleißig studierst und ein brillanter Studierender mit einem wundervollen Gedächtnis werden möchtest, dann kann die sexuelle Energie dir dabei eine große Hilfe sein. Wenn du ein brillanter Chirurg oder ein hervorragender Musiker werden möchtest, kommt die sexuelle Energie dir dabei ebenfalls zur Hilfe. Dieses ist möglich, weil sexuelle Energie, wenn sie bewahrt wird, allmählich in subtilere Energie umgewandelt wird. Selbstverständlich gibt es Yogaprozesse, wie Asanas (Yogaübungen), Pranayama (Atemübungen), Surya-Namaskar (der Sonnengruß – eine Abfolge von 12 Yogahaltungen), hohe Gefühle, erhabene Gefühle und spirituelle Gefühle, die bei der Arbeit der Umwandlung helfen. So geht die Arbeit der Umwandlung weiter und weiter und die verfeinerte Energie wird für höhere intellektuelle Arbeiten, für Forschungen, Erfindungen und Meditationen genutzt. Und darum hat eine kluge Bewahrung dieser lebenswichtigen Energie, immer einen wichtigen Platz in allen Religionen dieser Welt gehabt.


24.4 Die sexuelle Energie

Was ist sexuelle Energie? Sexuelle Energie ist ein Ausdruck Gottes. Es ist der dynamische Ausdruck Brahmans. Es ist Shakti, die weibliche Energie des göttlichen Universums. Wir alle wissen, dass dieses phänomenale Universum Ausdruck der grenzenlosen und unbeschreiblichen kosmischen Energie ist. Wir benennen diese kosmische Energie Para Shakti (Höchste Energie), Maha Shakti (Größte Energie), Maha Maya oder Prakriti (Natur). Milliarden von Universen entstehen und vergehen durch die Aktivität dieser großen kosmischen Energie. Es ist diese kosmische Energie, die die Sonne und die Planeten mit einer unglaublichen Geschwindigkeit auf ihrer Umlaufbahn dahinwirbelt. Es ist die kosmische Energie, die als Schwerkraft, als die Energie der Sonnenstrahlen, als Energie aller großen Planeten und Himmelskörper und als Windenergie in Erscheinung tritt. Manchmal, wenn der Wind besonders wütet, trägt er sogar Hausdächer davon. Es ist die kosmische Energie, die sich manchmal als die Energie des Feuers, der Vulkane, der Wasserfluten, der Erdbeben, der Berge, Flüsse und Meere ausdrückt. Darum sind Erde, Luft, Wasser und Äther, alles Ausdrucksweisen dieser Energie. Es ist die gleiche Energie innerhalb des Samens, die den Samen wachsen lässt und ihn in einen großen Baum verwandelt.

Es ist die Kraft hinter Blitz und Donner. Jede Energie, die du in diesem Universum siehst, ist die Energie dieser kosmischen Kraft. Es ist die gleiche Energie, die alle Lebewesen, Bäume, Pflanzen, Insekten, Vögel, Bienen, Reptilien, Fische und Tiere belebt. Es ist die Energie des Löwen, des Elefanten und es ist die Energie des leuchtenden Intellekts eines Genies wie Michael Faraday (englischer Physiker und Chemiker, 1791), Venkata Raman (indischer Physiker und Nobelpreisträger von 1930) oder Albert Einsteins. Dieselbe Energie weilt in uns und belebt unseren Körper. Es ist die Energie, die unsere Nahrung verdaut, die unser Herz dazu bringt, Blut durch die Adern zu pumpen, die unsere Lungen atmen lässt, unsere Muskeln und Gelenke arbeiten lässt, die unsere Zunge sprechen und unser Ohr hören lässt. Es ist die Energie, die auch in unserer sexuellen Energie vorhanden ist. Darum ist die sexuelle Energie Teil der unteilbaren kosmischen Energie, die im Menschen vorhanden ist. In ihrem groben biologischen Aspekt wird sie als sexuelle Energie bezeichnet. In einem feinerem Aspekt ist sie die Unterscheidungskraft, die Energie des Intellekts, der analysiert, forscht und nachdenkt. In einem noch feinerem Aspekt, in einem psychischen Aspekt, ist sie die Energie der Kundalini. Und in ihrem höchstem Aspekt, ist sie nichts anderes als Atma Shakti, göttliche Energie.

Brahman (Gott) und Shakti sind nicht zwei. Sie sind der statische und der dynamische Aspekt desselben Prinzips. Darum ist die sexuelle Energie nichts anderes als die Anwesenheit der göttlichen Mutter in allen Menschen. Es ist etwas Göttliches, etwas Heiliges, das der Schöpfung entspringt, und das ganze Universum durchdringt. Es ist ein Fortpflanzungsprozess, der in der ganzen Natur vorhanden ist, in jeder Form des Lebens. Ohne diese Fortpflanzung, würden alle Arten bald aussterben. Darum ist die Verausgabung der sexuellen Energie zur Zeugung ein heiliger Prozess in Zusammenarbeit mit Brahman, dem Schöpfer. Jede andere Verausgabung der sexuellen Energie, ist ein zweitrangiger, weniger bedeutender Aspekt. Und wenn diese Energie in einer zurückhaltenden Weise verwendet wird, kann sie für die höhere spirituelle Zwecke genutzt werden. Wenn diese grobe biologische Energie durch die Yogapraxis in eine subtilere Form umgewandelt wird, steht sie für tiefe Kontemplationen, Betrachtungen und Meditationen zur Verfügung. Kontemplation, Meditation und Erleuchtung wird erst durch die Bewahrung dieser Energie ermöglicht. Dies alles geschieht durch Brahmacharya.

Darum bewahren alle Yogapraktiken die sexuelle Energie und wandeln sie erfolgreich in spirituelle Energie um. Darum ist Brahmacharya nicht nur eine Zurückhaltung der sexuellen Energie, sondern eine andere Lebensart. Es ist eine Lebensweise, die uns göttliches Wissen, göttliche Erfahrungen, näher bringt. Und darum empfiehlt Yoga Mäßigung in allen unseren Tätigkeiten und eine kluge Begrenzung aller sinnlichen Begierden. In der indischen Kultur wurde das Brahmacharya in drei Lebensstadien, nämlich als Schüler (die ersten 25 Lebensjahre), als Vanaprashta (Ruheständler, etwa ab dem 50. Lebensjahr) und als Sannyasin (Waldasket, etwa ab dem 75. Lebensjahr), empfohlen. Nur in der Ehe (etwa zwischen dem 25. und 50. Lebensjahr) galt die Sexualität als legitim. In der Ehe bedeutete das Brahmacharya sexuelle Mäßigung, ein kluger und zurückhaltender Gebrauch der sexuellen Energie für die Zeugung. Mäßigung, Keuschheit und Treue zum verheirateten Partner, wurden in der Ehe empfohlen. Es wurde dem verheirateten Mann vorgeschrieben, keiner anderen Frau mit unreinen Blicken nachzuschauen. Durch dieses erhabene Konzept des Brahmacharya, entstanden zwei große Ideale, das Pativrata Dharma (Grundgesetze der Ehe) und die Monogamie.

Der Mann durfte nur noch eine Frau heiraten. Sie war dann seine gesetzlich angetraute Ehefrau. Er sollte keine lüsternen, leidenschaftlichen und sinnlichen Blicke auf andere Frauen werfen. Die tugendhafte Frau konnte nur einen Mann heiraten und dieser Mann war ihr Ehemann, dem sie mit Achtung und Verehrung begegnen sollte. Allen anderen Männern gegenüber sollte sie sich wie eine Mutter verhalten. Es gab nur einen Mann, dem sie das Gefühl geben sollte: „Ich bin eine Frau“, und dieser eine Mann war ihr gesetzlich angetrauter Ehemann. Dies ist ein Ideal, das aus dem Brahmacharya heraus entstanden ist. Insofern war die klassische Haltung gegenüber der sexuellen Energie, durch die Zustimmung des Brahmacharya gekennzeichnet. Die alten Meister betrachteten die sexuelle Energie nicht als hässlich, schlecht, sündhaft oder unmoralisch. Solche falschen Vorstellungen über die sexuelle Energie, sind das Resultat eines Missverständnisses in der Erhabenheit dieser besonderen Energie. Es ist ein weit verbreiteter Aberglaube und ein Mangel im Verständnis der Menschen, denen es am rechten Wissen mangelt. Solche Menschen fangen plötzlich an, die sexuelle Energie als etwas Schlechtes zu betrachten. Ein Grund für die Entwicklung einer solchen Haltung, ist die allgemeine menschliche Schwäche für die Sexualität. Dadurch sind einige moralische Tabus in Bezug auf die Sexualität entstanden. Andererseits geht der Mensch häufig den Weg des geringsten Widerstandes. Darum sagten einige: „Nein, Nein. Dieses sollte nicht getan werden. Es sollte nicht in dieser und jener Weise getan werden, weil die heiligen Schriften es so sagen.“ Sie entwickelten ihre eigenen Vorstellungen.


24.5 Der menschliche Körper verglichen mit einer Villa

Ein Punkt sollte hier betont werden. Der Körper ist wie eine Villa. Egal wie wundervoll die Villa ist, so möchte jedoch niemand in dieser Villa leben, wenn sie keine Küche, kein Badezimmer und keine Toilette hat. Was immer du dieser Villa, dem menschlichen Körper, an Energie zuführst, davon wird ein Teil benötigt, um den Verstand zu bilden, ein anderer Teil wird benötigt, um den Körper zu bilden, und die restliche Energie muss als Abfall wieder beseitigt werden. Abfall ist immer übelriechend. Die Verunreinigungen des Körpers riechen ebenfalls sehr unangenehm. In einer realen Villa braucht man eine Toilette und eine Küche. Ist dort keine Küche, dann möchte dort niemand leben. Du kannst irgendeinen Palast konstruieren, aber wenn es dort keine Nahrung, kein Mittagessen, kein Frühstück und kein Abendessen gibt, dann wird dort niemand einziehen. Und wenn eine Küche da ist, sollte auch eine Entwässerung vorhanden sein. Eine Küche bedeutet Abfall, übrig gebliebene Essensreste, Gemüseabfälle, Kartoffelschalen und all das. Wenn diese Abfälle aufbewahrt werden, beginnen sie zu verfaulen. Und darum musst du dich um die Abfallbeseitigung kümmern. Du musst eine Entwässerung und Kanalisation haben. Ohne Entwässerung und Kanalisation, ist ein Leben in einer Villa nicht möglich.

Ebenso im menschlichen Körper, in dieser Villa mit neun Toren, gibt es einen Eingangsweg und Fenster für Licht, Luft und Wissen. Für die Entwässerung und Abfallbeseitigung hat Gott zwei Öffnungen vorgesehen. Ihre Aufgabe gilt der Abfallbeseitigung. Es sind zwei Abflüsse. Kein Zweifel, die Funktion der Fortpflanzung ist ebenso vorhanden. Aber sie übertrieben zu nutzen, dazu neigt nur der Unkluge. Es verrät einen Mangel an Wissen. Von der Geburt bis zum Tod, Tag für Tag, an einunddreißig Tagen im Monat und an 365 Tagen im Jahr, ist die konstante Funktion, die dieses Ausgangstor erfüllen muss, die Harnentleerung. Und die gelegentliche Funktion, die sie als Zeugungsorgan erfüllen soll, ist eine Zusammenarbeit mit der göttlichen Natur. Aber dieses ist eine äußerst seltene Gelegenheit, die nur während der Ehe praktiziert werden sollte. Im ersten Lebensabschnitt als Schüler, hat es keinen Platz; im dritten Lebensabschnitt als Waldeinsiedler (Vanaprashta), hat es keinen Platz; und im vierten Lebensabschnitt als Mönch (Sannyasin), hat es ebenfalls keinen Platz. Es gibt im Leben des Menschen eigentlich nur einen Lebensabschnitt, in dem die Fortpflanzungsfunktion genutzt werden sollte, nämlich in der Ehe. In der restlichen Zeit des Lebens, ist die Hauptfunktion des männlichen Gliedes, die Harnentleerung.

Änderst du deinen Blickwinkel und betrachtest du deinen Körper und deine Sexualität aus der rechten Perspektive, dann hast du das Problem gelöst. Betrachtest du deine Sexualität dagegen aus der falschen Perspektive, dann ergeben sich daraus allerlei Schwierigkeiten. Zweitens betrachte die Sexualität einmal aus einem vedantischem Gesichtspunkt. Das Vedanta sagt, dass du in Wirklichkeit nicht dieser Körper bist, sondern die göttliche Seele. Und wenn du dich nicht mit deinem Körper identifizierst, dann ist deine Aufmerksamkeit auf Gott gerichtet und nicht auf deine Sexualität. Und wenn dein Glaube in Vedanta fest ist, dann hast du die Lösung bereits in deiner Hand.


24.6 Wie man über die Sexualität hinauswächst

Es gibt eine andere wichtige Betrachtungsweise beim Brahmacharya. Und das betrifft dein Ziel und dein Streben im Leben. Was möchtest du in deinem Leben erreichen? Welcher große Wunsch beherrscht dein Leben? Gibt es einen Konsumhunger in dir? Möchtest du gerne das größte musikalische Genie oder der schnellste olympische Läufer dieser Welt werden? Egal, wie dein Ehrgeiz aussieht, wenn dein hauptsächliches Ziel der Konsumhunger ist, dann treten alle anderen Probleme in den Hintergrund. Sie stellen kein größeres Problem mehr dar. Wenn du kein ehrgeiziges Ziel hast, dann wird alles zum Problem, besonders die Sexualität. Darum ist die rechte Weise, das sexuelle Problem zu lösen, indem man über die Sexualität hinauswächst. Damit verliert sie ihre Bedeutung. Du musst über die Sexualität hinauswachsen, nicht mit ihr ringen, sondern sie besiegen. Wenn du kein umfassend konzentriertes Vorwärtsstreben und keinen Ehrgeiz in deinem Leben hast, dann bekommt das stürmische Verlangen nach sinnlichen Genüssen eine übergroße Bedeutung in deinem Leben. Dein ganzes Leben wird zum sinnlichen Begehren, zu einer Sucht nach Sex. Aber wenn du in deinem Leben deinen spirituellen Idealen folgst, dann erreicht der sinnliche Lärm nicht mehr deine Aufmerksamkeit. Dann ist nämlich deine ganze Aufmerksamkeit auf dein spirituelles Ziel, auf Gott, ausgerichtet.

Darum ist die rechte Weise, sich von der sexuellen Bedrängnis zu befreien, sich über sie hinaus zu entwickeln. Dieses geschieht durch das Entwickeln einer großen Liebe zu Gott und zu spirituellen Idealen und durch das Entwickeln eines reinen, moralischen und ethischen Lebens, um Befreiung zu erlangen. Wenn der intensive Wunsch nach Befreiung und Erkenntnis vorhanden ist, dann treten alle anderen Dinge in den Hintergrund. Wenn du den Sieg über dem Lärm der Sinne erringen möchtest, dann musst du in dir ein loderndes Feuer nach höheren Zielen entzünden. Was geschieht dann? Um das zu erreichen, wonach dein Herz begehrt, verfolge das von dir angestrebte Ziel so intensiv, dass keine Zeit mehr für unnötige Dinge bleibt. Verschwende deine Zeit nicht mit nutzlosen Angelegenheiten. Große Wissenschaftler haben dieses Problem nicht. Sie werden die ganze Zeit von ihrer wissenschaftlichen Arbeit aufgesogen. Ihre ganze Konzentration gilt ihrer Arbeit. Da bleibt nicht mehr viel Zeit, um sich über die Kleidung, die Sinnlichkeit oder andere weltliche Dinge Gedanken zu machen. Warum ist das so? Weil sie von ihrer Arbeit vollkommen aufgesogen und mitgerissen werden. Die ist die rechte Weise, erfolgreich Brahmacharya zu praktizieren.


24.7 Freiwilliges Zölibat ist keine Unterdrückung

Es gibt in der westlichen Welt die Vorstellung, dass die Sexualität ein natürlicher Trieb ist, dem man freien Ausdruck verleihen sollte. Es wird gesagt, wenn man diesem sexuellen Trieb keinen freien Ausdruck verleiht, dann kommt das einer sexuellen Unterdrückung gleich. Und wenn die Sexualität unterdrückt wird, dann verursacht sie alle möglichen Abnormalitäten und Neurosen. Dieses entspricht sogar teilweise der Wahrheit. Es entspricht insofern der Wahrheit, dass dann, wenn die sexuelle Unterdrückung auf äußere Umstände zurückzuführen ist, die sich deiner Kontrolle entziehen, es wirklich zu psychischen Problemen kommen könnte. Lebt man z. B. in einem sozialen Umfeld, das durch Tabus, eingefleischte Vorurteile, Zwänge und Verbote gekennzeichnet ist, dann kann das die persönliche Entwicklung sehr behindern. Dieser Zwang kann auf den Einfluss des Vaters, auf die Dominanz der Mutter oder der Familie ganz allgemein, zurückzuführen sein. Dieser Zwang ist auch teilweise in religiösen und spirituellen Gemeinschaften anzutreffen. Das kann unerwünschte innere Konflikte verursachen. Dabei sollte man allerdings bedenken, dass es in Klöstern das Noviziat gibt, eine zwei bis sechsjährige Probezeit, in der der Novize sich für oder gegen das Zölibat entscheiden kann. Niemand wird gezwungen, Mönch, Nonne oder Priester zu werden.

