Inhaltsverzeichnis:
Das göttliche Leben – über die Enthaltsamkeit
Aus dem Leben Swami Chidanandas
Warum Enthaltsamkeit?
Das Konzept der 4 Lebensstadien (Ashramas)
Ein kurzer Einblick in die Tantrapraxis
Der gewöhnliche und der tantrische Orgasmus
Was sagte Buddha zur Enthaltsamkeit?
Was sagte Jesus bzw. die Bibel zur Enthaltsamkeit?
Video: Zölibat in der Diskussion: Dr. Johannes J. Kreier
Brahmacharya Sadhana
Frauen und Enthaltsamkeit?
Die enthaltsam lebenden Dani aus Neuguinea
Das göttliche Leben – über die Enthaltsamkeit
Swami Chidananda wurde 1916 als ältester Sohn einer orthodoxen Brahmanenfamilie in Südindien geboren. Schon als Kind fühlte er sich von hingebungsvollen Liedern und Geschichten aus den hinduistischen Schriften sehr angesprochen. In den Jahren seines Studiums erweckten die Biographien und Lehren von modernen Heiligen wie Sri Ramakrishna, Swami Vivekananda, Ramana Maharshi oder Swami Ramdas in ihm eine glühende Sehnsucht nach dem spirituellen Leben. 1943 kam er in den Ashram des weltberühmten Heiligen und Weisen Swami Sivananda, Gründer der Divine Life Society (Gesellschaft für das Göttliche Leben), dessen leidenschaftliche spirituelle Schriften ihn schon lange angezogen hatten.
Der Sivananda Ashram, der damals nur aus einigen wenigen Gebäuden bestand, liegt am Ufer des Ganges am Fuße des Himalaya bei Rishikesh in Indien. In dieser Phase seines Lebens bestanden die Aktivitäten Swami Chidanandas unter anderem aus dem Halten von Vorträgen, der Betreuung von Gästen im Ashram und dem Dienst an Kranken. Das war der Beginn seines späteren, lebenslangen Bemühens um die Leprakranken. Ende 1959 wurde er von Swami Sivananda auf eine zwei Jahre dauernde Vortragsreise um die ganze Welt geschickt. Nach dem Tod Swami Sivanandas 1963 wurde er schließlich dessen Nachfolger als Präsident der Divine Life Society. Seither ist das Leben von Swami Chidananda geprägt von beinahe ununterbrochenem Reisen, sowohl in Indien als auch im Ausland, im Dienste des zentralen Anliegens der Divine Life Society: Verbreitung von spirituellem Wissen.
Als Andrew Cohen aus Australien anrief und uns fragte, ob wir ein Interview mit Swami Chidananda über die Rolle der Enthaltsamkeit im spirituellen Leben machen könnten, war unsere erste Reaktion: „Wann wird Swamiji jemals Zeit dafür haben?“ Unsere zweite Reaktion war allerdings: Wenn es irgend jemanden auf der Welt gibt, der ein praktisches Verständnis von Enthaltsamkeit hat, dann ist es Swamiji, und deshalb sollten wir um das Interview bitten.
Als Swamiji also einige Tage später zu den fünf Tage dauernden Feiern anlässlich Navaratri (Fest zu Ehren Ramas und Durgas) in den Ashram zurückkam, wurde ihm unser schriftliches Ansuchen übergeben. An diesem Abend wandte er sich nach dem Satsang (Zusammensein mit einem spirituellen Lehrer) an mich und sagte, dass es ihm zwar unmöglich wäre, in den nächsten Tagen Zeit zu finden, dass wir ihn aber, wenn wir die Mühe nicht scheuten, in zwei Wochen an einem Ort in der Nähe von Delhi treffen könnten. Es handelte sich um ein neues Haus auf dem Land, das man ihn gebeten hatte, offiziell zu eröffnen und einzuweihen, wo wir dann einige Tage verbringen könnten. Wir stimmten begeistert zu. So kam es, dass wir Ende Oktober vier volle Tage lang nicht nur ein wenig informelle Zeit mit ihm verbringen konnten, sondern es uns auch noch gelang, fünf Stunden Gespräch zum Thema aufzunehmen.
Das Interview sollte am späteren Vormittag des ersten Tages beginnen, aber Swamiji war zu müde, und so sahen wir ihn zum ersten Mal, als er sich uns bei Sonnenuntergang zu einem Spaziergang anschloss. Als wir so langsam die Landstraße entlanggingen, kamen wir an einem Torwächter vorbei. Swamiji blieb stehen und sprach fünfzehn Minuten mit ihm. Wir verstanden kaum etwas von dem Hindi, das sie sprachen, aber wir wussten, dass er dem Mann Fragen über seine Familie und sein Leben stellte. Im Weitergehen wurde uns bewusst, dass ein weiteres Leben von einem Menschen berührt worden war, der im Herzen noch immer ein einfacher Mönch war, dessen Lebensziel es ist, so vielen Menschen wie möglich so viel Gutes wie möglich zu tun.
Als wir nach dem Spaziergang die Treppe hinaufstiegen, sagte Swamiji zu uns: „Das Thema von Brahmacharya, Zölibat oder Enthaltsamkeit, steht in der Hindugesellschaft nicht unbedingt mit dem spirituellen Leben, dem Sadhana (spirituelle Praxis) oder der Selbstverwirklichung, in Verbindung. Es wird für gewöhnlich nicht ausschließlich aus der Sichtweise heraus diskutiert oder empfohlen, um das spirituelle Leben zu fördern.“ Wir waren oben an der Treppe angekommen und gingen in seinen Raum. Swamiji beschrieb uns das traditionelle Leben der Hindugesellschaft und die Beziehung zum Thema Brahmacharya und sexuelles Leben, um uns den umfassenderen Zusammenhang zu verdeutlichen, in dem Brahmacharya in der Hindutradition gesehen wird.
Im alten Indien, erklärte er, wurde ein Menschenleben mit hundert Jahren angesetzt und in vier Phasen geteilt. Die erste Phase war die Zeit als Schüler, die Zeit von Brahmacharya, wo vom jungen Menschen erwartet wurde, dass er sich intensiv seinen Studien widmete, seinen Körper gesund und kräftig machte und sich in jeder Hinsicht auf das darauf folgende Leben als Erwachsener vorbereitete. In diesem Abschnitt war Enthaltsamkeit geboten.
Der zweite Abschnitt war das Leben als verheirateter Mensch in der Familie, wo die Ausübung der Sexualität Voraussetzung und legitimer Teil des Lebens des Menschen ist; es wurde als die fundamentale Pflicht einer Familie betrachtet, Nachkommen zu haben, die dann die nächste Generation bilden würden. Swamiji fuhr fort: „Natürlich war damit nicht die Praxis ungezügelter Sexualität gemeint; das wäre erniedrigend. Aber das geschlechtliche Leben an und für sich war gesellschaftlich voll akzeptiert.“
„Der dritte Lebensabschnitt war die Zeit des Lebens in Abgeschiedenheit, wenn das Ehepaar die Pflicht zum Erwerb des Lebensunterhalts in die Hände der Kinder legte und den Geist auf Höheres richtete“, erklärte Swamiji. Nun wurde die Praxis von Brahmacharya wieder Teil ihrer Sadhana.
„Dann, im vierten Abschnitt, wurde das Leben gänzlich Gott gewidmet. Man wurde Sannyasin, Mönch, und dann war das Zölibat natürlich automatisch. Ihr seht also, das Konzept von Brahmacharya war integraler Bestandteil der indisch-hinduistischen Gesellschaftstradition. Im engeren Sinn bedeutet Brahmacharya absolute Enthaltsamkeit, aber in weiterem Sinn bedeutete es in seiner Anwendung auf das Leben in der Familie Selbstbeherrschung, keinen Missbrauch der Sexualität und strikte Treue dem Partner gegenüber.“
Dann wechselte unser Gespräch zu dem Thema der spirituellen Praxis, welche Rolle sie spielt und in welcher Weise sie dabei helfen könnte, das Bewusstsein durch Verstärken der in uns liegenden höheren Tendenzen zu erweitern. „Die meisten Menschen sind nichts anderes als Tiere in Menschengestalt“, sagte Swamiji. „Sie sind gänzlich im Körperbewusstsein verwurzelt. Sie haben keine Vorstellung davon, dass sie etwas anderes sind. Auch ihr Geist funktioniert auf instinktive Weise. Alle Dinge geschehen als Reaktion auf das, was ihnen passiert, nicht als beabsichtigte freie Ausübung ihrer geistigen Kapazitäten. Dafür ist keine Zeit. Sobald sie morgens aufstehen, werden sie von den Aktivitäten des Alltags aufgesogen.“
„Und im ganzen spirituellen Leben“, sagte er weiter, „geht es darum, allmählich das Tier im Inneren zu eliminieren und auszumerzen und die gesamte menschliche Natur zu verfeinern, zu reinigen und heranzubilden, damit sie aufhört, sich in alle möglichen Richtungen zu bewegen, und anfängt, eine Richtung einzuschlagen, die vertikal nach oben führt. Sobald der menschlichen Natur eine ansteigende Richtung gegeben wurde, beginnt gleichzeitig, mittels spiritueller übungen, die schlummernde Göttlichkeit zu erwachen. Wenn man weiß, dass der spirituelle Prozess, das spirituelle Leben, darin besteht, das Tierische zu beseitigen, das Menschliche zu verfeinern und aufwärts zu lenken und das Göttliche zu erwecken und zu entfalten, erhalten alle spirituellen Praktiken, einschließlich der Rolle, die Brahmacharya spielt, den richtigen Stellenwert.“
Offensichtlich hatte Swamiji an unserem ersten Gespräch Gefallen gefunden. Er lächelte und sagte: „Wir müssen Andrew Cohen also dankbar dafür sein, denn letztlich steht er dahinter, ist er die Wurzel. Morgen werden wir dann eine Frage nach der anderen besprechen.“
Die Gespräche, die wir in den nächsten Tagen mit Swamiji führten, enthüllten eine Seite von ihm, die man nicht oft zu sehen bekommt. Normalerweise sieht man in ihm das, was man von einem Heiligen erwartet – heilige Würde, Milde, Freude, die ständige Sorge um den anderen, Schönheit der Bewegungen und eine Präsenz, die sich auf subtile Weise in den Herzen derer, die seinen Weg kreuzen, erkennbar macht. Das folgende Interview zeigt, aus welchem Stoff ein Heiliger tatsächlich gemacht ist. Es trägt zur Vervollständigung des Bildes bei.
Frage: Zölibat und Brahmacharya nahmen im spirituellen Leben immer einen wichtigen Platz ein, und wir wissen, dass sowohl Swami Sivananda als auch Sie selbst diese Bedeutung unterstreichen. Warum ist das Zölibat wichtig, und welche Rolle spielt es im spirituellen Leben?
Swami Chidananda: Einer der Gründe für die große Bedeutung des Zölibats ist, dass uns unser spirituelles Erbe sagt, es sei eine Grundvoraussetzung, eine Notwendigkeit im spirituellen Leben. Und diese Ansicht wurde über viele Jahrhunderte hinweg, in denen sich die indische Gesellschaft verändert hat und viele andere alte Konzepte abgelegt wurden, weiter gepflegt.
Der Hindu war immer sehr progressiv. Er ist nie vor einer Veränderung zurückgeschreckt, wenn er das Gefühl hatte, dass diese Veränderung seinem Wissen förderlich sein und ihn in eine bessere Richtung lenken könnte. Und durch den Kontakt mit den Ansichten und dem Wissen anderer Kulturen kam es zu einer ständigen Neubewertung unserer alten Konzepte und Standpunkte. Trotz alledem stellen wir fest, dass das Konzept von Brahmacharya und seine bedeutende Rolle im spirituellen Leben weiter bestehen blieb. Es bestand den Test der Zeit; es ist zeitgeprüft. Wäre es nicht etwas, das dauerhaften Wert hat, hätte es sich auch geändert. So ist es aber nicht. So wie es vor Tausenden von Jahren gesehen wurde, so sehen es spirituelle Lehrer, Gurus und Yogis noch heute – mit derselben Einstellung, dass es eine notwendige und wichtige Sache ist.
Ein weiterer Grund dafür, dass ich stets ein Verfechter des Zölibats war, ist, dass die herausragenden Persönlichkeiten, die, seitdem ich denken kann, einen formenden Einfluss auf mein Leben ausgeübt haben – Persönlichkeiten wie Ramakrishna Paramahansa, Swami Vivekananda, Sri Aurobindo Gosh und natürlich auch Swami Sivananda selbst – alle auf das Zölibat schworen. Sie sagten, es sei höchst wichtig, ja, unerlässlich. Natürlich, wenn diese Personen, die Quelle meiner Inspiration im spirituellen Leben waren, so klar und explizit waren – für sie schien kein Zweifel darüber zu bestehen -, sagte ich mir: o.k., so ist es! Das war für mich ausschlaggebend in meinem Zugang zum spirituellen Leben.
Brahmacharya, oder Zölibat, ist ein rationaler Vorgang zur Bewahrung und Erhaltung wertvoller Energie, damit diese für andere sehr wesentliche und unerlässliche Funktionen zur Verfügung stehen kann. Und wenn sie auf diese Weise bewahrt wird, kann sie umgeformt werden, so wie greifbares grobstoffliches Wasser in Dampf umgeformt werden kann. Dann kann sie Wunder wirken. Ein Fluss an sich hat vielleicht nicht besonders viel Kraft. Es ist vielleicht möglich, ihn rudernd oder schwimmend problemlos zu überqueren. Wenn er aber aufgestaut und das Wasser zurückgehalten wird, hat er, richtig gelenkt, die Kraft, riesige Turbinen anzutreiben. Die glühend heiße Sonne wird normalerweise nicht einmal im Sommer ein Feuer entfachen; wenn die Strahlen aber durch eine Linse gebündelt werden, verbrennen diese Strahlen sofort alles, worauf sie gerichtet sind. Darum geht es eigentlich beim Zölibat.
Die interessante Frage ist nun: Woher kommt diese Energie, was ist ihr Ursprung? Nach Jahren der Theorie und des Forschens sind moderne Physiker zum Schluss gekommen, dass alles das, was in der Natur existiert, nicht greifbare feste Materie als solche ist. Es ist Energie, Energie, die den gesamten Kosmos, den ganzen Raum erfüllt.
Und unsere Vorfahren haben gesagt, dass diese kosmische Energie die Himmelskörper in ihrer Bahn hält. Sie alle werden von dieser geheimnisvollen, unerklärbaren, unbeschreiblichen und unvorstellbaren Energie in Bewegung gehalten. Und sie betrachteten diese Energie als etwas Göttliches, etwas, das weder Anfang noch Ende hat. Sie ist ewig und alldurchdringend. Es gibt keinen Ort, an dem sie nicht ist. Und im Menschen existiert diese Energie als Sexualkraft. Die Hindus betrachteten diese Energie als heilig, als etwas Verehrungswürdiges, das nicht vergeudet werden darf. Sie sagten, diese Energie sei nichts anderes als die Manifestation der Göttlichen Mutter, die kosmische Energie; deshalb muss ihr mit Ehrerbietung begegnet werden.
Diese kosmische Kraft manifestiert sich in unserem System als Prana (Lebensenergie, Lebenskraft). Und Prana ist der wertvolle Vorrat, der dem Suchenden zur Verfügung steht. Jede Sinnesaktivität oder Sinneserfahrung verbraucht eine große Menge Prana. Und die Aktivität, die das meiste Prana verbraucht, ist der Geschlechtsakt. Das höchste aller Ziele im menschlichen Leben, spiritueller Erfolg, erfordert ein Maximum an verfügbarem Prana auf allen Ebenen: geistig, intellektuell und emotional. Prana ist notwendig für spirituelle Reflexion und Unterscheidung. Das Denken muss scharf und der Intellekt durchdringend sein. Es bedarf einer speziellen Art von Intelligenz, um die inneren Implikationen, die in den Anweisungen eines Gurus enthalten sind, zu verstehen. Man mag ein sehr kluger Mensch sein, und man mag die wörtliche Bedeutung einer Aussage des Gurus sofort erfassen, wenn der Guru aber über ein schwer zu verstehendes Thema spricht, das nicht im Bereich der normalen menschlichen Erfahrung liegt, ist dafür eine spezielle Art von Verständnis erforderlich. Und dieses Verständnis entwickelt sich durch Brahmacharya. Wie ich schon sagte, braucht man für alle diese Praktiken Prana, und Enthaltsamkeit garantiert, dass dem Suchenden große Pranareserven zur Verfügung stehen. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet ist das Zölibat sehr vernünftig und positiv.
Das ist der rationale Aspekt von Enthaltsamkeit. Wenn die Lebensenergie bewahrt und in den spirituellen Prozess der Kontemplation, in philosophisches Studium, Reflexion und Meditation eingebracht wird, werden diese erfolgreich sein, weil die Kraft konzentriert worden ist und man die konzentrierte Kraft steuern und auf die spirituellen Praktiken lenken kann. Wenn sie bewahrt, konzentriert und in bestimmte Kanäle gelenkt wird, kann sie Wunder wirken.
Es gibt noch einen Grund, warum Brahmacharya wichtig ist. Ich spreche jetzt nicht von außergewöhnlichen Menschen, die eine plötzliche Erleuchtung haben und sich dann ein für allemal über die grobstoffliche physische Ebene des Körperbewusstseins zu einer anderen erhoben haben, von der sie nicht mehr zurückkommen. In einem einzigen Augenblick der Erleuchtung wurde Ramana Maharshi im Bewusstsein fest verwurzelt. „Ich bin weder Körper noch Geist, ich bin das unsterbliche Selbst. Ich habe weder Raum noch Zeit, ich wurde nie geboren.“ Im Bruchteil einer Sekunde – einen Moment vorher war er ein ganz normaler Schüler, und dann weiß er plötzlich, dass er das ist, was die Bhagavad Gita so beschreibt: „Feuer kann dich nicht verbrennen; Wasser kann dich nicht benetzen; Waffen können dir nichts anhaben; der Wind kann dich nicht austrocknen. Du bist nie geboren worden, du bist ewig, jenseits der Zeit. Tod gibt es nicht für dich“ – er wurde ein für allemal in dieser Erfahrung gefestigt, und er verließ diesen Zustand nie mehr. Sein ganzes Leben lang ließen ihn die Dinge, die um ihn herum vorgingen, unberührt. Sie hatten keinen Einfluss auf ihn. Aber ich spreche nicht von solchen Menschen.
