Hara -Zurück zur Quelle der Lebenskraft
von Osho
Der erste Schritt : Der Körper
Der erste Schritt für den Sucher ist der Körper, nur ist dem noch nie die rechte Aufmerksamkeit geschenkt worden, mit keinem Gedanken ! Nicht nur hin und wieder, nein, über Jahrtausende hin hat man den Körper einfach ignoriert, und zwar auf zweierlei Weise ignoriert. Einerseits haben die Genusssüchtigen den Körper ignoriert. Sie kennen vom Leben nichts anderes als Essen, Trinken, Sex und Mode. Sie haben den Körper vernachlässigt, ihn misshandelt, auf törichte Weise verausgabt.
Wer seinen Körper missbraucht, indem er nur seinen Genüssen frönt, gehört zu dem einen Menschentyp. Und zu dem anderen gehören alle die, die ihren Körper durch Yoga und Verzicht zu kurz kommen lassen. Sie haben ihren Körper gefoltert, sie haben ihn unterdrückt, denn sie waren ihm immer nur feindlich gesinnt.
Und weder wissen diejenigen, die ihrem Körper alles gönnen, noch die Asketen, die ihren Körper quälen, was für eine wichtige Rolle er spielt. Es gibt also seit jeher zwei Arten von Vernachlässigung des Körpers : einerseits durch die Genusssüchtigen und andererseits durch die Asketen. Beide haben sie dem Körper nur Schaden zugefügt.
Im Westen hat man den Körper auf die eine Art und Weise geschadet und im Osten auf die andere, aber dass wir ihn geschadet haben, trifft auf uns alle zu. Die Leute, die in die Bordelle und Kneipen laufen, schaden ihrem Körper auf die eine Art und Weise und die Leute, die nackt in der Sonne stehen oder in die Einöde fliehen, schaden ihrem Körper auf andere Art und Weise.
Der erste Schritt ist der Körper, und die richtige Aufmerksamkeit des Meditierers für den Körper. Es gibt ein paar Dinge zu verstehen. Das Erste : Die Seele hat an einigen Punkten eine Verbindung mit dem Körper, aus diesen Verbindungen kommt unsere Lebensenergie. Die Seele ist eng mit diesen Zentren verknüpft, aus ihnen strömt die Lebensenergie in unseren Körper. Der Sucher, der sich dieser Zentren nicht bewusst ist, wird niemals zur Seele vorstossen können.
Wenn ich euch frage, welches Zentrum das wichtigste ist, werdet ihr vermutlich auf den Kopf zeigen. Die völlig falsche Erziehung des Menschen hat den Kopf zum wichtigsten Körperteil gemacht. Der Kopf oder das Gehirn ist im Menschen nicht das wichtigste Zentrum für die Lebensenergie. Das ist so, als würde man hingehen und eine Pflanze fragen, welcher Teil von ihr der Wichtigste und Lebensnotwendigste sei. Und weil oben auf der Pflanze die Blüten sichtbar sind, würde die Pflanze und jeder andere sagen, die Blüten wären ihr wichtigster Teil. Doch so sehr die Blüten auch das Wichtigste zu sein scheinen, sie sind es nicht. Ihr wichtigster Teil sind die Wurzeln, die unsichtbar sind.
An der Pflanze des Menschen ist der Geist die Blüte, er ist nicht die Wurzel. Die Wurzeln kommen als Erstes, die Blüten kommen als Letztes. Werden die Wurzeln übersehen, dann werden die Blüten vertrocknen. Werden die Wurzeln versorgt, sind auch automatisch die Blüten versorgt. Dann braucht man sich um die Blüten nicht weiter zu kümmern.
Wenn wir also jemanden fragen, was der wichtigste Teil des menschlichen Körpers ist, dann wird seine Hand automatisch auf den Kopf zeigen. Oder wenn es sich um eine Frau handelt, dann wird sie vielleicht auf ihr Herz zeigen und sagen, ihr Herz sei das Wichtigste.
Weder der Kopf noch das Herz sind das Wichtigste. Die Männer haben die Bedeutung des Kopfes überschätzt und die Frauen haben die Bedeutung des Herzens überschätzt. Das Gehirn und das Herz sind sehr späte Entwicklungen. Die Wurzeln des Menschen liegen nicht dort.
Was meine ich mit „die Wurzeln des Menschen“ ? Genauso, wie die Pflanzen Wurzeln unter der Erde haben, aus denen sie ihre Lebensenergie und ihre Lebenssäfte beziehen, gibt es auch, ganz ähnlich, im menschlichen Körper an einer bestimmten Stelle Wurzeln, von wo er seine Lebensenergie bezieht.
Wo also nun liegen die Wurzeln des Menschen ? Ein Kind entsteht im Mutterleib und wächst dort heran. Wodurch ist das Kind mit seiner Mutter verbunden ? Es ist über den Nabel mit seiner Mutter verbunden. Die Lebensenergie steht ihm über den Nabel zur Verfügung. Das Herz und der Verstand entwickeln sich erst später. Die Lebensenergie der Mutter kommt dem Kind also durch den Nabel zu. Das Kind ist mit dem Körper seiner Mutter über seinen Nabel verbunden. Von dort aus breiten sich seine Wurzeln im Körper der Mutter aus.
Der wichtigste Punkt im menschlichen Körper ist der Nabel. Dann erst entwickelt sich das Herz und danach der Verstand. All das sind Zweige, die sich später entwickeln, an ihnen entfalten sich die Blüten. Die Blüten der Erkenntnis entfalten sich im Verstand. Die Blüten der Liebe entfalten sich im Herzen. Diese Blüten aber sind es, die uns anlocken.
Aber die Wurzeln des menschlichen Körpers und seiner Lebensenergie liegen im Nabel. Die Wurzeln sind vollkommen unsichtbar. Aber die Degeneration, die Verstümmelung, die dem menschlichen Leben über die letzten 5000 Jahre widerfahren ist, liegt allein daran, dass wir unser ganzes Augenmerk entweder auf den Verstand oder auf das Herz gerichtet haben. Selbst auf das Herz haben wir vergleichsweise wenig gegeben, wohingegen wir auf den Verstand alles gegeben haben.
Ford Madox BrownVon Kindesbeinen an ist alle Erziehung eine Erziehung des Verstandes. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine Erziehung des Nabels. Alle Ausbildung gilt dem Verstand und so wird der Verstand immer größer und größer und unsere Wurzeln immer kleiner und kleiner. Wir beachten den Verstand, weil dort die Blumen blühen. Dann strömt die Lebensenergie immer dünner und unsere Tuchfühlung mit der Seele wird geschwächt.
Nach und nach sind wir an einen Punkt gelangt, wo der Mensch die Seele gar nicht mehr kennt. Wo ist denn die Seele? Wer behauptet, es gebe einen Gott ? Von Kindesbeinen an gilt alle Schulung, alle Ausbildung dem Verstand und so verwirrt sich unsere gesamte Wahrnehmung und starrt nur noch wie gebannt auf den Verstand. Dann rennen wir unser Leben lang nur noch in unserem Verstand herum. Unsere Wahrnehmung dringt niemals bis in den Nabel vor.
Die Reise des Menschen, der meditiert, geht zu den Wurzeln. Man muss vom Kopf aus hinuntersteigen zum Herzen und vom Herzen zum Nabel.
Normalerweise verläuft unsere Lebensreise vom Nabel zum Kopf. Die Richtung des Suchers verläuft genau umgekehrt. Er muss vom Kopf aus zum Nabel hinuntersteigen. Es gilt zu verstehen, dass das Zentrum des menschlichen Lebens der Nabel ist. Nur von dort bezieht das Kind Leben. Nur von dort aus bekommt es Lebenskraft. Aber unsere Aufmerksamkeit richtet sich nie auf dieses Energiezentrum, nicht einmal eine Minute lang. Das ist der Grund, warum unser ganzes Bildungswesen daneben gegangen ist. Unser gesamtes Bildungswesen führt den Menschen langsam aber sicher in den Wahnsinn.
Den Ärzten zufolge sind achtzig Prozent aller menschlichen Krankheiten seelischen, nicht körperlichen Ursprungs. Und ich garantiere euch, dass es in zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren heissen wird, dass neunundneunzig Prozent aller Krankheiten psychischer Natur sind.
Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie ausgesprochen empfindlich, wie zart, gebrechlich unser Gehirn ist. Das Gehirn wird einer solchen Stress-Belastung ausgesetzt, dass man sich fragt, wieso es nicht vollends zusammenbricht und wahnsinnig wird. Die gesamte Last des Lebens liegt auf dem Gehirn. Wir können uns kaum vorstellen, wie fein und empfindlich die Nerven im Kopf sind, die all die Last, all die Ängste, all dieses Leid, all dieses Wissen aushalten müssen.