Wenn du ein höheres Ziel anstrebst, dann bist du gerne bereit, freiwillig die spirituelle Übung der Selbstkontrolle auf dich zu nehmen, um dieses Ziel zu erreichen. Du bist gerne bereit, das Zölibat freiwillig auf dich zu nehmen. Dann ist das Zölibat keine Frage der Unterdrückung. Wenn du mit bereitem Herzen diese Selbstdisziplin, diese Enthaltsamkeit auf dich nimmst, dann hat es nichts mit Unterdrückung zu tun. Niemand bat dich, es zu tun. Es geschieht vollkommen freiwillig, auf eigenem Wunsch. Geschieht es aus Bereitwilligkeit und erfolgt es mit großer Begeisterung, dann geschieht es aus freiem Entschluss. Dann entstehen auch keine psychologischen Probleme. Ganz das Gegenteil ist der Fall. Jedes mal, wenn du das Gefühl hast, die Triebe besiegt zu haben, erfährst du ein inneres Hochgefühl, innere Zufriedenheit über deine Erfolge. Du findest etwas, dass dir innere Genugtuung und ein Gefühl des Triumphes bereitet. Dieses ist ein sehr kreativer und positiver Prozess und keineswegs ein negativer Prozess, der etwas mit Unterdrückung zu tun hätte. Wenn du das Zölibat also mit diesen Augen betrachtest, wenn du dich in dieser Form dem Brahmacharya näherst, dann ist es einfach. Es ist eine Frage des Bewahrens von sexuellen Energien, damit sie für höhere spirituelle Zwecke verwendet werden können, die man gerne erreichen möchte.

Diese Energie in dir, ist Teil der kosmischen Energie. Kosmische Energie, die sich im menschlichen Individuum auf unterschiedliche Weise ausdrücken kann. Ein sehr wichtiger Ausdruck der kosmischen Energie ist der körperlich-biologische Aspekt. Das ist die sexuelle Energie. Ein höherer Ausdruck ist der geistige, kulturelle und okkulte Aspekt. Geistige, kulturelle und okkulte Energie, wird als Medhas, als geistige und intellektuelle Leistungsfähigkeit, bezeichnet. Dann gibt es noch einen individuellen psychischen Aspekt der kosmischen Energie. Dieses ist die Kundalini-Shakti. Und über allem, glänzt die kosmische Energie in ihrem höchsten Aspekt, als das Strahlen des Atman, der Seele. Denke darüber nach. Dies ist der Same, der dein zukünftiges Handeln bestimmen sollte.


25. Brahmacharya – Ausdruck des Bewusstseins (Swami Krisnananda)

Brahmacharya ist einer der 5 Begriffe der Yamas, der Selbstkontrolle, der Yogaphilosophie. Brahmacharya bedeutet, die „Führung zum Absoluten“. „Brahman“ ist das höchste Wesen, Gott. „Charya“ ist Führung oder Leitung. Sich wie Gott benehmen. Das kann schließlich als Brahmacharya bezeichnet werden. Es ist für uns sehr schwer zu verstehen, da wir nicht wissen, wie Gott sich benimmt und wie das Absolute leitet. Das Verhalten Gottes gegenüber dem Universum und allem Sein ist Brahmacharya. Und da wir ein Teil dieses Universums sind, kann es gesagt werden, dass wir Teil dieser göttlichen Regel sind. Unsere Mitwirkung an dieser göttlichen Weisheit, kann winzig klein sein, aber sie sollte zumindest dieselbe Tendenz wie die göttliche Weisheit besitzen. Darum ist Brahmacharya ein Ausdruck des Bewusstseins, eine individuelle Einstellung und Interpretation. Dieses sind die wesentlichen Grundprinzipien des Brahmacharya. Und ohne diese Grundregeln, bekommt die Bezeichnung Brahmacharya nur eine chaotische Bedeutung, die uns nicht weiter hilft.

Im der Anu-Gita (Kommentar zur Bhagavat Gita) des Mahabharata, wird Arjuna, nach der Instruktion durch Sri Krishna, eine ausgedehnte und majestätische Interpretation über Brahmacharya erteilt. Die Idee hinter dieser bedeutenden Bezeichnung Brahmacharya, übersetzt als Führung des Absoluten, ist, dass es eine allmähliche Veränderung der Energien der menschlichen Persönlichkeit in Richtung einer unpersönlichen Gottheit ist, weil das Absolute oder der Brahman das höchste denkbare und existente Unpersönliche ist. Es gibt keine äußeren Zeichen des Absoluten und darum kann es äußerlich nicht erfahren werden. Es steht in keiner erkennbaren Beziehung zur Welt, obwohl es mit allem in der Welt zusammenhängt. Es kann nicht gesagt werden, dass Gott nicht mit der Welt in Verbindung steht. Er steht sogar bis ins kleinste Detail mit der Welt in Verbindung. Selbst jedes Sandkörnchen ist ein Ausdruck Gottes. Die Idee ist, dass der höchste Geist eine universelle Beziehung zu allen Dingen hat, frei von persönlichen oder wertenden Interessen.


25.1 Wie die sexuelle Energie vergeudet wird

Wann immer es ein Interesse auf ein Objekt oder eine Gruppe lebendiger oder lebloser Objekte gibt, wandert unser Bewusstsein in diese Richtung. Dabei ist es gleichgültig, ob unser Interesse in diese Richtung geht, denn unser Bewusstsein bewegt sich dorthin. Wechselt die Aufmerksamkeit ihre Richtung, dann bewegt sich auch das Prana, die Lebensenergie, in eine andere Richtung. Wenn sich das Prana bewegt, bewegt sich ebenfalls die Energie. So folgt eins dem anderen. Unser mentales Interesse an einer bestimmten Richtung zieht die Energie des Prana in dieselbe Richtung. Unsere Neugierde zieht die Macht des Pranas in dieselbe Richtung, und dadurch wird sie, wie eine elektrische Entladung vergeudet. Jedes psychologische Interesse in eine bestimmte Richtung, leitet die Energie genau in diesen Kanal der Aufmerksamkeit. Das psychologische oder emotionale Interesse zeichnet sich dadurch aus, dass ein Teil der Energie, wenn nicht vielleicht sogar die gesamte Energie, in das Zentrum der Aufmerksamkeit gelenkt wird, auf das sich die Aufmerksamkeit konzentriert. Darum hören wir auf, wir selbst zu sein, wenn wir etwas bewundern, etwas lieben oder von irgend etwas angezogen werden. Manchmal, wenn wir uns beispielsweise bei der Betrachtung eines Gemäldes oder beim Lesen eines Buches vollkommen versenken, verlieren wir uns gänzlich. Dieses kann geschehen, wenn wir ein Bild betrachten, eine schöne Landschaft genießen oder eine erhabene Literatur lesen.

Es macht keinen Unterschied, ob der Gegenstand ideell, sichtbar oder hörbar ist. Die Energie wird immer in Richtung unserer Aufmerksamkeit gelenkt. Wenn wir einem entzückenden Lied lauschen, wird unser Sein vollkommen durch die Stimme oder die Melodie aufgesogen. Wenn wir ein schönes Kunstwerk, eine Landschaft, ein Gemälde, oder ein anderes Objekt betrachten, richtet sich unser ganzes Bewusstsein darauf. Das gleiche geschieht, wenn wir ein fesselndes Buch lesen. In allen diesen Prozessen der sinnlichen oder intellektuellen Absorption, findet eine Kanalisierung der Energie statt. Solange wir nicht unser Selbst in diese äußeren Objekte verlieren, bleiben wir uns selber treu. Andernfalls hören wir von einem bestimmten Prozentsatz auf, wir selbst zu sein und zu jemand anderem zu werden. Wenn man nicht mehr seiner selbst ist und zu jemand anderem wird, dann gibt man sein Selbst auf. So identifiziert sich der Mensch mit dem Gegenstand seiner Aufmerksamkeit. Das Subjekt wird zum Objekt und übernimmt als solches, dessen geistige Interessen. Dieses sollte nicht geschehen, hält Patanjali, der Autor der Raja Yoga Sutras, für wesentlich. Wenn dieses geschieht, dann wird die Energie, die für die Meditation benötigt wird, vergeudet. Im selben Umfang, verlieren wir an innerer Stärke.

Der launische, unruhige Geist und die sprunghaften Gefühle, über die wir häufig klagen, sind dem Energieverlust zuzuschreiben. Es ist genauso, als würde „Mutter Ganges“ in ihrer Wellenbewegung mächtig tosend aufschäumen, und nicht wie ein ruhiges klares Gewässer dahingleiten. Wenn unsere Energien in Aufruhr sind, fühlen wir dieses im Geist. Unser ganzes System ist in Unruhe, und wir möchten uns wieder davon befreien. Genauso wie Milch durch Schütteln langsam zu Quark wird, so verwandelt sich das Subjekt (der Mensch, sein Verstand) zum Objekt. Und jede Art von Liebe ist nichts weiter als die graduierte Umwandlung des Subjekts in ein Objekt, egal ob dieses Objekt wahrnehmbar oder bloß eine Idee ist. Allein der Gedanke an das Objekt stört den Geist. Dieses wird auch in einem berühmten Abschnitt von Bhishma im Shanti Parva des Mahabharata erwähnt. Wie wir bereits früher bemerkt haben, geschieht das Denken an einen Gegenstand, auf zweierlei Arten, die als Klishta Vritti (Vritti = Gedanken) und Aklishta Vritti von Patanjali benannt werden. Klishta nennt man das, was Schmerzen bereitet; Aklishta nennt man das, was keine Schmerzen bereitet. Die Bedeutung des Wortes Klishta ist Schmerz, Leid, Sorge. Unter Klishta Vrittis versteht man Bewegungen, die einem jeden Tag unaufhörlich Sorgen bereiten, und Aklishta Vrittis hingegen sind Bewegungen des Geistes, die nicht unmittelbar einen Schmerz verursachen, sondern vielmehr wie eine chronische Krankheit wirken.

Es besteht ein eindeutiger Unterschied zwischen einer akuten und einer chronischen Erkrankung. Eine akute Erkrankung befällt jemanden urplötzlich und verursacht heftige Schmerzen bzw. hohes Fieber, wohingegen eine chronische Erkrankung, sich wie ein Ekzem verhält, das den Menschen andauernd ärgert. Doch der Mensch beachtet es nicht, denn er hat sich daran gewöhnt. Unter Verstopfung, Ekzemen und anderen Erkrankungen leiden viele Menschen. Und doch sind es die akuten Erkrankungen, wie Fieber oder plötzlich auftretende Kopfschmerzen, die sofortiger Behandlung bedürfen, weil sie hochgradig qualvoll sind. Genauso verhält es sich bei akuten und chronischen psychologischen Problemen, den Klishta Vrittis beziehungsweise den Aklishta Vrittis. Wir können an ein Objekt durch Aklishta Vrittis (schmerzfrei) oder durch Klishta Vrittis (von akuten Schmerzen begleitet) denken. Wenn ihr euch im Wald einen Baum anschaut, wird der Baum in eurem Geist geformt. Es entsteht im Verstand ein Aklishta Vritti, ein schmerzfreies Abbild des Baumes. Man empfindet durch die Betrachtung des Baumes keine innere Erregung. Es findet eine Veränderung im Verstand statt, weil der Verstand selbst die Form des Baums annimmt, den wir erblicken. Aber die Betrachtung des Baumes, berührt unser Gefühl nicht unangenehm. Er nimmt unsere Aufmerksamkeit nicht allzu sehr in Anspruch. Wir werden uns nur dieses Baumes bewusst.

Unser Geist wird nur insoweit transformiert, wie wir uns des äußeren Objektes bewusst werden; der Geist hat für den Augenblick der Wahrnehmung, aufgehört er selbst zu sein, obgleich dieser Zustand keinerlei Sorgen bereitet. Der Baum hat uns weder angezogen noch abgestoßen. Aber wenn wir eine Kobra mit ihrem gespreizten Nackenschild sehen, dann ist die Veränderung des Verstandes in diesem Moment nicht nur Aklishta, es ist kein beschauliches Betrachten eines Objektes ohne emotionale Beteiligung. Unsere Gefühle reagieren beim Anblick einer Schlange heftig. Aber sie reagieren nicht in gleicher Weise, wenn wir einen Baum oder einen Berg betrachten. Genau so, wie es beim Anblick einer Kobra zu einer ganz bestimmten emotionalen Reaktion kommt, kommt es zu einer ähnlich intensiven emotionalen Reaktion, wenn wir Dinge betrachten, die unserer Meinung nach, in hohem Grade wertvoll sind. Das kann eine Schatzkiste sein oder etwas anderes, das wir als wertvoll empfinden. So wird alles, was wir mögen oder nicht mögen, durch die Eindrücke, die diese Dinge im Verstand hervorrufen, bestimmt. Eine Sache, die uns nicht besonders interessiert, hinterlässt Aklishta Vritti (keine Schmerzen) im Verstand. Das Ziel des Yoga sollte sein, beide Vrittis (Gedanken), Klishta und Aklishta, zu überwinden.

Die Objekte sprechen eine Sprache, die wir nur auf unsere individuelle Weise verstehen. Wenn die Objekte in unseren Geist kommen, erhalten sie eine bestimmte Bedeutung; und jeder Einzelne von uns hat seine individuelle Lesart. Jedes Objekt singt sein Lied, und wir lauschen der Musik; doch die Auslegung der Bedeutung ist von Mensch zu Mensch verschieden. Derselbe Begriff führt bei den Menschen aufgrund der individuellen Assoziationen zu unterschiedlichen Interpretationen. Alle Objekte in der Welt sprechen zu uns in einer psychologischen Sprache oder mit einer philosophischen Bedeutsamkeit. Doch die Assoziation ruft bei allen Menschen unterschiedliche Reaktionen hervor. Diese individuelle Interpretation, als Antwort auf den allgemeinen Aufruf der Objekte, sind seine Liebe oder sein Hass. Die Objekte haben jedoch keinerlei Absicht, geliebt oder gehasst zu werden, sondern sie existieren ebenso wie wir. Äußeren Dingen gegenüber entwickeln wir Liebe und Hass. Wir können diese Logik ebenfalls auf andere Menschen ausdehnen. Wenn wir also die Dinge unparteiisch beurteilen, bleiben Liebe und Hass außen vor. Sie sind nicht Teil der Natur, denn sie kommen dort nicht vor. Doch wir selbst haben nur Lieben und Hassen im Kopf! Wir sind in dieses tumulthafte Chaos oder dieses Protestgeschrei der Sinne bezüglich Mögen und Ablehnen verwickelt.


25.2 Brahmacharya und Brahma-Verwirklichung

Allgemein versteht man unter Brahmacharya, im Zölibat zu leben. Doch dieses ist eine armselige Übersetzung des Wortes und ebenso falsch verstanden. Unter Zölibat versteht man, dass man nicht heiraten darf und wir assoziieren damit, dass Yoga Brahmacharya oder Enthaltsamkeit erfordert. Doch nichts dergleichen ist Brahmacharya. Es ist weder Ehelosigkeit noch ist es Zölibat in seiner heutigen Bedeutung. Jemand, der nicht verheiratet ist, muss nicht zwangsläufig ein Brahmachari sein und umgekehrt. Wir müssen sehr sorgfältig die Absicht hinter dieser Anweisung und nicht bloß den gesellschaftlichen Sprachgebrauch beachten. Die Absicht liegt in der Konservierung von Energie und darin, die eigene Persönlichkeit vollkommen in Richtung auf das große Ziel – das universale Bewusstsein – auszurichten. Die Energie des menschlichen Systems ist für jede Art von Konzentration erforderlich, und nicht nur zur Gottverwirklichung. Wir brauchen beispielsweise Energie, um ein mathematisches Problem zu lösen, eine Brücke zu bauen oder die Bausteine der Natur im Labor zu untersuchen.

Selbst ein Drahtseilakt erfordert Konzentration. Immer dort, wo es gilt den Atem anzuhalten und sich zu konzentrieren, ist viel Energie erforderlich. Eine zwei Fuß breite Brücke ohne Geländer über einen Abgrund lässt uns den Atem anhalten und ausschließlich an diese Gefahrenstelle denken. Sicherlich denken wir in einer solchen Situation an nichts anderes. Genauso erfordert das große ideelle Yoga unsere ganze Aufmerksamkeit, Konzentration und vollkommene Hingabe mit unserem ganzen Wesen. Dieses, so heißt es im Yoga, kann nicht geschehen, wenn andere Interessen vorherrschen. Wenn Brahmacharya nicht ausgeübt wird, bedeutet dies, dass andere Interessen als Yoga vorliegen. Es kann sich bei den ablenkenden Objekten um alles mögliche handeln. Wenn irgend etwas anderes unsere Aufmerksamkeit ablenkt, verschwenden wir unsere Energie. Jede Art von Energieschwächung, die durch irgendein Objekt oder Ereignis hervorgerufen wurde, bedeutet ein Bruch im Brahmacharya. Ein Wutausbruch ist ein Bruch im Brahmacharya, obwohl niemand daran denkt. Niemand verdammt einen Menschen, weil er wütend ist.