Schon vor langer Zeit forschte die Vedanta über dieses Thema der menschlichen Situation, und die Weisen sahen klar und deutlich, dass 9.999 von 10.000 vollkommen in diesem Zustand von „Ich bin dieser Körper“ gefangen waren. Sie sahen ihre Identität einzig und allein als physisches Wesen mit Händen und Füßen, Augen und Ohren, das isst, trinkt, schläft, spricht und verschiedene Dinge tut. Sie sind also völlig körpergebunden. Ihr Bewusstsein bewegt sich auf der Ebene des physischen Körpers. Das ist die Situation. Aber der spirituell Suchende strebt nach dem kosmischen Bewusstsein, der inneren Realität, die über Zeit, Raum, Name und Form hinausgeht. Wenn man also ihren gegenwärtigen Bewusstseinszustand der Erfahrung gegenüberstellt, die sie zu erreichen wünschen, kann man sich leicht vorstellen, wie unmöglich dieses Vorhaben wäre, wenn sie sich weiterhin vollständig mit dem physischen Körper und all seinen Funktionen identifizieren würden.
Die meisten körperlichen Vorgänge finden mechanisch statt. Kaum jemand ist sich sehr deutlich bewusst, dass er isst, trinkt, schläft, ausscheidet. All das hat sich automatisiert. Der einzige Vorgang allerdings, den die meisten Menschen mit Zielstrebigkeit ausführen, nach dem sie großes Verlangen haben – den sie wollen, an den sie denken, den sie planen und hinter dem sie her sind -, ist die sexuelle Befriedigung. Was bedeutet, dass dies ein Vorgang ist, der ihr gesamtes Bewusstsein, ihren ganzen Geist und ihre volle Aufmerksamkeit auf das Körperliche, auf ihre physische Identität lenkt. Einerseits ist der Geschlechtsakt der Gipfel der Körperlichkeit oder Animalität. Es ist ein Prozess, der notgedrungen die gesamte Aufmerksamkeit auf das Körperliche und noch mehr die volle Konzentration des Wünschens und Strebens auf den Teil der physischen Natur lenkt, den der Mensch mit dem gesamten Tierreich teilt. Wird dies irgendwie dazu beitragen, kosmisches Bewusstsein zu erlangen?
Da ist also ein Mensch, die Krone und erhabener Ausdruck der Schöpfung Gottes, allen anderen Lebewesen weit überlegen, der sich zur grobstofflichen, physischen, materiellen und animalischen Ebene herablässt und sich ihr völlig hingibt: Er sucht es, er will es, er bemüht sich darum, er tut alles, um es zu bekommen, er lässt sich darin gehen, und er will, dass es immer verfügbar ist. Das heißt, der Mensch bindet sich mit voller Absicht an eine Ebene des physischen Bewusstseins.
Wenn du ein spirituell Suchender bist, kannst du denn nicht erkennen, dass du dir selbst im Wege stehst? Du musst das Bewusstsein aus den niederen Ebenen befreien und fortwährend zu immer höheren und höheren Ebenen feinerer und immer subtilerer Zustände erheben. Denn wenn der gesamte spirituelle Prozess von Erleuchtung und Erkenntnis ein Prozess des sich Erhebens zu einem höheren Bewusstseinszustand ist, impliziert das automatisch, dass man sich aus einem niederen Bewusstseinszustand befreit. Wenn du nach Norden gehen willst, bewegst du dich automatisch vom Süden weg. Und eines der Dinge, die dabei helfen, sich aus der Gefangenschaft auf dieser physischen Ebene zu befreien, ist Enthaltsamkeit. Das kosmische Bewusstsein, das absolute Bewusstsein, ist Lichtjahre entfernt, wenn man nicht die Notwendigkeit erkennt, sich von der absoluten Identifikation mit dem Körper zu befreien.
Frage: Gibt es spezielle Phasen im spirituellen Leben, in denen Enthaltsamkeit besonders wichtig oder sogar unabdingbar wird?
Swami Chidananda: Ja und nein. Einerseits ist Enthaltsamkeit das eigentliche Fundament. Es ist der allererste Abschnitt, die ABC-Phase. Man kann also sagen, dass es nicht irgendwann wichtig oder unerlässlich wird, sondern dass es von Anfang an essentiell ist.
Swami Chidananda: Wenn man nach Authentizität und Aufrichtigkeit strebt und wenn das Streben die Form eines totalen Engagements für die spirituelle Erfahrung und vollen Einsatz in diese Richtung hin annimmt, dann darf man nur in diese eine Richtung gehen. Man kann nicht zwei Dinge gleichzeitig verfolgen. Das wäre ein Schritt vorwärts und einer zurück, ohne dass man je wirklich weiterkäme.
Das spirituelle Leben beginnt mit der Erkenntnis, dass man keinen Schritt vorankommt, wenn man sich blindlings in das Streben nach Sinnesbefriedigung und Vergnügen stürzt. Dann bleibt alles akademisch und theoretisch. Das Bemühen und der Wunsch nach spirituellem Leben bestehen dann nur in der Theorie – eine Laune und ein Gefühl. Man hat gar nicht begonnen. So ist also die Anfangsphase des spirituellen Lebens an und für sich eine Abkehr von Sinnesbefriedigungen und -erfahrungen und ein Start in die entgegengesetzte Richtung.
Swami Sivananda sagte: „Brahmacharya ist die Grundlage für Unsterblichkeit.“ Und an vielen Stellen in den Upanishaden heißt es: „Man kann keine Weisheitserfahrung machen, wenn man seine Sinne nicht beherrschen und die Wechselhaftigkeit seines wandernden Geistes nicht kontrollieren kann.“ Ich denke also, es ist nicht in irgendeiner Phase des spirituellen Lebens, sondern immer bedeutend. Denn im spirituellen Leben geht es um das Transzendieren der menschlichen Natur und des menschlichen Bewusstseins. Und wenn es ein Transzendieren ist, muss man all das hinter sich lassen, was die menschliche Natur, die Körperlichkeit, ausmacht. Man muss damit beginnen und damit weitermachen. Du siehst Enthaltsamkeit als etwas Positives und nicht als etwas Unnatürliches. Du hast in keiner Weise das Gefühl, dass du dir irgendeine Gewalt antust.
Letztendlich, vom rein wissenschaftlichen und technischen Standpunkt aus gesehen, ist einer der Yogas, bei dem die Enthaltsamkeit absolut unabdingbar ist, Kundalini Yoga (die Praxis des Erweckens der Lebensenergie). Da gibt es keinen Kompromiss. Von allem Anfang an ist sie absolut wichtig und unerlässlich. Es kann ansonsten gefährlich sein. Soviel zum „Nein-Teil“ der Antwort.
Was das „Ja“ betrifft, ist zu sagen, dass es im gesamten Kontext des spirituellen Lebens in Indien gewisse Phasen und Situationen gibt, wo man hoch spirituell sein und trotzdem ein normales sexuelles Leben führen kann. Das gilt vor allem für den Bhakti-Weg – Menschen, die den Weg der Liebe zu Gott gehen: Gebet, Frömmigkeit und Gottesdienst, das Wiederholen des göttlichen Namens und Singen Seiner Herrlichkeit.
Dieser Pfad macht keinen Unterschied zwischen einem zölibatären Brahmachari, einer verheirateten Person mit Familie oder einem Paar, das sich von der Welt zurückgezogen hat und seinem Leben eine spirituelle Ausrichtung gibt, nachdem die Pflichten innerhalb der Familie erfüllt sind. Der Pfad der Frömmigkeit scheint eine Dimension des spirituellen Lebens in Indien darzustellen, wo nicht auf dem absoluten Zölibat in seiner Form als totaler Enthaltsamkeit bestanden wird. Es wird nicht abgelehnt, aber es wird auch nicht darauf bestanden. Da der Geschlechtsakt aber ein großes Maß an Prana-Energie verbraucht, ist auch hier eine natürliche Zurückhaltung erforderlich. Und Sex mit verschiedenen Partnern wurde niemals unterstützt, niemals positiv gesehen. Es kann also auch eine Form von Zurückhaltung durch Selbstbeherrschung und Treue in der sexuellen Beziehung zum gesetzlich anerkannten Partner als Brahmacharya gesehen werden.
Und dies war bei so vielen Gläubigen der Fall, bei Menschen, die Gott liebten, und im spirituellen Indien mangelt es dafür nicht an Beispielen. In ganz Indien sahen wir das Phänomen großer Gemeinschaften von ekstatischen Gottesverehrern, und die meisten oder fast alle waren verheiratet und führten ein normales sexuelles Leben; trotzdem gingen sie vollkommen in der Liebe zu Gott auf. Soviel also zum „Ja“. In dieser Situation scheint Sexualität keinesfalls verboten oder mit dem spirituellen Leben unvereinbar zu sein.
Frage: Ich nehme an, dass die vedantische Untersuchung, der eher intellektuelle Zugang zum spirituellen Leben, ebenfalls nicht unvereinbar mit einem normalen Eheleben wäre.
Swami Chidananda: Ja, ja. Aber in einem vedantischen Leben würde der Mensch allmählich, unbewusst und ohne es überhaupt zu beabsichtigen, im Laufe der Zeit zu einer Bewusstseinsebene gelangen, wo Sex überflüssig zu erscheinen beginnt. Weil es ja der Grundthese der Vedanta widerspricht: „Ich bin nicht dieser Körper. Ich bin nicht die fünf Elemente. Ich bin nicht die begrenzenden Hüllen. Ich bin etwas ganz anderes.“ Und für dieses andere Etwas ist Sex bedeutungslos. Denn es befindet sich nicht im Bereich des physischen Bewusstseins und der physischen Funktionen.
Frage: Enthaltsamkeit wird im modernen Westen oft als unzeitgemäße und altmodische Praxis betrachtet. Sie wird oft für repressiv und lebensverneinend gehalten – ja, sogar als Antithese zu dem, worum es in der spirituellen Praxis eigentlich geht. Viele spirituelle Autoritäten im Westen lehren jetzt, dass wir unsere Sexualität annehmen müssen, um unser volles Potential als Menschen auszuschöpfen, und sie in keiner Weise verdrängen oder unterdrücken dürfen. Diese Ansichten stehen in sehr krassem Widerspruch zu dem, was die großen Traditionen immer gelehrt haben. Was sagen Sie zu diesem Punkt?
Swami Chidananda: Ich stimme nicht mit dieser allgemeinen Meinung, die gerade zum Ausdruck gebracht wurde, überein. Es wurde verabsäumt, den Platz von Brahmacharya im spirituellen Leben in Betracht zu ziehen. Es ist nicht unzeitgemäß; es ist überhaupt nicht altmodisch, und es ist nicht repressiv oder lebensverneinend. Im Gegenteil, es wird zur Plattform für ewiges und immerwährendes Leben.
Diese Sicht des Lebens scheint sehr eingeschränkt und eng zu sein. Das Leben hier ist nicht das einzige Leben. Wenn man einen kleinen Eindruck, eine Idee davon erhält, was Leben wirklich ist, wird man ganz einfach verblüfft sein. Dieses gegenwärtige Leben ist ohne Bedeutung. Es ist eine unbedeutende Lappalie, ein Nichts, wenn es nicht in seiner Funktion als Sprungbrett zum Abheben in ein größeres Leben verstanden wird. Dieses Leben ist ein Mittel, um das großartige, erhabene und große Ziel und den Zweck der menschlichen Existenz zu erfüllen, nämlich in ein Leben einzugehen, das das Leben Gottes ist, das eins ist mit dem Leben Gottes, mit dem Königreich des Himmels. Das ist der einzige Sinn der menschlichen Existenz. Das menschliche Leben wurde uns als ein übergang zur Göttlichkeit gegeben, als übergang zum ewigen Leben.
Brahmacharya bedeutet also weder Unterdrücken noch Verdrängen von Sexualität. Die Sexualität wird umgangen – und dieses sexuelle Potential wird für etwas verwendet, das zehnmal, hundertmal großartiger ist. Deshalb ist es ein Missverständnis, von Unterdrückung oder Verdrängung zu sprechen. Das liegt an einem mangelnden Verständnis dafür, was es mit der wirklichen spirituellen Suche auf sich hat. Wenn man es richtig versteht, wird man nicht so darüber sprechen. Wir sind nicht einfach Menschen, wir sind mehr als Menschen. Unsere Erscheinungsform als Menschen ist nur ein schwacher Widerschein dessen, was wir in Wahrheit sind. Der einzige Grund, warum unsere Erscheinungsform als Menschen von Bedeutung und Wichtigkeit ist, besteht darin, dass sie uns, wenn sie richtig verwendet wird, erhebt und dahin bringt, wohin wir eigentlich gehören, in das Königreich – auf das wir ein Geburtsrecht haben.
Doch ist die Vorstellung im Westen, dass Brahmacharya Unterdrückung ist, zumindest in einer Hinsicht nicht ganz abwegig. Wenn ein natürliches Potential unterdrückt oder verdrängt wird, kann das unerwünschte Veränderungen in der Persönlichkeit hervorrufen. Wenn Brahmacharya einem Menschen gegen seinen Willen und gegen seine überzeugung aufgezwungen wird, können daraus natürlich abnorme Zustände resultieren, weil der Mensch dazu veranlasst wird, etwas zu tun, was er oder sie tief im Inneren nicht tun will – gezwungen von anderen, von sozialen Zwängen oder durch das Ablegen von Gelübden, die er oder sie nicht hätte ablegen sollen, ohne vorher genau und gut überlegt zu haben, was damit verbunden ist.
Wenn aber ein intelligenter Mensch die gesamte Situation des Lebens gut durchdacht hat, sich sagt: „Wenn ich etwas Großes und Mächtiges erreichen will, kann ich es mir nicht leisten, die mir zur Verfügung stehenden Energien zu verschwenden. Je mehr ich sie bewahre, desto mehr kann ich sie für diese Absicht einsetzen, und desto besser sind die Chancen auf Erfolg.“
Wenn der Mensch so denkt und die rationale Seite dessen verstanden hat, und wenn die höchste Errungenschaft, zu der er strebt, ihm das wert ist, wenn er oder sie aus freiem Willen, mit voller Absicht und großer Begeisterung zum Zölibat schreitet, wo ist dann Unterdrückung? Ganz im Gegenteil, das, was als Selbstverleugnung erscheint, gibt effektiv einer höheren Dimension unseres Wesens Ausdruck, in die man sich jetzt begeben hat. Also weit davon entfernt, darauf zu verzichten, sich selbst Ausdruck zu verleihen, gibt es dem Menschen seinen vollen Ausdruck, da er sich nicht länger mit dem geringeren Aspekt seiner Gesamtpersönlichkeit identifiziert. Er identifiziert sich mit dem höheren Aspekt. Es ist eine Art Befreiung und Entwicklung hin zu einem höheren Niveau. Es ist etwas Positives, Kreatives und nicht etwas Negatives. Es ist kein Verneinen, sondern effektiv ein Ausdruck seiner selbst.
Wenn das so gesehen wird, irren Freud und die anderen. Sie haben eine solche Situation oder Möglichkeit nie erwogen. Und es ist nicht nur eine Möglichkeit, es ist eine Jahrhunderte oder Jahrtausende alte Tradition – für jemanden, der bereit ist, alles zu tun, alles zu geben und jeden Preis dafür zu bezahlen, um das Höchste zu erlangen.
Frage: Warum lässt Ihrer Meinung nach schon allein der Gedanke an das Zölibat die Menschen im Westen heute oft mit Zorn oder Entrüstung reagieren?
Swami Chidananda: Ich würde sagen, Andrew Cohen (amerikanischer spiritueller Lehrer und Schriftsteller) wäre besser in der Lage und kompetenter, diese Frage zu beantworten, als ich, für den diese Frage akademisch und theoretisch ist, während es für ihn ein wirklicher Erfahrungswert ist. Vielleicht ist dieses Konzept für diese Menschen unannehmbar, weil es ihnen das Streben nach Vergnügen verwehren würde, dem hedonistischen Ansatz (Hedonismus = das private Glück wird als höchstes Gut in der Erfüllung individueller, physischer und psychischer Lust gesehen) in ihrem Leben. Es ist etwas, das westliche Menschen normalerweise nicht hören möchten. Es widerspricht ihrem Lebensstil. Wenn sie das Gefühl vermittelt bekommen, etwas Unsinniges zu tun, fühlen sie sich schuldig. Es ist ihnen sehr unangenehm, und sie werden natürlich zornig. Ich bin sicher, es gibt auch Menschen, die meinen, das Zölibat sei gegen das Gebot der Bibel zur Fortpflanzung. Wenn man also über Brahmacharya in seiner extremen Bedeutung spricht, scheint man gegen das Gebot Gottes zu predigen.
Frage: Tantra, die Praxis von „heiligem Sex“, wird heutzutage im Westen sehr stark. Meinen Sie, dass diese Lehren einen authentischen spirituellen Weg anbieten?
Swami Chidananda: Nein, ich glaube nicht, dass diese Lehren einen authentischen spirituellen Weg anbieten. Warum? Weil die Menschen schwach und beeinflussbar sind. Der menschliche Geist ist so beschaffen, dass er immer den Weg des geringsten Widerstandes nimmt. Er möchte immer den leichten Weg.