Ihr werdet vielleicht nicht wissen, dass sich in diesem kleinen Kopf rund siebzig Millionen Nerven befinden. Allein ihre Zahl verrät euch bereits, wie winzig sie sind. Es gibt so viele Nerven im Gehirn eines Menschen, dass sie, wenn sie alle aneinandergereiht würden, den gesamten Globus umspannen würden.
Die Last seiner Gedanken kann den Menschen nirgendwo anders hinführen als in den Wahnsinn. Unsere gesamte Lebensenergie kreist inzwischen nur noch im Gehirn. Ein Meditierer muss diese Lebensenergie wieder nach unten leiten, mehr zur Mitte hin. Wie aber kann sie zurückgelenkt werden ? Um dieses zu verstehen müssen wir den Körper etwas besser verstehen.
Ford Madox BrownDer erste Schritt : Der Körper wird weder vom Standpunkt der Genusssucht, noch vom Standpunkt der Askese aus in Betracht gezogen. Beide Einstellungen sind verkehrt. Vielmehr wird der Körper als Transportmittel für die spirituelle Reise oder als Tempel des Göttlichen betrachtet, um das Zentrum des Lebens zu entdecken. Man sollte den Körper als einen Tempel, als ein wohlklingendes Musikinstrument begreifen, dessen Saiten weder zu straff noch zu schlaff gespannt sind. Es gibt einen Punkt dazwischen, einen mittleren Punkt. Nur dort entsteht Musik.
Es gibt im menschlichen Geist viele Saiten, die zu straff gespannt sind. Und zwar so straff, dass sie keinerlei Musik hervorbringen können. Wenn jemand sie anrührt, kommt nur Wahnsinn hoch. Ihr alle lebt mit überspannten geistigen Saiten. Rund um die Uhr haltet ihr sie verspannt. Und wer sich einbildet, sie würden vielleicht nachts entspannt, der täuscht sich. Selbst nachts steht euer Geist unter Druck und Hochspannung.
Und das Zweite ist : Die Saiten des Herzens sind sehr schlaff. Die Saiten eures Herzens sind nicht im geringsten gespannt. Wisst ihr wirklich was Liebe ist ? Ihr wisst, was Wut ist, was Neid ist, was Eifersucht ist, was Hass ist. Wisst ihr aber auch, was Liebe ist ? Ihr mögt nun sagen : Ja, sicher ! Ihr mögt sagen, dass ihr zwar hasst, dass ihr aber auch liebt. Was aber ist denn das was ihr Liebe nennt ? Wenn etwas weniger Hass da ist, nennt ihr es Liebe, wenn etwas mehr Hass da ist, nennt ihr es Hass.
Das sind aber eigentlich alles nur Formen des Hasses, nur in verschiedenen Proportionen. Liebe ist überhaupt nicht vorhanden. Liebe ist etwas vom Hass vollkommen verschiedenes. Liebe und Hass können im selben Herzen nicht koexistieren.
Die Saiten eures Herzens sind überhaupt nicht gespannt. Die Musik der Liebe ist solchen schlaffen Saiten nicht zu entlocken, ebenso wenig die Musik der Seligkeit. Habt ihr in eurem ganzen Leben je Seligkeit gekannt ? Wenn ihr authentisch seid, werdet ihr kaum behaupten können, jemals Seligkeit kennen gelernt zu haben.
Habt ihr je Liebe kennen gelernt ? Habt ihr je Frieden kennen gelernt ? Was also habt ihr kennen gelernt ? Ihr kennt Rastlosigkeit. Ja, manchmal wird der Grad der Rastlosigkeit kleiner, und das versteht ihr unter Friede. Tatsächlich aber seid ihr dermassen rastlos, dass ihr jedes Mal, wenn die Rastlosigkeit ein bisschen weniger wird, eine Illusion von Frieden bekommt.
Ihr mögt meinen, die Wut komme nur manchmal hoch. Diese Vorstellung stimmt nicht, ihr seid vierundzwanzig Stunden am Tag wütend. Manchmal mehr, manchmal weniger, aber ihr seid rund um die Uhr wütend. Bei der leisesten Gelegenheit zeigt sich plötzlich die Wut. Sie lauert nur auf ihre Chance. Die Wut liegt in eurem Innern in Anschlag, sie sucht nur nach einem passenden äußeren Anlass, der euch den Vorwand liefert wütend zu werden.
Die Saiten eures Herzens sollten etwas straffer gespannt sein, damit es Liebe hervorbringen kann. Und die Saiten eures Geistes sollten ein wenig gelockert werden, damit er eine hellwache Intelligenz hervorbringen kann. Sind die Saiten von beiden harmonisch gestimmt, dann besteht auch die Möglichkeit, dass die Musik des Lebens erklingt.
Ford Madox BrownZwei Dinge sind wichtig : Erstens, wie man die Saiten des Geistes entspannen kann, und zweitens, wie man die Saiten des Herzens ein wenig straffen kann. Die Synthese von beiden ist das, was ich „Meditieren“ nenne. Und wenn es soweit ist, dass beides geschieht, dann kann auch das Dritte geschehen : Dann ist es möglich, hinab zu steigen zur wirklichen Mitte des Lebens, zum Nabel. Wenn diese beiden Zentren Musik machen, wird es auch möglich, nach innen zu gehen. Die Musik beider Zentren wird dann zur Fähre werden, die euch tiefer führt. Je harmonischer eure Persönlichkeit, je mehr Musik aus eurem Inneren strömt, desto tiefer gelangt ihr hinab.
Die Seele des Menschen steht also weder mit dem Geist noch mit dem Herzen in Verbindung. Die Seele des Menschen steht mit dem Nabel in Verbindung. Der wichtigste Punkt im menschlichen Körper ist der Nabel, er ist der Mittelpunkt. Der Nabel des Menschen liegt nicht nur im Mittelpunkt des menschlichen Körpers, sondern auch im Mittelpunkt des Lebens. Durch ihn wird das Kind geboren und durch ihn beendet er sein Leben.
Es mag euch vielleicht nicht bewusst sein, aber den ganzen Tag über atmet ihr aus der Brust heraus, während ihr nachts aus dem Nabel heraus atmet. Den ganzen Tag lang hebt und senkt sich eure Brust, aber nachts, wenn ihr schlaft, fängt euer Bauch an, sich zu heben und zu senken. Ihr habt sicher schon einmal gesehen, wie ein kleines Kind schläft : Die Brust des Säuglings rührt sich nicht, dafür aber hebt und senkt sich der Bauch. Säuglinge sind dem Nabel noch sehr nahe. Je älter das Kind wird, desto mehr atmet es aus der Brust und dann erreichen die Schwingungen nicht mehr den Nabel.
Wenn ihr die Straße entlang geht und plötzlich passiert ein Unfall, werdet ihr überrascht feststellen, dass euch der Schreck zuerst in den Nabel fährt, nicht in den Kopf und nicht ins Herz. Wenn euch plötzlich ein Mann mit dem Messer anfällt, werdet ihr zuerst am Nabel erbeben, nicht woanders. Selbst wenn ihr jetzt plötzlich Angst bekämt, würde sich das zuerst als ein Erzittern in der Nabelgegend bemerkbar machen.
Wann immer eine Lebensgefahr droht, spürt man deren erstes Beben am Nabel, denn der Nabel ist das Zentrum des Lebens. Nirgendwo sonst wird sich ein Beben melden. Die Quellen des Lebens erspringen dort und der Mensch ist nur deshalb so orientierungslos, weil er dem Nabel überhaupt keine Aufmerksamkeit schenkt. Das Nabelzentrum ist durch und durch krank, es bekommt keinerlei Aufmerksamkeit. Und es werden auch keinerlei Anstalten zu seiner Entfaltung gemacht.
Es sind aber unbedingt Einrichtungen nötig um dem Nabelzentrum zur Entfaltung zu verhelfen. Genauso, wie wir zur Entfaltung des Geistes Schulen und Universitäten eingerichtet haben, sind auch Einrichtungen zur Entfaltung des Nabelzentrums absolut notwendig. Denn es gibt Dinge, die die Entwicklung des Nabelzentrums fördern, und es gibt Dinge, die der Entwicklung des Nabelzentrums schaden.