Wir mögen glauben, dass jemand aufgrund seines Wutausbruches ein wundervoller Mensch sei, doch in Wahrheit hat er im Brahmacharya vollkommen versagt. Er ist völlig zusammengebrochen. Da die meisten Menschen traditionsbewusst sind, folgen sie den gesellschaftlichen Traditionen und Gewohnheiten, und glauben, dass Religionen nichts weiter sind, als etwas, was die Gesellschaft erlaubt. Doch dies ist nicht richtig. Religion ist nicht bloß etwas, was eine hinduistische oder christliche Organisation fordert. Es hat damit überhaupt nichts zu tun. Das, was das Universum als Respekt von uns erwartet, ist die große Religion der Menschheit, die Religion Gottes oder die Religion des Universums. Niemand wird uns retten, bloß weil wir in den Augen der Menschen religiös sind. In diesem Fall können wir mit all unseren Religionen getrost vor die Hunde gehen. Was hilft uns, was führt uns, was wird uns an die Hand nehmen und auf dem Pfad des großen Gesetzes führen, dem wir in der Art und Weise gehorchen, wie es von uns unter den Bedingungen unserer Beziehungen zu allem im Universum erwartet wird? Darum müssen wir jegliche Möglichkeit nutzen, unsere Energie – ohne jede Ablenkung – zu konservieren.


25.3 Das Individuum – Ein Zentrum des Drucks

Die Philosophen, die Mystiker, die Heiligen und Weisen haben eine sorgfältige Analyse der Energien des menschlichen Geistes, dem psycho-physikalischen Organismus als Ganzes, durchgeführt. Es scheint so, dass wir Zentren des Drucks oder Stresses sind. Jedes Individuum stellt ein solches Zentrum des Drucks oder Stresses dar, dem jeder, mit den Umständen entsprechenden geeigneten Mitteln, zu entkommen sucht. Doch das Verständnis darüber, wie dieser Stress überwunden werden könnte, hängt von der persönlichen Entwicklungsstufe ab. Jeder weiß, dass Stress und Spannung nicht gut sind, doch nicht alle wissen, wie man sich davon befreien kann, weil die kausalen Zusammenhänge nicht richtig verstanden oder analysiert werden. Wir wissen vielleicht, dass wir krank sind, doch wir wissen nicht, warum wir krank sind. Und solange wir die Krankheit nicht kennen, die hinter dem psychologischen Stress, der Spannung, der Störung, dem Mögen oder der Ablehnung stecken, können wir nicht wissen, wie wir damit richtig umgehen sollen. Die so genannten Wünsche sind der äußere Ausdruck der Persönlichkeit, um sich von Stress und Spannung zu befreien. Wir sind von Kindheit an, bis hin zum Jüngsten Gericht, andauernd in einem Zustand des mentalen Stresses und nervöser Spannung, und das ganze Leben lang versuchen wir einen Ausweg zu finden und uns, mit unserer gedanklich von uns selbst entwickelten Methode, davon zu befreien. Dieser Weg der persönlichen Befreiung, wird als „Ausdruck der Wünsche“ bezeichnet. Wünschen ist die Methode, mit der wir uns von Spannungen und Nervosität befreien wollen. Auf diese Weise versucht jeder, sich mit seiner eigenen Methode von seinen Spannungen, – entsprechend seines Verständnisses – zu befreien. Doch meistens führen diese Wege in die falsche Richtung. Aufgrund von Unwissenheit erhöhen sich die Spannungen, weil der Grund nicht erkannt wird.


25.4 Stress und Spannung – Ursache und Heilung

Stress und Spannungen stellen sich aufgrund der Trennung des Einzelnen von der Natur ein. Die Welt hat uns ins Exil geschickt. Wir wurden aus dem Reich der Natur, wie unerwünschte Kinder, entfernt. Unser innerer Wunsch ist letztendlich, uns selbst mit der Natur, die unsere Mutter ist, zu vereinen. Die Zuflucht, nach der wir als Erleichterung von Stress und Spannungen suchen, ist letztendlich nichts weiter, als der Wunsch wieder mit unseren Eltern vereinigt zu werden, von denen wir getrennt oder isoliert wurden. Unser Wunsch ist es, alles zu besitzen. Und diesen Wunsch nennt man Liebe. Mit Liebe ist in dieser Welt der Wunsch nach Besitz verbunden, und dieses Besitzen wird als Instrument betrachtet, was Stress und Spannungen überwinden soll. Ob wir die Situation richtig interpretieren, steht auf einem anderen Blatt. Doch geringfügiges Kratzen an einem Ekzem gibt dem Leidenden ein wenig Entlastung, wobei er die Spannungen und den Stress für kurze Zeit in dem Glauben vergisst, als hätte er sich von dem Leiden befreit. Wenn uns ein größerer Schlag trifft, werden die kleineren Übel einfach vergessen. Angenommen, wir haben ein paar Probleme, und wir denken über sie nach. Dann strömen größere Problem auf uns ein, und wir vergessen darüber die kleineren Übel. All unsere Schmerzen, Sorgen und Nöte sind in dem Augenblick vergessen, wo wir plötzlich in einem Fluss zu ertrinken drohen. Dann vergessen wir alles Klagen. Alles scheint in Ordnung zu sein, wenn wir doch bloß vor dem Ertrinken bewahrt werden. Dieses Problem hat eine weit höhere Priorität als alle anderen Probleme des Lebens. So verhält es sich mit dem Erfüllen unserer Wünsche, wenn wir mit den Dingen in Berührung kommen.


25.5 Durch die Sinne droht Verwüstung

In einer der Sutras von Patanjali heißt es, dass es durch Berührung der Dinge mit den Sinnen nicht möglich ist, Spannungen, die durch Wünsche verursacht wurden, aufzulösen, denn Wünsche können durch keinerlei Berührung der Sinne beseitigt werden. Das ist die ganze Wahrheit, obwohl es so scheint, dass die Sinne uns Glauben machen wollen, dass unsere Spannungen durch die Berührung mit verschiedenen Dingen in dieser Welt gelöst würden. Wir bitten nicht um die Dinge. Niemand möchte letztendlich irgend etwas in dieser Welt, obwohl es so aussieht. Die Situation wird durch unsere Sinne falsch interpretiert, indem wir unser Sehnen nach Vereinigung mit allen Dingen als etwas äußerliches ansehen. Alle Liebe, alles Wünschen, sind das Verlangen nach Vereinigung mit den Dingen. Während es unser innigster Wunsch ist, mit allen Dingen in Einklang zu kommen, mit der ganzen Natur EINS zu sein, wird dieser Impuls durch die Macht der Sinne nach außen in Richtung auf „Raum und Zeit“ gerichtet. Worin liegt das Ergebnis? Das Verlangen in eine bestimmte Richtung nimmt aufgrund der Reflexion der Sinne eine andere Gestalt an.

Obwohl unser Gesicht mit dem Körper verbunden ist, sieht es spiegelbildlich so aus, als wäre es außerhalb von uns. Doch erscheint es nur im Spiegelbild so. Der Fehler wird durch den Spiegel verursacht. Wenn unsere Liebe, Vorlieben, Gefühle und Wünsche in den Schlamm der Sinne geworfen werden, findet eine ähnliche Katastrophe statt. Die Sinne haben nämlich nur eine Aufgabe, alles nach außen zu tragen. Auf diese Weise werden unsere Wünsche nach außen befördert, obwohl dieses Wünschen etwas völlig anderes betrifft. Das ist die Ursache, warum wir nicht zufrieden sind, und egal welches Objekt vor uns erscheint, wir sind letztendlich immer unzufrieden. Welchen Besitz wir unser Eigen nennen, er befriedigt uns nicht, denn unsere Fragestellung betrifft etwas ganz Bestimmtes. Doch wir erhalten durch die Umtriebe unserer Sinne etwas völlig anderes. Sehr fremdartig ist das Phänomen, wenn der Geist sich selbst ausdehnt, sich bei dieser eigenen vorübergehenden Aktivität mit den Aktivitäten der Sinne verbindet, und seine eigenen Wünsche, die er verloren hat, anscheinend für jene Wünsche nach äußeren Dingen hält. Dieses ist eine sehr bedeutsame Situation, in der sich jeder befindet, – etwas, was sich immer der eigenen Aufmerksamkeit entzieht, ein sehr gefährlicher Zustand, über den man nicht viele Worte verlieren muss. Und man braucht auch nicht immer wieder zu erwähnen, dass der Weg unserer Wunscherfüllung nicht richtig ist.

Zum einen ist da der grundlegende Fehler im Verhalten unseres Geistes in der Erfüllung äußerlicher Wunschvorstellungen. Zum anderen liegt der Fehler in seiner nach außen gerichteten Bewegung, wobei er seine Energie verliert, was ihn schwächt. Wenn das Selbst zum Nicht-Selbst wird, dann wird es körperlich und führt zum Tode. Auf diese Weise wird der Mensch zum Schwächling und verliert alle Kräfte. Er hat weder körperliche noch mentale Kräfte. Je mehr unerfüllte Wünsche er hat, desto schwächer wird sein Körper und Geist. Er kann sich nicht einmal mehr bewegen, nichts essen, nicht denken und verliert sein Gedächtnis. Dies geschieht, wenn man zu viele unerfüllte Wünsche hat. Doch, was sollte man unter solchen Umständen tun?


25.6 Wünschen – ein metaphysisches Übel

Da wir als Yogaschüler an dem aufrichtigen Wohlergehen unserer Seelen interessiert sind, müssen wir in der Lage sein zu erkennen, was wirklich mit uns geschehen ist. Wir sollten uns nicht wie die Wollsammler bei einer Schafherde oder im Namen von Religion oder Spiritualität wie in einem Narrenhaus aufführen. Keine zur Schau getragene rituelle Handlung, auch nicht im Namen einer Religion, ist letztendlich in der Lage, uns zu retten, weil dieses Übel des Wünschens, ein metaphysisches Übel und kein gesellschaftliches oder körperliches Übel ist. Es ist ein metaphysisches Übel, wie die Philosophen es bezeichnen. Es ist eine kosmische Katastrophe, und darum erfordert es all unsere analytischen Fähigkeiten, um herauszufinden, was mit uns geschah, und zu erkennen, wie wir uns schrittweise von diesem Impuls befreien können, der uns in Richtung der Sinnesobjekte treibt und dabei aus uns selbst herauszieht. Dieses Entwöhnen von den Objekten geht nur sehr langsam vonstatten. Doch das Erfüllen von Wünschen wird besonders in der indischen Religion nicht verdammt, obwohl es klar ist, dass das Wünschen früher oder später vollkommen ausgemerzt werden muss; weil diese Wünsche Bindungen darstellen, die die Seele an den Körper und dessen physische Assoziationen bindet.

Das große lebendige Sozialsystem und die persönliche Lebendigkeit, wie es in Indien eingepflanzt ist, und auch von Philosophen anderer Länder akzeptiert wird, ist als das Varnashrama-System (das Konzept der 4 Lebensstadien) (die vier Lebensstadien: 1. Schüler – 2. Ehepaar – 3. Waldeinsiedler – 4. Sanyasin (Mönch)) bekannt, eine hoch wissenschaftliche Analyse des menschlichen Daseins, sowie dessen Wünsche und Erfordernisse zu unterschiedlichen Zeiten. Wir haben verschiedene Bedürfnisse, obwohl man alle Bedürfnisse als Wünsche bezeichnen und letztendlich als nicht wünschenswerte Dinge ansehen kann. Doch, wenn sie für die Sinne und den Geist als etwas Wirkliches existieren, und nicht weniger real als unsere Körper sind, müssen wir sie mit größter Vorsicht angreifen. Wir müssen sie als genauso realistisch betrachten wie uns selbst. Die Objekte sind ebenso wirklich wie unwirklich, so wie wir selbst sind. Insoweit wie wir real sind, sind die Dinge, die mit uns verbunden sind, ebenso real und umgekehrt. Subjekt und Objekt entwickeln sich gleichermaßen. Die Entwicklung ist nicht ausschließlich individuell und subjektiv. Auf diese Weise ist das Varnashrama-System eine systematische Prozedur uns selbst den Umständen entsprechend, gesellschaftlich (horizontal) und in unserer eigenen Persönlichkeit (vertikal) anzuordnen und anzunehmen. Die horizontale Anordnung ist Varna (4 Kasten):

  • Brahmanen (Priester, Gelehrter)
  • Kshatriya (König, Prinz, Krieger, höherer Beamter)
  • Vaishya (Landwirt, Kaufmann, Händler)
  • Shudra (Knecht, Dienstleistender)

Die vertikale Anordnung Ashrama (4 Lebensstadien)

  • Brahmacharya – Schüler, Enthaltsamkeit ist Pflicht
  • Grihastha – Eheleute, Sexualität zur Kinderzeugung erlaubt
  • Vanapratha – man bereitet sich auf die Zeit als Mönch vor
  • Sannyasin – Mönch, man trennt sich von der Frau und lebt allein im Wald

Wir müssen die Gesellschaft durch unsere Beziehung zu den Menschen vervollkommnen, und wir müssen in uns selbst, durch eine annehmbare harmonische Ausrichtung der verschiedenen Ebenen unserer Persönlichkeit, vervollkommnen. Solch eine Ausrichtung wird durch folgende große Grundlagen des Varna (4 Kasten) und des Ashrama (4 Lebensstadien) erreicht.


25.7 Befreiung aus der Umklammerung der Natur

Die Menschen glauben im allgemeinen, dass Varna soviel wie Kaste bedeutet, doch das ist nicht richtig. Im eigentlichen Sinne wird die Klassifizierung der Gesellschaft als Varna-Dharma bezeichnet. Varna ist der falsche Name und die falsche Interpretation für den Begriff „Kaste“. Niemand ist vollkommen, und darum ist niemand, der nicht mit anderen kooperiert, mit sich selbst zufrieden. Der Mensch befindet sich inmitten von anderen Dingen, wie Intellekt, Willen, Gefühlen und Energien. Einige Menschen verfügen über enorme physische Reserven, doch sind es armselige Intelligenzen. Andere Menschen sind wiederum intellektuelle Genies, doch körperlich schwach. Die anderen beiden Aspekte, d. h. Gefühl und Willen, sind unter den Menschen ebenfalls ungleichmäßig verteilt. Insoweit, wie die Absicht im Wohlergehen der Menschheit liegt, gibt es eine allgemeine Solidarität, denn es ist notwendig, unsere Annehmlichkeiten untereinander zu teilen. Diese Annehmlichkeiten müssen nicht unbedingt gegenständlicher, sondern können auch von psychischer Natur sein. Wenn jemand intelligent ist und spirituellen Scharfsinn hat, was für das Wohlergehen der Bevölkerung notwendig ist, doch keine anderen Fähigkeiten hat, wird er sein Wissen, seine Weisheit und richtungweisende Intelligenz mit anderen, die diese Fähigkeiten nicht haben, teilen. Diese gegenseitige Zusammenarbeit in der Gesellschaft bezüglich Spiritualität, Administration, Wirtschaft und Handwerk bildet das Wesen des Varnasystems, des Kastensystems.

Die Klassifizierung in Brahmanen (Priester und Gelehrte), Kshatriyas (König, Prinz, Krieger, höherer Beamter), Vaisyas (Landwirt, Kaufmann, Händler) und Sudras (Knecht, Dienstleistender) ist keine Einordnung der Menschen in Nieder- und Höherwertige, wie Bosse und Untergebene, sondern es ist eine Klassifizierung in die Funktionsfähigkeit des Einzelnen entsprechend seinem Wissen und seiner Fähigkeiten, mit der ehrenwerten Absicht und zum Zweck einer vollkommenen, zusammenarbeitenden Organisation der Menschheit. Dieses ist ein Weg, auf der Welt glücklich zu werden, sonst werden wir uns immer in einem elenden Zustand befinden. Unsere Wünsche werden auf diese Weise klassifiziert, und sie geben so, durch eine beiderseitige horizontale Kooperation, Gelegenheit zu einer entsprechenden Zufriedenheit. Es gibt noch die andere, vertikale Seite, was als Subjekt – Ashrama-Dharma – oder die Pflichten bekannt ist, die mit den verschiedenen Ashramas oder den Stufen des Lebens verbunden sind. Wir haben nicht nur das Kastensystem, sondern auch die Bedeutung der 4 Lebensstadien missverstanden. So, wie wir die Klassifizierung des Varna als Kastenstufen verdammt haben, so haben wir auch die Klassifizierung der eigenen Lebensstufen, den Weg des Ashrama, durch eine Art von leblosen religiösen Routinen ersetzt. Weder Varna noch Ashrama sind Routinen. Varnashrama ist so wohl eine Einteilung in innere, als auch äußere Lebensabschnitte. äußerliche Lebensabschnitte werden als Varna und innerliche als Ashrama bezeichnet.

Die Idee dahinter ist, den Erfordernissen des Menschen, auf eine bestimmte Art zu dem Zweck gerecht zu werden, alle Begrenzungen mit dem Ziel der Befreiung des Geistes zu überschreiten. Was für eine ehrenwerte psychologische Organisation dieses Varnashrama ist! Kein einziger Punkt in dieser Klassifikation ist unwichtig, denn die Natur packt uns mit einem derartig festen Griff am Hals, dass wir uns selbst nicht ohne die Hilfe von Varnashrama-Dharma aus dieser Umklammerung befreien können. Wir sind förmlich durch die Natur, gesellschaftlich, körperlich, psychologisch, rational und sogar spirituell gefangen. Darum müssen wir uns selbst durch schrittweises Zurückziehen von der Natur aus dieser Umklammerung befreien, so als würden wir alle Knoten nacheinander lösen.