Tantra ist eine Methode, um mit Hilfe aller möglichen Sinnenfreuden zu Gott zu kommen. Alles wird Gott hingegeben, und so wird alles heilig; nichts ist profan. Der Mensch genießt die Sinnesbefriedigung und sieht sie noch dazu als Teil der göttlichen Wonne. Es gibt einen Standpunkt, und der ist auch nicht ganz von der Hand zu weisen, der sagt, dass in jeder menschlichen Erfahrung Dualität bestehen bleibt – es gibt das Gefühl von „Ich genieße dieses Objekt“ -, und in der ultimativen sexuellen Erfahrung zwischen einem wirklich liebenden Mann, der die Frau sehr liebt, und wenn dieses Gefühl von der Frau vollständig geteilt wird, gibt es kein Bewusstsein der eigenen Individualität. Es kommt zu einem totalen Verschmelzen des getrennten Bewusstseins ineinander, und es besteht nur das Bewusstsein der Erfahrung, NIEMAND (Gott) erlebt. Es heißt, das wäre möglich, wenn es in Vollendung ausgeführt wird. Die zwei hören auf zu bestehen und es bleibt nur eins, eine nichtduale Erfahrung, eine absolute Erfahrung, ein Bewusstsein von Brahman. Es heißt also, der menschliche Körper wäre ein Werkzeug, das bei richtiger Verwendung dazu verhelfen kann, sich über das Körperbewusstsein zu erheben
Für einen unter einer Million trifft das vielleicht zu!!!
Das Streben nach Genuss ist Teil der westlichen Sicht des Lebens – nicht das Verneinen des Vergnügens. Und einer von zehn Lehrern ist vielleicht auch ein authentischer Lehrer, der es ernst meint und etwas anbietet, das dem westlichen Temperament entspricht. Aber neun von ihnen sind berechnende Leute. Sie wissen, dass ein Markt dafür vorhanden ist, und stellen sich darauf ein. Die Methode ist: Du kannst deinen Kuchen haben, und essen kannst du ihn auch.
Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass es früher einmal in Indien ein authentischer Pfad war, speziell im östlichen Teil. Es gibt ihn auch jetzt noch. Aber er wurde grob verzerrt. Die Menschen verfingen sich darin. Sie sagten, sie würden Tantra praktizieren, aber es war nichts anderes als Wein, Völlerei und sexuelle Befriedigung. Es führte sie nirgendwohin, aber ich nehme an, es führte sie dorthin, wohin sie wollten. Die Methode wurde damals von erleuchteten Menschen auch der „pervertierte Pfad“ genannt. Es entstanden zwei Wege: der authentische Pfad, er wurde der „rechtshändige Pfad“ genannt, und der pervertierte Pfad, bei dem es nur um den Genuss ging. Er wurde der „linkshändige Pfad“ genannt.
Es gibt eine Episode aus dem Leben von Sri Ramakrishna, dem Guru von Swami Vivekananda. Er praktizierte alle Yogapfade und auch Christentum, Islam und andere und stellte fest, dass alles letztendlich zur selben Erfahrung von Gott führte. Und in einer Phase seines spirituellen Lebens praktizierte er auch Tantra. Eine Tantrafrau kam zu ihm und sagte: „Ich bin von Gott hierher gesandt worden, um dich in die tantrische Methode einzuweihen, um zu Gott zu gelangen.“ Tag um Tag legte sie die Methode des Tantra dar. Als sie in die Schlussphase kam, sagte Ramakrishna, der auf Brahmacharya schwor, dass es durch diesen Körper unmöglich ist. Also sagte sie: „Dann werde ich das Ganze vor dir inszenieren.“ Also nahm sie einen Tantramann und eine Tantrafrau, um den endgültigen Vollzug der Praxis vor ihm darzustellen. Er sah Schritt für Schritt zu, und sie erklärte ihm: „Schau genau. Jetzt siehst du, wie sie in Ekstase sind; sie sind ekstatisch. Sie verlieren das Bewusstsein.“ Und an diesem Punkt verlor Ramakrishna plötzlich jedes Bewusstsein. Er ging in tiefen Samadhi (ein wonnevoller Zustand nichtdualen Bewusstseins). So bewies er sich selbst aus zweiter Hand, dass diese ultimative sexuelle Erfahrung den Menschen in diesen Zustand des nichtdualen Bewusstseins erheben kann.
Die Wissenschaft als solche gibt es also, aber es gibt sehr wenige authentische Gurus, und die Praxis muss unter der persönlichen Anleitung eines echten Gurus genauestens befolgt werden. Wahrscheinlich wird man mich der Unbarmherzigkeit bezichtigen, aber ich glaube, dass die meisten, die diesen modernen heiligen Sex propagieren, daran interessiert sind, für sich selbst daraus Profit zu schlagen. Wie ich schon sagte, die Sexualkraft ist etwas Heiliges; sie ist heilig. Sie ist eines der heiligsten Dinge überhaupt. Aber heiliger Sex ist eine irreführende Bezeichnung. Sobald man in der Sexualität hängen bleibt, sagt man der Heiligkeit ade. Das ist so, weil die Menschen schwach sind. Deshalb befürworte ich es nicht.
Frage: Meinen Sie angesichts der zahlreichen Entgleisungen und Fehltritte von Menschen, die das lebenslange Enthaltsamkeitsgelübde abgelegt haben, sowohl im Westen als auch im Osten, dass diese Praxis eventuell auf Menschen beschränkt sein sollte, die schon einen bestimmten Grad an spiritueller Reife erreicht haben?
Swami Chidananda: Diesen Standpunkt würde ich nicht zu hundert Prozent teilen, denn es ist ganz sicher so, dass Menschen, die über einen bestimmten Grad an spiritueller Reife verfügen, diese zuerst einmal wenigstens zum Teil aufgrund von Brahmacharya erreicht haben. Allein die Tatsache, dass sie einen gewissen Grad an spiritueller Reife erlangt haben, zeigt, dass Brahmacharya, zumindest in seiner weiteren Bedeutung, Teil ihrer Natur oder Teil der Methode war, mittels welcher sie zu diesem Grad von Reife gelangt sind. Und ich zögere nicht zu sagen, dass die Verfehlungen und Fehltritte, von denen ihr sprecht, den Wert des Konzepts und die Tradition von Brahmacharya in keiner Weise zu schmälern vermögen. Sie sind einzig und allein auf die Unvollkommenheit des Menschen zurückzuführen.
Andererseits muss ein Mensch, der ein lebenslanges Entsagungs-Gelübde ablegt, sicher sein, dass er dazu berufen ist; es muss ein innerer Ruf zu diesem Leben und zum Aufnehmen des Zölibats vorhanden sein. Es kann nicht eine Entscheidung sein, die auf einem Gefühl und auf emotionaler Euphorie beruht, es ist vielmehr ein Urteil, das durch eine rationale Einschätzung dieses Lebens getroffen wurde.
Des weiteren bestehe ich darauf, dass ein Mensch kein Mönchsgelübde ablegen sollte, solange er nicht alt genug ist, um seine Biologie zu verstehen, und die Erfahrung dessen gemacht hat, was in seinem Inneren vorgeht und womit er sich auseinander zu setzen hat. Man muss sich damit ehrlich auseinander setzen. Ich würde auch vorschlagen, dass ein Mensch das lebenslange Enthaltsamkeitsgelübde erst dann ablegen kann, wenn er eine Zeit lang beobachtet und geführt worden ist. In der Ramakrishna-Mission zum Beispiel ist ein Mensch ein volles Jahr lang im Vornovizenstadium. Darauf folgt ein mindestens acht Jahre dauerndes Noviziat. Erst dann ist er dazu berechtigt, darum zu bitten, ein wirklicher Swami zu werden. Diese Art der Aufnahme, des Siebens und Beobachtens würde vielleicht viele dieser Fehltritte und Verfehlungen verhindern. Einem Menschen wird erst nach einer bestimmten Phase im spirituellen Leben gestattet, das Gelübde abzulegen. Und trotzdem, auch wenn alle Bedingungen, von denen ich gesprochen habe, erfüllt wurden, ist noch immer extreme Vorsicht geboten, so lange, bis eine Phase erreicht ist, wo Brahmacharya zum normalen und natürlichen Zustand des Menschen geworden ist.
Brahman, das Absolute, ist der höchste Brahmachari, denn Es ist eins ohne ein Zweites, und wenn man in Brahman fest verwurzelt ist, befindet man sich in eben diesem selben Zustand – wo es kein Zweites gibt, wo es nichts anderes gibt. Es kommt eine Phase, wo man absolut frei und ohne sexuelle Gedanken ist. Es gibt nicht Sex oder Mann oder Frau oder dies oder das, weil sich die Sichtweise geändert hat. Ganz getrennt von allem, was um ihn herum ist – die Welt, in der er lebt – hat sich der Mensch vollständig verändert. Das Bewusstsein ist nicht mehr auf dieser Ebene, wo diese Dinge wichtig und von Bedeutung sind. Wenn sich das Bewusstsein an einem anderen Ort befindet, dann sieht man zwar die Dinge, man nimmt sie wahr, aber sie sind uninteressant. Man sieht dies und man sieht jenes; man sieht alles, aber es kommt dadurch zu keiner Veränderung im Bewusstseinszustand, der immer derselbe bleibt. Das ist die letztendliche Transzendenz, eine Möglichkeit und ein Ideal, die man anstreben und erreichen muss. Das wünscht der Guru für den Schüler. Das wünscht der Heilige für den normalen Menschen. Aber bevor es soweit kommt, besteht immer das Risiko zu fallen. Deshalb sagen unsere Heiligen, dass bis zum letzten Atemzug Vorsicht geboten ist.
Frage: Was ist der Schlüssel zum Erfolg in Brahmacharya?
Swami Chidananda: Es kommt darauf an, wie du es betrachtest!
Zuerst einmal kommt es darauf an, wie man es versteht. Brahmacharya bedeutet, die Richtung zu ändern, sich auf ein höheres Ziel auszurichten und das fundamentale Basisenergiepotential des Universums, das im Individuum anwesend ist, zu nutzen. Es ist der individualisierte und mikrokosmische Aspekt der unbegrenzten, unendlichen kosmischen Urkraft, welcher der makrokosmische Aspekt, der dynamische Aspekt der einen, nichtdualen Realität ist. Bekanntlich ist der statische Aspekt Brahman, die transzendentale nichtduale Realität. Und der kinetische oder dynamische Aspekt ist dasselbe in Manifestation oder im Ausdruck, in Bewegung.
Der individualisierte Aspekt dieser Urkraft, der in allen Wesen ist, ist dieses Potential für das ungebrochene Weiterbestehen der Existenz. Dieses Potential ist praktisch überall. Der bloße Umstand, dass man in der Lage ist, es zu beschreiben, zu definieren und mit Begriffen der modernen Physik oder Chemie zu erklären, verändert in keiner Weise die tatsächliche metaphysische oder philosophische Tatsache seiner wahren Natur. Physikalisch ist es vielleicht mit Begriffen von Druck etc. zu erklären, aber das ist nichts als eine Erklärung für etwas, das bereits ein transformierender kontinuierlicher Prozess von Sein und Werden ist. Dieses schöpferische Potential, die Schöpfungskraft, ist überall im Pflanzen- und im Tierreich vorhanden. Es ist nichts anderes als das, was sich als all die verschiedenen Kräfte im Menschen manifestiert – die Kraft zu handeln, die Kraft zu denken, die Kraft zu sehen, zu hören, zu riechen, zu schmecken, zu verdauen, zu atmen – alles. Und genau das ist auch in beiden Geschlechtern als sexuelle Energie vorhanden. Da diese Kraft nun der Schlüssel des Lebens ist, ist ihre Bedeutung leicht einzusehen, und man kann sich auch vorstellen, von welch hoher Qualität sie ist.
Wenn man es so verstehen kann – d. h. die wahre heilige kosmische Natur als mikrokosmischen Aspekt der makrokosmischen Shakti erkennt -, nimmt man diesem Phänomen gegenüber eine gesunde Haltung der Verehrung ein. Es ist nicht etwas, was man einfach ausspuckt. Kleingeld mag man vielleicht ohne weiteres ausgeben, wenn man aber Goldmünzen hat, trennt man sich nicht so leicht von ihnen. Ehrfurcht ist also die Frucht dieses Verstehens. Außerdem erkennt der Suchende und sieht klar: „Da gibt es für mich etwas sehr Wichtiges zu tun. Ich habe ein großes Ziel zu erreichen, und ich brauche alle Energie, die mir zur Verfügung steht, für mein spirituelles Streben. Ich kann es mir nicht leisten, sie in andere Kanäle fließen zu lassen, um ein geringeres Ziel zu erreichen.“ Mit den Worten von Swami Krishnananda: „Es ist besser, auf einen Löwen zu zielen und ihn zu verfehlen, als auf einen Schakal und ihn zu treffen.“
Der erste Schlüssel zum Erfolg in Brahmacharya besteht also darin, das Heilige und Wertvolle des vorhandenen Energiepotentials zu erkennen und zu verstehen. Wenn man klar erkannt hat, dass es dazu da ist, bewahrt, erhalten und zum Allergrößten gelenkt zu werden, das man erlangen kann, dann hat man den Wunsch, Brahmachari zu sein. Dann wird es als etwas höchst Positives gesehen.
Ein zweiter Schlüssel zum Erfolg und eine Möglichkeit, sowohl Brahmacharya als auch Sexualität zu betrachten, ist sogar noch grundlegender, und es handelt sich dabei um einen der beiden Faktoren, die ich weitgehend selbst angewandt habe. Es ist das klare Erkennen, dass in allererster Linie das, was man als das männliche Geschlechtsorgan bezeichnet, überhaupt kein Geschlechtsorgan ist. Es ist nichts anders als ein Rohr zur Harnausscheidung. Das ist es, und das ist seine Hauptfunktion von dem Augenblick an, wenn das Kind den Mutterschoss verlässt, bis ins Grab.
In der Tat ist Sex genau genommen nicht eigentlich Teil unserer Anatomie. Sex ist nicht im Harnausscheidungsorgan; Sex ist im Geist des Menschen. Es ist also eine Frage der geistigen Einstellung. Wenn man davon überzeugt ist und der Geist darauf trainiert wird, es gesund und rational zu sehen – dieses Organ ist nur etwas zum Ausscheiden; sein Hauptzweck ist nicht der, der die Welt beherrscht und verrückt macht – dann ist man bereits frei davon. Es übt dann keine Obsession mehr aus, weil man es dann nicht so sieht, wie der Großteil der unglücklichen menschlichen Gesellschaft es zu sehen veranlasst wurde.
Wenn man darüber nachdenkt, dann ist die Hauptfunktion des Geschlechtsakts der höchst wichtige und unerlässliche Prozess der Fortpflanzung. Von einem höheren metaphysischen Standpunkt aus gesehen kooperieren Mann und Frau mit dem Schöpfer zur Erhaltung der Art, damit die Schöpfung fortbestehen kann. Das ist die Hauptfunktion, nicht die Erfahrung von Genuss, die damit verbunden ist. Das ist eine sekundäre Erscheinung. Warum wurde diese Erfahrung also so genussvoll gemacht? Es musste so sein. Die Funktion der Fortpflanzung, das Weiterbestehen der Art ist durch den Geschlechtsakt garantiert, und wenn dieser nicht mit einer Supererfahrung von Freude und Genuss kombiniert wäre, hätte sich niemand dafür interessiert, und er hätte seinen Zweck verfehlt. Also kombinierte Mutter Natur in ihrer übergroßen Weisheit die beiden Dinge.
Eine Interview mit Swami Chidananda von Bill Eilers und Susan Eilers. Bill Eilers und Susan Eilers (Swami Atmaswarupananda und Swami Amritarupananda) wurden in Kanada geboren. Beide leben schon lange im Sivananda Ashram, und beide haben das lebenslange Mönchsgelübde abgelegt. Nebst anderen Aktivitäten arbeiten sie gemeinsam an der Bearbeitung von Swamijis Vorträgen für die Veröffentlichung.
Quelle: Das göttliche Leben
Aus dem Leben Swami Chidanandas
Sridhar Rao, wie Swami Chidananda genannt wurde, bevor er Sannyasa (den Lebensstand der Entsagung) annahm, wurde am 24. September 1916 als zweites von fünf Kindern und ältester Sohn von Srinivasa Rao und Sarojini geboren. Sri Srinivasa Rao war ein wohlhabender Zamindar (reicher Landbesitzer) dem eine Reihe von Dörfern, ausgedehnte Ländereien und palastartige Gebäude in Südindien gehörten. Sarojini war eine ideale indische Mutter, die für ihre Heiligkeit bekannt war.
Als er acht Jahre alt war, wurde Sridhar Raos Leben von einem gewissen Sri Anantayya, einem Freund seines Großvaters, der ihm Geschichten aus den Epen Ramayana und Mahabharata zu erzählen pflegte, beeinflusst. Tapas (Entsagungen) auf sich zu nehmen, ein Rishi (Weiser) zu werden und eine Vision des Herrn zu haben – diese Dinge wurden für ihn zu Idealen, die er in Ehren hielt.
Sein Onkel, Krishna Rao, schirmte ihn gegen den schlechten Einfluss der materialistischen Welt um ihn ab und säte in ihm die Samen des Nivritti Lebens (Leben der Entsagung), die er freudig nährte, bis sie, wie spätere Ereignisse bewiesen, zu Heiligkeit erblühten.
Seine Grundschulausbildung begann in Mangalore. 1932 kam er auf die Muthiah Chetty Schule in Madras, wo er sich als erstklassiger Schüler hervortat. Durch seine fröhliche Persönlichkeit, sein vorbildliches Betragen und seine außergewöhnlichen Charaktereigenschaften verdiente er sich einen besonderen Platz in den Herzen aller Lehrer und Schüler mit denen er in Kontakt kam.
1936 wurde er vom Loyola College aufgenommen, dessen Tore sich nur den brilliantesten Schülern öffnen. 1938 ging er mit dem akademischen Grad eines Bachelor of Arts daraus hervor. Dieser Zeitabschnitt der Studentenschaft an einem überwiegend christlichen College war von Bedeutung. Die glorreichen Ideale Jesu, der Apostel und der anderen christlichen Heiligen waren in seinem Herzen ein Synthese mit den besten und edelsten Elementen der Hindu-Kultur eingegangen. Für ihn war das Studium der Bibel keine bloße Routine; sie war für ihn das lebendige Wort Gottes, genauso lebendig und echt wie die Worte der Veden, der Upanishaden und der Bhagavad-Gita. Die ihm angeborene Weite der Sichtweise machte es ihm möglich, Jesus in Krishna zu sehen, und nicht Jesus an Stelle von Krishna. Er war genauso sehr ein Verehrer Jesu Christi wie Vishnus, des Herrn.