Ford Madox BrownJe mehr wir uns in Furchtlosigkeit üben, desto gesünder wird unser Nabelzentrum werden. Und je mutiger wir werden, desto gesünder wird sich das Nabelzentrum entfalten. Je größer die Furchtlosigkeit, desto fester und gesünder der Nabel, und desto tiefer wird der Kontakt zum Leben. Aus diesem Grunde haben alle großen Meditierer die Furchtlosigkeit zur unentbehrlichen Eigenschaft eines Wahrheitssuchers erklärt. Der Sinn der Furchtlosigkeit besteht darin, dass sie das Nabelzentrum zu vollem Leben erweckt. Zur restlosen Entfaltung des Nabelzentrums ist sie absolut unverzichtbar.
Lasst uns dieses Schritt für Schritt durchgehen. Wesentlich ist es dem Nabelzentrum maximale Aufmerksamkeit zu schenken. Darum ist es notwendig unsere Aufmerksamkeit immer mehr vom Kopfzentrum und vom Herzzentrum nach unten zu verlagern.
Damit sich das Bewusstsein vom Kopf nach unten verlagern kann, ist es notwendig den Verstand völlig zu entspannen. Aber wir halten den Verstand unentwegt unter Spannung. Wir haben vergessen, dass wir ihn ständig verspannt halten. Nur merken wir das nicht einmal mehr. Als erstes ist es also notwendig ihm etwas Entspannung zu gönnen.
Anleitung zur Morgenmeditation:
Euer gesamter Geist muss entspannt sein, so still und gelöst, dass er überhaupt nichts mehr tut. Aber wie wollt ihr feststellen, ob er entspannt ist ? Erst wenn ihr euren Verstand so sehr anstrengt, wie es nur geht, und ihn dann plötzlich entspannt, werdet ihr auf Anhieb wissen, was der Unterschied zwischen einem verspannten und einem entspannten Verstand ist. Diesen Unterschied müsst ihr spüren können, es muss eine eigene Erfahrung werden. Danach werdet ihr ihn immer mehr entspannen können. Das erste ist also, den Verstand restlos zu entspannen.
Außer dem Verstand muss auch der Körper entspannt werden. Man muss so bequem sitzen, dass es nirgendwo im Körper mehr Anspannung gibt. Nirgendwo im Körper sollte irgendeine Belastung sein. Und was sollt ihr dann machen ? Im selben Augenblick, in dem alles in euch gelöst ist, fangen die Vögel zu singen an, hört ihr plötzlich das Geräusch der Wassermühle, vielleicht schreit irgendwo eine Krähe, von woanders her kommt ein anderer Laut…
Ihr werdet anfangen all die Geräusche zu hören. Denn je entspannter der Verstand ist, desto empfindsamer wird er werden. Ihr werdet anfangen, die kleinste Kleinigkeit zu hören und zu fühlen, bis hin zum Hören eures eigenen Herzschlages und zum Hören und Spüren eures Ein- und Ausatmens.
Danach sollte man einfach still dasitzen, alles ruhig wahrnehmen, was um einen herum vor sich geht, und sonst nichts tun. Da sind irgendwelche Geräusche ? Lausche ihnen in aller Stille. Da singt ein Vogel ? Lausche ihm in aller Stille. Dein Atem strömt ein und aus ? Schau ihm in aller Stille zu. Du selber brauchst gar nichts tun, denn sobald du anfängst etwas zu tun, verspannt sich der Verstand sofort wieder.
Bleibt einfach nur sitzen, in einem Zustand entspannter Wachheit. Alles geschieht von allein, ihr hört einfach nur stillschweigend zu. Dann werdet ihr überrascht feststellen, dass sich bei diesem stillen Hinhören eine tiefere Stille in euch ausbreiten wird. Je tiefer euer Hinhören, desto mehr wird die Stille zunehmen. Binnen zehn Minuten wird jeder sehen : Du bist zu einem tiefen Ruhepol geworden. Überall herrscht Friede.
Ford Madox BrownDiese Technik also am Morgen : Zunächst spannt euren Verstand restlos an. Schließt eure Augen, sachte ganz sachte, ihr dürft keinen Druck auf die Augen ausüben, ihr dürft sie auf keinen Fall mit Gewalt zumachen und strengt den Verstand an, so sehr ihr könnt. Entspannt den Körper und spannt lediglich euren Verstand an. Strengt eure Gedanken an, so sehr ihr könnt. Macht den ganzen Kopf zur Dampfmaschine. Setzt eure ganze Kraft daran.
Verspannt ihn mit aller Macht, aber lasst den Körper dabei entspannt bleiben. Lenkt alle Energien in den Verstand, damit sich der Verstand völlig verspannt. Haltet ihn eine Minute lang so gut ihr nur könnt angespannt. Setzt alles daran, ihn so total anzuspannen, dass er sich, wenn ihr ihn loslasst, total entspannen kann.
Dann lasst ihn entspannen, lasst ihn immer weiter entspannen. Die Augen bleiben geschlossen, bleibt einfach nur stillschweigend da und lauscht den Geräuschen. Zehn Minuten braucht ihr nur still zu lauschen. In diesen zehn Minuten werdet ihr zum ersten Mal das Gefühl haben, dass sich ein Strom von Stille in Gang gesetzt hat und eure Lebensenergie begonnen hat im Innern abwärts zu fließen. Sie wird langsam vom Kopf nach unten sinken.
Der Kopf, das Herz, der Nabel
Weder der Kopf noch das Herz, sondern der Nabel ist das wichtigste und grundlegendste Zentrum im Leben des Menschen. Der Mensch hat sich unter dem Diktat seines Kopfes entwickelt und das hat sein Leben in die falsche Richtung gelenkt, in die Irre geführt. In den vergangenen fünftausend Jahren haben wir immer nur den Verstand, nur den Intellekt ausgebildet und entwickelt. Das hat großen Schaden angerichtet.
In diesem Zusammenhang müssen noch ein paar weitere Dinge geklärt werden. Das Kind, das im Mutterleib heranwächst, der sich entwickelnde Embryo, ist mit der Mutter durch den Nabel verbunden. Die Lebensenergie der Mutter strömt durch den Nabel in das Kind. Die Lebensenergie der Mutter ist ein sehr unbekannter, ein sehr mysteriöser elektrischer Strom, der das gesamte Dasein des Kindes durch den Nabel hindurch versorgt. Später dann, nach der Geburt, trennt man das Kind von der Mutter ab. Sofort nach der Geburt wird die Nabelschnur durchtrennt. Damit beginnt die Loslösung von der Mutter.
Ford Madox BrownEs ist absolut notwendig, dass sich das Kind von der Mutter löst, andernfalls kann es kein eigenes Leben entwickeln. Ist der Nabel durchtrennt, dann kommt die Lebensenergie, die es bisher über den Nabel bezogen hat, völlig zum Stillstand. Sein ganzes Wesen erbebt nun. Sein ganzes Wesen schreit nun nach diesem Energiestrom des Lebens, an dem es bis gestern noch angeschlossen war. Den Schmerz, den das Kind empfindet, sein Weinen nach der Geburt liegt nicht am Hunger, sondern am Schmerz, von der Lebensenergie getrennt und abgeschnitten zu sein. Die Quelle, aus der es bis gestern sein Leben erhielt, ist jetzt versiegt.
Wenn das Kind nicht weint, dann heißt das, dass es nicht überleben wird. Daher wird auch alles Erdenkliche getan, um das Kind zum Weinen zu bringen. Das Weinen muss sein, denn wenn es leben soll, muss es erfahren, dass es nun von seiner Lebensquelle abgeschnitten ist.
Und das ist der Augenblick, da das Kind sich einen neuen Zugang zur Lebensenergie zu verschaffen sucht. Und erst durch die Muttermilch findet es wieder Zugang zur Lebensenergie. So findet die zweite Verbindung des Kindes statt, mit dem Herzen. Am Herzen der Mutter beginnt auch sein eigenes Herzzentrum sich langsam zu bilden und das Nabelzentrum gerät in Vergessenheit. Das Nabelzentrum muss vergessen werden, da es abgeschnitten wurde. Und die Energie, die das Kind zuvor durch den Nabel empfing, empfängt es nun durch den Mund. Das Kind ist erneut mit der Mutter vereint.
Es mag euch vielleicht überraschen, aber wenn ein Kind seine Nahrung nicht durch die Milch seiner Mutter bekommt, wenn es nicht von ihr gestillt wird, dann bleibt seine Lebensenergie immer schwach. Man kann ihm auch auf anderen Wegen Milch zuführen, aber wenn es nicht regelmäßig die warme Berührung mit dem Herzen der Mutter erfährt, dann wird sein Leben für immer frustriert, bleiben seine Chancen, ein langes Leben zu führen, für immer gering. Kinder die nicht mit der Muttermilch gestillt werden, haben keine Aussicht, in ihrem Leben viel Glück und Stille zu erfahren.