Wenn wir einen Strick dutzendweise verknoten, und wir wollen diesen Knoten anschließend wieder auflösen, fangen wir nicht mit dem innersten, sondern mit den äußersten Knoten an. Der äußerste Knoten muss zuerst, dann der vorhergehende usw. gelöst werden, bis der erste erreicht ist. ähnlich verhält es sich im spirituellen Leben, wo das erste Problem zuletzt behandelt werden muss, denn dieses Problem ist feiner und den Dingen viel näher als das letzte Problem, was in der Entwicklung von der Ursache viel weiter entfernt ist. Die Auswirkungen müssen zuerst betrachtet werden, und die Ursachen wesentlich später. Darum bereiten diese Organisationssysteme des Varna und Ashrama jedem Menschen innerlich und äußerlich viel Freude, wenn aufgrund der individuellen, gesellschaftlichen, körperlichen, lebensnotwendigen, emotionalen und intellektuellen Bedürfnisse usw., die verschiedenen Knoten der Verwicklungen im Leben aufgelöst werden.
Ein solch weites Feld ist mit dieser kleinen Angelegenheit Brahmacharya verbunden, durch dessen Praxis wir nicht nur unsere Lebensführung und unsere Einbindung in die Gesellschaft beeinflussen, sondern uns in einen Zustand der Stärke versetzen, wobei wir auf die Dinge so eingestellt sind, dass wir unsere Energie nicht in alle Richtungen verschwenden, sondern auf eine gewisse Weise unterstützt werden, so dass es keinen Grund gibt, unsere Energien an äußerlichem zur Erfüllung von Wünschen zu vergeuden. Wünsche müssen sowohl erfüllt wie auch nicht erfüllt werden. Beide Aussagen sind richtig. Doch die Aussagen müssen in ihrer wahren Bedeutung verstanden werden. Hunger muss beispielsweise gestillt werden, obwohl Hunger eine Krankheit des Körpers ist, obwohl es das Tier im lebenswichtigen Körper des Menschen ist, das jeden zwingt, sich seines Körpers immer wieder zu erinnern. Kann es irgend etwas Schlimmeres geben, als das Gefühl, ein Gefangener seines Körpers zu sein? Man mag im Gefängnis eingesperrt sein, doch warum muss man tagtäglich daran erinnert werden? Doch genau dies ist es, was der Hunger tut. Andauernd erinnert Hunger an das Körperbewusstsein. Solch eine üble Angelegenheit ist das Hungergefühl, doch wie kann man sich davon befreien?

Indem man den Bedürfnissen des Körpers nachkommt, während man gleichzeitig größte Vorsicht walten lässt. Darum ziehen wir uns warm an, wenn es kalt ist; wir gehen schlafen, wenn wir müde sind; wir essen, wenn wir hungrig sind. Wir gehen spazieren und machen viele andere Dinge. All diese Dinge sind so weit vom Ziel des Lebens entfernt, und doch sind sie notwendig. Wir können sie als notwendiges Übel bezeichnen. Es sind ohne Zweifel Übel, doch sind sie notwendig. Darum müssen sie zufriedengestellt werden, selbst wenn wir uns zu diesem Zweck vom Absoluten trennen. Die Absicht hinter der grundlegenden und schrittweisen Praxis von Varna und Ashrama ist nicht die Wunscherfüllung als schlechte Angewohnheit, doch ihre schrittweise, wissenschaftliche, systematische und vorsichtige Erfüllung in einem Maße, wie sie den Umständen entsprechend zulässig ist, um sich letztendlich selbst davon zu befreien. Darum essen wir nicht, weil wir essen wollen, sondern weil es notwendig ist, um eine Stufe zu erreichen, wo Essen nicht mehr notwendig ist. Dafür ist ein Hintergrundwissen über die Psychologie der Grundlagen von Yamas notwendig, und ein klares Verständnis dieses Hintergrundes wird uns helfen, diese Grundlagen besser zu praktizieren.

Anmerkung des Übersetzers: Mir ist die Einstellung, die Swami Krishnananda zu den Kasten hat, etwas zu unkritisch. Darum möchte ich auf das Buch Die Bhagavad Gita und Yoga hinweisen, das sich etwas kritischer mit dem Kastenwesen auseinander setzt.. Ende Anmerkung Übersetzer.


26. Geburtenkontrolle (Swami Sivananda)

26.1 Anweisungen für Familienväter

Eine strenge Regelung des sexuellen Lebens und absolute Gewaltlosigkeit sind notwendig, wenn du Fortschritte auf dem spirituellen Weg machen möchtest. Wenn du empfängnisverhütende Mittel benutzt, lernst du niemals Selbstbeherrschung zu üben. Wer empfängnisverhütende Mittel benutzt, ist ein unmoralischer Mensch. Lerne die Tugend der Selbstbeherrschung. Der Gebrauch von Verhütungsmitteln kann deine Energie schwächen. Es schwächt alle Zurückhaltungen. Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen dem sexuellen Verlangen und der Kontrolle des Gaumens. Der, der den Gaumen kontrolliert, kontrolliert auch alle anderen Organe. Reine (sattvische) Nahrung, macht die Praxis des Brahmacharya einfach. Keuschheit ist nicht schädlich. Andererseits bewahrt es die Nervenstärke. Es gibt große Geistesstärke und Frieden des Verstandes. Sexuelle Nachgiebigkeit führt zu moralischem und spirituellem Bankrott, zu vorzeitigem Tod, nervöser Schwäche und Verlust der Fähigkeiten, der Talente und des Leistungsvermögens. Das indische Gesetzbuch der Manu, das als ein von den Weisen gehörter Text gilt, sagt: „Das erstgeborene Kind wird vom Dharma, die anderen Kinder vom Karma, von der Sinneslust, gezeugt. Der sexuelle Akt allein zum Vergnügen ist nicht vertretbar.“ Sinnliche Leidenschaft ist keine wirkliche Liebe. Es ist nur eine Verblendung, die von der Unwissenheit getragen wird. Du tust gottlose Handlungen und tötest deine Seele wegen deiner Leidenschaften.

Anmerkung des Übersetzers: Swami Sivananda schrieb dieses Buch 1934. Für die damalige Zeit mögen diese Aussagen vielleicht ihre Richtigkeit gehabt haben. Es wäre natürlich schön, wenn jeder so viel Disziplin hätte, das Brahmacharya zu beachten. Aber die Realität sieht leider anders aus. Sieht man sich besonders die Sexualpraktiken in den ärmeren Ländern der Welt an, so ist es häufig der ärmere Teil der Bevölkerung, darunter besonders viele junge Mütter, die gerade eben der Pubertät entwachsen sind, die Kinder gebären. So werden immer wieder neue Kinder in die Armut hineingeboren. Von diesen jungen Müttern zu erwarten, sie würden das Brahmacharya praktizieren, wäre unrealistisch. Vielfach wird die sexuelle Handlung aus einer finanziellen Not heraus geboren. Diese jungen Frauen, eigentlich noch Kinder, verkaufen ihren Körper, damit die Familie überleben kann. Für Verhütungsmittel ist weder das Geld, noch das Bewusstsein vorhanden. Außerdem gab es 1934 noch keine Anzeichen der Krankheit Aids. Sie ist ein weiterer Grund, nicht auf Verhütungsmittel zu verzichten, da alle Menschen davon bedroht werden können. Wenn jemand bewusst Brahmacharya praktiziert, dann ist er natürlich nicht diesen Gefahren ausgesetzt. Aber wir sollten erkennen, dass das Bewusstsein des Brahmacharya vielfach nicht vorhanden ist und erst geweckt werden muss. Ende der Anmerkung.


26.2 Die Bevölkerungsentwicklung sollte kontrolliert werden

Wer in der Welt ernährt alle die Millionen von Menschen? Trotz der modernen landwirtschaftlichen Methoden und einer teilweisen Übererzeugung von landwirtschaftlichen Produkten, war es bisher nicht unmöglich, eine Balance zwischen der Nahrungsmittelproduktion und der Bevölkerungszunahme zu halten. Darum muss das Bevölkerungswachstum beschränkt werden, wenn der Lebensstandart der Menschen nicht gesenkt werden soll. Wird dieses nicht getan, dann kommt es zu Hungersnöten und zum Zerfall der Moral. Spezielle Agenturen der „Vereinten Nationen“ sind damit beschäftigt, langfristige Lösungen dafür zu entwickeln. Die Kommission für Bevölkerung und Entwicklung der Vereinten Nationen hat sich an die Arbeit gemacht. Sie wird dabei vom Wirtschaftsrat für Asien und dem Fernen Osten unterstützt. Kein Zweifel, prinzipiell ist es sinnvoll, das Bevölkerungswachstum zu beschränken. Aber wie? Durch die fortschrittlichen Methoden der Familienplanung. Was aber bedeutet dies? Rajkumari Amrit Kaur, die indische Gesundheitsministerin, antwortete darauf: „Ich brauche kaum zu betonen, dass heutzutage hauptsächlich die gebildete Oberschicht an eine Familienplanung denkt. Es gibt aber auch unter den ärmeren Leuten viele Menschen, die durch die Sozialarbeiter der Städte erreicht werden, in denen die sozialen Organisationen arbeiten. Aber auch sie denken unveränderlich an eine Geburtenkontrolle durch künstliche Methoden der Empfängnisverhütung, die sich in der westlichen Welt durchgesetzt hat. Ich bin wirklich nicht imstande, mich mit dieser Ansicht zu versöhnen.“

In der Tat ist die einstimmige Antwort hinsichtlich der Familienplanung, der Gebrauch empfängnisverhütender Mittel gewesen. Es ist schade, dass die meisten unseren gelehrten Führer, mit sehr wenigen Ausnahmen, wie die indische Gesundheitsministerin Amrit Kaur, sich dazu herabließen, den Westen nachzuäffen, und das eigene kulturelle Erbe komplett zu ignorieren. Die vedischen Schriften schrieben den Menschen die Praxis des Zölibats vor. Heirateten die Menschen, dann wurden sie nicht um des körperlichen Vergnügens intim, sondern um der Nachkommen willen. Selbstbeherrschung gab ihnen moralische Stärke und ermöglichte spirituellen Fortschritt. Durch Selbstbeherrschung erzielten sie ethische Vervollkommnung und verbesserten ihren Intellekt. Anmerkung Übersetzer: Das indische Schulsystem wurde dadurch bestimmt, dass die Schüler bei einem Guru unterrichtet wurden. Jungen und Mädchen der drei oberen Kasten praktizierten bereits im Kindesalter Brahmacharya und wuchsen mit dem Bewusstsein der 4 Lebensstadien auf. (1. Schüler (Brahmacharya), 2. Verheirateter (Sexualität nur zur Kinderzeugung), 3. Waldasket (Vorbereitung auf das Sannyasin, lebte meist noch mit seiner Frau zusammen), 4. Sannyasin (Mönch, lebt allein im Wald)). Es wurden etwa 30 Prozent aller Kinder von einem Guru im spirituellen Sinne erzogen. Dadurch dass diese Entwicklung über viele Jahrhunderte praktiziert wurde, wurde das Brahmacharya in der ganzen Bevölkerung praktiziert oder zumindest in sehr großen Teilen der Bevölkerung. Das Brahmacharya wurde zudem in den vedischen Schriften beschrieben und von den Brahmanen (Priestern) gelehrt. Ende Anmerkung Übersetzer.

Es gibt keine sicherere und bessere Lösung für die Bevölkerungskontrolle als die Praxis der Selbstbeherrschung. Keine Geburtskliniken und keine Anwendung der künstlichen Verhütungsmethoden können die Bevölkerungsentwicklung so effektiv regeln, wie das durch seinen traditionellen Hintergrund in Spiritualität getränkte Brahmacharya. Keine andere Methode der Empfängnisverhütung kann moralisch und spirituell so erfolgreich sein, wie die Selbstbeherrschung. Weder in Indien noch anderswo in der Welt. In Indien war es Mahatma Gandhi, der zum ersten Mal eine unbeugsame Opposition gegen den Gebrauch der empfängnisverhütenden Mittel für die Familienplanung organisierte, als künstliche Verhütungsmethoden für Verheiratete frei gegeben wurden, und Unverheiratete ermutigt wurden, den Weg der Selbstbeherrschung zu verlassen, um ihren vulgären Leidenschaften zu frönen.
Gandhi sagte: „Wenn die ländliche Bevölkerung Brahmacharya praktiziert, dann kann sie dadurch die Größe ihrer Familie besser kontrollieren, als durch den Gebrauch empfängnisverhütender Mittel. Künstliche Verhütung ist wie das Aussetzen einer Prämie auf das Laster der Wollust.“ Als Gandhi dieses sagte, antworteten viele hervorragende Führer, Doktoren, Rechtsanwälte und Erzieher, sogar einige seiner Schüler: „Die Begrenzung des natürlichen Antriebs in den Männern und in den Frauen würde zu ernsten Konsequenzen führen. Es wird Massenneurosen geben. Ihre Lust am Leben und ihre geistigen Fähigkeiten würden verebben, ihr Leben würde düster und glanzlos werden.“ Und so weiter und so weiter. Alle diese Behauptungen waren unbegründet und ein Eingeständnis der Geilheit von Seiten der Kreuzfahrer gegen die Selbstbeherrschung. Dieses ist ausreichend durch bemerkenswerte Wissenschaftler und Doktoren und durch zahlreiche Heilige Schriften nachgewiesen worden. Einige solcher bemerkenswerten Aussprüche, die von einigen westlichen Sprechern getan wurden, vor denen sich unsere gebildete Intelligenz genau so verneigte, wie vor unseren Heiligen Schriften, sollen einmal zitiert werden.

Sir Lionel Beale, Professor der königlichen Hochschule in London: „Sexuelle Enthaltsamkeit hat bislang noch keinem Mann Schaden zugefügt. Keuschheit ist nicht so schwer zu beachten, wenn man über den entsprechenden Geisteszustand verfügt.“

Professor Cesterbu stimmt mit Beale überein, indem er sagt: „Der sexuelle Instinkt ist nicht so allmächtig, dass er nicht durch moralische Stärke kontrolliert und bezwungen werden kann. Wir sollten wissen, dass eine robuste Gesundheit und eine stets erneuerte Vitalität die Belohnung der freiwilligen Enthaltsamkeit sind.“

Sir Andrew Clark stimmt darin überein, dass „Enthaltsamkeit nicht schädigt. Es behindert keinesfalls die Entwicklung und erhöht die geistige Wahrnehmung und die Energie.“
Dass die Praxis der Enthaltsamkeit ein geeignetes Mittel zur Geburtenkontrolle ist, ist vom Amerikaner Joseph H. J. Spenglar hervorgehoben worden. Er sagte: „Moralische Selbstbeherrschung bietet eine sinnvolle Lösung zum Problem der Überbevölkerung.“

Mahatma Gandhi beantwortete die Fragen seiner Kritiker durch das Beispiel seines persönlichen Lebens. In seiner Autobiographie schrieb er: „Ich nahm 1906 das Gelübde des Brahmacharya auf mich. Mit der unterstützenden Kraft Gottes, vertiefte ich meinen Glauben. Die praktische Erfahrung der Selbstkontrolle hat sich seit dem noch weiter vertieft.“

Gandhi war ein Mann mit Erfahrungen. Und was auch immer er sprach, entsprang seiner persönlichen Erfahrung. Er war kein Polstersessel-Philosoph. Er hob hervor, dass die Enthaltsamkeit die Hauptqualifikation für alle Erfolge im Leben ist.“Ich halte daran fest, dass ein Leben der vollkommenen Enthaltsamkeit im Gedanken, Worten und Werken, notwendig ist, um spirituelle Perfektion zu erreichen. Brahmacharya bedeutet, die vollkommene Kontrolle aller Sinnesorgane. Für einen aufrechten Brahmachari ist nichts unmöglich.“

Es ist ersichtlich, dass strenges Zölibat, wie es von Bhishma, Lakshmana und Hanuman geübt wurde, nicht für die Massen möglich ist. Aber es ist für ihr körperliches, moralisches und geistiges Wachstum notwendig. Sie sollte eine zurückhaltende und heilige eheliche Beziehung anstreben.

George Bernard Shaw (1856), ein irischer Dramatiker, Satiriker und Literaturnobelpreisträger von 1925, eine in hohem Grade intellektuelle und tiefgründige geistige Persönlichkeit, aber ein Atheist, der von seinen Lesern bewundert wurde, äußerte die allgemeingültig geltende Wahrheit, dass wir uns selbst zerstören, wenn wie unsere sinnlichen Wünsche nicht zurück halten.