Die Familie war bekannt für ihre hochstehenden Verhaltensnormen, und diese flossen in sein Leben ein. Wohltätigkeit und Dienst waren die glorreichen, tiefverwurzelten Tugenden der Mitglieder der Familie. Diese Tugenden fanden ihre Verkörperung in Sridhar Rao. Er entdeckte Mittel und Wege, sie zu zeigen. Niemand, der ihn um Hilfe bat, wurde ohne sie fortgeschickt. Er gab großzügig an die Bedürftigen.
Dienst an Leprakranken wurde zu seinem Ideal. Er baute für sie Hütten auf den riesigen Rasenflächen seines Zuhauses und kümmerte sich um sie, als seien sie Gottheiten. Später, nachdem er sich dem Ashram (Einsiedelei) angeschlossen hatte, fand dieser frühe Wesenszug in ihm vollständigen und freien Ausdruck, wo selbst die besten Menschen sich nur selten in dieses großartige Reich der göttlichen Liebe vorwagten, das auf der höchsten Weisheit, dass alle eins sind in Gott beruht. Patienten aus der Nachbarschaft, die an den schlimmsten Krankheiten litten, kamen zu ihm. Für Sridhar Rao war der Patient niemand anders als Narayana, Gott selbst. Er diente ihm mit zärtlicher Liebe und Mitgefühl. Schon die bloßen Bewegungen seiner Hände brachten zum Ausdruck, dass er dem lebenden Gott Narayana diente. Nichts konnte ihn davon abhalten, den leidenden Bewohnern des Ashrams Trost zu spenden, unabhängig von der Dringlichkeit anderer Angelegenheiten, mit denen er gerade beschäftigt war.
Dienst, insbesondere an den Kranken, brachte oft die Tatsache zum Vorschein, dass er keinen Begriff von seiner getrennten Existenz als Individuum hatte. Es schien, als hinge sein Körper nur lose an seiner Seele.
Dieser Dienst war auch nicht auf Menschen beschränkt. Vögel und Tiere beanspruchten seine Aufmerksamkeit genauso sehr wie, wenn nicht sogar mehr als Menschen. Er verstand ihre Sprache des Leidens. Sein Dienst an einem kranken Hund rief die Bewunderung Gurudevs (wenn von Gurudev die Rede ist, dann ist Swami Sivananda gemeint) hervor. Er pflegte seinen Finger zu strenger Ermahnung zu heben, wann immer er sah, wie jemand in seiner Gegenwart stumme Tiere quälte.
Sein tiefes und andauerndes Interesse am Wohl der Leprakranken hatte ihm das Vertrauen und die Bewunderung der staatlichen Autoritäten eingebracht, als er in die vom Staat gegründete Vereinigung für die Aussätzigen-Wohlfahrt gewählt wurde – zuerst als Zweiter Vorsitzender und später als Vorsitzender für das Komitee für den Bereich um Muni-ki-reti (Wallfahrtsort bei Rishikesh am Fuß des Himalaya).
Obwohl er in eine wohlhabende Familie hineingeboren wurde, mied er schon früh die Freuden dieser Welt, um sich der Abgeschiedenheit und der Kontemplation zu widmen. In Bezug auf Studium waren es die spirituellen Bücher, die die größte Anziehung auf ihn ausübten, mehr als College-Bücher. Sogar als er auf dem College war, mussten die Lehrbücher hinter den spirituellen Büchern den zweiten Rang einnehmen. Die Werke von Sri Ramakrishna, Swami Vivekananda und Sri Gurudev hatten Vorrang vor allen anderen. Er teilte sein Wissen mit anderen in solchem Ausmaß, dass er praktisch der Guru des Haushalts und der Nachbarschaft wurde, zu der er über Ehrlichkeit, Liebe, Reinheit, Dienen und Hingabe an Gott zu sprechen pflegte. Er pflegte sie dazu zu ermahnen, Japa (Wiederholung eines Mantras) von Rama-Nama auszuführen. Als er noch keine dreißig war, begann er, junge Menschen in dieses großartige Rama Taraka (zur Befreiung führende) Mantra einzuweihen. Er war ein glühender Bewunderer der Sri Ramakrishna Math in Madras und nahm dort regelmäßig an den Satsangs (Zusammensein mit den Weisen) teil. Swami Vivekanandas Aufforderung zu entsagen hallte in seinem reinen Herzen wider. Es dürstete ihn ständig nach dem Darshan (Anblick) von Heiligen und Sadhus (Entsagten), die die Metropole besuchten.
Im Juni 1936 verschwand er von zuhause. Nach einer intensiven Suche seiner Eltern wurde er in dem abgeschiedenen Ashram eines heiligen Weisen, einige Meilen entfernt von dem heiligen Berg-Schrein Tirupati, gefunden. Nach einiger überredung kehrte er nach Hause zurück. Diese zeitweilige Trennung war nur eine Vorbereitung für den letztendlichen Abschied von der Welt der Anhaftungen an Familie und Freunde. Während er zu Hause war, weilte sein Herz in den stillen Wäldern spiritueller Gedanken, mit dem ewigen Pranava-Nada (mystischer Klang der Ewigen) der Jnana Ganga (Fluss des Wissens) in seinem Innern im Takt schlagend. Die sieben Jahre zu Hause, die auf seine Rückkehr von Tirupati folgten, waren gekennzeichnet durch Abgeschiedenheit, Dienen, intensives Studium spiritueller Literatur, Selbstbeherrschung, Beherrschung der Sinne, Einfachheit bezüglich Essen und Kleidung, das Aufgeben aller Bequemlichkeiten und das Praktizieren von Entsagungen, welches seine innere spirituelle Kraft vergrößerte.
Die endgültige Entscheidung kam 1943. Er stand bereits in Korrespondenz mit Sri Swami Sivanandaji Maharaj aus Rishikesh. Er erhielt Swamijis Erlaubnis, sich dem Ashram anzuschließen.
Als er im Ashram ankam, übernahm er auf natürliche Weise die Verantwortung für die Apotheke. Er wurde der Mann mit der heilenden Hand. Der wachsende Ruf seiner göttlichen heilenden Hand zog einen Strom von Patienten zur Sivananda Charitable Dispensary (der Erste-Hilfe-Station des Ashrams) an.
Schon sehr bald nachdem er sich dem Ashram angeschlossen hatte, lieferte er reichliche Beweise für die Genialität seines Verstandes. Er gab Vorträge, schrieb Artikel für Zeitschriften und gab den Besuchern spirituelle Unterweisungen. Als die Yoga-Vedanta Forest University (heute bekannt als die Yoga-Vedanta Forest Academy 1948 gegründet wurde, würdigte Sri Gurudev ihn auf angemessene Weise, indem er ihn zum Vize-Kanzler und Professor für Raja-Yoga ernannte. Während seines ersten Jahres inspirierte er die Studenten mit seiner genialen Darstellung von Maharishi Patanjalis Yoga-Sutras.
Es war ebenfalls im ersten Jahr seines Aufenthalts im Ashram dass er sein magnum opus „Light Fountain“, eine unsterbliche Biographie von Sri Gurudev, schrieb. Sri Gurudev selbst bemerkte einmal: „Sivananda wird vergehen, aber „Light Fountain“ wird weiterleben“.
Trotz seiner vielfältigen Tätigkeiten und seines intensiven Sadhana (spirituelle Praxis) gründete er 1947 unter der Führung von Gurudev das Yoga-Museum, in dem die gesamte Vedanta-Philosophie und alle Vorgänge des Yoga-Sadhana in Form von Bildern und Illustrationen dargestellt sind.
Ende 1948 ernannte Gurudev ihn zum Generalsekretär der Divine Life Society. Die große Verantwortung für die Organisation wurde auf seine Schultern geladen. Von jenem Moment an spiritualisierte er all seine Handlungen durch seine Gegenwart, seinen Rat und seine weise Führerschaft. Er ermahnte alle, ihr Bewusstsein auf die Ebene des Göttlichen zu erheben.
Am Guru Purnima-Tag, dem 10. Juli 1949, wurde er von Swami Sivanandaji Maharaj in den heiligen Orden des Sannyasa eingeweiht. Er wurde von da an Swami Chidananda genannt, ein Name, der bedeutet: „jemand, der sich im höchsten Bewusstsein und in höchster Wonne befindet“.
Im November 1959 brach Swami Chidanandaji zu einer ausgedehnten Amerikareise auf. Er war von Gurudev als sein persönlicher Vertreter geschickt worden, um die Botschaft vom Göttlichen Leben zu verbreiten. Er kehrte im März 1962 zurück.
Im August 1963, nach dem Mahasamadhi (Verscheiden eines Selbstverwirklichten) des Meisters, wurde er zum Präsidenten der Divine Life Society gewählt. Nachdem er gewählt worden war, strebte er danach, die Fahne der Entsagung, des hingebungsvollen Dienens, der Liebe und des spirituellen Idealismus hochzuhalten, nicht nur innerhalb der Struktur der ausgedehnten Organisation der Divine Life Society, sondern auch in den Herzen zahlloser Suchender auf der ganzen Welt, die sehr begierig seinen Rat, seine Hilfe und seine Führung suchten.
Sri Swami Chidanandaji hat Indien, Malaysia und Südafrika kreuz und quer durchreist, um den Jüngern der Divine Life Society zu dienen.
1968 unternahm Sri Swami Chidanandaji auf Grund der Bitten vieler Schüler und Jünger des heiligen Meisters Sri Swami Sivanandaji Maharaj wieder die Welttournee und besuchte alle Länder der Erde. Wo immer er auch hinkam, empfingen die Devotees ihn herzlich und hörten ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu.
Sri Swami Chidanandaji hat von Anfang an unermüdlich für die göttliche Sache von Sri Gurudevs Mission gearbeitet und dieser Sache gedient, und er verbreitet weit und breit seine Botschaft vom Göttlichen Leben, nicht nur in Bharatavarsha (Indien), sondern auch in Ländern außerhalb.
Am 24. September 1976 feierten das Hauptquartier der Divine Life Society in Shivanandanagar (Rishikesh) sowie alle Zweige der Gesellschaft seinen sechzigsten Geburtstag (Shashtyabdapurti).
Warum Enthaltsamkeit?
Enthaltsamkeit heißt im Sanskrit Brahmacharya. Brahmacharya heißt wörtlich übersetzt, “Achara”, das Verhalten, durch das man “Brahman”, das Absolute erreicht. Es ist das Streben nach dem Absoluten, eine Bewegung zu Gott oder Atman hin. Das Ziel der Enthaltsamkeit dient der Selbstverwirklichung, der Erleuchtung. Unter Enthaltsamkeit versteht man die Reinheit in Gedanken, Worten und Taten. Im engeren Sinne versteht man unter Brahmacharya das Zölibat, also die sexuelle Enthaltsamkeit. Genauer genommen versteht man darunter die strikte Enthaltsamkeit nicht nur vom Geschlechtsverkehr, sondern auch von selbsterotischen Praktiken, wie Masturbation, homosexuelle Handlungen und alle Formen von Sexualpraktiken.
Während der Enthaltsamkeit sollten alle erotische Phantasien, das Betrachten erotischer Bilder und Filme und das lesen erotischer Texte vermieden werden. Die Enthaltsamkeit wird empfohlen, um sich konzentriert dem Streben nach dem Absoluten, nach der Erleuchtung zu widmen, um sich von der Verhaftung von der erotischen Sinnlichkeit zu lösen und um die sexuelle Energie für den spirituellen Fortschritt zu nutzen. Hat man sich von allen erotischen Verhaftungen gelöst, so kann man seine ganze Aufmerksamkeit seinem spirituellem Wachstum schenken, wird nicht mehr durch erotische Reize von seiner Konzentration auf das Wesentliche abgelenkt und kann die sexuelle Energie, die vielleicht sogar die größte Kraftreserve darstellt, über die der Mensch verfügt, seinem spirituellem Wachstum widmen. Mit Brahmacharya ist schneller spiritueller Fortschritt möglich.
Die Enthaltsamkeit gilt für beide Geschlechter, Männer wie Frauen. Große Yoga Meister und Meisterinnen waren alle Brahmacharins. Buddha unterschied zwischen Laien und Mönchen. Unter Laien versteht man verheiratete Ehepaare. Ihnen empfahl er eine beherrschte Sexualität, die also nicht von sexueller Ausschweifung geprägt ist. Den Mönchen dagegen empfahl er Enthaltsamkeit. Er sagte, dass die Laien zwar auch bestimmte Stufen der Erleuchtung erreichen können, dass sie selbst aber sehr bald erkennen würden, dass sexuelle Aktivität unausweichlich Probleme für den spirituellen Fortschritt mit sich bringen.
Sobald sie dies aber erkennen, werden sie darüber nachdenken, ob sie nicht selber freiwillig auf weitere sexuelle Aktivitäten verzichten sollten. Enthaltsamkeit sollte darum nur von demjenigen praktiziert werden, der sich diesen Schritt reichlich überlegt hat. Sonst wird die Enthaltsamkeit zur Qual und wird über kurz oder lang zum Abbruch der Enthaltsamkeit führen. In den Klöstern ist die Enthaltsamkeit normalerweise in einer zweijährigen Probezeit eingebettet, in der der Novize, für sich die Möglichkeit hat, herauszufinden, ob er ihr gewachsen ist.
Man kann die Enthaltsamkeit natürlich in die Yogaphilosophie einbetten, die sich sehr stark am Hinduismus orientiert und sagen, dass das Ziel der Enthaltsamkeit die Vereinigung mit Brahman ist. Ich würde den Sinn der Enthaltsamkeit allerdings etwas anders formulieren. Für mich beruhen alle spirituellen Fortschritte auf der Sublimation, also auf der Umwandlung sexueller Energien. Nimmt man der Sexualität die Möglichkeit, ihre sexuellen Energien pausenlos zu vergeuden, so bleiben sie im Körper und können für Heilungsprozesse genutzt werden. Vollkommene Sublimierung kann aber kaum in ein, zwei Wochen erreicht werden. Sie verlangt einen beständigen Kampf mit Geduld und Ausdauer über einen längeren Zeitraum.
Wir sollten einmal darüber nachdenken, warum die Sexualität eine so starke Macht über uns hat. Im Leben vieler Menschen vergeht kaum eine Minute, in der sie nicht von sexuellen Phantasien bedrängt werden. Warum ist das so? Mir kommt es so vor, als verhält sich die Sexualität wie eine Droge. Schon eine kleine Prise genügt und man ist davon abhängig. Es zieht es uns immer wieder zur Sexualität, weil wir im Orgasmus einen „göttlichen“ Moment erfahren, der uns tiefste Zufriedenheit beschert. Die Ekstase im Orgasmus ist so berauschend, dass wir ihn immer und immer wieder erleben wollen. Wir werden regelrecht süchtig danach.
In Tierversuchen hat man Affen Elektroden ins Gehirn gepflanzt, die mit dem Sexualzentrum verbunden waren. Durch einen Klick auf eine Taste konnten die Affen einen Orgasmus auslösen. Sie klickten ununterbrochen auf die Taste, um immer und immer wieder einen Orgasmus zu erleben. Sie verweigerten dabei jede Nahrung und jedes Getränk und wollten nur noch eins, einen Orgasmus nach dem nächsten. Am Ende waren sie vollkommen erschöpft und starben. Daran kann man also erkennen, wie stark die Abhängigkeit von der Sexualität werden kann, welche Macht die Sexualität über uns gewinnen kann.
Wir sollten daran denken, dass die Natur uns die Sexualität ausschließlich zur Zeugung unseres Nachwuchses geschenkt hat und zu keinem anderen Zweck. Sie hat uns die Sexualität nicht geschenkt, damit wir sie permanent für unsere kurzfristige sinnliche Befriedigung nutzen. Da wir aber genau dieses machen, findet in unserem Leben keine Ekstase mehr statt. Diese Ekstase finden wir nur noch in der Sexualität, wenn auch nur für kurze Momente.
Gleichzeitig verlieren wir aber unsere sexuelle Energie, die uns dauerhafte Seligkeit bescheren könnte, würden wir sie nicht permanent so unüberlegt vergeuden. Suchen wir aber nicht mehr das kurzfristige sexuelle Vergnügen und bewahren unsere sexuelle Energie, indem wir enthaltsam leben, so können wir diese Ekstase wieder in unser Leben integrieren. Wir sollten einmal daran denken, dass ein Erleuchteter die Seligkeit, die wir für einige Sekunden im Orgasmus finden, in jeder Sekunde seines Lebens erfährt. Sollte uns dieses nicht anspornen, es ihnen gleich zu tun? Der Sinn unseres Lebens sollte also nicht darin bestehen, uns immer und immer wieder für Sekunden der sexuellen Lust hinzugeben, sondern die Seligkeit permanent zu verinnerlichen, da sie unserer eigentlichen Natur entspricht und sie in gleicher Fülle genießen, wie die Weisen, Heiligen und Erleuchteten es tun.
Wenn man sich zur Enthaltsamkeit entschließt, dann sollte man natürlich wissen, dass dies kein leichter Schritt ist, sondern ein Schritt, der sehr viel Kraft, Mut und Ausdauer erfordert. Die Sexualität wird immer wieder an uns herantreten, um uns in Versuchung zu führen. Irgendwann aber kommt der Punkt, da fällt sie wie ein reifer Apfel von uns ab. Dann unterliegt man nicht mehr der erotischen Versuchung. Dieses empfindet man in der Regel als sehr angenehm. Jeder, der einmal diese Seligkeit kennen gelernt hat, weiß, wie blass und oberflächlich die Sexualität wirklich ist.
Richtige Ernährung spielt bei der Enthaltsamkeit eine wesentliche Rolle. Im Gehirn gibt es verschiedene Bereiche, und jede Nahrung hat ihre eigene Wirkung auf den jeweiligen Bereich und auf den Gesamtorganismus. Manche Nahrung hat eine aphrodisierende Wirkung. Sie stimuliert direkt die Geschlechtsorgane. Knoblauch, Zwiebel, Fleisch, Fisch und Eier stimulieren die Leidenschaft. Schenke der Nahrung darum die angemessene Aufmerksamkeit. Sei mäßig in der Ernährung. Iss reine Nahrung wie Getreide, Obst, Gemüse, Salate, Hülsenfrüchte und Milchprodukte. Gelegentliches Fasten kontrolliert die Leidenschaft, beruhigt die Emotionen, beherrscht die Sinne und unterstützt die Enthaltsamkeit.