In der gesamten jüngeren Generation im Westen und allmählich auch im Osten regt sich heute eine große Rebellion. Der Grund hierfür ist, dass immer mehr westliche Kinder und auch immer mehr östliche Kinder nicht mehr gestillt werden. Ihre Achtung vor dem Leben und ihre Beziehung zum Leben ist nicht von Liebe getragen. Von frühester Kindheit an hat ihre Lebensenergie lauter Erschütterungen erlitten und so sind sie lieblos geworden. Mit diesen Erschütterungen, mit der Trennung von der Mutter, sind sie vom Leben selbst abgeschnitten worden. Denn für ein Kind gibt es zunächst kein anderes Leben, als das Leben seiner Mutter.
Wo immer heute in aller Welt Frauen höhere Bildung bekommen, verspüren sie keine Lust mehr, sich Kinder an die Brust zu legen. Und das hat sich katastrophal ausgewirkt. In „primitiven“ Gesellschaften werden die Kinder sehr lange von der Mutter gestillt. Je gebildeter eine Gesellschaft wird, desto früher werden die Kinder von der Mutterbrust entwöhnt. Je früher den Kindern die Milch ihrer Mutter entzogen wird, desto schwieriger wird es für sie werden, in ihrem eigenen Leben Frieden zu finden. Eine tiefe Ruhelosigkeit wird sich von Anfang an ihres Lebens bemächtigen. An wem werden sie sich für diese Ruhelosigkeit rächen ? Die Rache wird sich gegen die Eltern richten.
Ein Kind, das gegen Mutter und Vater ist, kann nie und nimmer für Gott sein. Nur wenn die allerersten Empfindungen im Leben eines Kindes die des Vertrauens, der Dankbarkeit und Verehrung gegenüber Mutter und Vater sind, können sich auch gegenüber Gott dieselben Empfindungen entwickeln, sonst nicht.
Ford Madox BrownKaum ist es geboren, wird das Kind von seiner Mutter abgenabelt. Die zweite Quelle seiner Lebensenergie ist mit dem Herzen seiner Mutter verbunden. Aber irgendwann kommt der Punkt, da das Kind sich auch von der Milch seiner Mutter trennen muss. Wann ist hierfür der richtige Zeitpunkt ? Jedenfalls nicht so früh, wie wir annehmen. Kinder sollten, wenn ihr Herz und ihre Liebe sich für den Rest des Lebens richtig entwickeln sollen, dem Herzen ihrer Mutter ein wenig länger nahe bleiben dürfen. Nicht die Mutter sollte dem Kind die Milch entziehen, sie sollte vielmehr dem Kind gestatten, sich von sich aus zu trennen. Irgendwann kommt der Punkt, da das Kind sich von selber trennt.
Wenn eine Mutter den Bruch gewaltsam vollzieht, ist das so, als würde das Kind nach vier oder fünf Monaten aus dem Mutterleib gerissen, statt ihm zu gestatten, nach neun Monaten von selber herauszukommen. Genau derselbe Schaden entsteht, wenn die Mutter dem Kind die Milch entzieht, bevor das Kind sich aus eigenem Entschluss abwendet. Denn dann kann sich auch das zweite Zentrum, das Herz-Zentrum des Kindes, nicht richtig entwickeln.
Woher kommt es wohl, dass überall auf der Welt, für viele Männer die Brust, der weibliche Körperteil mit der größten Anziehungskraft ist ? Lauter Kinder, die zu früh von der Mutterbrust genommen wurden ! Tief drinnen, in ihrem Unbewussten, hat sich das Verlangen gehalten, der Brust einer Frau nahe zu sein. Es wurde nie erfüllt. Einen anderen Grund hat das nicht, eine andere Ursache gibt es nicht. In Stammesgesellschaften, in „primitiven“ Gesellschaften, wo die Kinder lange genug gestillt wurden, kennen die Männer diese Anziehungskraft der Brüste nicht.
Warum sind eure Gedichte, eure Romane, eure Filme, eure Dramen, eure Gemälde alle so auf die Brüste der Frauen fixiert ? Weil sie alle von Männern stammen, die in ihrer Kindheit nicht lange genug an der Brust ihrer Mutter liegen durften. Dieses Verlangen ist unstillbar geblieben und nimmt nun ganz andere Formen an. Jetzt findet es seinen Niederschlag in pornografischen Bildern, Büchern und Liedern.
Es ist lebensnotwendig, dass ein Kind lange genug an der Mutterbrust bleibt, damit seine geistigen, seine körperlichen und seelischen Wachstumsprozesse richtig verlaufen können. Andernfalls entwickelt sich sein Herzzentrum nicht genug, bleibt unreif, unterentwickelt, fixiert. Und wenn sich das Herzzentrum nicht richtig entfalten kann, dann tritt etwas vollends Unmögliches ein : Dann versucht der Betreffende, die Arbeit, die das Herz nicht leisten kann, die der Nabel nicht leisten durfte, vom Kopf her zu leisten ! Dieses Bemühen macht die Sache nur noch komplizierter, denn jedes Zentrum hat seinen eigenen Aufgabenbereich. Kein Zentrum kann den anderen Zentren die Arbeit abnehmen.
Weder der Nabel noch der Verstand kann die Arbeit des Herzens verrichten. Aber sobald das Kind von der Mutter getrennt wird, bleibt ihm nur noch ein einziges Zentrum, auf das dann die ganze Arbeitslast fällt, und zwar das Verstandeszentrum. Und dann kommen nur noch die Menschen weiter im Leben, deren Verstand besser entwickelt ist und mehr leisten kann. Ein Wettlauf geht los und jeder versucht, alle seine Lebensaufgaben mit dem Verstand zu meistern.
Ford Madox BrownDie Liebe eines Menschen, der vom Verstand her lebt, kann nur unecht sein, weil der Verstand nichts mit Liebe zu tun hat. Liebe kann nur durch das Herz geschehen, nicht durch den Verstand. Aber das Herzzentrum wurde nicht richtig entwickelt, also greift man auf den Verstand zurück. Dann denkt ihr sogar über Liebe nach. Liebe hat aber nichts mit Denken zu tun, aber in euch kommt selbst eure Liebe als Denken zum Ausdruck.
Das ist der Grund, warum die ganze Welt in Sexualität erstickt. Sexualität bedeutet nur eins : Nämlich, dass der Verstand dazu missbraucht wird die Arbeit des Sexzentrums zu leisten. Wenn der Sex zu Kopf steigt, ist das gesamte Leben zerstört, und heutzutage ist der Sex auf der ganzen Welt den Menschen zu Kopf gestiegen.
Das Sexzentrum ist der Nabel, denn die größte Lebensenergie ist der Sex. Die Geburt kommt durch ihn, alles lebendige Wachstum kommt durch ihn. Aber euer Nabelzentrum ist unterentwickelt und so zieht ihr andere Zentren für seine Aufgaben heran.
Auch die Tiere haben Sex in sich, aber keine Sexualität; und daher hat selbst der tierische Sex noch etwas Schönes, etwas Vergnügtes an sich.
Die Sexualität des Menschen verliert deshalb an Schönheit, weil der Sex zu einem gedanklichen Verstandesprozess geworden ist, er denkt sogar über Sex nach.
Der buddhistischen Religion zufolge bildet nicht Denken und Überlegen das Lebensfundament, vielmehr sollte man sich frei machen von allem Denken und Überlegen. Ist euch denn noch nie aufgefallen, dass kein einziger lebenswichtiger Vorgang auf euer Denken angewiesen ist ? Im Gegenteil, alle Lebensfunktionen würden durch zu viel Denken nur gebremst oder gestört. Nur darum bedürft ihr jede Nacht eines tiefen Schlafes, in dem ihr euch verliert, damit eure Lebensfunktionen endlich einmal unbehindert ablaufen können, wie es sich gehört, damit ihr euch am nächsten Morgen wieder frisch fühlen könnt.
Jemand, der sich nicht im Tiefschlaf verlieren kann, dessen Leben steht auf dem Spiel, denn ständiges Denken stört die wesentlichen Lebensfunktionen nur. Also ertränkt euch die Natur für eine Weile im Tiefschlaf, versetzt euch in einen Zustand der UnBewusstheit, wo alles Denken stillsteht und eure wirklichen Zentren ihre Arbeit tun.