26.3 Gefahren der künstlichen Verhütung

In der Zeitung „Harijan“ sagte die indische Gesundheitsministerin Rajkumari Amrit Kaur: „Meiner Meinung nach, sollte unser Land, nur die Wege und Mittel zur Geburtenkontrolle zulassen, die der Tradition unserer Zivilisation entspringen. Möglicherweise ist in keinem anderen Land der Welt die Praxis der Enthaltsamkeit mit solch einer Gewichtung wie in Indien von den Heiligen und Weisen befürwortet worden. Künstliche Verhütungsmethoden scheinen dem normalen Mann leichter zu erreichen zu sein. Folglich werden sie von jedermann befürwortet. Ich betrachte diese Entwicklung als ein gefährliches Signal, weil nur der gerade und enge Weg der Enthaltsamkeit, uns zur Rettung führt.“ Darum repräsentierte die indische Gesundheitsministerin, das wahre Gefühl der Mehrheit unseres Landes. Die Frauen Indiens spielen eine große Rolle, wenn es darum geht, die Angriffe des Materialismus zu vereiteln. Durch die Zeitalter waren es die Frauen, die den spirituellen Charakter unserer Gesellschaft bewahrt haben, ihre natürlichen Instinkte blieben religiös. Es ist unehrenhaft, dass sie die Philosophie der modernen Abtrünnigen unterzeichnen sollten. Gandhi schrieb über das vergangene Jahrzehnt: „Meiner Meinung nach ist es eine Beleidigung für den partnerschaftlichen Sex, die Geburtenkontrolle durch künstliche Verhütungsmethoden zu ersetzen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die große Mehrheit der Frauen, sie als unvereinbar mit ihrer Würde ablehnen.“

Es ist höchste Zeit, nun, wo den Führern unseres Landes die schändlichen Konsequenzen der Geburtenkontrolle durch künstliche Verhütungsmittel bewusst werden. Sie sollten eine landesweite Kampagne starten, besonders in den Dörfern. Sie sollten Selbstbeherrschung, die Aufhebung der Kinderehe und ein sauberes und gesundes Leben einfordern. Indien sollte glücklich sein, dass es eine Gesundheitsministerin wie Amrit Kaur hat. Obwohl die Befürworter der Enthaltsamkeit, den Befürwortern empfängnisverhütender Mittel, weit unterlegen waren, betonte sie noch einmal: „Künstliche Verhütungsmethoden sind wegen der Unwissenheit der Menschen, wegen des Mangels an wissenschaftlicher und medizinischer Hilfe und wegen ihrer hohen Kosten, in unserem Land gänzlich ungeeignet. Ich bestreite, dass die Praxis der Geburtenkontrolle durch den Gebrauch empfängnisverhütender Mittel, weder körperlich, noch geistig oder moralisch, für die Leute des Westens, die sie über eine Anzahl von Jahren angewendet haben, einen Erfolg nachweisen konnten.“ „Einerseits hat es enorm zur Senkung des Sittlichkeitsgefühls und zu einer Missachtung der Verantwortlichkeit für die menschlichen Art der Zeugung beigetragen. Die Geburtenkontrolle ist für Indien unentbehrlich, um das Bevölkerungswachstum zu beschränken. Je länger ich der Gesundheit diene und um so enger der Kontakt mit kranken und leidenden Menschen ist, in der Stadt und auf dem Dorf, bin ich davon überzeugt, dass es ein verhängnisvoller Schritt für unser Land war, auf künstliche Verhütungsmittel zurück zu greifen.“

Gandhi schrieb im „Harijan“, einer seiner Zeitungen, die in mehreren Sprachen erschien: „Es gibt gegenwärtig nichts in unserer Gesellschaft, das so förderlich wie die Selbstbeherrschung ist. Unsere Erziehung spricht sich leider dagegen aus. Das primäre Interesse der Eltern ist es, ihre Kinder irgendwie zu verheiraten, damit sie sich wie die Kaninchen fortpflanzen können. Sind sie Mädchen, dann werden sie zweckdienlich im frühesten Alter verheiratet, ungeachtet ihres moralischen Wohlergehens. Die Hochzeits-Zeremonie ist eine lang gezogene Qual aus Feier und Frivolität. Das Leben der Ehemänner ändert sich durch die Hochzeit nicht sehr. Es ist eine Verlängerung der Zügellosigkeit. Erholungsurlaube und Feiertage sind so angeordnet, dass sie den größten Spielraum für ein sinnliches Leben erlauben. Die Literatur, die am meisten gelesen wird, begünstigt die animalischen Leidenschaften. Die moderne Literatur lehrt oft, dass sinnliche Nachgiebigkeit eine Pflicht und Enthaltsamkeit eine Sünde ist.“

Ist es ein Wunder, dass die Kontrolle des sexuellen Appetits sehr schwierig geworden ist, wenn nicht sogar unmöglich? Wenn die Praxis der Geburtenkontrolle durch Enthaltsamkeit die wünschenswerteste, vernünftigste, erfolgreichste und ungefährlichste Methode ist, sollten wir dann das gesellschaftliche und soziale Klima nicht unverzüglich ändern? Die einzige Weise, die gewünschten Resultate zu erzielen, besteht darin, dass diejenigen, die an die Methode der Enthaltsamkeit glauben, den Anfang machen und ihre Mitmenschen von der Methode überzeugen. Ein angemessenes Verständnis hierfür zu entwickeln, bedeutet eine geistige Revolution. Es geht nicht nur darum, einige wenige Individuen zu überzeugen. Es sollte als ein natürliches Gesetz der menschlichen Geburtenkontrolle dargeboten werden. Die Verletzung dieser Regel hätte eine Vielzahl unerwünschter Kinder und womöglich vielfältige Krankheiten zur Folge. Für die Einhaltung der Moral sind die Eheleute selber verantwortlich.

Geburtenkontrolle durch den Gebrauch empfängnisverhütender Mittel, reguliert ohne Zweifel die Zahl der Neugeburten auf ein gewisses Maß und ermöglicht einer Person mit gemäßigten finanziellen Mitteln, die Armut zu vertreiben. Aber der moralische Schaden für die Einzelperson und die Gesellschaft ist unermesslich. Für den, der seinen sexuellen Appetit fortwährend befriedigt, verändert sich das Leben vollkommen. Die Ehe hört auf, ein Sakrament für ihn zu sein. Dieses bedeutet eine Neubewertung der sozialen Ideale, die bisher als ein kostbarer Schatz angepriesen wurden. Kein Zweifel dieses Argument findet wenig Anklang bei denen, die die alten Ideale der Ehe als einen Aberglauben betrachten. Mein Argument wird wohl nur bei denen Gehör finden, die die Ehe noch als ein Sakrament und eine Frau nicht als Instrument der sexuellen Befriedigung, sondern als die Lebenspartnerin des Mannes und als treu sorgende Mutter betrachten.
Meine persönlichen Erfahrungen mit der Keuschheit und der Informationsaustausch mit medizinische Kollegen (Swami Sivananda war selber Mediziner), bestätigten mich in der Ansicht, die ich hier dargestellt habe. Es nimmt eine überwältigende Kraft an und wirft ein klares Licht auf die alten Konzepte der Geburtenregelung. Für mich bekommt das Brahmacharya in der Ehe jetzt seine natürliche Position und wird so einfach wie die Tatsache der Ehe selbst. Jede andere Methode der Geburtenkontrolle erscheint daher überflüssig. Wenn sich die Idee durchgesetzt hat, dass das Sexualorgan ausschließlich der Zeugung dient, besitzen Männer und Frauen das Wissen, dass jede andere sexuelle Handlung eine Vergeudung lebenswichtiger Energien darstellt. Es ist jetzt einfach, zu verstehen, warum die Wissenschaftler von einst diese Werte vermittelten und großen Wert auf die Keuschheit legten. Die lebenswichtige sexuelle Energie sollte in höhere spirituelle Energie umgewandelt werden, die der ganzen Gesellschaft zugute kommt. Sie verkündeten mutig, dass derjenige, der perfekte Kontrolle über die sexuelle Energie erlangt, eine enorme Vitalität erlangt, körperlich, geistig und spirituell. Er erlangt Energien, die durch andere Möglichkeiten nicht erreichbar sind.

Der Leser sollte sich nicht durch die Abwesenheit einst berühmter Brahmacharis beunruhigen lassen. Die Brahmacharis, das wir heute haben, sind nicht immer vollkommene Exemplare. Bestenfalls sind sie Yogis, die die Kontrolle über den Körper, aber nicht über den Verstand erworben haben. Sie mussten ihre Enthaltsamkeit noch keiner Prüfung unterstellen. Dieses ist keineswegs so, weil Brahmacharya schwer zu erreichen wäre. Es ist so, weil das soziale Umfeld gegen das Brahmacharya ist, und die Mehrheit derer, die sich ehrlich bemühen, unwissentlich die Kontrolle der sexuellen Leidenschaften von allen anderen Leidenschaften abzusondern versuchen. Erfolgreich kann aber nur derjenige sein, der sich bemüht, die Kontrolle über alle Leidenschaften zu erlangen. Vollendetes Brahmacharya ist sowohl für den normalen Mann als auch für die normale Frau erreichbar. Es erfordert allerdings die gleichen Bemühungen, die ein Student benötigt, um einen wissenschaftlichen Titel zu erreichen.


27. Wird sexuelle Energie in Ojas Shakti umgewandelt?

Dieses Kapitel gehört nicht mehr zu Swami Sivanandas Buch. Hier möchte ich (der Übersetzer) ein paar Gedanken zur Sublimation entwickeln. Mir geht es in erster Linie um die Frage, wie die Sublimation eigentlich abläuft. Was geschieht da auf physiologischer, biochemischer bzw. bioenergetischer Ebene? Da ich weder Mediziner, Biologe, Chemiker noch Physiologe bin, habe ich natürlich einige Schwierigkeiten, zu verstehen, was bei der Sublimation eigentlich abläuft. Deswegen bitte ich alle, die zu dem einen oder anderen Punkt etwas beitragen können, mir eine Email zu schicken. So könnte man vielleicht ein wenig mehr Licht in die Vorgänge der Sublimation bringen. Swami Sivananda stellt immer wieder die Behauptung auf, dass der Same in spirituelle Energie, in Ojas Skakti, umgewandelt wird und dass der verwirklichte Yogi darum keinen Samenerguss, sprich, keine nächtlichen Pollutionen, mehr hat. Er setzt außerdem den männlichen Samen mit der spirituellen Energie gleich. Ich stimme mit dieser Meinung nicht überein. Ich meine, dass man weder den männlichen Samen mit der spirituellen Energie gleich setzen kann und dass es auch nicht möglich ist, den Samen in spirituelle Energie umzuwandeln. Mit anderen Worten, ich glaube nicht an die Theorie, dass der verwirklichte Yogi keinen Samenerguss mehr hat. Vielmehr bin ich davon überzeugt, dass die Theorie der Nichtejakulation auf falschen Informationen beruht, auf Unkenntnis. Ich möchte dieses auch begründen.

Zunächst einmal zu der Theorie, dass der männliche Same in Ojas Shakti (spirituelle Energie) umgewandelt wird. Es sei einmal angemerkt, dass die Idee des Ojas Shakti natürlich aus dem Yoga stammt und eine vereinfachte Darstellung der physiologischen Vorgänge ist, die ja in Wirklichkeit stattfinden. Ich glaube, dass die Umwandlung des männlichen Samens in Ojas Shakti so nicht stattfindet. Diese angebliche Umwandlung des Samens soll ja die Ursache für die angebliche Samenlosigkeit der Yogis und der angeblich nicht vorhandenen Pollutionen sein. Ich gehe vielmehr davon aus, dass die Erzeugung von Ojas Shakti ein rein energetisches Phänomen ist, also ein Vorgang auf bioenergetischer Ebene, bei dem elektrische Potentiale und biochemische Prozesse stattfinden. Der Same bleibt davon völlig unberührt. Ich möchte das zuvor gesagte, einmal am Beispiel des Orgasmus verdeutlichen, damit etwas klarer wird, was gemeint ist. Was geschieht beim Orgasmus? Im Gehirn findet eine chemische Reaktion statt, die den sexuellen Rausch des Orgasmus darstellt. Gleichzeitig läuft ein elektrisches Potential einerseits über das Rückenmark zur männlichen Prostata und sorgt für die 5 bis 10 Kontraktionen der Prostata, die ja die eigentliche sexuelle Lust des Mannes darstellen. Aber die Lust selber findet nicht in der Prostata selber statt, sondern die Prostatakontraktionen werden wieder zurück an das Gehirn gemeldet und die eigentliche sexuelle Lust findet im Gehirn statt. Dieses geschieht vermutlich durch chemische Reaktionen, die im Gehirn stattfinden. Weiter findet durch ein elektrische Potential, welches vom Gehirn über das Rückenmark geleitet wird, eine Kontraktionen im Beckenbereich statt. Es sind möglicherweise auch Kontraktionen in anderen Körperbereichen denkbar.

Der Orgasmus ist also ein Vorgang, bei dem einerseits bioenergetische Potentiale und andererseits biochemische Prozesse stattfinden. Der eigentliche Energieverlust beim Orgasmus findet einerseits durch eine bioelektrische Entladung statt, die die Muskelkontraktionen auslöst und andererseits durch die Verausgabung von chemischen Elementen, Hormonen, Eiweißstoffen und was sonst eben noch alles durch die Ejakulation ausgeschieden wird und die langfristig wieder vom Körper produziert werden müssen. Die Energie die der Körper zum Neuaufbau dieser chemischen Elemente, Hormone, Eiweißstoffe usw. benötigt, geht ihm natürlich bei der normalen Lebensqualität verloren, da er sie für den Neuaufbau dieser chemischen Elemente, Hormone, Eiweißstoffe usw. benötigt Allein für den Aufbau neuer Spermien benötigt er 72 Tage.

Das Ejakulat

Nun zum zweiten Teil meiner Überlegungen betreffs der Pollutionen. Es dreht sich in erster Linie um das männliche Ejakulat. Das männliche Ejakulat setzt sich wie folgt zusammen:

Das Samenplasma (Ejakulat) wird aus Sekreten der folgenden Geschlechtsdrüsen gebildet:

1. Hoden und Nebenhoden (5 Prozent des Ejakulats)
2. Samenleiterampulle (? Prozent)
3. Samenbläschen (50 bis 80 Prozent)
4. Vorsteherdrüse (Prostata) (10 bis 30 Prozent)
5. Cowpersche Drüse (Bulbourethraldrüse) (2 bis 5 Prozent)
6. Littre-Drüsen

Hier die bildliche Darstellung: Männliche Geschlechtsorgane. Dort könnt ihr die Details anschauen.

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Hoden und Nebenhoden (Testis): Der Hoden ist die männliche Keimdrüse. Er besteht aus etwa 250 Läppchen, die durch Bindegewebe voneinander getrennt sind. Jedes Läppchen besteht aus einigen stark geschlängelten Hodenkanälchen. Im Hodenkanälchen erfolgt die Entwicklung der Spermien. Bis zur vollständigen Reife der Spermien (Spermatozoen) verbringen sie ungefähr 72 Tage im Hodenkanälchen, wo sie über verschiedene Vorstufen im Keimepithel (Keim- und Stützzellen) der Hodenkanälchen gebildet werden. Die reifen Spermien gelangen anschließend in den Nebenhoden, ihrem Speicherplatz. Der Samenleiter hat eine Länge von etwa 50 – 60 cm und führt vom Nebenhoden, ausgehend im Samenstrang, durch den Leistenkanal und mündet gemeinsam mit dem Ausführungsgang der Samenbläschen innerhalb der Prostata in die Harnröhre. Im Hoden und Nebenhoden, die nur 3–5 % des gesamten Volumens eines Samenergusses beisteuern, wird neben den Spermien unter anderem auch Testosteron, das regulierend auf die Produktion der Samenzellen wirkt, und eine Flüssigkeit, die zum Reifen und Ruhigstellen der Samenzellen beiträgt, produziert.

Samenleiterampullen: In die Wand des Endabschnitts des Samenleiters (im Hoden) sind Drüsenpakete eingelagert. Beim Menschen führen diese Drüseneinlagerungen auch zu einer äußerlich sichtbaren Auftreibung des Samenleiters, die als Samenleiterampulle bezeichnet wird. Die Samenleiterampulle bildet einen Teil der Samenflüssigkeit. Wer weiß welches Drüsensekret in den Samenleiterampullen produziert wird und welche Funktion das Drüsensekret der Samenleiterampullen hat? Ich habe darüber leider nichts im Internet gefunden.

Samenbläschen: Die Samenbläschen sind paarig angelegte Drüsen, die aus einer verschlungenen Röhre besteht. Die Innenwand dieser Röhre besteht aus sekretorischem Drüsengewebe. Das Sekret der Samenbläschen steuert das meiste Volumen, ca. 50–70 %, des Ejakulats bei. Sie dient der Verflüssigung des Ejakulats und enthält Fruktose (Fruchtzucker) und andere Stoffe die der Ernährung der Samenzellen dient, außerdem große Mengen an Prostaglandinen (Hormone mit hoher Wirkungsvielfalt: schmerzbekämpfend, gerinnungshemmend, entzündungshemmend, fiebersenkend) und Fibrinogen (gerinnungshemmendes Protein). Die Prostaglandine tragen zur Befruchtung bei, in dem sie die Gebärmutterschleimhaut empfänglicher für die befruchtete Eizelle machen, und möglicherweise in dem sie die glatte Muskulatur in der Gebärmutterwand zu peristaltischen (wellenförmige Einschnürungen von Ringmuskeln) Bewegungen anregen, die die Spermien in Richtung Eierstöcke bringen. Außerdem verhindern sie Infektionen im männlichen Geschlechtstrakt.

Vorsteherdrüse (Prostata): Die Prostata ist ein etwa kastaniengroßes Organ, das den Anfangsteil der Harnröhre unter der Harnblase umgibt. Beim Orgasmus steuert die Prostata (Vorsteherdrüse) noch 10–33 % in Form einer dünnflüssigen, milchigen Flüssigkeit bei. Die Kapsel der Prostata zieht sich ebenso wie das Samenbläschen während der Ejakulation zusammen, so das die Flüssigkeit der beiden Organe mit den übrigen Drüsenflüssigkeiten (Spermien und Samenleiterampulle) vermischt und ausgestoßen wird. Das Sekret der Prostata enthält Ionen (Natrium, Kalium, Zink und Magnesium, Kalzium, Citrationen (Zitronensäure), Phosphationen), ein Gerinnungsenzym und Profibrinolysin (Blutgerinnung). Die Funktion der Prostata wird über das Hormon Testosteron reguliert. Das Sekret der Prostata ist dünnflüssig und trübe und gibt dem Sperma den charakteristischen Geruch. Das Sekret enthält zahlreiche Enzyme, die die Spermien für die Befruchtung benötigen. Der pH-Wert der Prostataflüssigkeit ist leicht sauer (pH 6,4). Dies ist besonders bedeutsam, da Spermien erst bei einem pH-Wert von 6.0 bis 6.5 optimal beweglich werden. Weiterhin ist PSA (Prostataspezifisches Antigen) enthalten, um die Spermien beweglich zu machen. Die Prostata entlässt außerdem weiße Blutkörperchen, verschiedene Granulozyten (Leukozyten werden im Knochenmark gebildet und ins Blut abgegeben und vom Gewebe aufgenommen, dienen zur Abwehr von Bakterien, Parasiten und Pilzen) ins Samenplasma. Sperma kann auch Krankheitserreger wie das HIV-Virus (HIV, englisch: Human immunodeficiency virus, deutsch: Menschliches Immunschwäche-Virus) oder das Hepatitis-B-Virus enthalten; die betreffenden Krankheiten sind also sexuell übertragbar.

