Nacherzählt von Jeanette Rüdisühli und Ueli Suter
1. Christus befreit die Vorväter aus der Hölle
Jesus steigt in die Vorhölle, entreißt der Teufelsgemeinde die alttestamentlichen Vorväter und führt sie ins Paradies. Die Teufel entdecken den Einbruch Jesu in die Hölle und sind darob empört. Sie fühlen sich beraubt und ratschlagen, wie sie wieder zu ihrem Besitz kämen. Nach einer fieberhaften Beratung strengen sie gegen Jesus kurzerhand einen Prozess wegen Diebstahls an.
2. Belial klagt gegen Christus
Belial steigt zu Gott in den Himmel und beklagt das Unrecht, das Jesus der Hölle angetan habe. Gottvater setzt, da er aus Gründen der Freundschaft zum Angeklagten dem Prozess nicht selbst vorsitzt, Salomon als Richter in dem Streitfall ein. Für die Hölle tritt der rechtskundige Teufel Belial als Kläger auf. Jesus, der Beklagte, bestimmt Moses zu seinem Fürsprecher; er selber habe nämlich gerade ein nötigeres Geschäft, die Aussendung der Jünger in alle Welt. Belial ist damit einverstanden.
3. Moses versäumt den Gerichtstermin
Moses versäumt nun allerdings den ersten Gerichtstermin, worauf Belial den Richter Salomon sofort auffordert, ihm die von Christus aus der Unterwelt entführten Toten als Besitz zuzusprechen. Salomon aber sieht Moses das Versäumnis nach und setzt einen neuen Termin an. Nun erscheinen beide Parteien vor Gericht. Belial trägt seine Anklage vor.
Moses verteidigt darauf seine Partei mit folgender Argumentation: Gott sei der eigentliche Besitzer von Erde und Hölle und all dessen, was sich darin befindet. Die Teufel hätten nur in seinem Auftrag darüber verfügt. Rechtmäßiger Erbe aber sei sein Sohn Jesus. Dieser habe nun, da die Teufel ihm den Zugang zur Hölle verwehrt hatten, zur Selbsthilfe gegriffen und die Erzväter gewaltsam befreit. Mit Hilfe der Bibel beweist Moses, daß Jesus durch seinen schuldlosen Kreuzestod den Sündenfall des ersten Menschenpaares und damit dessen Übergabe an die Hölle aufgehoben habe.
Es kommt zum Urteil: Die Teufel haben kein Herrschaftsrecht mehr über den Menschen, Jesus ist nunmehr der rechtmäßige Herr der Welt. Die Klage Belials wird somit abgewiesen, und die Hölle als Klägerin hat auch die Kosten zu tragen.
4. Belials Rekurs
Belial gibt sich jedoch nicht geschlagen. Er appelliert gegen das Urteil: Salomon habe wegen seiner Verwandtschaft mit Jesus kein gerechtes Urteil gefällt; es sei ein neutraler Berufungsrichter einzusetzen. Gott akzeptiert diesen Einwand und delegiert Joseph von Ägypten.
Belial ist mit der Wahl einverstanden und bringt seine Einwände gegen das erstinstanzliche Urteil vor: Jesus habe den Sündenfall Adams durch seinen Kreuzestod nicht ausgleichen können, weil ein Schuldiger seiner Strafe nicht dadurch entgehen könne, dass ein anderer für ihn büße. Zudem könne das Urteil Gottes, das er über diesen Sündenfall sprach und in welchem die Übergabe des Menschen an die Hölle beschlossen wurde, nicht rückgängig gemacht werden, weil Gottes Worte ewige Gültigkeit hätten.
Moses jedoch weiß Belials Einwürfe wiederum zu parieren. Er erwidert ihm, dass Jesus als Mensch ein Nachkomme Adams sei und deshalb von Rechts wegen für die Schuld seines Vorvaters einstehen müsse. Auch sei Adams Strafe, Verdammung zum Tod und zur Hölle, keine ewige, da sie von Gott wegen Ungehorsams und nicht wegen eines Verbrechens ausgesprochen worden sei. Belial sieht ein, dass der Prozess auch vor dieser zweiten Instanz nicht zugunsten der Hölle enden werde und versucht deshalb, ein Schiedsverfahren herbeizuführen – was ihm auch gelingt.