Es gibt drei Arten von Beziehungen im Leben des Menschen
Erstens die Beziehungen des Intellekts, welche nicht sehr tief gehen. Die Beziehung zwischen einem Lehrer und einem Schüler gehört zu dieser Art Beziehung.
Ford Madox BrownDann gibt es die Beziehungen der Liebe, welche tiefer gehen als die des Intellekts. Die Beziehungen zwischen Mutter und Kind, zwischen Geschwistern, zwischen Mann und Frau gehören zu dieser Art. Solche Beziehungen kommen aus dem Herzen.
Drittens gibt es die noch tieferen Beziehungen, die aus dem Nabel kommen. Ich nenne Beziehungen, die aus dem Nabel kommen Freundschaften. Sie gehen tiefer als die Liebe. Liebe kann enden, Freundschaft endet nie. Morgen schon können wir die Leute hassen, die wir heute lieben. Aber wer einmal Freund ist, kann niemals zum Feind werden. Wenn er zum Feind werden kann, dann heißt das nur, dass von Anfang an keine Freundschaft da gewesen ist. Beziehungen der Freundschaft sind solche vom Nabel her, also Beziehungen aus tieferen und unbekannten Bereichen.
Aus diesem Grund ermahnte Buddha die Menschen nie dazu, einander zu lieben. Er sprach immer von Freundschaft. Er tat es aus einem besonderen Grund; er sagte immer, es müsse in unserem Leben Freunde geben. Jemand hat Buddha sogar einmal gefragt : „Warum nennst du das nicht Liebe ?“ Worauf Buddha antwortete : „Freundschaft ist viel tiefer als Liebe. Liebe kann enden, Freundschaft endet nie.“
Liebe bindet. Freundschaft lässt Freiheit. Liebe kann den anderen versklaven, sie kann von ihm Besitz, kann die Herrschaft ergreifen. Freundschaft will niemand beherrschen, sie hält niemanden zurück. Sie sperrt nicht ein, sondern befreit. Liebe wird deshalb zur Fessel, weil Liebende immer darauf bestehen, der Partner dürfe keinen anderen lieben als sie allein.
Freundschaft stellt keine solchen Anforderungen. Ein Mensch kann Freunde zu Tausenden haben, denn Freundschaft ist eine unbegrenzte, sehr tiefe Erfahrung. Sie kommt aus dem tiefsten Zentrum des Lebens. Jemand, der mit allen Freund ist, wird früher oder später beim Göttlichen anlangen, denn seine Beziehungen spielen sich mit jedermanns Nabelzentrum ab. Und so wird er eines Tages auch zwangsläufig mit dem Nabelzentrum des Universums in Beziehung treten.
Die Beziehungen, die man im Leben hat, sollten nicht bloß intellektuell sein, sollten nicht bloß aus dem Herzen kommen, sondern sollten tiefer gehen, sie sollten aus dem Nabel kommen.
Die Lebensenergie kommt aus allen Richtungen angeströmt, aber diejenigen, deren Nabelzentrum verschlossen ist, werden nicht in den Genuss dieses Stromes kommen. Sie werden nicht einmal von ihm wissen. Sie werden nicht einmal merken, dass diese Energie da war und sie hätte berühren können, und dass es da in ihnen etwas Verborgenes gibt, dass sich hätte öffnen können. Nicht einmal so viel werden sie wissen.
Dieses Aufgehen des Nabels, das man seit undenklichen Zeiten als eine Lotusblume beschrieben hat, wird deshalb mit der Lotusblume verglichen, weil es dazu angelegt ist sich zu öffnen. Hierzu bedarf es nur einer gewissen Vorbereitung. Damit dies geschehen kann, sollte unsere Mitte dem Himmel zugänglich sein. Darauf sollten wir achten. Dann kann die Lebensenergie, die uns zur Verfügung steht, an das Nabelzentrum herankommen und ihm Leben schenken.
Wie macht man es möglich, wie ist es zu bewerkstelligen, dass sich die eigene Lebensmitte wie eine Blume öffnet, und zwar so weit, dass die unsichtbaren Energieströme, die von überall herkommen, mit ihm in Verbindung treten können? Wie soll das geschehen ?
Ford Madox BrownZuerst euer Atem… Je tiefer er geht, desto mehr werdet ihr an eurem Nabel arbeiten und ihn entfalten können. Nur habt ihr eben keine Ahnung davon. Ihr wisst nicht einmal, ob ihr tief genug atmet oder zu flach atmet oder wie viel genau notwendig ist. Je mehr Sorgen ihr euch macht, desto mehr seid ihr von Gedanken erfüllt. Es mag euch nicht einmal bewusst sein, aber je mehr der Kopf belastet ist, desto weniger wird euer Atem fließen.
Ist euch jemals aufgefallen, dass ihr, wenn ihr wütend seid, auf eine ganz bestimmte Weise atmet und auf eine andere Weise atmet, wenn ihr friedlich seid ? Ist euch je aufgefallen, dass euer Atem, wenn sich eure Gedanken intensiv mit sexuellem Verlangen beschäftigen, immer einen bestimmten Rhythmus annimmt und sich dieser Rhythmus ändert, sobald eure Gedanken von schönen Gefühlen erfüllt sind ? Habt ihr je bemerkt, dass ein Kranker auf eine bestimmte Art und Weise atmet, ganz anders atmet als ein Gesunder ?
Der Gang des Atems verändert sich von Augenblick zu Augenblick, je nachdem, was sich in euren Gedanken abspielt. Dasselbe gilt auch umgekehrt : Wenn euer Atem vollkommen harmonisch fließt, verändert sich auch eure Gedankenwelt. Entweder kann man also sein Denken ändern und dadurch das Atmen verändern oder man ändert das Atmen und das wirkt sich dann auf die Gedanken aus.
Für jeden, der seine Lebenszentren zu entwickeln und zu beeinflussen wünscht, ist rhythmisches Atmen das Allererste. Egal ob er sitzt, steht oder geht, sein Atem muss so harmonisch, so friedlich, so tief gehen, dass ihm sein Atmen Tag und Nacht wie eine Art Musik, wie eine Art Harmonie vorkommt.
Je tiefer und langsamer dein Atem geht, desto mehr wird sich dein Nabelzentrum entwickeln. Bei jedem Luftholen trifft der Atem dann auf das Nabelzentrum. Wenn dieses tiefe und friedliche Atmen anhält, wird dieser Vorgang binnen weniger Tage spontan werden. Dann merkst du es nicht einmal mehr. Dann geht der Atem von sich aus tief und langsam.
In Indien kann man oft hören, wie Leute dasitzen und das Mantra „AUM“ hersagen. AUM schreibt sich mit drei Buchstaben A , U und M. Vielleicht ist es euch noch nicht aufgefallen, dass der Ton A, wenn ihr den Mund schließt und innerlich laut AAAAA macht, in eurem Kopf wiederhallt. Das A steht für das Kopfzentrum. Wenn ihr innerlich UUUUU sagt, werdet ihr den Widerhall dieses Tons in eurem Herzen spüren. Das U steht für das Herz. Und wenn ihr innerlich MMMMM sagt, den dritten Buchstaben von AUM, dann werdet ihr seinen Widerhall am Nabel spüren. Dies ist eine Formel : Man muss vom A zum U gehen und vom U zum M.
Ford Madox BrownMan beginnt mit tiefem Atmen. Je tiefer der Atem, je harmonischer, je mehr er im Einklang ist, desto mehr werdet ihr die Lebensenergie in euch aufsteigen spüren, wird euer Nabel zu einer lebendigen Mitte werden. Schon nach wenigen Tagen werdet ihr das Gefühl bekommen, dass eine Energie aus eurem Nabel ausströmt, aber auch das Gefühl, dass eine Energie in euch einströmt. Ihr werdet entdecken, dass sich da ein sehr lebendiges, ein dynamisches Zentrum in Nabelnähe entwickelt. Sobald ihr dies spürt, werden sich noch viele Erfahrungen mehr um dieses Zentrum herum kristallisieren.
Auf physiologischer Ebene ist Atmen das Allererste, was das Nabelzentrum entwickelt. Auf psychologischer Ebene unterstützen eine Reihe von Eigenschaften die Entwicklung des Nabels. Ich erwähnte bereits die Angstlosigkeit. Je mehr Angst ein Mensch hat, desto weiter rückt seine Chance in die Ferne, sich seinem Nabelzentrum zu nähern. Je angstloser ein Mensch ist, desto näher kommt er seinem Nabel.