Cowpersche Drüse (Bulbourethraldrüse): Vorab, ausgelöst durch die Erregung, innerviert (mit Nervenimpulsen versorgen) der Parasympathikus (vegetatives Nervensystem) die Cowperschen Drüsen (beim Menschen etwa 5 cm lang, der Ausführungsgang mündet in der Harnröhre) und regt sie zur Sekretion eines verhältnismäßig kleinen Anteils von 2–5 % klaren Schleims, auch Lusttropfen (auch Lusttröpfchen, Vorlusttropfen, Sehnsuchtstropfen, Glückstropfen, liquor of love, medizinisch: Präejakulat (Vor-Ejakulat), können in der späten Plateauphase, kurz vor dem Orgasmus, aus dem männlichen Glied schon vor der Ejakulation austreten.) genannt, an. Die Lusttropfen bestehen aus einem klaren Schleim aus verschiedenartigen Drüsenzellen und können schon mit Sperma vermischt sein. Deshalb können Frauen auch durch den darin enthaltenen Samen schwanger werden. Das Sekret der Bulbourethraldrüse wird meist vor der eigentlichen Ejakulation abgegeben (Vorsekret des Spermas). Das schleimige Sekret dient vermutlich vor allem der Neutralisierung von Harnresten, eventuell auch des sauren Scheidenmilieus.
Littre-Drüsen: Über die Littre-Drüsen habe ich keine Informationen gefunden.

Soweit also erst einmal die Darstellung des männlichen Ejakulats. Es zeigt zunächst einmal, dass der Same keinesfalls aus einer einzigen Flüssigkeit, nämlich den Spermien, besteht, wie es wohl oft vermutet wird, sondern er besteht aus 6 Drüsensekreten. Diese Drüsensekrete werden meiner Meinung nach auch permanent erzeugt, damit die Fortpflanzungsfunktion des Mannes aufrechterhalten bleibt. Und sie werden in regelmäßigen Abständen bei einem enthaltsam lebenden Mann mittels nächtlicher Pollutionen ausgestoßen. Das ist auch gar nicht weiter tragisch, weil der enthaltsam lebende Mann nach einiger Zeit, mittels der Enthaltsamkeit und kontemplativer Prozesse, so viel sexuelle Energie im Gehirn angesammelt hat, dass der Energieverlust, der durch die Pollution geschieht, dem bereits längerer enthaltsam lebenden Mann, nicht viel anhaben kann. Lebt man erst kurze Zeit enthaltsam, dann machen sich die nächtlichen Pollutionen allerdings sehr unangenehm bemerkbar. Sie steigern die Aggression, die Nervosität, sie bewirken, dass die Konzentration nachlässt und sie fördern das Herzrasen. Es kann aber sein, dass der Mann die nächtlichen Pollution mitunter gar nicht bemerkt, weil sie im Schlaf stattfinden. Allerdings wird er sie hin und wieder bestimmt wahrnehmen. Wenn der Mann keine nächtlichen Pollutionen mehr hätte, dann würde das bedeuten, dass der männliche Körper keinerlei sexuelle Drüsensekrete mehr produzieren würde. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Körper keinerlei Drüsensekrete mehr produziert. Denn wenn das so wäre, dann wäre der Mann nach einer gewissen Zeit unfruchtbar, da er keinerlei Spermien und auch die anderen Drüsensekrete nicht mehr produzieren würde, die für die Zeugung notwendig sind. Und das kann doch eigentlich nicht im Sinne der Natur sein.

Ich gehe davon aus, dass es im Interesse der Natur ist, dass der Mann jederzeit zeugungsfähig ist und dass deshalb auch permanent Spermien und andere Drüsensekrete produziert werden. Wenn behauptet wird, dass der Same in spirituelle Energie umgewandelt wird, so können damit ja eigentlich nur die Spermien selber gemeint sein. Jetzt einmal abgesehen davon, dass diese Umwandlung in dieser Form wohl nicht stattfindet, stelle ich mir außerdem die Frage, was geschieht mit dem Sekret aus den Samenbläschen, das u.a. der Verflüssigung des Ejakulats und der Ernährung der Samenzellen dient? Das Drüsensekret der Samenbläschen steuert immerhin 50 bis 70 Prozent des Ejakulats bei. Was geschieht mit der Flüssigkeit aus der Vorsteherdrüse (Prostata), die etwa 10 bis 30 Prozent des Ejakulats ausmacht? Was geschieht mit dem Drüsensekreten aus den beiden Samenleiterampullen? Und was geschieht mit dem schleimigen Sekret aus der Cowperschen Drüse, die vermutlich dazu da ist, die Harnröhre und eventuell auch das saure Scheidenmilieu zu neutralisieren? Das alles sind Drüsensekrete, die, wie die Spermien selbst, ja nicht direkt an der Zeugung beteiligt sind, sondern gewissermaßen nur das lebensnotwendige Umfeld für die Spermien erzeugen, damit die Spermien ihr Ziel, nämlich die weibliche Eizelle, erreichen können.
Der Mensch kann den spirituellen Prozess meiner Meinung nach nur aufrecht erhalten, wenn er permanent sexuelle Energie in spirituelle Energie umwandelt. Sonst wäre seine spirituelle Energie nämlich irgendwann verbraucht. Und deshalb bin ich davon überzeugt, dass permanent ein Energiestrom aus dem Sakralchakra (Sexualchakra) in höhere Chakren stattfindet. Ich gehe davon aus, dass hauptsächlich die sexuelle Energie für den spirituellen Fortschritt verantwortlich ist. Die klassische Kundalini-Theorie geht allerdings davon aus, dass die Kundalini, gewissermaßen eine göttliche Energie, die im Basis-Chakra beheimatet ist, durch spirituelle Praktiken vom Basis-Chakra über das Rückenmark zum Scheitel-Chakra geleitet wird. Mich


27.1 Das Sexualleben der Löwen und Tiger

Swami Sivananda behauptet im Kapitel 1.1, dass Löwen nur einmal im Jahr kopulieren. Um zu überprüfen, ob dieses stimmt, fragte ich jemanden, der sich sehr gut mit freilebenden Löwen auskennt. Von ihm bekam ich folgende Antwort:
„Da Tiger keine feste Paarungszeit haben und die Weibchen ohne Nachwuchs alle 15 bis 20 Tage paarungsbereit sind, scheiden Tiger also aus dem Schema der einmal jährlichen Paarung aus. Wie sieht es beim Löwen aus?

Das Löwenweibchen hat nur einmal im Jahr Sex. Dafür dann allerdings um so häufiger. Löwenweibchen sind nur an 5 Tagen im Jahr fruchtbar. Darum paaren sich Löwen Tag und Nacht in sehr kurzen Kopulationsintervallen von 5 – 20 min. in der gesamten Hochbrunst des Weibchens (In dieser Zeit haben beide nur Sex im Kopf – ans Fressen wird dann nicht gedacht!). Der einzelne Paarungsakt beläuft sich dabei auf 15 – 30 Sekunden. So kann es bei den meisten Raubkatzen zu 50 Paarungen am Tag kommen.
Ja, wann ist für den männlichen Löwen Paarungszeit? Eigentlich immer dann, wenn eine weibliche Katze da ist, die lecker ausschaut und noch weit leckerer duftet. Demnach kann man nicht pauschal die kopulationsfreie Zeit eines Löwen auf ein Jahr festlegen. Zwar kann man saisonale Häufungen der Rolligkeiten feststellen, aber letztlich ist die Paarung nicht an eine bestimmte Zeit gebunden.

Laut Büchern und Dokumentationen sind Löwinnen menschengleich, ca. alle vier Wochen rollig und wollen begattet werden, während erst jede dritte oder vierte Rolligkeit zur Trächtigkeit führt. Verteilt man das auf alle weiblichen Rudelkatzen, so hat das Männchen allein aus dieser Sicht genug Beschäftigung. Hinzu kommt, dass ein Männchen hin und wieder zwei Rudel leitet und wenn schon kein zweites Rudel die Aufmerksamkeit fordert, dann ist es immer noch denkbar, dass sich der Löwenmann mal ein paar Tage von seiner Familie verabschiedet und auf Liebespfaden wandelt, wann immer sich Gelegenheit bietet. An sexueller Auslastung mangelt es also nicht.

In Anbetracht der hochfrequenten Kopulationsintervalle könnte man vermuten, dass bereits wenige Wochen ohne Sex zum „Löwenproblem“ werden, welches irgendwie gelöst werden muss. De facto habe ich hierüber keinerlei Informationen, allenfalls habe ich Augen und interpretiere das Gesehene. So konnte ich Tiger dabei beobachten, wie sie sich Erleichterung verschafften, indem sie sich an Gegenständen rieben. Gleichsam fielen mir Videos in die Pfoten, wie sich Tigermännchen an unteren Körperregionen beschleckten, was in der ausgestellten Ausgiebigkeit nicht mehr nur auf profane Fellpflege schließen ließ.

Des weiteren habe ich Videoaufnahmen von schlafenden Löwen gesehen, die während dessen eine Erektion hatten und transparente Flüssigkeiten absonderten. Daraus folgere ich für mich, dass Löwen nicht zwangsweise enthaltsam sind und sich auf irgendeine Art und Weise Erleichterung verschaffen, wann immer es sein muss. Ferner ließen die Bilder des schlafenden Löwen Rückschlüsse auf Pollution zu und wenn nicht Pollution in engerem Sinne dann doch auf reizvolle Träume mit dem Ergebnis unbewusster Ejakulation.

Wie gesagt, bei all dem handelt es sich um meine Beobachtungen, die keinerlei Hinweis auf bestätigte Informationen geben, für mich aber nahe legen, dass Löwen permanent neues Sperma produzieren und es unter welchen Umständen auch immer regelmäßig abgeben. Genau so gut kann es sein, dass die Beobachtungen Zufälle sind und Pollution bei Löwen mehrheitlich nicht auftritt, je nach katzenrolligkeitsbedingten Einflüssen von außen und dem hormonellen Status während der sexuellen Tätigkeitsphasen und den Ruhewochen.“


27.2 Erleuchtung = selbstinduzierte epileptische Mikroanfälle?

Neurotheologen suchen im Gehirn nach Gott

Kann der Glaube an Gott auf neuronale Vorgänge im Gehirn zurückgeführt werden? Wie sieht die Biochemie religiöser Visionen aus? Mit solchen und ähnlichen Fragen beschäftigt sich ein noch recht neuer, interdisziplinärer Wissenschaftszweig: die Neurotheologie. Wenn alles, was den Menschen bewegt, seine Grundlage in den biochemischen Vorgängen des Gehirns hat, so der Ansatzpunkt der Forscher, müssten auch religiöse Gefühle und Vorstellungen dort entstehen oder ihre Spuren hinterlassen. Hinweise auf einen solchen Zusammenhang geben Beobachtungen und Erfahrungen von Epileptikern, schreibt das Wissenschaftsmagazin „Bild der Wissenschaft“ in seiner Juli-Ausgabe. Bestimmte Formen der Epilepsie werden ungewöhnlich häufig von extremer Religiosität begleitet. In solchen Fällen sind die Veränderungen während der Anfälle meist auf den linken Schläfenlappen begrenzt und äußern sich nur selten in Krämpfen oder Bewusstlosigkeit. Die Betroffenen haben vielmehr das Gefühl einer göttlichen Gegenwart, verfallen in Verzweiflung oder auch in Ekstase.

Manche Epileptiker sehen Lichterscheinungen

Auch sensorische Störungen wie Lichteindrücke und akustische Wahrnehmungen während der Anfälle sind typische Phänomene, wie sie auch viele Religionsstifter oder stark religiöse Persönlichkeiten der Geschichte beschreiben. So hatte der spätere Apostel Paulus zum Beispiel eine Lichterscheinung und hörte die Stimme Jesu. Mohammed ließ sich den Koran von einem Engel diktieren, und Johanna von Orleans handelte auf Befehl einer göttlichen Stimme.

Forscher sehen „Gott-Modul“ im Limbischen System

Eine Schlüsselrolle bei diesen Erscheinungen schreiben Neurologen dem Limbischen System im Schläfenlappen zu, das für die Verarbeitung von Gefühlen zuständig ist. Wird es stimuliert, sei es durch Reize von außen oder durch die elektrischen Entladungen während eines epileptischen Anfalls, spürt der Betroffene eine starke emotionale Erregung. Interessanterweise sind bei Schläfenlappen-Epileptikern zwar einige, aber nicht grundsätzlich alle Gefühle übersteigert: Die so genannten Schläfenlappen-Persönlichkeiten reagieren hauptsächlich auf religiöse Wörter und Symbole, sexuelle Bilder dagegen rufen nur sehr gedämpfte Echos hervor. Das deutet nach Ansicht einiger Forscher auf ein „Gott-Modul“ im Kopf hin, eine spezielle Gehirnregion für Gotteserfahrungen. Ärzte-Zeitung
Neurotheologie

Abschnitt 27 ist eine Überlegung des Übersetzers.


28. Nachträge

28.1 Der Bestsellerautor Napoleon Hill zur Enthaltsamkeit

Reif sein ist alles

Im Folgenden zitiere ich einen Absatz aus dem Kapitel „Transformation der Sexualkraft“ aus dem Bestseller „Denke nach und werde reich“ von Napoleon Hill: „Im Verlauf meiner Analyse der Lebensgeschichte von mehr als 25.000 Menschen fand ich heraus, dass hervorragende geistige Leistungen nur in seltenen Ausnahmefällen vor dem vierzigsten Lebensjahr erzielt werden. Die meisten Männer sind, wenn sie den Gipfel ihres Erfolgs erreichen, sogar bereits fünfzig Jahre alt. Ich fand diesen Umstand so verblüffend, dass ich seinen Gründen mit besonderer Sorgfalt nachspürte. Ich gelangte zu dem Ergebnis, dass die meisten Männer außergewöhnliche geistige Leistungen vor allem deswegen erst im vorgerückten Alter vollbringen, weil sie vorher einen Grossteil ihrer sexuellen Energie zu ihrem körperlichen Vergnügen verbrauchen. Die meisten Männer lernen nie, dass es für sexuelle Energie wesentlich nützlichere (wohlgemerkt, ich sage nicht: bessere, edlere oder sinnvollere!) Verwendungsmöglichkeiten gibt, als es der rein physische Gebrauch ist. Und die meisten von denen, die irgendwann doch zu dieser Erkenntnis gelangen, schaffen dies erst, nachdem sie sich – wie man so schön sagt- die Hörner abgestoßen haben.

Mit abgestoßenen Hörnern lässt sich allerdings auch im geistigen Bereich weit weniger effektiv arbeiten (im Vergleich zu einem jüngeren Mann der enthaltsam lebt). Daher kann ich jedem, der schon in jungen Jahren ein klares Lebensziel hat und vom ausgeprägten Verlangen getrieben wird, es auch tatsächlich zu erreichen, nur dringend empfehlen, seine Sexualenergie nicht planlos zu vergeuden. Ich wiederhole: „Es geht hierbei nicht darum, sich jeden sexuellen Genuss zu versagen, sondern darum, seine geschlechtliche Energie klug und verantwortungsbewusst zu verwalten und nach Möglichkeiten alle Überschüsse unter denen die Konzentrationsfähigkeit gerade junger Männer oft genug erheblich leidet, zu sublimieren und für ein höheres Ziel einzusetzen. Und wer dies schafft, der ist, wie jung er an Jahren auch sein mag, wahrhaftig reif.“

„Die Sexualenergie ist die Muse – die treibende und inspirierende Kraft – aller wirklich schöpferischen Menschen. Der menschliche Geist braucht Anregungen, Stimulierung – und der stärkste und wirkungsvollste aller Reize geht bei uns nun mal vom Sexualtrieb aus. In die richtigen Bahnen gelenkt, trägt diese Energie den Menschen in jene höhere Sphäre den Denkens empor, in der die geistig-seelischen Vermögen nicht mehr von alltäglichen Problemen und Sorgen beeinträchtigt werden, sondern sich ungeteilt in den Dienst des eigentlichen Schöpfungsprozesses stellen. Zur Auffrischung des Gedächtnisses seien hier die Namen einiger bedeutender Männer genannt, deren außergewöhnliche Leistungen und Erfolge ihrem überdurchschnittlichen sexuellen Potential entsprachen. Ihre geniale Veranlagung gelangte aber erst als Folge der Transformation ihrer Sexualenergie zu vollen Entfaltung: Sokrates, Julius Cäsar, Augustinus, Leonardo da Vinci, Michelangelo, Buonarotti, William Shakespeare, Wolfgang Goethe, Napoleon, Ralph Waldo Emerson und damit auch unser Jahrhundert nicht leer ausgeht, Charlie Chaplin, Berthold Brecht, Pablo Picasso.“

Natürlich darf die obige Feststellung nicht in dem Sinne missverstanden werden, dass jeder, der einen überdurchschnittlich starken Geschlechtstrieb sein eigen nennt, ein (und wenn auch nur potentielles) Genie wäre: Eine starke Sexualität ist eine, keineswegs aber auch hinreichende, Bedingung! Zum Genie wird nur der Mensch, der seinen Geist so anzuregen weiß, dass dieser mit allen verfügbaren Kräften seiner schöpferischen Phantasie die Imagination, die Eingebung, herbeizuführen vermag. Dabei dient die Sexualität als besonders wirksame und ergiebige Kraftquelle, deren blosser Besitz jedoch noch längst kein Genie macht. Die Sexualkraft, ich wiederhole, ist die rohe Energie, das elementare Potential; wahrhaft schöpferisch ist aber erst der Mensch der den Willen und die Kraft besitzt, sie in eine andere, „ureigentliche“ Form des Verlangens zu transmutieren, die den Geist zu außergewöhnlichen Leistungen befähigt und motiviert. (Napoleon Hill: Denke nach und werde reich, S.183 ff.)