Schon ein geringes Maß an Selbstbeherrschung oder ein wenig Praxis von Enthaltsamkeit ist ein ideales Heilmittel. Sie gibt innere Stärke und Seelenfrieden, stärkt Geist und Nerven und hilft, physische und geistige Energie zu bewahren. Sie steigert das Gedächtnis, die Willenskraft und die Stärke des Gehirns. Sie gibt ungeheure Kraft, Stärke und Vitalität, erneuert das System und den körperlichen Zustand, baut Zellen und Gewebe neu auf, stimuliert die Verdauung und gibt die Kraft, Schwierigkeiten im täglichen Lebenskampf zu begegnen. Ein Mensch, der über völlige Beherrschung der Sexualenergie verfügt, erlangt Kräfte, die auf anderem Weg unerreichbar sind. Wenn ein Mensch ein enthaltsames Leben führt, auch wenn er in einer Beziehung lebt und nur gelegentlich aus Gründen der Fortpflanzung Geschlechtsverkehr hat, kann er gesunde, kluge, starke, schöne und selbstaufopfernde Kinder zeugen. Die Praxis der Enthaltsamkeit birgt in sich keine Gefahren wie Krankheiten, unerwünschte Auswirkungen, Komplexe oder Neurosen.
Swami Sivananda sagte einmal: „Es ist leicht, einen Tiger, Löwen oder Elefanten zu zähmen. Es ist leicht, mit einer Kobra zu spielen. Es ist leicht, über das Feuer zu gehen. Es ist leicht, den Himalaja emporzuheben. Es ist leicht, auf dem Schlachtfeld zu siegen. Aber es ist schwierig, die Wollust zu überwinden.“ Jeder, der sich freiwillig zur Enthaltsamkeit entschließt, sollte wissen, dass man jeden Gedanken an die Wollust, sofort wenn er auftritt, sofort verbannen sollte.
Gefährlich ist es, in Gedanken mit der Erotik zu spielen. Hat sie diese Schwäche erkannt, dann schleicht sie sich unbemerkt durch die Hintertür in unsere Phantasie und nimmt von uns besitz. Schon der Anblick eines Bilder, eines erotischen Körpers oder ein nächtlicher Traum, kann uns derart in Aufregung versetzen, dass es schwierig ist, die entfachte Glut wieder zu löschen. Durch diese Versuchungen hat schon manch ein Yogi, der schon große Höhen auf der spirituellen Leiter erklommen hat, alles verloren, was er besessen hat. Auch wenn man das Gefühl hat, das erotische Begehren abgelegt zu haben, sollte man stets achtsam sein und die Kraft der Versuchung niemals unterschätzen.
Das Konzept der 4 Lebensstadien (Ashramas)
Man unterscheidet im Hinduismus 4 Lebensphasen, die wie folgt aussehen:
1. Phase: Schüler; Enthaltsamkeit wird erwartet (Brahmacharya)
2. Phase: verheiratet; Sexualität und Treue, keine ungezügelte Sexualität (Grihastya)
3. Phase: Die Kinder sind erwachsen; Enthaltsamkeit empfohlen (Vanaprastha)
4. Phase: Das Leben wird Gott geweiht; Mönch und Enthaltsamkeit (Sannyas)
Im alten Indien wurde ein Menschenleben mit hundert Jahren angesetzt und in vier Phasen aufgeteilt. Die erste Phase ist die Zeit als Schüler/in, in der er/sie sich intensiv seiner schulischen Ausbildung widmet, seinen/ihren Körper gesund und kräftig erhält und sich in jeder Hinsicht auf das Leben als Erwachsener vorbereitet. Sie beginnt im Alter von etwa zehn bis vierzehn Jahren und dauert bis etwa zum 20. oder 25. Lebensjahr. In diesem Abschnitt ist Enthaltsamkeit geboten.
Entwickelt wurden diese überlegungen in Indien und gelten daher in erster Linie für Schüler und Schülerinnen, die das Elternhaus verlassen, um bei einem Lehrer, der gleichzeitig auch als spiritueller Lehrer zu betrachten ist, zu lernen. Man kann sich dies wie ein Internat vorstellen: Der/die Brahmachari lebt beim Lehrer, arbeitet für ihn und lernt dabei seinen Beruf, seine Berufung und die Grundlagen des spirituellen Lebens. Dabei lebt der/die Brahmachari enthaltsam und wandelt so die sexuelle Energie in spirituelle Energie um.
Als spirituelle Hauptpraktiken in dieser Periode galten Atemübungen, Yogastellungen, Rituale, Mantras und Karma Yoga, also dem Meister zu dienen und notwendige Arbeiten in Haushalt, Garten und Landwirtschaft zu erledigen. Die Schüler lernen auch zu meditieren. Da aber der Geist in jungen Jahren sich nicht so gut konzentrieren kann, ist Meditation in dieser Phase nicht die Hauptpraxis.
Die zweite Phase gilt dem Leben als verheirateter Mensch in der Familie. Sie beginnt mit etwa 20, 25 Jahren, mit dem Eintritt in das Berufs- und Familienleben. Der Schüler kehrt nach Hause zurück und heiratet, wobei in Indien die klassische Heirat arrangiert ist. In dieser Zeit ist die Ausübung der Sexualität Voraussetzung und legitimer Teil des Ehelebens. Es wurde als fundamentale Pflicht der Familie betrachtet, Nachkommen zu zeugen. So war also immer für die nachfolgende Generation gesorgt. Mit der Praxis der Sexualität war aber keine zügellose Sexualität gemeint, sondern es wurde Mäßigung und Treue in der Ehe empfohlen. Das geschlechtliche Leben an und für sich, war aber gesellschaftlich akzeptiert.
Auch während der Zeit der Ehe und des Berufslebens, sollte man ein ethisch und moralisch vorbildliches Leben führen. Das gilt sowohl für die Partnerschaft als auch im Berufsleben. Im Beruf soll man sein Bedürfnis nach Anerkennung und seine Talente ausleben, auch nach Karriere, Geld, Macht, Ansehen streben, also das, was man unter Selbstverwirklichung im westlichen, humanistischen Sinn verstehen würde, soweit das möglich ist, es einem ein Bedürfnis ist und nicht auf Kosten anderer geschieht.
Für spirituelle Praktiken ist naturgemäß in der Familien- und Berufs-Phase weniger Zeit. Man sollte sich aber trotzdem bemühen, täglich Yogaübungen, Atemübungen und Meditation zu machen. Und vor allen Dingen ist es wichtig, Spiritualität in den Alltag zu bringen, über Beruf und Partnerschaft an seinem Charakter zu arbeiten, seine Lektionen im Leben zu lernen, an den Aufgaben zu wachsen und für andere da zu sein. Solange die Berufs- und Familien-Phase einem nicht zu viel Zeit und Energie raubt, findet sich vielleicht neben der täglichen Yogapraxis noch Zeit für soziales Engagement und eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, die das Leben ausfüllt.
Der dritte Lebensabschnitt ist die Zeit in der das Ehepaar die Pflicht zum Erwerb des Lebensunterhalts in die Hände der Kinder legt und den Geist auf Höheres richtet. Nun wird die Praxis der Enthaltsamkeit wieder Teil ihres spirituellen Lebens. Der dritte Lebensabschnitt erfolgt etwa ab 50, 60 Jahren bis etwa 75. Es ist ein langsames Eintreten in den Ruhestand. Dieser übergang findet allmählich statt, nicht abrupt wie im Westen, wo man bis 60 oder 65 seinen Acht-Stunden-Tag hat und danach von einem Tag auf den anderen nichts mehr, was für viele Menschen eine schwierige Umstellung ist. Klassischerweise zieht man sich in diesem Lebensabschnitt langsam aus dem Beruf zurück, übergibt das Geschäft oder den Hof an die Kinder oder die Nachfolger. Und man löst sich langsam körperlich und emotionell aus der Partnerschaft, um sich später ganz zu trennen und so im hohen Alter in den vierten Lebensabschnitt, der Entsagung, einzutreten.
Meditation fällt jetzt leichter, man ist ruhiger, abgeklärter, man hat mehr Zeit für die spirituellen Praktiken. In besonderem Maße wichtig sind jetzt wieder Yogaübungen und Atemübungen. Denn wenn man das jetzt nicht praktiziert, verliert sich die Lebensenergie relativ rasch und dann ist das Alter nicht schön und angenehm, sondern eine unangenehme Phase, in der einem die Energie fehlt, wo man langsam krank wird und sich nicht mit der Selbstverwirklichung beschäftigen kann, sondern nur noch mit seiner physischen Gesundheit. In manchen Teilen Indiens gilt Hatha Yoga geradezu als Alte-Leute- Beschäftigung. Wenn also jemand mit fünfzig anfängt, Hatha Yoga zu üben, ist das durchaus im Sinne der klassischen Lehre.
Natürlich ist es auch im Sinne der klassischen Lehre, schon von Jugend an Yoga zu praktizieren. In der Jugendzeit sollte man viel üben, so dass man auch fortgeschrittene Stellungen lernt. Während der Zeit der Ehe reduziert man die übung etwas, im dritten Lebensabschnitt, wenn die Kinder aus dem Haus sind und man das Berufsleben langsam beendet, verbringt man mehr Zeit damit und ist dann für den vierten Lebensabschnitt bereit, in dem man sein Leben ausschließlich auf sein spirituelles Wachstum, auf Gott ausrichtet.
Im vierten Lebensabschnitt, wird das Leben gänzlich Gott gewidmet. Man wird Sannyasin, Mönch, und dann gilt das Zölibat natürlich automatisch. Nach der allmählichen Lösung vom dritten Lebensabschnitt folgt im viertem Lebensabschnitt die Trennung vom Partner sowie die Lösung und Befreiung von allen Anhaftungen. De fakto ist das in Indien selten gemacht worden. Wenn zwei Menschen bis ins hohe Alter zusammen gelebt haben und die Beziehung funktioniert hat, dann kam Sannyasa erst, wenn ein Partner gestorben war. Wenn die Beziehung nicht funktioniert hat, dann waren natürlich beide recht froh, jetzt Sannyas nehmen zu können. Früher war das die einzig mögliche Weise der Trennung. Man konnte sich nicht scheiden lassen, aber man konnte Swami (Mönch) werden.
Im vierten Lebensabschnitt bereitet man den Geist auf den Tod vor. Man versucht nicht, wie es bei uns üblich ist, die Jugend nachzuahmen, zweite Flitterwochen usw. zu erleben, sondern langsam Abstand zu gewinnen, sich von der Welt zu lösen. Die wichtigste Praxis im vierten Lebensabschnitt ist die Meditation. Man hat ein befriedigendes Leben gehabt, während der Zeit der Ehe seine Bedürfnisse und Wünsche ausgelebt, seine Talente und seine Fähigkeiten entfaltet. Vielleicht hat man dabei die Hohlheit der Welt erkannt und ist jetzt bereit, sich davon zu trennen. Man hat Energien aufgebaut, den Geist sublimiert und sich von allen Verhaftungen gelöst. Jetzt kann man meditieren und die Selbstverwirklichung erreichen. Und dazu gehört auch ein formelles Gelübde, dass man allem entsagt.
Diese vier Lebensabschnitte sind natürlich nur als Richtlinie zu betrachten. Hat sich z. B. ein junger Mensch entschieden, nicht in den Bund der Ehe einzutreten, sondern sein Leben dem spirituellen Fortschritt zu widmen, so heißt das für ihn lebenslängliche Enthaltsamkeit. Man findet dieses häufiger bei jungen Mönchen, die schon als Kinder in einen Ashram gingen. Die Richtlinien aus dem ersten Lebensabschnitt gelten eigentlich nur für Kinder und Jugendliche, die sich von zu Hause getrennt haben und in einem Ashram leben. Da aber die Mehrheit der indischen Kinder auf staatliche Schulen geht, werden sie natürlich in spirituellen Themen wesentlich weniger unterrichtet. Auch kann man die Richtlinien der vier Lebensabschnitte nur bedingt auf den Rest der Welt übertragen.
Obwohl man unter Enthaltsamkeit in erster Linie die sexuelle Enthaltsamkeit versteht, hat Enthaltsamkeit im Yoga ein tieferes Verständnis. Yoga betrachtet die Enthaltsamkeit aus allen Blickwinkeln. Sie versteht unter Enthaltsamkeit also nicht nur die sexuelle Enthaltsamkeit, sondern die Beschränkung aller sinnlichen Ausschweifungen. Dazu gehören die Neigungen sich im übermaß der Esslust oder den Trinkgewohnheiten hinzugeben. Ebenso wird ein übermaß an Schlaf und an zu viel Gerede als negativ angesehen. Enthaltsamkeit bedeutet im tieferen Sinne, seine Kräfte für die Meditation zu konservieren.
Dies bedeutet die Abkehr von allen Tätigkeiten, die die Konzentration auf unser äußeres richten. Ist die Hinwendung zum äußeren nicht oft genug nur eine Flucht, um sich der inneren Auseinandersetzung zu entziehen? Die Enthaltsamkeit dient dazu, die Energien für die eigene Heilung zu nutzen. Konzentrieren wir uns zu sehr auf äußere Dinge, so vergeuden wir unsere Energie und können sie nicht mehr für unsere Heilung nutzen. Im Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Berühren sollten wir uns nur mit reinen Dingen beschäftigen. Enthaltsamkeit bedeutet daher, dass unser Handeln möglichst einer ethischen und moralischen Kontrolle unterliegen sollte. Darum sollte der enthaltsam lebende Yogi stets hellwach sein, sein Leben sehr bewusst gestalten und seine Sinne kontrollieren.
So sagt z. B. Mahatma Gandhi:
»Im populären Gebrauch hat Brahmacharya die Bedeutung der bloßen Beherrschung des Geschlechtsorgans angenommen. Diese enge Begriffsfassung hat die Enthaltsamkeit verfälscht und ihre praktische Ausübung unmöglich gemacht. Beherrschung des Geschlechtsorgans ist unmöglich ohne sorgfältige Kontrolle aller Sinne. Sie hängen alle miteinander zusammen. Wollen im niederen Bereich ist sinnlicher Art. Ohne Herrschaft über den Willen ist bloße körperliche Enthaltsamkeit, selbst wenn sie für einige Zeit erreicht werden kann, nur von geringem Wert.
Die Beherrschung des Gaumens ist sehr eng mit der Beobachtung von Brahmacharya verbunden. Ich habe durch Erfahrung festgestellt, dass die geschlechtliche Enthaltsamkeit verhältnismäßig leicht ist, wenn man die Herrschaft über den Gaumen gewinnt.«
Und Swami Krishnananda sagt dazu:
»Viele Yogaschüler glauben, Brahmacharya bedeute Ehelosigkeit. Obwohl dies als eine der Definitionen angesehen werden kann, so bedeutet dies nicht viel, denn Yoga hat in seiner reinsten Form eine tiefere Bedeutung. Yoga betrachtet Brahmacharya aus allen Blickwinkeln. Sie verlangt eine Reinigung aller Sinne. übermäßiges Schlafen und Essen sind Verstöße im Brahmacharya. Brahmacharya wird nicht nur durch das Eheleben gebrochen, sondern durch ein übermaß (Luxus) in allen Dingen, auch bei Unverheirateten, die gefräßig sind, übermäßig Schlafen, zu viel reden und, über allem, über Sinnesobjekte brüten.
Während einerseits Energien konserviert werden, so können sie andererseits unkontrolliert abfließen. Brahmacharya bedeutet die Kräfte für die Meditation und für höhere Zwecke zu konservieren. Im Sehen, Hören, Schmecken, Riechen und Berühren sollten wir uns nur mit reinen Dingen beschäftigen.«
Wie sieht die Enthaltsamkeit bei Männern aus? Auch der Mann, der enthaltsam lebt, lebt in Wirklichkeit nicht ohne Sexualität. Der Körper produziert weiterhin Samenzellen und die werden mittels eines nächtlichen Orgasmus, Pollution genannt, ausgeschieden. Einige Yogis wenden allerdings Techniken (PC-Muskel-Training) an, um selbst Pollutionen zu verhindern, da sie diesen Energieverlust vermeiden möchten. Mich überzeugen diese Techniken allerdings nicht. Ich halte sie für überflüssig. Diese nächtlichen Orgasmen sind sexuell gesehen mit einer großen Befriedigung verbunden, mitunter auch von erotischen Träumen begleitet.
Die Pollutionen finden vielleicht einmal oder zweimal im Monat statt. Darum sind sie mit einer viel größeren sexuellen Befriedigung verbunden, als wenn man, wie vielleicht in einer Partnerschaft, zwei mal in der Woche einen Orgasmus hat. Die Pollutionen sind so befriedigend, dass sie über kurz oder lang zur völligen Abkehr von der Sexualität führen. Man hat das Gefühl, alle erotischen Wünsche ausgelebt zu haben und wendet sich von der Erotik ab, man schenkt ihr keine Aufmerksamkeit mehr. Ich bin davon überzeugt, dass genau das gleiche passieren würde, wenn man im normalen Leben, die Sexualität erleben würde, die man sich immer erträumt hat.
In Wirklichkeit besteht unser Leben aus purer Lebensfreude. Wenn wir das aber nicht so empfinden, dann sollten wir uns die Frage stellen, warum wir davon so wenig spüren. Hat man sich zum Beispiel von den sexuellen Begierden gelöst, so ist man aber nicht automatisch frei von Angst und negativen Gefühlen wie Wut, Trauer und Hass. Beschreitet man den Weg aus Enthaltsamkeit und Meditation aber weiter, so kann man die sexuelle Energie nutzen, um sie zur Heilung des dritten Chakras, dem Solarplexus, dem Sitz der Emotionen, zu nutzen.