Bei der Kindererziehung ist daher mein dringlicher Rat, erzieht eure Kinder zur Furchtlosigkeit. Wenn Kinder auf Bäume klettern wollen, lasst sie. Lasst sie überall hingehen, wo sie Abenteuer und Angstlosigkeit erleben können. Selbst wenn jedes Jahr ein paar Kinder beim Klettern herunterfallen und sich verletzen. Denn wenn alle Kinder einer Gemeinschaft in Angst leben und nicht wissen, was Furchtlosigkeit ist, dann ist die ganze Gemeinschaft, sie mag noch so lebendig erscheinen, in Wirklichkeit tot.
In Indien ist dieses Unglück eingetreten. Wir reden eine Menge von Religion, aber wir haben keine Ahnung, was Mut ist. Wir wissen nicht, dass es ohne Mut überhaupt keine Religion geben kann, weil ohne Mut das entscheidende Element im Leben unentwickelt bleibt. Man braucht Mut, so viel Mut, dass man im Stande ist, dem Tod die Stirn zu bieten.
In Indien wird immer nur über Religion geredet, aber unsere Angst vor dem Tod kennt keine Grenzen. Dabei sollte es genau umgekehrt sein : Menschen, die um die Seele wissen, die die Seele kennen, sollten kein bisschen Angst vor dem Tod haben, weil es für sie den Tod gar nicht gibt. Aber bei all dem Gerede von Seele ist da Angst vor dem Tod, ungeheuer viel Angst.
Man sollte zur Angstlosigkeit erzogen werden, zu einer grenzenlosen Angstlosigkeit erzogen werden. Wo immer sich im Leben Gelegenheiten bieten sich einer Gefahr zu stellen, sollte sie wahrgenommen werden.
Ford Madox BrownNietzsche wurde einmal gefragt : „Was soll man tun um seine Persönlichkeit zu entwickeln ?“ Er empfahl einen sehr merkwürdigen Leitspruch, sagte etwas wirklich Unerwartetes, nämlich : „Lebe gefährlich.“ Wenn du deine Persönlichkeit entwickeln möchtest, dann lebe gefährlich.
Ihr aber glaubt, dass es euch um so besser geht, je mehr ihr in Sicherheit lebt. Es ist genug Geld auf der Bank, es ist ein Haus da, es gibt die Polizei und das Militär, also keinen Grund zur Angst. All das garantiert euch ein geruhsames Leben. Nur aber erkennt ihr eines nicht, nämlich, dass ihr über alle diese Sicherheitsvorkehrungen praktisch leblos geworden seid.
Ihr haltet Abwesenheit von Angst für Angstlosigkeit. Da irrt ihr. Angstlosigkeit ist nicht Abwesenheit von Angst. Angstlosigkeit ist etwas vollkommen anderes, etwas Inneres, das sich nur dort einstellen kann, wo Angst herrscht. Angstlosigkeit ist die totale Anwesenheit von Angst, einschließlich des Mutes, sich ihr zu stellen. Aber Mut kann sich in eurem Leben überhaupt nicht entwickeln, so wie ihr es lebt.
Mein Rat ist also folgender : In Tempeln zu beten bringt euch dem Göttlichen keinen Deut näher. Aber wenn euch die Abenteuer des Lebens locken, wenn euch Gefahren locken und ihr euch darauf einlasst, werdet ihr ganz gewiss dem Göttlichen näher kommen. Nur in Gefahren, in Unsicherheit, wird eure verborgene Mitte, die in euch schlummert, aufwachen und munter werden. In Gefahren, in Unsicherheit fühlt sich die Mitte herausgefordert, und nur in solch einer Situation kann sich das Nabelzentrum entwickeln.
In den alten Zeiten haben die Sucher diese Unsicherheit auf sich genommen. Damals verließen sie ihr Heim. Sie wollten nur eins, alle Sicherheiten aufgeben. Er wollte sich in einen Zustand der Unsicherheit begeben, wo es keine Unterstützung, keine Freunde, keine Bekannten mehr gab, niemanden, den man sein Eigen nennen konnte. Er wollte es auf Krankheiten, Armut, Gefahren und Tod ankommen lassen. Er suchte ausdrücklich diesen Zustand der Unsicherheit.
Somit kommt es also auf der körperlichen Ebene auf das richtige Atmen an und auf der psychologischen Ebene auf den Mut. Diese Dinge sind die Grundvoraussetzungen für die Entwicklung des Nabelzentrums.
Sei dir des Haras bewusst
Hara heißt das Zentrum, aus dem das Leben den Körper verlässt. Es ist das Todes-Zentrum. Das Wort „hara“ ist japanisch; darum heißt Selbstmord in Japan „haraki“. Dieses Zentrum befindet sich nur zwei Fingerbreit unter dem Nabel. Es ist ein sehr wichtiges Zentrum. Das hat man praktisch überall auf der Welt empfunden. Aber nur in Japan hat man seine ganze Tragweite tiefer erforscht.
Selbst die Inder, die sich höchst intensiv mit den körperlichen Zentren befasst haben, haben das Hara nicht in Betracht gezogen. Der Grund für dies Übergehen ist darin zu suchen, dass sie dem Tod nie eine Bedeutung beigemessen haben. Deine Seele stirbt nie, also warum sich mit einem Zentrum befassen, dessen einzige Funktion die ist, als Ausgangstor für Energien zu dienen um in einen anderen Körper einzugehen? Sie haben den Sex erforscht, weil der das Lebenszentrum ist. Sie haben sieben Zentren erforscht, aber das Hara wird im indischen Schrifttum nicht einmal erwähnt.
Wenn diejenigen, die sich Jahrtausende lang am intensivsten mit den Zentren beschäftigt haben, das Hara überhaupt nicht erwähnt haben, kann das kein Zufall sein. Der Grund war, dass sie den Tod nie ernst genommen haben. Diese sieben Zentren sind Lebens-Zentren und jedes Zentrum betrifft eine höhere Lebensstufe. Das Siebente ist das höchste Lebenszentrum, wo du praktisch ein Gott bist.
Das Hara liegt sehr nahe am Sex-Zentrum. Wenn man nicht zu höheren Zentren aufsteigt, nicht zum siebten Zentrum im Kopf und man sein ganzes Leben immer nur beim Sex-Zentrum bleibt, dann liegt gleich neben dem Sex-Zentrum das Hara und wenn das Leben dann endet, wird das Leben den Körper durch dieses Zentrum verlassen…
Indien hat sich also nie um das Hara gekümmert. Das Hara liegt nicht auf der Linie; es liegt gleich neben dem Sex-Zentrum. Das Sex-Zentrum ist das Lebenszentrum und das Hara ist das Todeszentrum. Zu viel Aufregung, zu viel Unausgewogenheit, zu viel Energieverschleiß ist gefährlich, weil das die Energie zum Hara hinlenkt. Und ist diese Schneise erst einmal gebahnt, wird es umso schwerer sie nach oben zu lenken. Das Hara liegt parallel zum Sex-Zentrum, also kann die Energie es sehr leicht erreichen.
Die Japaner machten eine großartige Entdeckung: Sie fanden heraus, dass es gar nicht nötig ist einem den Kopf abzuschlagen oder das Hirn raus zu schießen um zu töten, dies alles ist unnötig schmerzhaft. Es genügt, mit einem kleinen Messer genau ins Hara-Zentrum zu stoßen und das Leben entweicht ohne allen Schmerz. Man braucht nur das Zentrum zu öffnen und das Leben verschwindet, so als würde sich die Blume öffnen und ihr Duft entweichen.
Das Hara hat nur ein bestimmtes Fassungsvermögen und jegliche aufsteigende Energie muss im Hara durchkommen. Aber das Hara sollte einfach unter Verschluss bleiben. Das eine also ist, das Hara verschlossen zu halten. Und das Zweite ist, dass man immer dem nächst höheren Zentrum zuarbeiten muss. Wenn du zum Beispiel zu oft jähzornig wirst, solltest du mehr über Jähzorn meditieren, damit der Jähzorn verschwindet und seine Energie zu Mitgefühl wird. Wenn du ein Mensch bist, der alles hasst, dann solltest du den Hass ins Auge fassen, über Hass meditieren und dieselbe Energie wird zu Liebe.
Geh immer weiter aufwärts, denke immer an höhere Leitern, damit du zum höchsten Punkt deines Seins gelangen kannst. Und im Hara-Zentrum darf es kein Leck geben.
Genau aus diesem Grunde hat sich Indien zu viel Gedanken über den Sex gemacht: Durch Sex kann man ebenfalls seine Energie vergeuden, nicht kann, sondern wird. Aber zumindest ist Sex das Lebenszentrum, er bringt Energie woanders hin, das Leben wird weiter fließen.