28.2 Der kulturelle Einfluss auf die Sexualität

Von allen Mitgliedern der Familie der Säugetiere, ist der zivilisierte Mensch das einzige Opfer einer übertriebenen und krankhaften Sexualität. Diese Einstellung, hat er bis zu einem gewissen Grad auch den Tieren auferlegt, die er domestiziert hat und die seine Nahrung angenommen haben, insbesondere der Hund. Wilde Tiere, die in der Natur leben, kopulieren nur zu bestimmten Jahreszeiten zum Zwecke der Fortpflanzung. Der zivilisierte Mensch praktiziert diesen Akt zu allen Zeiten. In den meisten Fällen ohne die Absicht, Nachwuchs zu zeugen. Auf der anderen Seite, führen die so genannten Wilden und primitiven Menschen ein natürlicheres Leben und verfolgen in ihrem sexuellen Verhalten in einem weit größeren Umfang ein keusches Leben, wie von Havelock Ellis bemerkt wird.

Solche Überlegungen führen zu dem Schluss, dass die Sexualität der zivilisierten Menschen unnatürlich ist und dass sich die exzessive Sexualität, die der moderne Mensch praktiziert, durch verschiedene aphrodisische Reize entwickelt hat. Zu diesen aphrodisischen Reizen gehört die proteinreiche Ernährung durch Fleisch (begleitet von körperlicher Inaktivität), der Genuss von Tabak, Kaffee und Alkohol, sexuelle Stimulierung durch Literatur, Film und Konversation (Unterhaltung), usw.. Aus diesen Gründen hat der zivilisierte Mensch sich von den Naturgesetzen entfernt, die von den Tieren und den so genannten primitiven Menschen, eingehalten werden, und die es zum Schutz für Mutter und Kind erfordern, dass in der Zeit der Schwangerschaft und Stillzeit keine Sexualität praktiziert wird. Die Verletzung dieser Regeln. kann zu einer großen Zahl von physischen und psychischen Erkrankungen der Nachkommen führen, die von den zivilisierten Menschen erzeugt werden.

Unter den Andamanen, sagt Portman, ist der sexuelle Wunsch unter den Männern nur sehr gering vorhanden. (Die Andamanischen Inseln befinden sich östlich von Indien zwischen dem Golf von Bengalen und dem Andamanischen Meer.) Normalerweise erwacht die Sexualität erst mit 18 Jahren und sie wird erst nach der Heirat befriedigt, wenn der Mann etwa 26 Jahre alt ist. Laut Haydes und Deniker, sind bei den Fuegians, sowohl Männer als auch Frauen äußerst zurückhaltend in ihren sexuellen Ausschweifungen. (Die Fuegians sind die indigenen Bewohner (Ureinwohner) der Tierra del Fuego (Feuerland), einer Inselgruppe an der Südspitze Südamerikas.) Im Falle des Eskimo, stellt Cook fest, dass während der langen dunklen Winterzeit keine Sexualität praktiziert wird und die Menstruation nicht stattfindet. Die Mehrheit der Kinder wird neun Monate nach dem Erscheinen der Sonne geboren. Auf der Grundlage solcher Beobachtungen, zieht Havalook Ellis den Schluss, dass der sexuelle Instinkt primitiver Völker, weniger intensiv und seltener vorhanden ist, als bei zivilisierten Menschen. außerdem findet er seinen Ausdruck darin, dass die Paarung nur zu ganz bestimmten Jahreszeiten und nur zur Fortpflanzung, stattfindet.

Tiere, wie Menschen, werden zu Opfern eines übertriebenen sexuellen Verlangens, wenn sie sich falsch ernähren und in Gefangenschaft sind. Daher werden Affen, wenn sie in einem Käfig eingesperrt sind und mit Fleisch und anderer sexuell anregender Nahrung gefüttert werden, extrem zügellos und bösartig, während sie zuvor, als sie noch mit Früchten gefüttert wurden, sanft und zahm waren. Dann masturbieren sie exzessiv und haben täglich Geschlechtsverkehr und die Weibchen menstruieren so häufig wie menschliche Frauen. Andere weibliche Säugetiere, die ein natürliches Leben führen, menstruieren nicht. Nur durch Domestizierung und übermäßige Fütterung geschieht dies bei Kühen und anderen Arten. (Domestizierung ist ein innerartlicher Veränderungsprozess von Wildtieren oder -pflanzen, bei dem diese durch den Menschen über Generationen hinweg genetisch isoliert von der Wildform gehalten werden.)

Holder stellte fest, dass die Indianer Amerikas ursprünglich weit weniger wollüstig als die weißen oder afrikanischen Rassen waren, die später auf diesen Kontinent kamen. Dr. Beard stellte fest, dass die indischen Jungen nicht masturbierten und dass die jungen Männer bis zur Heirat in Keuschheit lebten. Das sind Bedingungen, die wir nicht unter den so genannten zivilisierten Rassen finden. Spencer, der die Indianer Kaliforniens studierte, bemerkt, dass es nach der Menstruation, einem Mädchen bis zur Ehe nicht erlaubt war, in der Gesellschaft des anderen Geschlechts zu verweilen. Während der Schwangerschaft und Stillzeit herrschte strenge Keuschheit. Der Koitus war auch nicht gestattet, wenn man Feste beging, bei denen Fleisch gegessen wurde und die Menschen sich in sexueller Erregung befanden. Normalerweise schliefen die Jungen und Männer gemeinsam in einem separaten Schlafsaal. Spencer bemerkte, dass ein intelligenter Indianer seinem Freund auf seinem Totenbett eine Sünde gestand, die schmerzlich sein Gewissen belastete. Er hatte mit seiner Frau, nach einem großen Abendessen mit frischem Rindfleisch, geschlafen und spürte nun, wie die Schuld seine Seele belastete.

Keuschheit vor der Ehe ist in vielen Teilen Afrikas die Regel. In einigen Teilen Westafrikas wird ein Mädchen, das unkeusch ist, streng bestraft. Unter den Ba Henda in Nord-Transversal, einer Provinz der südafrikanischen Union, ist Geschlechtsverkehr vor der Ehe nicht erlaubt und wenn beobachtet wird, dass die Schamlippen eines Mädchens auseinander sind, wenn sie sich auf einen Stein setzt, dann wird sie als schuldig angesehen und bestraft, weil sie sexuellen Verkehr hatte. Bei den Syntengs, lebt der Ehemann mit seiner Frau nicht im selben Haus. Er besucht sie nur gelegentlich im Hause seiner Mutter, wo sie ebenfalls wohnt. Smyth bemerkt, dass promiskuitiver Sexualverkehr, also sexuelle Kontakte mit verschiedenen Partnern, von den in Australien lebenden Ureinwohnern, den Aborigines, nicht praktiziert wird. Ihre Gesetze sind in dieser Beziehung ziemlich streng. Gespräche zwischen einzelnen Männern und jungen Frauen oder verheirateten Frauen sind nicht erlaubt. Verstöße gegen diese Gesetze, wurden manchmal mit dem Tod bestraft.

Unter den Seri, werden junge Männer angeleitet, ein Jahr vor der Ehe eine Probezeit zu absolvieren, in der sie enthaltsam leben, um ihre Fähigkeit der sexuellen Selbstkontrolle zu testen. Unter den Pueblos, wird die Moral der Jugendlichen von einer geheimen Polizei überwacht, die über alle Unregelmäßigkeiten berichtet. Verstoßen die Jugendlichen dagegen, dann werden sie gezwungen, zu heiraten. In Uganda wird nach der Geburt eines Kindes, eine Enthaltsamkeit von zwei Jahren praktiziert. Unter den Fidschis (Fidschi ist ein Inselstaat im Südpazifik nördlich von Neuseeland und östlich von Australien.) leben Ehemann und Ehefrau drei bis vier Jahre getrennt, so dass kein weiteres Baby geboren werden kann und die Mutter die notwendige Zeit zum Stillen des Kindes hat. Bezogen auf die malaysische Halbinsel schreibt Stevens: „Der sexuelle Impuls unter den Belendas ist nur schwach entwickelt. Sie sind nicht sexuell. Es gibt wenig oder keine Liebesspiele in den sexuellen Beziehungen.“ Unter den Malayen herrscht in Zeiten des Krieges strikte Keuschheit. Laut Havelock Ellis sind die Afrikaner weit weniger wollüstig als die weißen Männer. Er schreibt: „Unter den Kambodschanern scheint strenge Keuschheit zu herrschen und wenn wir den Himalaya nach Norden überschreiten, so finden wir dort wild lebende Völker, denen sexuelles Begehren unbekannt ist. So wird das frisch verheiratete Paar bei den Turcomians einige Tage nach der Hochzeit für ein Jahr getrennt.“

Bei Westmarck heißt es, um so weiter die Zivilisation voranschreitet, desto größer ist die Zahl der unehelichen Geburten und die Verbreitung der Prostitution. Diese Probleme treten eher in Städten als auf dem Lande auf. Er behauptet, dass Promiskuität, der Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern, kein ursprünglicher und natürlicher Zustand des Menschen ist, sondern ein Produkt der Zivilisation, oder besser gesagt, der Pseudo-Zivilisation. Die „primitiven“ Rassen der Menschheit, lebten vergleichsweise keusch. Westermarck schreibt:

„Bei einer großen Zahl „primitiver“ Menschen, erforderte die Monogamie (die Ehe mit einem Partner) von einem Mann längere Zeiträume der Enthaltsamkeit. Er hatte sich nicht nur zu bestimmten Zeiten eines jeden Monats seiner Frau zu enthalten, sondern auch während der Schwangerschaft oder zumindest während der letzten Zeit der Schwangerschaft, da schwangere Frauen als unrein galten. Dies galt auch für die Zeit nach der Geburt des Kindes, bis das Kind gestillt war. Die Enthaltsamkeit galt auch für die Säuglingszeit, die zwei oder drei Jahre, manchmal aber auch fünf oder sechs Jahre, andauern konnte.“

Die antiken Spartaner in Griechenland verkörperten eine Rasse, mit einem hohen moralischen Anspruch, die die Keuschheit beachtete. Die Geschlechter lebten selbst nach der Hochzeit getrennt. Die Männer schliefen zusammen in einem Schlafsaal und die Frauen in einem anderen. Der griechische Philosoph Plutarch (45 – 125 n.Chr.) schreibt über das Leben des legendären historischen Gesetzgebers von Sparta, Lykurk, dass er sich bescheiden zu seinen Begleitern zurückzog, um mit ihnen die Nacht zu verbringen. Er besuchte nicht seine Braut, da er große Sorge und Angst hatte, vom Rest der Familie dabei beobachtet zu werden. Einige von ihnen hatten sogar Kinder, bevor sie mit ihren Frauen am Tage eine Unterredung hatten. Diese Art des Handelns trainierte nicht nur ihre Abstinenz und Keuschheit, sondern erhielt sie fruchtbar und die Begeisterung für die Liebe frisch und ungebrochen, denn sie waren nicht gesättigt, wie jene, die immer mit ihren Frauen zusammen waren.“

Anmerkung Übersetzer: Es geht bei diesen Schilderungen nicht darum, ob man aus heutiger Sicht alle Einstellungen gut heißen kann. Vielmehr sollte es darum gehen, zu erkennen, dass die Sexualität der Menschen weltweit in früheren Zeiten in erster Linie der Fortpflanzung diente und dass die Menschen in früheren Zeiten nicht so sexbesessen waren, wie die heutigen so genannten zivilisierten Menschen. Die Sexbesessenheit der heutigen Zeit entstand dadurch, dass der Mensch sich immer weiter von der Natur entfernte und dadurch, dass der moderne Menschen im Rahmen des technischen Fortschrittes seine Ernährungsgewohnheiten umstellte. Er ernährte er sich immer stärker von Fleisch, Fisch und Geflügel, die ebenfalls die Libido beflügelte. Durch die Medien bekamen die Menschen außerdem immer leichter Zugang zu erotischen Schriften, Bildern und Filmen, was der Moral nicht unbedingt zuträglich war. Diese Tendenz wird sich wahrscheinlich in der Zukunft noch weiter verstärken und es ist nicht davon auszugehen, dass die Menschen dadurch glücklicher werden. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden sie diese Entwicklung mit sehr viel Leid bezahlen müssen. Ende Anmerkung.

Zur Erreichung der Keuschheit, die er als wesentlich für die Erhaltung der Vitalität der spartanischen Rasse hielt, verbot Lykurk, der Gesetzgeber der Spartaner, den Konsum von Fleisch und anderen stimulierenden Nahrungsmitteln und setzte eine vegetarische Kost durch. Alkohol war ebenso verboten. Er verbot das Essen zu Hause und ernährte die Spartaner an einer öffentlichen Tafel.. Durch die Kontrolle ihrer Nahrung, konnte er ihre Moral kontrollieren. Er verbat Schlachter und Köche oder wie unersättliche Tiere übermäßig zu essen. So konnte er nicht nur Einfluss auf das Benehmen und den Körper nehmen, sondern alle Arten von Sinnlichkeit und Ausschweifung verhindern. Gleichzeitig sorgte er für ausreichend Schlaf.

In Sparta, einem Matriarchat, in dem Frauen große Macht hatten, wurden die Jungen zur Keuschheit erzogen. Der athenische Politiker, Feldherr und Schriftsteller Xenophon (426 – 355 v.Chr.) sagt uns, dass es wahrscheinlicher ist, dass eine Statue aus Stein oder Marmor ihre Augen bewegt, als ein spartanischer Junge. Die Jungen seien schamhafter als die Mädchen, sagte er. Die Frau eines anderen Landes sagte zu einer spartanischen Frau: „Ihr aus Sparta seid die einzigen Frauen der Welt, die die Männer bereuen.“ Sie antwortete: „Wir sind die einzigen Frauen, die Männer hervorbringen. „Der Mut und die körperliche Perfektion der spartanischen Rasse machte sie durch alle Zeitalter berühmt.

Quelle: The physiological value of continence

Ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal an die enthaltsam lebenden Dani in Neuguinea hinweisen. Wie es scheint, lebte der Mensch einst wie alle anderen Rassen, die es auf der Erde gibt, mit der Natur in Einklang und praktizierte ebenso wie alle Rassen Sexualität nur zu bestimmten Jahreszeiten und nur zur Fortpflanzung. Die kulturelle Entwicklung brachte es allerdings mit sich, dass der Mensch sich von seinen natürlichen Wurzeln entfernte. Aber erst die moderne Entwicklung führte durch die verstärkte Ernährung mit proteinreicher Nahrung (Fleisch, Fisch, Geflügel, Eier), durch den verstärkten Konsum von Genussmittel wie Tabak, Kaffee, Alkohol und anderen Genussmitteln und durch die Beschäftigung mit erotischen Inhalten dazu, dass die Sexualität immer mehr an Bedeutung gewann. Heute sind die Menschen geradezu besessen von der Sexualität und sie sehen ihr Verhalten als völlig normal an.

Zehn bis fünfzehn Milliarden Dollar gibt Amerika jedes Jahr für Pornografie aus. Mehr, als für Kinokarten, Schallplatten oder Videospiele. Mehr als für die Nationalsportarten Football, Baseball und Basketball zusammen. Und bei durchschnittlichen Produktionskosten von 50.000 Dollar pro Film, fallen bei 250.000 Dollar Umsatz Gewinnspannen an, für die man in Hollywood in die Chefetage befördert würde. Die weiterhin rasante Entwicklung der neuen Medien verspricht eine goldene Pornozukunft. Branchenkenner rechnen nach den Einführungen von Breitbandkabel, Internet II und Video-On-Demand mit bis zu zehnfachen Profitsteigerungen. Das wäre dann ein Branchenumsatz mit zwölf Nullen. Durchaus realistisch, denn für die neue Medienlandschaft ist die Pornoindustrie der ideale Content Provider.

Abschnitt 28 ist eine Einfügung des Übersetzers.


28.3 Führt Enthaltsamkeit zur Impotenz?

Es wird allgemein von den Yogis behauptet, dass vollendete Yogis keine Ejakulationen mehr haben, weder am Tage noch in der Nacht (Pollutionen). Lange Zeit ging ich davon aus, dass die Samen- bzw. Spermienproduktion damit zum Stillstand kommt. Wird vom Körper bzw. vom Hoden kein Samen mehr produziert, dann ist der Mann natürlich nicht in der Lage, Kinder zu zeugen. Deswegen fürchten einige, die Enthaltsamkeit könnte zur Zeugungsunfähigkeit (Unfruchtbarkeit) und zur Impotenz des Mannes führen.