Die Auseinandersetzung mit den negativen Gefühlen ist ebenso schwer wie die Auseinandersetzung mit den nicht enden wollenden sexuellen Begierden. Man muss den Mut haben, sich seinen Gefühlen zu stellen. Und dann drängen diese Gefühle, die man vielleicht sein ganzes Leben lang unterdrückt hat, mit Macht an die Oberfläche. Dann wird man direkt mit seinem Hass, mit seiner Wut, mit seiner Angst und mit seiner Trauer konfrontiert. Da wir aber überfordert wären, wenn wir gleich mit der ganzen Fülle dieser Emotionen konfrontiert würden, lassen wir aus Selbstschutz immer nur einen kleinen Teil dieser Gefühle zu. Langsam, Schritt für Schritt, gelingt es uns diese negativen Emotionen abzulegen. Dann kehrt Schritt für Schritt ein wunderbarer Friede in uns ein, der getragen ist von inner Ruhe und Harmonie.
Auf der einen Seite setzen wir uns also mit unseren verdrängten Emotionen auseinander. Auf der anderen Seite arbeitet die Sexualität, auch wenn wir uns mittlerweile davon frei gemacht haben, weiter im Hintergrund. Das heißt, wir denken zwar nicht mehr an die Sexualität, haben aber hin und wieder nächtliche Pollutionen. Und nach jeder Pollution werden wir merken, dass ein kleines Stück unserer Angst, ein kleines bisschen unserer Magenschmerzen, die ebenfalls ein Ausdruck unserer Angst sind, abnehmen. Wir pendeln uns gewissermaßen auf ein etwas höheres Lebensniveau ein. Im Laufe der Monate verringert sich unsere Angst immer mehr.
Wir reagieren weniger gereizt, falls uns jemand kritisiert oder beleidigt, werden allmählich immer ausgeglichener und finden langsam immer mehr zu uns selber. Und eines Tages kommt der Punkt, dann ist man vollkommen frei von jeder Angst, von jeder Wut und in einem herrscht eine unwahrscheinliche Lebensfreude. Da die Sexualität und die Emotionen scheinbar so eng miteinander verknüpft sind, habe ich mir schon die Frage gestellt, ob ein Grossteil der emotionalen Störungen ihren Ursprung nicht in mangelnder sexueller Befriedigung haben.
Swami Chidananda sagte einmal: Der einzige Vorgang, den die meisten Menschen mit Zielstrebigkeit ausführen, nach dem sie großes Verlangen haben, den sie wollen, an den sie denken, den sie planen und hinter dem sie her sind, ist die sexuelle Befriedigung. Das bedeutet, dass dies ein Vorgang ist, der ihr gesamtes Bewusstsein, ihren ganzen Geist und ihre volle Aufmerksamkeit auf das Körperliche, auf ihre physische Identität lenkt. Einerseits ist der Geschlechtsakt der Gipfel der Körperlichkeit oder Animalität. Wird dies irgendwie dazu beitragen, kosmisches Bewusstsein zu erlangen?
Da ist also ein Mensch, die Krone und erhabener Ausdruck der Schöpfung Gottes, allen anderen Lebewesen weit überlegen, der sich zur grobstofflichen, physischen, materiellen und animalischen Ebene herablässt und sich ihr völlig hingibt: Er sucht es, er will es, er bemüht sich darum, er tut alles, um es zu bekommen, er lässt sich darin gehen, und er will, dass es immer verfügbar ist. Das heißt, der Mensch bindet sich mit voller Absicht an eine Ebene des physischen Bewusstseins. Wenn du ein spirituell Suchender bist, kannst du denn nicht erkennen, dass du dir selbst im Wege stehst?
Du musst das Bewusstsein aus den niederen Ebenen befreien und fortwährend zu immer höheren und höheren Ebenen feinerer und immer subtilerer Zustände erheben. Denn wenn der gesamte spirituelle Prozess von Erleuchtung und Erkenntnis ein Prozess des sich Erhebens zu einem höheren Bewusstseinszustand ist, impliziert das automatisch, dass man sich aus seinem niederen Bewusstseinszustand befreit. Das kosmische Bewusstsein, das absolute Bewusstsein, ist Lichtjahre entfernt, wenn man nicht die Notwendigkeit erkennt, sich von der absoluten Identifikation mit dem Körper zu befreien.
Enthaltsamkeit bedeutet weder Unterdrücken noch Verdrängen von Sexualität. Das sexuelle Potential wird für etwas verwendet, das zehnmal, hundertmal großartiger ist. Deshalb ist es ein Missverständnis, von Unterdrückung oder Verdrängung zu sprechen. Das liegt an einem mangelnden Verständnis dafür, was es mit der wirklichen spirituellen Suche auf sich hat. Wenn man es richtig versteht, wird man nicht so darüber sprechen. Wir sind nicht einfach Menschen, wir sind mehr als Menschen. Unsere Erscheinungsform als Menschen ist nur ein schwacher Widerschein dessen, was wir in Wahrheit sind. Der einzige Grund, warum unsere Erscheinungsform als Menschen von Bedeutung und Wichtigkeit ist, besteht darin, dass sie uns, wenn sie richtig verwendet wird, erhebt und dahin bringt, wohin wir eigentlich gehören, in das Königreich, auf das wir ein Geburtsrecht haben.
Wenn ein intelligenter Mensch die gesamte Situation des Lebens gut durchdacht hat, sich sagt: „Wenn ich etwas Großes und Mächtiges erreichen will, kann ich es mir nicht leisten, die mir zur Verfügung stehenden Energien zu verschwenden. Je mehr ich sie bewahre, desto mehr kann ich sie für diese Absicht einsetzen, und desto besser sind die Chancen auf Erfolg.“ Wenn der Mensch so denkt und die rationale Seite dessen verstanden hat, und wenn die höchste Errungenschaft, zu der er strebt, ihm das wert ist, wenn er oder sie aus freiem Willen, mit voller Absicht und großer Begeisterung zum Zölibat schreitet, wo ist dann Unterdrückung?
Ganz im Gegenteil, das, was als Selbstverleugnung erscheint, gibt effektiv einer höheren Dimension unseres Wesens Ausdruck, in die man sich jetzt begeben hat. Also weit davon entfernt, darauf zu verzichten, sich selbst Ausdruck zu verleihen, gibt es dem Menschen seinen vollen Ausdruck, da er sich nicht länger mit einem niedrigen Aspekt seiner Gesamtpersönlichkeit identifiziert. Er identifiziert sich mit einem höheren Aspekt. Es ist eine Art Befreiung und Entwicklung hin zu einem höheren Niveau. Es ist etwas Positives, Kreatives und nicht etwas Negatives. Es ist kein Verneinen, sondern effektiv ein Ausdruck seiner selbst.
Der erste Schlüssel zum Erfolg in der Enthaltsamkeit besteht also darin, das Heilige und Wertvolle des vorhandenen Energiepotentials zu erkennen und zu verstehen. Wenn man klar erkannt hat, dass es wert ist, bewahrt, erhalten und zum Allergrößten gelenkt zu werden, das man erlangen kann, dann hat man den Wunsch, Brahmachari zu sein. Dann wird es als etwas höchst Positives gesehen. Ein zweiter Schlüssel zum Erfolg und eine Möglichkeit, sowohl Enthaltsamkeit als auch Sexualität zu betrachten, ist sogar noch grundlegender. Es ist das klare Erkennen, dass in allererster Linie das, was man als das männliche Geschlechtsorgan bezeichnet, überhaupt kein Geschlechtsorgan ist. Es ist nichts anders als ein Organ zur Harnausscheidung. Und das ist seine Hauptfunktion, von dem Augenblick an, wenn das Kind den Mutterschoss verlässt, bis ins Grab.
Buddha lehrte, solange der Mensch sexuell aktiv ist, hat er kein Interesse an der Praxis des spirituellen Lebens. In seiner Lehre über die schrittweise Erleuchtung sagte er, dass das Empfinden von Lust und Sexualität Genuss beinhaltet. Er verleugnete den Genuss nicht. Genuss ist dabei. Aber dann verändert sich dieses Vergnügen in Missvergnügen, und allmählich, langsam, sobald sich das anfängliche Feuer der Lust abgenutzt hat, beginnen die Menschen zu kämpfen. Denn aus Lust erwächst Furcht; aus Lust erwächst Habgier; aus Lust erwachsen Eifersucht, Zorn, Hass, Verwirrung und Kampf; all diese negativen Dinge erwachsen aus der Lust. Und deshalb sind all diese negativen Dinge in der Lust enthalten. Solange man in der Sexualität verstrickt ist, ist es unvermeidlich, dass man diese Probleme hast – Kampf, Enttäuschung, Zorn, Hass, Töten – all das ist damit verbunden.
Weil also der Buddha das Problem sah, das der Sexualität innewohnt, sagte er, dass es besser ist, die Sinne zu disziplinieren und zu kontrollieren, um ein ruhiges und friedvolles Leben zu haben. Aber das muss schrittweise erfolgen, langsam, begründet auf Verstehen, nicht unvermittelt. Es kann nicht erzwungen werden. Es muss allmählich geschehen und mit tiefem Verständnis.
Swami Sivananda sagte: Enthaltsamkeit ist Reinheit in Gedanke, Wort und Tat. Sie umfasst nicht nur die Beherrschung der Geschlechts- oder Fortpflanzungsanlagen sondern auch anderer Anlagen. Das ist die Definition von Enthaltsamkeit im weiteren Sinne. Enthaltsamkeit ist von zweierlei Art, nämlich physisch und geistig. Physisch ist die Kontrolle des Körpers und geistig ist die Kontrolle unzüchtiger Gedanken. In der geistigen Enthaltsamkeit sollte nicht einmal ein einziger wollüstiger Gedanke je in den Geist gelangen. Freisein von allen sexuellen Gedanken im Wach- wie im Traumzustand ist strenge Enthaltsamkeit. Die Enthaltsamkeit ist ein wertvoller Juwel. Sie ist die wirkungsvollste Medizin, die Krankheiten heilt.
Die sexuelle Energie ist die Essenz von Leben, Gedanken, Intelligenz und Bewusstsein. Wenn die sexuelle Energie einmal verloren ist, kann sie nie wieder zurückgeholt werden. Wenn diese Flüssigkeit sorgsam bewahrt wird, dient sie als Schlüssel, um die Tore zur Seligkeit, zum Paradies im Leben zu öffnen. Nur durch Enthaltsamkeit allein haben die Yogis (Weisen) aller Zeiten Freude, Wonne und Erleuchtung erlangt. Ohne Enthaltsamkeit gibt es keine Gesundheit und kein spirituelles Leben. Enthaltsamkeit ist der Grundgedanke zum Erfolg in allen Lebensbereichen. Sinnlichkeit zerstört Leben, Glanz, Kraft, Vitalität, Gedächtnis, Wohlstand, Ruf, Heiligkeit und Hingabe an das Höchste.
Die Menschen sind körperlich, geistig und moralisch geschwächt, weil es ihnen an Enthaltsamkeit mangelt, weil sie ihre Samenkraft verschwendet haben. Solche Menschen sind schon bei geringfügigen Anlässen leicht gereizt. Sie fallen verschiedenen Krankheiten und einem frühen Tod zum Opfer. Durch Enthaltsamkeit wächst die intellektuelle Kraft. Der Samen ist eng mit Gehirn und Verstand verbunden, denn er ist die Substanz der menschlichen Vitalität. Er steht in Beziehung zu Intelligenz, Moral und Spiritualität. Es kann keinen Erfolg im Leben geben, wenn diese fundamentale Kraft nicht bewahrt wird. Die Enthaltsamkeit ist Grundvoraussetzung für den Suchenden. Sie ist neben der Gewaltlosigkeit die wichtigste Tugend zur Selbstverwirklichung.
Man im menschlichen Gehirn folgende Zustände:
1. | Delta | < 4 Hz | dominanter Rhythmus bei Kleinkindern, und weit verbreitet beim Tiefschlaf Erwachsener |
2. | Theta | 4-7 Hz | im Wach-EEG bei Kindern häufig, bei Erwachsenen selten, tiefe Meditation, Hypnose |
3. | Alpha | 8-12 Hz | entspannter Wachzustand bei geschlossenen Augen, Meditation |
4. | Beta | 13-30Hz | angespannter Wachzustand, normale Tagesaktivität bei geöffneten Augen |
5. | Gamma | 30-80Hz | Bindung und Aufmerksamkeit, Bindung von Raum und Zeit |
Vielleicht könnte man Erleuchtung auch so definieren, dass wir es wieder lernen müssen, uns so zu entspannen wie Kinder. Sie haben ein normales Tagesbewusstsein, welches dem Tiefschlaf der Erwachsenen entspricht. Ihre Gehirnaktivitäten bewegen sich im Frequenzbereich von unter 4 Hertz. Das entspricht der tiefsten Entspannung und Seligkeit, die der Mensch erreichen kann. Dieser Zustand ist bei Kleinkindern fast normal. Darum sind sie fast alle „erleuchtet“. In diesem Zusammenhang bekommt der Satz „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ für mich eine sinnvolle Bedeutung.
Ein kurzer Einblick in die Tantrapraxis
Zum Abschluss des Themas Enthaltsamkeit noch ein paar Worte zum Tantra. Tantra entwickelte sich ursprünglich in Indien, breitete sich im 6. Jahrhundert n. Chr. aber unter anderem nach Tibet und im gesamten Himalaya-Raum aus. In Tibet breitete sich besonders das Vayrayana, also die tantrische Variante des Buddhismus aus. Darum wird der tibetische Buddhismus heute vielfach mit dem Tantra identifiziert.
Das Vayranana stellt neben dem Hinayama und dem Mahayana eine der drei Hauptrichtungen des Buddhismus dar. Der Hinayama vertritt die ursprünglichen Lehren Buddhas. Im Hinayama wird u.a. von den Mönchen Enthaltsamkeit gefordert. Der Mahayana entwickelte sich etwa 500 Jahre nach Buddha. Ursache war die Unzufriedenheit mit der Lehre und Praxis des Hinayama, die auf die Mönchsgemeinschaft und das Ideal der buddhistischen Heiligen ausgerichtet sind. Aus dem Mahayana heraus entwickelte sich auch der Zen.
Die Lehren des Tantra, die zuvor ohne irgend eine Institution von Meister zu Schüler weitergegeben wurden, wurden in Tibet institutionalisiert. Es kam zur Entwicklung der vier Hauptschulen des tibetischen Buddhismus, der Nyingma-, Sakya-, Kagyü- und Gelug-Schulen und den zahlreichen kleineren Nebenlinien dieser Schulen. Die Gelug-Schule ist die jüngste Schule der vier Hauptschulen des tibetischen Buddhismus. Die Dalai Lamas sind die wichtigsten Lehrer der Gelug-Schule. Die Bon-Schule ist zwar nicht buddhistisch, ähnelt aber derart stark der Vajrayana Tradition, so dass sie vom derzeitigen Dalai Lama als fünfte tibetische Hauptschule anerkannt wurde. Die Sakya-Linie begann als nicht-zölibatäre Linie, wurde im Laufe der Zeit aber immer stärker monastisch (mönchisch) orientiert. Wie man sieht, gibt es innerhalb des Tantra zölibatäre und nicht-zölibatäre Strömungen.
Das, was man im Westen gemeinhin mit Tantra bezeichnet, hat mit Tantra eigentlich nicht viel gemeinsam. Es entspricht eher einer gehobenen Art der sexuellen Befriedigung und kann daher nur als Neo-Tantra bezeichnet werden. Im traditionellen Tantra zielen die übungen auf die Beherrschung des feinstofflichen Energiesystems, bestehend aus dem Zentralkanal, den Seiten- und Nebenkanälen und den Energiezentren (Chakras), den sogenannten Energiewinden und den Bewusstseins-Essenzen. ähnlich den in den neuen Schulen gebrauchten „Sechs Yogas von Naropa“, gibt es übungen zur Erweckung des inneren Feuers, Traumkontrolle, Bewusstseinsübertragung, Lebensverlängerung und vieles mehr.
Zu dieser übungsphase gehört auch die Karmamudra genannte Praxis der sexuellen Vereinigung, bei welcher zwei entsprechend geschulte übende die äußere Form und das energetische Innenleben eines Yidam (einer persönlichen Schutzgottheit) aktivieren, der seinerseits aus einer vereinigten Form eines männlichen und weiblichen Buddha besteht. Ein sexueller Höhepunkt wird bei dieser Praxis jedoch nicht angestrebt, sondern die Arbeit mit den durch die sexuelle Vereinigung erweckten sexuellen Energien steht im Vordergrund. Dieses soll ohne gegenseitige Anhaftung erfolgen und führt durch Aufhebung der Grenzen zwischen den Beteiligten zur ekstatischen Erfahrung der Ichlosigkeit, genannt: „In Wonne und Leerheit vereinigt.“
Leider konnte sich der Tantra nicht von den mystischen Vorstellungen des Hinduismus/Buddhismus lösen. Auch im Tantra spricht man von der Kundalini, von feinstofflichen Energiekanälen, von Chakras, von Energiewinden und was es da noch alles gibt. Und zu guter letzt wird auch noch gesagt, dass die sexuelle Vereinigung ohne gegenseitige Anhaftung erfolgen soll. Das ist in meinen Augen aber vollkommen unmöglich. Eine sexuelle Vereinigung ist immer mit einer Verhaftung verbunden. Ohne die sexuelle Erregung, ohne einen erigierten Penis ist eine sexuelle Vereinigung nicht möglich.
Die Erektion aber beruht auf einer Verhaftung an die Sexualität. Deshalb wundert es mich gar nicht, wenn Helmut Poller, ein ausgezeichneter Tantra-Experte, zu der Einsicht kommt: „Die übertragung der tantrischen Lehren steckt im Westen trotz scheinbar großer Zahlen von übenden in den Kinderschuhen, was man auch daraus ersehen kann, dass es nach dreißig Jahren Vajrayana in Europa und USA keine zehn Europäer und Amerikaner gibt, die diese Lehren völlig gemeistert und verwirklicht haben.“
Was das erotisch-therapeutische Tantra betrifft, herrschen unter dessen Anhänger/innen häufig große Vorurteile gegenüber dem ursprünglichen spirituellen Tantra. Das größte Vorurteil kommt wohl daher, dass der sexuelle Aspekt im ursprünglichen Tantra nur eine untergeordnete Rolle spielt. In traditionellen buddhistischen Gruppen werden oft Gottheiten visualisiert, Mantras rezitiert und ähnliches mehr, aber es findet weder Körperarbeit noch psychologische Arbeit statt und schon gar nicht Paarübungen, die typischerweise schon in Basisseminaren des erotisch-therapeutischen Tantra stattfinden.