5. Ein Schiedsspruch entscheidet die Sache
Die vier Schiedsleute, Octavian und Jeremia auf der Seite von Moses, Aristoteles und Jesaja für die Partei der Teufel, gelangen zu folgendem Urteil: Am Tage des Jüngsten Gerichtes sollen die Gerechten in den Himmel aufgenommen, die Ungerechten aber in die Hölle verstoßen werden.
Belial überbringt den Schiedsspruch stracks der Hölle, wo die Teufel den Entscheid befriedigt zur Kenntnis nehmen. Sie bereiten sich alsbald vor, die Menschen mit List und Bosheit zu verführen. Kleriker, weltliche Herrscher und die ganze Christenheit werden ihre Opfer sein.
Aus: Himmel Hölle Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter. Eine Ausstellung des Schweizerischen Landesmuseums in Zusammenarbeit mit dem Schnütgen-Museum und der Mittelalterabteilung des Wallraf-Richartz-Museums der Stadt Köln. Herausgegeben von der Gesellschaft für das Schweizerische Landesmuseum, Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 21994, S. 365-367.
Anhang:
Lutherische Bekenntnisschriften: Von der Höllenfahrt Christi[1]
Es ist auch unter etlichen Theologen[2], die der Augsburger Konfession zugehören, über diesen Artikel gestritten worden: Wann und auf welche Weise nach unserem einfältigen christlichen Glauben der Herr Christus zur Hölle gefahren ist, ob es geschehen ist vor oder nach seinem Tode. Ebenso ob sich [die Höllenfahrt] allein mit der Seele oder allein nach der Gottheit oder mit Leib und Seele, ob sie sich geistlich oder leiblich vollzogen hat? Ebenso ob dieser Artikel [von der Höllenfahrt] zum Leiden Christi gehört oder zum herrlichen Sieg und Triumph Christi.[3]
Da aber dieser Artikel, wie auch der vorhergehende, nicht mit den Sinnen noch mit der Vernunft begriffen werden kann, sondern allein mit dem Glauben erfasst werden muss, geben wir einhellig zu bedenken, daß er nicht diskutiert, sondern nur auf das einfältigste geglaubt und gelehrt werden soll. [Wir tun das] gemäß dem seligen Luther, der in der Predigt zu Torgau aus dem Jahre 1533[4] diesen Artikel ganz christlich erklärte, alle unnützen, nichtnotwendigen Fragen abgeschnitten hat und zur christlichen Einfalt des Glaubens alle frommen Christen ermahnt hat.
Denn es genügt, daß wir wissen, dass Christus in die Hölle gefahren ist, die Hölle für alle Glaubenden zerstört hat und sie aus der Gewalt des Todes, des Teufels, der ewigen Verdammnis und des höllischen Rachens erlöst hat. Wie sich das aber zugetragen hat, [das zu verstehen] sollen wir aufsparen bis in die andere Welt, wo uns nicht nur dieses Lehrstück, sondern auch noch anderes mehr geoffenbart wird, was wir hier einfältig geglaubt haben und mit unserer blinden Vernunft nicht begreifen können.
[1] Luth. Kirchenamt (Hg.), Unser Glaube. Die Bekenntnisschriften derev.-luth. Kirche. Bearbeitet von Horst Georg Pöhlmann, Gütersloh 31991, S. 827-828, vgl. auch BSLK 1049-1053.
[2] Anmerkung Pöhlmann: Die Diskussion wurde von dem Hamburger Theologen J. Aepinus angestoßen, der u.a. behauptete, die Seele Christi sei in die Unterwelt hinabgestiegen. Andere hatten ein massiveres Verständnis von der Höllenfahrt. Artikel 9 der Solida declaratio der Konkordienformel lehrt, „daß die ganze Person, Gott und Mensch, nach dem Begräbnis zur Hölle gefahren ist, den Teufel überwunden hat, die Gewalt der Hölle zerstört und dem Teufel alle seine Macht genommen hat“.
[3] Anmerkung Pöhlmann: Vgl. die damalige künstlerische Darstellung der Höllenfahrt Christi mit einer Fahne in der Hand, die Luther aufgreift. Die Lutheraner zählten später die Höllenfahrt zum „Stand der Erhöhung“ Christi, die Reformierten zum „Stand der Erniedrigung“ Christi.
[4] WA 37,62-67.
Weitere Artikel mit Belial:
Die Schöpfungsgeschichte und die Entstehung des Bösen in der Welt
Atlantis: Die Kinder des Gesetzes des Einen gegen die Söhne Belials