Ich glaube aber mittlerweile, dass die biologischen Abläufe etwas anders sind, als wie soeben beschrieben. Ich glaube nämlich nicht, dass die Samen- bzw. Spermienproduktion jemals zum Stillstand kommt. Dasselbe gilt für alle Sexualsekrete, die an der Produktion des Ejakulats beteiligt sind. Dies gilt also u.a. für folgende Sexualdrüsen: Samenleiterampullen, Samenbläschen, Prostata, Bulbourethraldrüsen (Cowpersche Drüsen) und für die Littre-Drüsen. Alle diese Drüsen sind an der Produktion des männlichen Ejakulats beteiligt. Dabei haben die Spermien selber sogar den geringsten Anteil, da die Spermien gerade einmal etwa 5 % des Ejakulats (des männlichen Samens) ausmachen. 65 bis 75 Prozent des Ejakulats kommt aus den beiden Samenbläschen, die Prostata steuert etwa 10 bis 30 Prozent bei und der Rest kommt aus den übrigen Drüsen. Jedes Sexualsekret erfüllt ganz bestimmte Funktionen, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll.

Das Sekret der Prostata enthält z. B. Natrium, Kalium, Zink und Magnesium, Calcium, Citrationen, Phosphationen, ein Gerinnungsenzym und Profibrinolysin. Die Prostata entlässt außerdem weiße Blutkörperchen, verschiedene Granulozyten ins Samenplasma. In einer Studie wurde festgestellt, dass verschiedene Bestandteile des männlichen Samens, unter anderem Hormone wie Testosteron, Östrogen und das follikelstimulierende Hormon, Prolactin und verschiedene andere Prostaglandine (Sekrete der Prostata-Drüse) eine anti-depressive, also stimmungsaufhellende Wirkung auf die Frau haben könnten. Das Samenplasma enthält also sehr wichtige Spurenelelemente, Mineralien, Vitamine, Eiweißstoffe und Hormone, die für die Zeugung des Nachwuchses sehr wichtig sind. Aber sie sind nicht nur für den Nachwuchs wichtig, sondern ebenso für den Mann selber, weil der Körper diese Stoffe unbedingt braucht, damit der Mann sich wohl fühlt. Vergeudet er dagegen seinen Samen permanent, so beraubt er sich seiner eigenen Seligkeit.

Was geschieht also, wenn der Mann enthaltsam lebt? Kommt die Samenproduktion bzw. die Produktion der Sexualsekrete dann zum Stillstand? Nein, ich denke dieses ist nicht der Fall. Der Samen wird ebenso weiterproduziert wie vorher. Er wird aber nicht mehr durch sexuelle Aktivität dem Körper entzogen und ist damit für immer verloren, sondern er wird nun dem Körper, speziell den Nerven und dem Gehirn, zur Verfügung gestellt. Er wandert von den jeweiligen Sexualdrüsen über die Blutbahn in die Nervenzentren und ins Gehirn. Dieses hat mittelfristig eine sehr vielfältige Wirkung auf den Menschen. Einerseits haben die Sexualsekrete eine sehr starke euphorisierende Wirkung, andererseits eine sehr beruhigende. Langfristig werden dadurch körpereigene Drogen aktiviert, was dazu führt, dass der Mensch sich in einem permanenten Zustand der Seligkeit befindet.

Es gibt also zwei Möglichkeiten, wie man mit den Sexualsekreten verfahren kann. Einerseits kann man sie durch sexuelle Aktivität vergeuden, andererseits kann man sie mittels der Enthaltsamkeit dem Körper zur Genesung bzw. für den spirituellen Fortschritt zur Verfügung stellen. Ich bezeichne diesen Vorgang jetzt einmal als spirituellen Vorgang, obwohl es ja eigentlich ein physiologischer Vorgang ist, der dort abläuft. Vielleicht kann man ihn aber deshalb als spirituellen Vorgang betrachten, da die Meditation und andere spirituelle bzw. kontemplative Praktiken, wie etwa das Beten, Atemübungen, Yoga und der Zen die heilende Wirkung der Enthaltsamkeit beschleunigen.

Hört nun jemand, der längere Zeit enthaltsam gelebt hat, mit der Enthaltsamkeit auf, dann wird das Samenplasma wieder den Nerven und dem Gehirn entzogen und es wird der Sexualität, dem Zeugungsvorgang, zur Verfügung gestellt. Aus diesem Grunde besteht also überhaupt keine Gefahr, dass jemand der längere Zeit enthaltsam gelebt hat, zeugungsunfähig werden könnte.


28.4 Der Sufismus und das Zölibat

Im Islam gibt es die Bewegung der Sufis, den Sufismus, wobei betont wird, dass die Sufis eigentlich unabhängig von einer Religionszugehörigkeit sind und diese Bewegung schon weitaus älter ist als der geschichtliche Islam. Die Sufis selber betonen jedoch, dass sich der Sufismus zu seiner vollen Blüte erst ab dem Auftreten des Propheten Mohammed entwickelt hat (Die früheren Sufis hätten dies bestimmt anders gesehen.). Die ersten Sufis sollen aus dem Jemen kommen, wo sie in der Wüste gelebt haben sollen. Die meisten Sufis bewegen sich aber innerhalb des orthodoxen Islams von Sunna und Schia und sind somit entweder Sunniten oder Schiiten.

Die Anhänger des Sufismus sehen ihre Lehre nicht als ein spirituelles Produkt der islamischen Religion, sondern er offenbart lediglich die mystische Wahrheit des Islam. Die sufische Lehre als solche zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte. Aus der Sicht vieler Sufis, ist der Sufismus zu jeder Zeit und in jeder Kultur in verschiedenen Aspekten allgegenwärtig. Anhand dessen, was über Lebensweise, Doktrin und Ritus der Bewegung bekannt ist, lässt sich eine bemerkenswerte Ähnlichkeit des Sufismus mit älteren nichtislamischen asketischen, mystischen Bewegungen, wie z. B. dem Nestorianismus, Gnostizismus, Neoplatonismus, Manichäismus und dem Buddhismus, feststellen. Diese Traditionen existierten bereits lange bevor die ersten sufistischen Gruppen in den islamisch geprägten Gebieten erschienen. Der Überlieferung zufolge standen die traditionellen Muslime dem Auftauchen der Sufis zunächst feindlich gegenüber. Ihre Anerkennung, die erst im 11. und 12.Jahrhundert erfolgte, verdankten sie den Bemühungen und Schriften bedeutender Mitglieder der sunnitischen Gelehrtenschicht, wie z. B. Al Ghazali.

Der Sufismus ist also kein Produkt des Islam, sondern er hat seine Wurzeln in älteren asketischen Traditionen spiritueller (mystischer) Gruppen. Dann aber wurde der Sufismus gewissermaßen vom Islam aufgesogen. Damit verlor der Sufismus langsam aber sicher seine zölibatäre Ausrichtung. Der Sufismus folgt vier Stufen, die auf die Prägung aus dem indischen Raum verweisen. Bis heute ist jedoch offen, wie und in welche Richtung diese Beeinflussung historisch verlief:

1. Auslöschen der sinnlichen Wahrnehmung.
2. Aufgabe des Verhaftetseins an individuelle Eigenschaften.
3. Sterben des Ego.
4. Auflösung in das göttliche Prinzip.

Das oberste Ziel der Sufis ist, Gott so nahe zu kommen wie möglich und dabei die eigenen Wünsche zurückzulassen, wobei der Suchende danach strebt, die Wahrheit schon in diesem Leben zu erfahren und nicht erst auf das Jenseits zu warten. Dies spiegelt sich klar in dem Prinzip „zu sterben bevor man stirbt“ wieder. (Wiedergeburt im jetzigen Leben.) Hierzu versuchen die Sufis, die Triebe der niederen Seele bzw. des tyrannischen Ego so zu bekämpfen, dass sie in positive Eigenschaften umgeformt werden. Auf diese Weise kann man einzelne Stationen durchlaufen, deren höchste die reine Seele ist. Diese letzte Stufe bleibt jedoch ausschließlich den Propheten und den vollkommensten Heiligen vorbehalten.

Die Sufis suchen durch tägliche regelmäßige Meditation Gott nahe zu kommen oder mit Gott bereits im irdischen Leben eins zu werden. Kommen Sufis einem solchen Zustand nahe, geraten sie oft in Trance. Ein bekanntes Beispiel für Trancezustände bei Sufis sind die so genannten drehenden Derwische aus Konya in der heutigen Türkei, die sich um ihre eigene Achse drehen und dadurch in Trance geraten. Während ihrer Meditation (Anrufung Gottes) rezitieren die Sufis immerwährend, wie bei der Mantrameditation, bestimmte Stellen aus dem Koran und eine bestimmte Anzahl der göttlichen Attribute (im Islam: 99).

Wie bereits angedeutet wurde, war die Askese eines der zentralen Mittel, von dem sich die Sufis einen Einblick in das Wesen Gottes erhofften, da diese Lebensweise sie automatisch von allen weltlichen Belangen und Problemen loslöste und sie sich somit ganzzeitlich dem Gottesgedenken widmen konnten.

Eine der Askese ganz ähnliche Funktion hat auch das Zölibat in der sufistischen Lehre: Obwohl der Prophet Mohammed ursprünglich seine Anhänger immer dazu angehalten hatte, „Familien zu gründen“, herrschte unter den frühen Asketen eine Vorliebe für das zölibate Leben: Ebenso wie im weltlichen Wissen und im irdischen Luxus erblickten die Sufis im Familienleben eine Gefahr, die sie von Gott entfremden könne, da einem verheirateten Menschen immer ein guter Teil seiner Zeit, nämlich der, den er mit der Versorgung seiner Familie zubringen muss, an der totalen Gottergebenheit fehlt und er sich somit nicht absolut der Gläubigkeit hingeben kann. Außerdem stand das Heiraten und Gründen von Familien immer in dem Ruf, eine Art „legalisierte Sünde“ zu sein; das Familienleben war so eines der „größten Hindernisse auf dem mystischen Pfad“.

Zölibates Leben ist ein Ausdruck der Gläubigkeit, den sowohl männliche als auch weibliche Sufisten praktizieren konnten; anders sah es jedoch mit der im Islam, und damit auch im Sufismus, weit verbreiteten Abscheu gegen alles Weibliche aus, eine Tatsache, die sicher nicht in direktem Zusammenhang mit der tiefen Religiosität zu sehen ist sondern wahrscheinlich einen mehr sozial-ideologischen Hintergrund hatte und noch immer hat: Beispielsweise berichten viele Überlieferungen, wie schrecklich das Eheleben, oft bedingt durch die reine Anwesenheit der Frau, doch sei und wie „frech, unerzogen, redselig“ und damit unnütz die Frau sei.

Noch extremere Sichtweisen finden sich in den Darstellungen, wo Heilige es vermeiden, mit Dingen in Berührung zu kommen, die bereits von einer Frau berührt wurden oder wo alle weltliche Verdorbenheit und Sündhaftigkeit umfassend mit dem Begriff „Frau“ identifiziert wird. Ausnahmen von dieser Regel der Verdammung alles Weiblichen finden sich im Islam und auch im Sufismus nur sehr wenige, zwei der bekanntesten und verehrtesten Frauen innerhalb der islamischen Welt sind die in sexueller Hinsicht unberührte Maryam (die Maria der Christen) und die Heilige Rabi’a al-Adawiyya.

Dass der Sufismus innerhalb des Islams größte Schwierigkeiten hatte, und heute noch hat, liegt zum einen darin, dass die lebensfrohen Tänze den orthodoxen Islamisten immer schon ein Dorn im Auge waren. außerdem fand die asketische Lebensweise der Sufisten nicht die Zustimmung der Islamisten. So ist z. B. von Mohammed bekannt, dass er einen Harem von neun Frauen und drei Konkubinen. (Beischläferinnen, Prostituierte) hinterließ.

Der Islam ist dem Zölibat gegenüber abweisend eingestellt. Er betont die gottgegebene Güte der Zeugung. Der Sufismus hat aber, vor allen Dingen in seinen Anfängen, die starke Kontrolle von Körper und Geist durch asketische Praktiken, einschließlich des Zölibats, betont. Die frühen Sufiführer betrachteten die Lust als eines der sieben Tore zur Hölle und sie gingen so weit zu sagen, dass der Sufismus auf dem Zölibat errichtet wurde.

In der Frühzeit des Islam war ein extremes Asketentum an der Tagesordnung, und die damaligen Fakire oder heiligen Männer imitierten die christlichen Mönche. Sie trugen schlichte wollene Gewänder zum Zeichen ihrer Abkehr von der Welt. So entstand der Begriff, unter dem sie bekannt wurden, Sufis*. Und wenn es auch heißt, dass die frühen der Welt entsagenden Mönche des Islam mit den christlichen Brüdern in ihrer asketischen Frömmigkeit, Selbstverleugnung und Abscheu vor den Dingen der Welt wetteiferten, dauerte es nicht lange, bis ihre Begeisterung für die Askese schwand. Sie wurde in den ersten Jahrhunderten des Islam durch das Aufkommen der mystischen Liebe und Hingabe an Gott überwunden, für die der Sufismus heute bekannt ist, und durch den tiefen Respekt für Arbeit und Familienleben, der stets ein Merkmal des islamischen Glaubens war. Letztlich verurteilte Mohammed das Zölibat, empfahl nachdrücklich die Ehe und hatte selbst vier (manche sagen neun) Frauen.

Dennoch stellten wir fest, dass, in der weltbejahenden Sicht der Sufis immer ein Zug der Mäßigung, des Zögerns, der Vorsicht vorhanden war, ein Erkennen der potenziellen Gefahren und Fallstricke der Welt. Und sie bewahrten sich die unerschütterliche Überzeugung, dass Gott oder Allah immer über die Interessen der Welt gestellt werden muss. Obwohl die frühe Bekanntschaft mit dem Christentum den Sufismus stark beeinflusste, wie auch später die Bekanntschaft mit dem Buddhismus in den persischen Städten, vermochte es keine monastische Tradition, die leidenschaftlichen heiligen Männer des Islam zu fesseln. Sie waren entschlossen, einen Weg zu Gott in der Welt zu finden, und ihren eigenen Weg, „nicht von ihr” zu sein.

Der Sufismus, der in einer großen Anzahl verschiedenartiger Kulturen floriert, zeigt daher in seinen vielen Zweigen eine beträchtliche Variationsbreite, und in einigen davon erkennt man noch die Spuren seiner anfänglichen Sympathie mit einer Weltanschauung der Entsagung. Doch im achten Jahrhundert hatte sich der Sufismus bereits als der weitherzige spirituelle Weg etabliert, den wir heute kennen, und er hat sich seitdem wenig verändert. Obwohl die Sufi-Mystiker gelegentlich auch vor den Schwierigkeiten des Familienlebens warnen, waren sie doch fast alle verheiratet (manche mit mehreren Frauen). Zwar sprechen sie über die Gefahren der Beziehungen zu weltlichen Menschen, doch nur sehr wenige wählten die radikale Einsamkeit von Eremiten oder Mönchen. Und wenn sie auch fasten oder sich weltliche Vergnügungen versagen, geschieht dies in der Regel nur vorübergehend und wird durch Zeiten fröhlicher Festgelage und Feiern ausgeglichen.

*Der Begriff Sufismus ist der Name einer alten Lehre, die sich in der heutigen Zeit hauptsächlich durch den Islam manifestiert. Das Wort Sufismus kam in einer Zeit auf, in der diese Lehre mit dieser Weltreligion verbunden war, die essentielle Lehre des Sufismus kann aber durch alle Religionen und Weltanschauungen über viele Jahrtausende zurückverfolgt werden.

Etymologisch (sprachwissenschaftlich) ist unklar, ob das Wort Sufi von arabisch „suf“ (Schurwolle), das auf die wollenen Gewänder der Sufis hinweist, oder von arabisch „safa“ (rein) stammt. „Rein“ meint in diesem Zusammenhang gereinigt von Unkenntnis bzw. Unwissenheit, Aberglaube, Dogmatismus, Egoismus und Fanatismus sowie frei von Beschränkungen durch die soziale Schicht, politische Überzeugung, Rasse oder Nation. Historisch wahrscheinlicher ist jedoch erstere Auslegung, da die Herleitung von „rein“ auch eine gewollte Interpretation darstellen könnte.

Eine andere Erklärung bietet auch der Begriff „ahl as-suffa“, was „Leute der Veranda“ bedeutet. Dies bezieht sich auf die Gruppe von Personen, die sich zu Lebzeiten Mohammeds um den Propheten scharten und wahrscheinlich in Armut lebten. Es wird außerdem behauptet, dass das Wort Sufismus auf die Leute der ersten (Gebets-)Reihe (saff-i awwal) hindeuten kann.

Andere, vor allem westliche Vertreter eines „universellen Sufismus“, bringen es wiederum mit dem griechischen Wort „sophia“ (Weisheit) in Verbindung. Eine Ableitung ist jedoch eher unwahrscheinlich.

Ergänzend zur Wortherkunft sei erwähnt, dass der Begriff Sufismus nicht von Anhängern dieser Lehre eingeführt wurde. Vielmehr wurde er von Personen außerhalb dieser mystischen Strömung geprägt. Ein Sufi bezeichnete sich selbst in der Regel nicht als solcher, vielmehr verwendet er Bezeichnungen wie „Suchender“, „Schüler“, „Reisender“, etc.

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