Aber das Hara ist das Todeszentrum. Man darf keine Energie durch das Hara ausfließen lassen. Ein Mensch, dessen Energie aus dem Hara heraussprudelt, ist sehr leicht zu erkennen. Zum Beispiel gibt es Menschen, in deren Gesellschaft man förmlich erstickt, die einem das Gefühl geben, sie würden einem die Energie aussaugen. Und sobald sie fort sind, merkt man dann, dass einem plötzlich wohl und entspannt zu Mute ist, obwohl sie einem doch gar nichts getan haben.
Und dann gibt es genau die entgegengesetzte Art von Menschen, deren Begegnung einen froh, gesünder macht. Warst du eben noch traurig, verfliegt deine Traurigkeit, warst du wütend, verfliegt deine Wut. Das sind die Leute, deren Energie zu höheren Zentren aufsteigt. Ihre Energie steckt die deine an. Wir stecken einander andauernd an. Und ein bewusster Mensch wählt sich Freunde und Begleiter danach aus, ob sie seine Energie beflügeln.
Eines jedenfalls ist sehr klar: Es gibt Leute, die dich aussaugen, meide sie! Es ist besser in diesem Punkt klar zu sein, verabschiede dich von ihnen. Man braucht sich das wirklich nicht anzutun, denn sie sind gefährlich; sie können auch dein Hara aufbrechen. Ihr Hara steht offen, das ist der Grund, warum sie deinem Innern ein so saugendes Gefühl geben.
Tief atmen schafft eine Brücke zwischen Leben und Tod
Laotse ist völlig vom Nichtexistieren überzeugt. Er war der Erste, der die Nützlichkeit des Nichtexistierens zur höchsten Entfaltung gebracht hat. Natürlich hatte er keine Ahnung von ,Schwarzen Löchern‘, sonst hätte er sie erwähnt. Er war ein einfacher Mann, wohnte in einem Dorf, führte das Leben eines Landmannes, ungehobelt, einfach, nicht sonderlich gebildet und kultiviert. Er hielt es nicht mit der Zivilisation, er hielt es mit der Natur. Seine Vergleiche sind immer schlicht: Das Rad! Er sagt, die Mitte des Rades, die Radnabe sei leer, aber das ganze Rad drehe sich um sie. Man spricht von der Nabe des Rades, warum? Weil sie genauso ist wie der Nabel beim Menschen.
Ganz dicht an eurem Nabel befindet sich nämlich den Japanern zufolge ein Punkt namens Hara. Das Hara ist das Schwarze Loch in eurem Körper. Von Laotse angeregt, kam Japan dann darauf, dass es irgendwo im Körper eine Stelle geben müsse, wo der Tod wohnt. Der Tod komme nicht von außen, sei kein Unfall, wie die Menschen immer annehmen. Die Leute sagen: „Der Tod kommt!“ Nein, der Tod kommt nicht, der Tod wächst in euch heran.
Es ist also nicht so, dass euch irgendwo auf eurem Lebensweg plötzlich der Tod begegnen würde. Wäre dem so, dann hätte man sich längst Methoden einfallen lassen, wie man dem Tod ausweichen, ihn täuschen kann oder gar nicht erst dort aufzutauchen brauche, wo der Tod einem auflauere, wie man sich an ihm vorbeidrücken oder jemand anders statt seiner selbst hinschicken kann.
Solche Tricks würden dann Sinn machen, wenn der Tod etwas von außen wäre, einem von außen zustieße. Aber ihr tragt den Tod in euch wie ein Saatkorn. Er kommt im selben Moment auf die Welt, da ihr auf die Welt kommt, ja, er hat sogar schon vor euch existiert. Ihr seid aus ihm geboren worden. Der Tod muss also irgendwo in eurem Körper einen Anknüpfungspunkt haben. Also haben die Japaner den Körper gründlich untersucht um herauszufinden, wo sich dieses schwarze Loch befindet.
Es liegt genau unter dem Nabel. Fünf Zentimeter unterhalb des Nabels liegt der Punkt des Todes. Es ist ein sehr versteckter Punkt. ihr kennt sicherlich das Wort Harakiri; das Wort kommt von Hara. Hara bedeutet das Schwarze Loch im Körper und Harakiri bedeutet Selbstmord vermittels dieses Schwarzen Loches.
Die Japaner haben den Selbstmord zu einer hohen Kunst entwickelt. Niemand kann sich so leicht das Leben nehmen wie die Japaner. Denn sie haben den genauen Todespunkt ausfindig gemacht. Mit einem Messerchen stechen sie einfach ins Hara, den Punkt des Todes hinein; nicht einmal ein Tropfen Blut kommt heraus. Es ist ein blutloser Selbstmord und völlig schmerzlos, ohne Qualen, das Leben entweicht einfach: Sie haben direkt in das Schwarze Loch im Körper, den Punkt des Todes getroffen.
Man kann auch sterben, indem man sich die Kehle durchschneidet, aber das ist sehr qualvoll, denn der Weg von der Kehle bis zum Hara ist weit, diese Entfernung muss erst zurückgelegt werden. Wenn einem also der Kopf abgeschlagen wird, bleibt der Körper noch einige Minuten lang am Leben; er zittert und bebt noch eine Weile, weil das Hara nicht unmittelbar durchstoßen worden ist.
Die Japaner können sich so leicht und so still das Leben nehmen, dass man, wenn man einen Menschen sieht, der Harakiri gemacht hat, sich selber umgebracht hat, kein Anzeichen des Todes auf seinem Gesicht erkennen kam; sein Gesicht wird so lebendig scheinen wie eh und je. Er hat sich einfach ohne jeden Kampf durch das Schwarze Loch davongemacht.
Dieses Hara im Körper ist das Nichtsein. Es ist Abwesenheit, es ist ein Nichts. Und die gesamte taoistische Praxis zielt darauf ab, sich des Haras immer bewusst zu sein. Sie haben dazu extra eine andere Art zu atmen entwickelt, die sie ,Bauchatmung‘ nennen. Man kann keinen stilleren Menschen finden als einen Taoisten, der die Bauchatmung geübt und sich an sie gewöhnt hat.
Ihr atmet aus dem Brustkorb. Überall auf der Welt atmet man aus der Brust heraus, was ein sehr flaches Atmen ist. Vielleicht ist der Grund, warum ihr nicht aus dem Bauch heraus atmet, eure Todesangst. Denn wenn ihr aus dem Bauch heraus atmet, geht der Atem bis tief hinunter ins Hara. Dann berührt ihr den Tod. Aus Todesangst zieht ihr das flache Atmen vor. Achtet einmal darauf. Jedes Mal, wenn ihr Angst habt geht euer Atem plötzlich flach.
Wann immer euch Angst überwältigt, könnt ihr nicht mehr tief atmen, wird augenblicklich euer Atem ganz flach. Jede Angst ist im Grunde eine Angst vor dem Tod; das mag euch gar nicht richtig bewusst sein, aber euer Körper weiß, wo der Tod sitzt: „Ja nicht dahin!“ Euer Körper ist klug, klüger als euer Verstand, kein Wunder, denn der Verstand ist ein ausgesprochener Nachzügler.
Der Körper existiert weit länger als der Verstand, hat Millionen von Leben hinter sich, geistlose Leben und hat viel Weisheit gesammelt. Jedes Mal, wenn ihr erschreckt, steht euer Atem still oder ihr atmet nur noch ganz flach, aus Angst, dem Tod allzu nahe zu kommen. Tiefes Atmen schließt den Tod ins Leben mit ein, tiefes Atmen baut eine Brücke zwischen Leben und Tod; die Angst verfliegt. Wenn du tief durch den Bauch bis nach unten atmest, dann wird sich alle Angst auflösen.
Darum können sich die Japaner leichter das Leben nehmen als alle anderen Erdenbürger. Geradezu spielerisch! Sie können sich wegen irgendeiner Bagatelle das Leben nehmen, so nichtig, dass niemand begreift, wozu es notwendig war. Denn sie wissen, dass Leben und Tod nicht zweierlei sind, sondern eins. Tod ist auch Leben, nur die Kehrseite derselben Medaille. Er ist Ruhe. Wenn du tief atmest, wirst du deinen ganzen Körper von Ruhe durchströmt fühlen, ein völlig entspannter, unverkrampfter Zustand.