Aus der Perspektive von übenden des erotisch-therapeutischen Tantra sieht das buddhistische Tantra dagegen so ganz und gar nicht aus wie Tantra. Das ist aber ein Irrtum, der damit zusammenhängt, dass buddhistisches Tantra ein äußerst tiefgründiger und komplexer Stufenweg ist. Im allgemeinen ist bei vielen Traditionen eine langjährige vorbereitende Schulung erforderlich, bevor in Praktiken eingeführt wird, die sexuelle Vereinigung beinhalten.
Diese Praktiken werden nach wie vor sehr geheim gehalten, man erfährt darüber fast nichts aus Büchern, zumindest nichts, was man praktisch anwenden kann. In typischen buddhistischen Gruppen weiß man darüber oft nichts oder verweist darauf, dass derlei nur für weit Fortgeschrittene in Frage kommt. Viele Gruppen betreiben ausschließlich die unteren und mittleren Stufen dieses Stufenweges, die Praxis der sexuellen Vereinigung gehört aber in allen Linien zur höchsten Tantra-Stufe, dem sogenannten Anuttara-Tantra.
Es ist immer zu bedenken, das buddhistisches Tantra eine anspruchsvolle Geheimlehre darstellt, die auch in den Ländern ihrer größten Verbreitung, z. B. in Tibet, nur von einem sehr kleinen Prozentsatz der Bevölkerung praktiziert wird. In Tibet sieht man zwar in jedem Kloster Abbildungen und Statuen von den auch im Westen mittlerweile sehr beliebten Buddhas in sexueller Vereinigung, doch über die eigentliche Praxis, die hinter diesen Bildern steht, weiß der typische Tibeter genau soviel wie der typische Westler, nämlich sehr wenig.
Tantra beruht auf der Shiva-Shakti- Philosophie, wobei Shiva für reines Bewusstsein steht und Shakti für die kosmische, schöpferische Energie, die sich in allem Manifesten, in der ganzen Schöpfung ausdrückt. Ziel ist es, diese Shakti wieder zurückzuführen, symbolisch mit Shiva zu vereinen, dem reinen Bewusstsein und so zum Zustand des reinen Seins zurückzukehren.
Im weißen Tantra, der von jeder sexuellen Vereinigung absieht, macht man das zum Beispiel mittels Atem- und Konzentrationsübungen. Im roten Tantra soll über die körperliche Vereinigung eine transzendentale Einheit erfahren und verwirklicht werden. Geschlechtsverkehr wird im roten Tantra als spirituelle Praxis verstanden. Das Ziel ist, dass die sexuelle Energie im Geschlechtsverkehr nicht verloren geht, sondern bewahrt und umgewandelt wird. Dafür gibt es bestimmte Atemtechniken, Mudras und Mantras und Methoden, die sexuelle Energie (Kundalini) vom Basischakra über die Wirbelsäule zum Kronenchakra hinaufzuleiten (siehe: PC-Muskel-Training).
Der Mann lässt es dabei nicht zur Ejakulation kommen, und auch die Frau zieht die Energien nach oben. Klassische Yogis bezweifeln jedoch, dass allein durch rot-tantrische Sexualität ein dauerhafter spiritueller Fortschritt erzielt wird. Der ursprünglichere südliche Buddhismus, der Theravada, sieht den buddhistischen Tantrismus (Vajrayana) als ernsthafte Verfälschungen der Lehre Buddhas an.
Swami Chidananda, ein Schüler Swami Sivanandas, sagte: Ich glaube nicht, dass die tantrischen Lehren einen authentischen spirituellen Weg anbieten. Warum? Weil die Menschen schwach und beeinflussbar sind. Der menschliche Geist ist so beschaffen, dass er immer den Weg des geringsten Widerstandes nimmt. Er möchte immer den leichtesten Weg beschreiten. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass Tantra früher einmal in Indien ein authentischer Pfad war, speziell im östlichen Teil.
Es gibt ihn auch jetzt noch. Aber er wurde grob verzerrt. Die Menschen verfingen sich darin. Sie sagten, sie würden Tantra praktizieren, aber es war nichts anderes als Wein, Völlerei und sexuelle Befriedigung. Es führte sie nirgendwohin. Die Methode wurde damals von erleuchteten Menschen auch der „pervertierte Pfad“ genannt. Es entstanden zwei Wege: der authentische Pfad, er wurde der „rechtshändige Pfad“ genannt, und der pervertierte Pfad, bei dem es nur um den Genuss ging. Er wurde der „linkshändige Pfad“ genannt. Und darum erreicht nur einer unter Millionen auf dem tantrischen Weg das Ziel der Erleuchtung.
Der gewöhnliche und der tantrische Orgasmus
von Osho
«Euer [gewöhnlicher] Geschlechtsverkehr unterscheidet sich grundsätzlich von dem der Tantriker. Ihr schlaft mit jemandem, um euch zu erleichtern. Es ist mehr oder minder so, als ob ihr einen Niesreiz spürt und einmal kräftig niest. Dadurch wird die Energie ausgestoßen und ihr fühlt euch erleichtert, aber das ist das Gegenteil von Kreativität, es ist ein Akt der Vernichtung. Das hat seine guten Seiten, es ist eine Art Entspannungstherapie.
Der Geschlechtsakt der Tantriker ist diesem Verhalten grundsätzlich und absolut entgegengesetzt. Er dient nicht euer Erleichterung, er gibt euch keine Gelegenheit, eure Energie loszuwerden, sondern es geht darum, im Liebesakt zu bleiben, ohne zu ejakulieren, ohne Energie auszustoßen. Man soll vollkommen verschmelzen und immer in der Anfangsphase bleiben, nicht zum Höhepunkt kommen. Das gibt dem ganzen eine völlig andere und grundverschiedene Qualität.
Versucht, diese beiden Dinge zu verstehen. Es gibt zwei Arten von Orgasmen. Die eine Art kennt ihr: ihr gelangt zu einem Höhepunkt der Erregung, an dem es nicht mehr weitergeht – das ist das Ende. Die Erregung wird auf eine derartige Spitze getrieben, dass der Akt unfreiwillig wird; die Energie fährt in euch hinein und entlädt sich. Dann seid ihr erleichtert, von einer Last befreit; ihr entspannt euch und flüchtet euch in eure Traumwelt zurück. Sex wird als Beruhigungsmittel benutzt. …
Zu einem Gipfel der Erregung zu kommen ist eine Art, den Orgasmus zu erfahren. Das Schwergewicht der tantrischen Lehre liegt aber auf der anderen Art. Die erste Art von Orgasmus kann man einen Gipfel-Orgasmus nennen und die tantrische Art einen Talorgasmus. Dabei kommt man nicht zu einem Gipfel der Erregung, sondern gleitet ins tiefste Tal der Entspannung. Bei beiden Arten wird die sexuelle Erregung der Anfangsphase benutzt – deshalb sagte ich, dass beide Arten sich am Anfang genau gleichen – aber das Ende ist völlig verschieden. Die anfängliche Erregung wird auf zwei völlig verschiedene Arten benutzt: entweder erklimmt man damit den Gipfel seiner Leidenschaft oder fällt ins tiefste Tal der Entspannung. Bei der ersten Art muss die Erregung immer mehr gesteigert werden, man muss dazu beitragen, dass sie immer intensiver dem Höhepunkt entgegenstrebt. Bei der zweiten Art ist man nur beim Vorspiel erregt. Sobald der Mann in die Frau eingedrungen ist, entspannen sich beide. Sie bewegen sich überhaupt nicht mehr und gehen völlig in der Umarmung auf. Und nur, wenn einer von beiden spürt, dass die Erektion nachlässt, bewegen sie sich ein wenig, um das Feuer wieder zu entfachen; dann sinken sie wieder in einen Zustand vollkommener Entspannung. Diese Art von tiefer, zärtlicher Vereinigung kann stundenlang dauern, ohne dass es zum Samenerguss kommt. Danach fallen beide in einen tiefen Schlaf. Das nennt man einen Talorgasmus: Beide Partner sind vollkommen gelöst und begegnen einander als entspannte Wesen. …
[Nach einem tantrischen Liebesakt] seid ihr mit Energie aufgeladen, ihr seid lebendiger und frischer als je zuvor. Und dieser ekstatische Zustand kann stundenlang, ja tagelang anhalten. Das hängt davon ab, wie sehr ihr darin aufgegangen seid. Wenn ihr tief in diese Art Sex hineingehen könnt, wird euch früher oder später klar, dass ein Samenerguss reine Energieverschwendung ist. Man braucht nicht zu ejakulieren – es sei denn, man will ein Kind zeugen. Nach einem tantrischen Sex-Erlebnis seid ihr den ganzen nächsten Tag zutiefst entspannt, selbst viele Tage lang fühlt ihr euch ruhig und gelassen, in euch selbst zentriert.» Aus: Tantrische Liebeskunst; S. 208ff von OshoWas sagte Buddha zur Enthaltsamkeit?
Frage: Als wir dieses Interview planten, meinten wir zum Scherz, dass wir im Idealfall tatsächlich ein Interview mit dem Buddha selbst haben müssten; aber es ist sicher die nächstbeste Lösung, mit Ihnen darüber sprechen zu können, was der Buddha lehrte.
Antwort: Ich würde mir wünschen, dass wir alle mit dem Buddha zusammensitzen und mit ihm diese Fragen erörtern könnten!
Frage: Es ist eine Tatsache, an der niemand vorbeigehen kann, der sich heutzutage für Buddhismus interessiert, dass der Buddha ein Mönch war und eine klösterliche Tradition begründet hat; und diese Tradition ist es auch, für deren Verbreitung im Westen Sie selbst so viel Zeit und Energie investiert haben. Warum war dem Buddha das Zölibat so wichtig? Warum glaubte er, dass es eine so große Bedeutung hat?
Antwort: Weil Menschen, die Befreiung von dem Leiden finden möchten, bestimmte Prinzipien beachten müssen. In der Tat ist das Zölibat unerlässlich für Menschen, die ein klösterliches Leben zu führen wünschen. Denn wenn sie auf alle mögliche Art sexuell aktiv sind, unterscheiden sie sich nicht von Laien, die in den verschiedensten Problemen stecken, die auf die Sexualität zurückzuführen sind. Und ein Mensch, der sich für ein klösterliches Leben interessiert, strebt auch nach einem sehr einfachen Leben – das ist Sinn und Zweck aller monastischen (mönchischer) Traditionen -, denn letztlich können wir einzig und allein dadurch, dass wir uns von Habgier, Lust und Verlangen befreien, Befreiung vom Leiden finden. Sehen Sie, wenn wir die Absicht haben, unser Leiden loszuwerden, dann müssen wir die Ursache des Leidens beseitigen, und Lust ist eindeutig die Ursache des Leidens. Wer also ein monastisches Leben zu führen wünscht, muss sie beseitigen, um so zu leben, dass er die Wurzeln der Begierde nicht weiter nährt.
Frage: Wäre es also richtig zu sagen, dass es für einen Menschen, der kein monastisches Leben lebt, also für einen Laien, sehr viel schwieriger oder sogar unmöglich wäre, das zu tun?
Antwort: Auch Laien müssen einer Disziplin im Leben folgen; sie müssen eine gewisse Beherrschung üben. Deshalb gibt es auch Vorschriften für Laien; aber normale Laien müssen nicht enthaltsam sein. Laien können bestimmte Stufen der Erleuchtung erreichen – wir nennen sie „Mitfließende“ oder „Einmal-Wiederkehrende“ – , bevor sie für sich selbst erkennen, dass sexuelle Aktivität unausweichlich Schwierigkeiten und Probleme mit sich bringt.
Laien können sogar die dritte Stufe der Heiligkeit erreichen, wir nennen sie „Nie-Zurückkehrende“. Aber sobald sie einmal diese Stufe erreicht haben, werden sie selbst aus ihrer eigenen Erkenntnis heraus entscheiden, dass eine Verstrickung in Sexualität den Fortschritt in ihrer spirituellen Praxis blockiert, und sobald sie das erkennen, werden sie ganz freiwillig aufhören, sexuell aktiv zu sein. Wie Sie sehen, ist Zölibat also nicht etwas, das mit Zwang oder durch ein Gebot auferlegt werden kann.
Frage: Könnten Sie etwas genauer beschreiben, warum Sexualität an sich transzendiert werden muss, damit Fortschritte auf dem spirituellen Weg gemacht werden können?
Antwort: Weil der Geist in Unordnung, getrübt und verwirrt ist, solange man sich damit beschäftigt, und weil man sich in Eifersucht, Furcht, Hass, Spannung usw. verstrickt – in all diesen Problemen, die aus der Lust entstehen. Wenn man also von alldem befreit werden möchte, muss zuerst die Lust beseitigt werden. Nun gefällt vielen Menschen das Wort „beseitigen“ nicht; manche bevorzugen Worte wie „transzendieren“ oder „transformieren“. „Klar“, sagen sie, „man kann ,Lust‘ in ,Nicht-Lust‘ transformieren!“
Frage: Und wo ist der Unterschied zwischen „transzendieren“ und „beseitigen“?
Antwort: Einige Begriffe kommen der eigentlichen Bedeutung etwas näher, und andere könnte man euphemistisch nennen, also Begriffe, die nicht so negativ sind. Diese Leute sagen lieber „transzendieren“ oder „transformieren“ als „beseitigen“, weil sie Worte brauchen, die eine Zuckerglasur haben und ihnen deshalb vom Gefühl her angenehmer sind.
Frage: Aber worüber wir wirklich sprechen, ist das Beseitigen der Lust?
Antwort: Richtig. Aber wenn man „beseitigen“ sagt, dann ist das so stark, so negativ, dass sich die Leute fragen: „Wie kann ich etwas beseitigen?“ Wenn man aber sagt: „Transformieren wir es in etwas anderes“, dann können sie damit etwas anfangen.
Frage: Wurde in der Lehre des Buddha die Sexualität als von Grund auf negativ angesehen?
Antwort: Der Buddha lehrte, dass solange der Mensch sexuell aktiv ist, er kein Interesse an der Praxis des spirituellen Lebens hat; die beiden Dinge passen einfach nicht zueinander. Aber in seiner Lehre über die schrittweise Erleuchtung sagte er auch, dass das Empfinden von Lust und Sexualität Genuss beinhaltet. Er verleugnete den Genuss nicht. Genuss ist dabei. Aber, sehen Sie, dann verändert sich dieses Vergnügen in Missvergnügen, und allmählich, langsam, sobald sich das anfängliche Feuer der Lust abgenutzt hat, beginnen die Menschen zu kämpfen.
Denn aus Lust erwächst Furcht; aus Lust erwächst Habgier; aus Lust erwachsen Eifersucht, Zorn, Hass, Verwirrung und Kampf; all diese negativen Dinge erwachsen aus der Lust. Und deshalb sind all diese negativen Dinge in der Lust beinhaltet. Und, wissen Sie, wenn wir das sehen möchten, dann brauchen wir gar nicht weiter zu schauen als in unsere eigene Gesellschaft.
Machen Sie nur die Augen auf und sehen Sie sich um. Wie viele Millionen Menschen kämpfen? Und das ist nur in ihrer Lust und Gier begründet – Ehemänner mit Ehefrauen; Freunde mit Freundinnen; Freunde mit Freunden; Freundinnen mit Freundinnen – usw., nicht wahr? Es macht keinen Unterschied, ob die Menschen heterosexuell, homosexuell oder bisexuell sind, das ist ganz egal. Solange du darin verstrickt bist, ist es unvermeidlich, dass du diese Probleme hast – Kampf, Enttäuschung, Zorn, Hass, Töten – all das ist damit verbunden.
Weil also der Buddha das Problem sah, das der Sexualität innewohnt, sagte er, dass es besser ist, die Sinne zu disziplinieren und zu kontrollieren, um ein ruhiges und friedvolles Leben zu haben. Aber das muss schrittweise erfolgen, langsam, begründet auf Verstehen, nicht unvermittelt. Es kann nicht erzwungen werden. Es muss allmählich geschehen und mit tiefem Verständnis. Wenn Menschen es nicht verstehen und versuchen, ganz unvermittelt damit Schluss zu machen, werden sie nur noch mehr Frustration, Furcht usw. haben.
Und deshalb sagte er in seiner schrittweisen Lehre, dass es zuerst Genuss schenkt, sexuell aktiv zu sein, dann aber gibt es Nachteile, dann gibt es Probleme. Und erst dann, wenn man die Probleme sieht, beginnt man zu erkennen, dass diese Nachteile und diese Negativität der Sexualität innewohnen – sie sind davon nicht zu trennen. Die Lust beinhaltet diese Schwierigkeiten und Probleme.
Frage: Besonders in der heutigen Zeit würde das als ein sehr radikaler Standpunkt angesehen werden.
Antwort: Oh, sicher. Aber wissen Sie, nur wenn Menschen sich von diesen Dingen abwenden, nur wenn sie sich von dieser Art von Lehre fernhalten und räumlich und zeitlich Millionen von Meilen weit weg sind und sich dann umdrehen und auf die Wurzeln ihres Problems sehen, dann erscheint es radikal. Sie haben sich so lange abgewandt und in Raum und Zeit so weit entfernt, dass sie denken, wenn sie zurückschauen: „Um Himmels willen, wie kann ich das jetzt beseitigen? Ich habe mich so weit darauf eingelassen und ich bin jetzt darin so verstrickt.“ Deshalb erscheint es ihnen radikal. Klar ist es radikal!
Frage: Während Sie sprachen, ertappte ich mich bei dem Gedanken, dass Sie den Genuss in der Sexualität so kurz besprachen, all ihre Nachteile aber so ausführlich; viele Leute –
Antwort: Ja, genau! So viel Schmerz wegen ein bisschen Genuss, nicht wahr?
Frage: Genau.