Habt ihr je ein kleines Kind atmen gesehen? Es atmet vom Bauch her. Ihr könnt es einmal beobachten, dann versteht ihr. Und genauso sollten nach Laotses Wunsch alle atmen. Hierin besteht das taoistische Yoga: Wie bei einem Säugling hebt und senkt sich der Bauch und spielt die Brust überhaupt keine Rolle, als hätte die Brust überhaupt nichts mit Atmen zu schaffen. Und das hat sie auch wirklich nicht!
Aber so einfach ist es nicht: die Todesangst! Ihr könnt nicht tief atmen, sonst kommt ihr dem Hara zu nahe. Und gleich neben dem Hara sitzt der Lebenspunkt, den man das Sex-Zentrum nennt, auch davor habt ihr Angst. Wenn ihr tief atmet, weckt ihr den Sex. Daher können Menschen, die in Angst vorm Sex erstarrt sind, nicht tief durchatmen. Wer tief durchatmet, wird merken, wie der unterdrückte Sex plötzlich wieder zum Leben erwacht, in allen Adern fließt und ins Blut schießt.
Und selbstverständlich ist es nicht anders zu erwarten, als dass das Zentrum fürs Leben gleich neben dem Zentrum für den Tod liegt: Hara, das Todeszentrum und Sex, das Lebenszentrum sind sich so nahe, liegen so eng beieinander, dass sie sich fast berühren, zwei Seiten ein und derselben Medaille. Darum macht auch der Sex den Menschen Angst, weil mit dem Sex auch der Tod zu pochen beginnt. Jede echte sexuelle Erfahrung ist zugleich eine Todeserfahrung: Du stirbst! Nur darum haben die Menschen eine solche Angst vor dem Sex, vor dem anderen Geschlecht. Mir sind nicht viele Männer begegnet, die keine Angst vor Frauen hätten. Die Angst: „Die Frau hat dir das Leben geschenkt, also muss sie dir auch den Tod bringen!“
Kinder atmen auf natürliche Weise
Man muss sich klar machen, was natürliches Atmen heißt. Schaut euch kleine Kinder an, die atmen natürlich. Deswegen sind kleine Kinder auch so voller Energie. Die Eltern sind erschöpft und sie kein bisschen!
Ein Junge sagt: „Ich hab so viel Energie, dass ich alle sieben Tage ein paar neue Schuhe brauche.“
Ein anderer sagt: „Das ist gar nichts. Ich bin mit meinen Kleidern alle drei Tage am Ende.“
Der Dritte sagt: „Aber gegen mich seid ihr Zwerge! Ich habe so viel Energie, dass meine Eltern nach drei Tagen am Ende sind!“
In Amerika hat man ein Experiment gemacht: Ein sehr starker Mann mit athletischem Körper und grenzenloser Energie bekam die Aufgabe ein kleines Kind nachzuahmen, ihm in allem zu folgen. Was immer das Kind machte, das musste er auch tun, musste ihm einfach mal acht Stunden lang alles nachmachen.
Nach vier Stunden war der Athlet fertig, lag japsend am Boden, denn das Kind hatte großen Spaß daran gefunden und alles Mögliche angestellt, hatte gehüpft, gejoggt, rumgebrüllt, schrille Schreie ausgestoßen… Und der Athlet brauchte es ihm nur nachzutun. Der Junge war nach vier Stunden immer noch voller Energie. Der Athlet war fertig, er sagte: „Der bringt mich um! Acht Stunden! Schluss jetzt! Ich kann einfach nicht mehr.“ Er war ein berühmter Boxer, aber Boxen ist etwas anderes. Mit einem Kind kann keiner mithalten.
Woher hat es seine Energie? Sie kommt vom pranayama kosha. Ein Kind atmet auf natürliche Weise und atmet folglich mehr prana ein, mehr chi ein, das sich in seinem Bauch ansammelt. Der Bauch ist sein Speicher, sein Vorratslager.
Beobachtet einmal ein Kind: So wird richtig geatmet! Wenn ein Kind atmet, bleibt sein Brustkorb dabei völlig unbeteiligt. Nur sein Bauch hebt und senkt sich: Es atmet sozusagen aus dem Bauch heraus. Alle Kinder haben ein Bäuchlein; das haben sie nur auf Grund ihres Atmens und ihres Energievorrats.
So also atmet man richtig. Denkt daran, nicht zu sehr mit der Brust zu atmen. Manchmal ist das zwar gut, z. B. in Notlagen: Du rennst um dein Leben, da darf man die Brust einsetzen, in Notwehr. Dann ist flaches, schnelles Atmen und Rennen angesagt.
Aber normalerweise sollte die Brust keine Rolle spielen. Und dies eine solltet ihr euch merken: Die Brustatmung ist nur für Notsituationen da. Schließlich kann man in Notlagen kaum natürlich atmen; denn mit natürlicher Atmung bliebe man so ruhig und so gelassen, dass man gar nicht rennen, nicht kämpfen könnte. Dann wäre man so ruhig und gesammelt, dass man eher einem Buddha gliche.
Und wenn du in einer Notsituation – dein Haus steht in Flammen! – weiter auf natürliche Weise atmest, wirst du nichts retten können. Oder wenn dich im Urwald ein Tiger anspringt, du aber ganz natürlich weiter atmest, dann wird dir alles egal sein; dann sagst du dir: „Okay. Lass ihn machen, was er will!“ jedenfalls wirst du nicht in der Lage sein dich zu schützen.
Die Natur hat euch also auch für Notlagen ausgestattet, die Brustatmung ist ein Mittel für Notlagen. Wenn dich ein Tiger anfällt, musst du mit dem natürlichen Atmen aufhören und zur Brustatmung übergehen. Dann wirst du besser rennen, kämpfen und schnell Energie verbrennen können. Und in einer Notlage hast du nur diese eine Alternative: Flüchten oder Standhalten. Zu beidem ist ein sehr flaches, aber intensives Atmen erforderlich, zwar flach, aber in hellwacher, angespannter Verfassung.
Wenn ihr jedoch ständig nur aus der Brust atmet, wird euch das innerlich verspannen. Wenn ihr ununterbrochen aus der Brust atmet werdet ihr ständig in Angst leben. Denn die Brustatmung ist einzig und allein für Angstsituationen gedacht. Wenn sie euch jedoch zur Gewohnheit geworden ist, dann werdet ihr immerzu ängstlich, verspannt, immer auf der Flucht sein. Es ist zwar kein Feind da, aber in eurer Vorstellung wimmelt es von Feinden! Auf die Art und Weise entsteht Paranoia.
Auch im Westen gibt es Leute, die auf dieses Phänomen gestoßen sind, z. B. Alexander Lowen und andere Vertreter der Bioenergetik, die die Lebensenergie des Menschen erforscht haben, die wir in Indien prana nennen. Sie haben entdeckt, dass ängstliche Menschen eine verkrampfte Brust haben und nur ganz flach atmen. Wenn man ihnen dazu verhelfen kann, tiefer einzuatmen, so tief, dass es bis in den Bauch geht und dort das Hara-Zentrum berührt, dann verschwindet ihre Angst.
Dazu braucht sich nur ihre Muskulatur zu entspannen, wie es z. B. im Rolfing geschieht… Ida Rolfe hat fantastische Methoden zur Veränderung der inneren Körperstrukturen entwickelt. Denn in Menschen, die über viele Jahre hin falsch geatmet haben, hat sich eine bestimmte Muskulatur ausgebildet und diese Muskulatur steht nun im Wege und gestattet einem nicht richtig zu atmen oder tief zu atmen. Und selbst wenn man sich vornimmt, tief durchzuatmen, ist das nach ein paar Sekunden schon wieder vergessen. Man macht zwar ein paar tiefe Atemzüge, aber sobald man sich wieder in seine Arbeit vertieft, geht die flache Brustatmung sofort wieder los.
Also muss die Muskulatur verändert werden. Sobald dies geschehen ist, verschwindet die Angst und verschwindet die Angespanntheit. Rolfing ist da ungeheuer hilfreich; aber was dabei bearbeitet wird, ist der pranayama kosha, also der zweite Körper oder auch der Bioplasma-Körper oder Bioenergie-Körper, Chi-Körper oder wie immer man ihn auch nennen will.
Beobachtet ein Kind und da habt ihr das natürliche Atmen; und dann atmet selbst so. Lasst euren Bauch sich beim Einatmen heben, lasst euren Bauch sich beim Ausatmen senken. Und lasst es so rhythmisch werden, dass es fast zu einem Gesang, einem Tanz eurer Energie wird, mit Schwung, mit Harmonie; und ihr werdet euch so entspannt, so lebendig, so vital fühlen, dass ihr selber nicht glauben werdet, wie es so viel Vitalität überhaupt geben kann!