Antwort: Aber Sie haben recht. Die Menschen möchten nicht daran denken. Die Menschen möchten immer das hören, was sie gerne hören. Aber das wollen wir nicht sagen! Ob es den Menschen nun gefällt oder nicht, wir wollen die Wahrheit sagen. Und wir sollten uns nicht davor fürchten, die Wahrheit zu sagen. Ob die Welt sie nun akzeptiert oder nicht … das ist dann wieder etwas anderes. Was kann man da machen?
Frage: Als wir nach einem Zitat des Buddha suchten, das seine Einstellung zur Sexualität wiedergibt, stießen wir auf diese Passage aus „Das Leben des Buddha“: „Irregeführter Mann, der du schon so weit weg bist, es wäre besser für dich, dein Glied würde in den Mund einer abscheulichen giftigen Viper eindringen als in eine Frau. Es wäre besser für dich, dein Glied würde in einen Haufen brennender, heißer und glühender Kohlen eindringen als in eine Frau. Warum ist das so? Im ersten Fall würdest du den Tod oder ein tödliches Leiden riskieren, aber du würdest nicht, wenn sich der Körper nach dem Tode auflöst, in einen Zustand von Elend wiedergeboren, in ein unglückliches Schicksal, in Verdammnis, vielleicht sogar in die Hölle.“
Ich glaube, daraus erhält man einen recht deutlichen Eindruck davon, welche Einstellung der Buddha zur Sexualität hatte. Aber wie Sie wissen, werden im Westen heute viele Variationen des Buddhismus gelehrt und praktiziert, und viele Praktizierende im Westen scheinen die Behauptung des Buddha nicht zu teilen, dass Lust – die er, wie Sie vorhin sagten, als Manifestation der Begierde sah – per Definition transzendiert werden muss, um Erleuchtung zu erlangen. Noch dazu tendiert das liberale Klima des heutigen Amerika dazu, Sexualität als etwas sehr Gutes, sehr Gesundes und als einen sehr natürlichen Ausdruck nicht nur unseres Menschseins, sondern sogar unserer Spiritualität zu sehen. Was hätte der Buddha Ihrer Meinung nach dazu gesagt?
Antwort: Bevor ich darauf antworte, möchte ich dieser übersetzung noch eine kleine Fußnote anfügen. Sie wissen, dass der Buddha, wenn er vom Zölibat sprach, nicht nur vom Zölibat für Männer, sondern auch für Frauen sprach. Wenn er also zum Beispiel sagte, es sei besser, eine glühende Eisenkugel zu schlucken, als sexuell aktiv zu werden, dann gilt das auch für Frauen. Das muss klar sein; sonst könnten sich Frauen brüskiert fühlen. Sie würden sonst vielleicht denken, dass der Buddha Frauen hasste, aus diesem Grund Männer von Frauen fernhalten wollte und deshalb von Männern verlangte, enthaltsam zu sein. Wenn aber eine Frau enthaltsam sein möchte, dann muss sie sich aus demselben Grund von Männern fernhalten. Das ist der erste Punkt, den ich klarstellen wollte.
Der zweite Punkt ist, dass das Leben innerhalb der Familie mit einem Ehegatten usw. vom Buddha nicht verurteilt wurde; ein gesundes Sexualleben innerhalb der Ehe ist Laien gestattet, auch wenn es, wie ich schon sagte, niemals zu voller Erleuchtung führen kann.
Um Ihre Frage zu beantworten: nicht nur in der Gesellschaft von heute, sondern genauso zu Buddhas Zeiten gab es Menschen, die glaubten, dass Sexualität etwas Heiliges, Edles, Geweihtes und Wunderbares ist. Das ist also nicht nur ein soziales Phänomen des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Mentalität der Menschen hat sich seit unerdenklichen Zeiten nicht geändert, bis heute nicht, und sie wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Es gibt immer Menschen, die meinen, dass sie mittels Sexualität Befreiung finden könnten; wir nennen das eine verzerrte Sicht, ein verzerrtes Denken.
Frage: Diese „verzerrte Sicht“, wie Sie es nennen, ist zwar zeitlos, scheint aber derzeit besonders vorzuherrschen. Ich meine damit den immer populärer werdenden Standpunkt, dass Sexualität an und für sich, wenn man es bis zum Ende verfolgt, der eigentliche Ausdruck von Erleuchtung ist – und dass man eigentlich nicht wirklich hoffen kann, das letztendliche Ziel zu erreichen, wenn man der Sexualität in irgendeiner Weise aus dem Weg geht, da sie der Weg zur Befreiung ist. Wenn es möglich ist, würde ich Sie bitten, uns möglichst klar darzustellen, wie der Buddha auf diesen Standpunkt reagiert hätte.
Antwort: Damit bin ich ziemlich gut vertraut. Er sagte – ich übersetze aus dem Pali: „Egal, was du tust oder erlangst – du kannst in einer Höhle oder an einem abgeschiedenen Ort leben, und du magst alle Sutras auswendig gelernt haben; du magst ein gelehrter Redner sein; du magst auch Moral üben und so weiter und so fort – egal, was du sonst noch tun magst, solange du Lust, Hass und Unwissenheit nicht losgeworden bist, wirst du niemals Erleuchtung erlangen.“ Das lehrt der Buddha.
Je mehr man also sexuell aktiv ist, desto tiefer geht man in Lust, Verwirrung und Eifersucht hinein. Wenn ein Mensch, Frau oder Mann, gleichzeitig mit mehreren Personen sexuellen Verkehr haben will, dann wird er oder sie in gleicher Weise auf unterschiedlichste Art leiden: aus Eifersucht, Angst, Spannung, Kummer. Das ist ein sehr ungesundes, sehr ungesundes Leben. Wenn jemand daran denkt, mit allen möglichen Personen die ganze Zeit auf verschiedenste Art und Weise sexuellen Verkehr zu haben, dann wird dieser Mensch als Ergebnis solch ungesunden Verhaltens sehr bald tot sein. Nun muss man aber auch verstehen, dass in der gleichen Weise eine mäßige, kluge und gesunde sexuelle Betätigung durchaus vertretbar ist. Aber Erleuchtung mittels Sexualität zu erlangen heißt nichts anderes als: man ergeht sich so lange in sexueller Aktivität, bis man stirbt! Und man wird tot sein, bevor man diese Erleuchtung erlangt hat!
Frage: In welcher Weise kommt das alles im Kontext wirklicher spiritueller übung zum Tragen?
Antwort: Ich bin ein Theravada-Buddhist – das wissen Sie, nicht wahr?
Frage: Ja.
Antwort: Nun, manchmal bedaure ich es, diese Dinge sagen zu müssen, aber von Theravada-Buddhisten wird Tantra nicht als Buddhismus angesehen. In der buddhistischen Originalliteratur findet man nirgends „Tantrischen Buddhismus“. Tantra ist eine spätere Entwicklung. Im ursprünglichen Buddhismus gibt es nichts im Sinne eines tantrischen Buddhismus. Es gab nie so etwas wie tantrischen Buddhismus. Tantra ist Tantra, Buddhismus ist Buddhismus, und diese beiden Dinge werden nie zusammenpassen. Aber manche Menschen, die sehr in Sexualität verstrickt waren und deren Wahrnehmung sehr verzerrt war, wollten die Sexualität glorifizieren, indem sie Buddhismus dazugaben. Und deshalb kombinierten sie Tantra mit Buddhismus. Wahrscheinlich werde ich dafür gehasst, dass ich das sage, aber ich muss es trotzdem sagen.
Frage: Wir haben im Laufe unserer Recherchen festgestellt, dass sich nicht nur der Begriff der geweihten Sexualität gesteigerter Beliebtheit erfreut, sondern auch, dass Menschen aus westlichen Kulturen dem Zölibat häufig mit sehr viel Furcht und Misstrauen gegenüberstehen. Was, glauben Sie, könnte der Grund dafür sein?
Antwort: Streng enthaltsam zu sein nützt nur dem, der es tut. Man kann kein Institut für Enthaltsamkeit eröffnen. Enthaltsamkeit kann nicht institutionalisiert werden. Sie kann nicht organisiert werden. Wir können keine Gesellschaft von zölibatär lebenden Menschen haben. Es ist eine absolut persönliche und individuelle Praktik. Wenn Menschen also Einwände dagegen haben, richten sich die Einwände vielleicht gegen das Organisieren von Enthaltsamkeit.
Frage: Trotzdem scheint es, als müsste jede monastische Disziplin bis zu einem gewissen Grad organisiert werden. Tatsächlich waren wir fasziniert, ja schockiert darüber, als wir beim Lesen in den Patimokkha-Regeln zur Ausbildung von Mönchen feststellten, dass der Buddha offensichtlich eine ganze Reihe von Regeln aufstellen musste, die seinen Mönchen untersagten, sexuellen Kontakt mit – um nur einige Beispiele zu nennen, die Ihnen ganz sicher vertraut sind – Totenschädeln, Leichen, Tieren … darum geht es da, zu haben. Unseres Wissens gibt es dieses Verhalten heute nicht mehr – davon gehe ich aus, obwohl das nicht unbedingt stimmen muss! – daher fragten wir uns nur: Reagierte der Buddha mit dem Erlassen dieser Regeln auf Sachen, die die Leute tatsächlich machten? – Sogar seine eigenen Schüler und Anhänger?
Antwort: Genau. Wenn der Buddha eine Regel einführte, fanden die Mönche damals bald eine andere Möglichkeit, um dasselbe wieder zu tun. Sie wollten sich irgendwie sexuell betätigen. Wenn der Buddha also eine Regel aufstellte, brachen sie diese Regel nicht, aber sie fanden einen anderen Weg für die sexuelle Aktivität. Und dann musste Buddha eine weitere Regel aufstellen, um ihnen Einhalt zu gebieten. Es ist wie bei der Polizei und den Verbrechern – wo es ein Gesetz gibt, werden Verbrecher einen Weg finden, es zu umgehen und das Verbrechen zu begehen, und dann brauchen wir ein neues Gesetz. Das geschah auch zu Buddhas Zeiten. Als immer mehr Menschen in den Orden kamen, begannen sie alles mögliche zu tun, und für alle diese Dinge musste er Regeln aufstellen. Deshalb existieren diese Regeln. Er griff mit diesen Regeln nicht der Zukunft vor.
Frage: Und jetzt sind wir hier in der Zukunft, und da Sie sich aufgemacht haben, um die monastische Tradition des Buddha in den Westen zu bringen, frage ich mich, wie Sie die Menschen aus dem Westen erleben, die um Ihrer Lehre willen kommen. Wie verhalten sich moderne westliche Menschen einem monastischen Leben gegenüber? Haben sie Ihrer Meinung nach mehr Probleme damit als zum Beispiel Menschen aus Ihrer eigenen oder einer anderen Kultur?
Antwort: Das ist eine gute Frage, wissen Sie. Wir durchleuchten die Leute gründlich, bevor wir sie für das klösterliche Leben akzeptieren. Wir stellen sie zwei Jahre lang auf eine Art Probe, um festzustellen, ob sie wirklich aufrichtig und ernsthaft daran interessiert sind, sich darauf einzulassen. Denn manchmal kommen Leute nur so zum Spaß, und weil es bei uns sehr ruhig, friedlich usw. ist, glauben sie, dass es ihnen hier vielleicht gefallen könnte und sie Mönche werden möchten. Aber später ändern sie dann ihre Meinung.
Und deshalb möchten wir auch nicht leichtfertig damit umgehen; wir wollen wissen, ob sie wirklich aufrichtig und ernsthaft sind. Wenn sie ernsthaft sind, dann nehmen wir sie auf. Aber das sind nur wenige. Viele kommen, viele schreiben uns – und heutzutage schicken sie uns sogar E-mails! – und bitten uns darum, ihnen zu gestatten, Mönche zu werden und hier im Kloster zu leben. Aber wir akzeptieren sie nicht alle, denn wir wissen, dass sie später das Interesse verlieren werden.
Es gibt aber auch ein paar aufrichtige Menschen, die tatsächlich Mönch oder Nonne werden wollen. Und das ist kein neues Phänomen. Auch früher gingen von Millionen von Menschen nur einige wenige in die Klöster. Auch heute gehen in buddhistischen Ländern nicht alle ins Kloster. In einigen Ländern wie Thailand, Burma, Laos, Kambodscha usw. gibt es in der Tradition einen Brauch: man geht für kurze Zeit ins Kloster. Aber von denen, die für kurze Zeit ins Kloster gehen, legen die meisten die Robe wieder ab und gehen wieder. Nur eine Handvoll Leute bleibt wirklich. In den westlichen Ländern, wo es diese Traditionen nicht gibt, sind es noch weniger, die ins Kloster kommen. Und von ihnen werden noch weniger beim Klosterleben bleiben. Aber das ist mehr oder weniger überall auf der Welt dasselbe und war zu allen Zeiten so.
Wissen Sie, im Westen können immer weniger Menschen den Druck ertragen, den die Gesellschaft auf sie ausübt, sie sind müde – wirklich und wahrhaftig müde -, und deshalb wollen sie weg. Aber nur sehr wenige von ihnen werden bleiben, und die meisten werden wieder in die Gesellschaft zurückgehen. Aber das wussten wir, als wir unser Center errichteten, denn das ist schon immer und überall so gewesen.
Frage: Wenn es möglich ist, würde ich gern etwas mehr über Ihr eigenes Leben als Mönch erfahren. Welchen Einfluss hatte zum Beispiel das Zölibat auf Ihre spirituelle Entwicklung?
Antwort: Mein Freund, es schenkt mir enormen Frieden. Und ich sage das ganz ehrlich, wissen Sie. Denn ich kann mit allen Menschen ohne jedes Problem zusammenleben. Nicht eine spezielle Frau oder ein spezielles Mädchen, ein spezieller Junge oder ein spezieller Mann, denn mein Zölibat hilft mir, alle anderen Menschen auf gleiche Weise zu akzeptieren. Und es verhilft meinem Geist zu Frieden. Und ich glaube, so wünschte es der Buddha für uns – eine freundliche, friedliche Beziehung zu allen Lebewesen. Deshalb hat es eine so positive Wirkung auf mein Leben.
Frage: Soweit ich verstanden habe, wurden Sie Mönch im Alter von –
Antwort: Zwölf. Und jetzt bin ich siebzig. Seit achtundfünfzig Jahren trage ich diese Robe!
Frage: Wenn Sie Menschen einen Rat geben sollten, die daran denken, das Enthaltsamkeitsgelübde abzulegen, was würden Sie sagen?
Antwort: Ich würde sagen: „Wenn ihr ehrlich, aufrichtig und ernsthaft wünscht, ein friedvolles Leben zu haben, ein achtsames Leben, ein Leben ohne Probleme, ein Leben, das im Zeichen des unterschiedslosen Dienens für andere steht, dann ist ein zölibatäres Leben ein sehr gutes Leben, denn wenn man im Zölibat lebt, kann man wirklich wahre Liebe und Güte praktizieren, wahres Mitgefühl. Man kann alles schätzen, was einem begegnet. Der Geist kann gelassen und unvoreingenommen sein. Wenn man aber durch den einen oder anderen Menschen gebunden ist, ist all das nicht möglich. Daher, wenn ihr ernsthaft und aufrichtig diese Dinge praktizieren möchtet, dann ist das Zölibat ernstlich in Betracht zu ziehen.“
Aber es darf nie so sein, dass es aus gutem Glauben akzeptiert wird oder weil es von jemandem auferlegt wird. Man muss es wirklich verstehen und sehr gründlich über das Zölibat nachdenken, bevor man sich darauf einlässt.
Frage: Man muss offenen Auges hineingehen.
Antwort: Genau.
Frage: Und muss der Mensch auch eventuell mit vielfachen Herausforderungen rechnen?
Antwort: Sicher, sicher. Wenn man Enthaltsamkeit übt, begegnet man immer Herausforderungen. Es gibt so viele Menschen, die mit dir zusammen sein wollen, so viele, die sich dir nähern und dein Zölibat brechen möchten. Denn die anderen wissen, dass du nicht korrupt bist. Du fällst nicht auf jeden Trick herein, du lässt dich nicht auf falsche Dinge ein, bekommst keine Krankheiten usw. Die Menschen verstehen, dass du ein sehr anständiger Mensch bist, ein ordentlicher Mensch. Und manche Menschen sind gerne mit einer sehr anständigen Person zusammen, und das ist eine Herausforderung. Dem muss man sich stellen.
Frage: Sie sagten, Sie praktizieren seit achtundfünfzig Jahren Enthaltsamkeit. Wie hat sich ihre Erfahrung hinsichtlich dieser Entscheidung im Laufe der Zeit verändert oder vertieft?
Antwort: Wissen Sie, zuerst war es sehr schwierig, sehr schwierig, besonders als ich jung war, als Teenager und bis in meine späten Zwanziger. Es war wirklich eine Herausforderung. Aber durch die Ausbildung, die ich erhielt, entwickelte ich ein gewisses Verantwortungsbewusstsein für meine Pflichten, meine Arbeit, meine Verpflichtung gegenüber dem Dharma (Gesetz), und hatte überdies Respekt für meine Lehrer und Eltern. Lehrer und Eltern, wir lieben sie sehr, und wir wollen nicht ungehorsam oder respektlos zu ihnen sein. So ging das jahrelang, bis ich wirklich vollständig zur Reife gelangt war. Und dann begann ich, die wahre Bedeutung des Zölibats aus mir selbst heraus zu verstehen.
Ein Interview mit Bhante Henepola Gunaratana von Simeon Alev.
Was sagte Jesus bzw. die Bibel zur Enthaltsamkeit?
Mir geht es darum, aufzuzeigen, dass sich die Einstellung Buddhas nicht von Jesus unterscheidet, dass also Jesus genau so enthaltsam lebte wie Buddha, und das die östliche und westliche Philosophie, die buddhistische und christliche, sich in Bezug auf die Enthaltsamkeit nicht unterscheiden.
Von Buddha ist bekannt, dass er enthaltsam lebte (siehe: oben). Ich wollte herausfinden, ob Jesus ebenfalls enthaltsam lebte. Wie ich vermutete, hat er offensichtlich ebenfalls enthaltsam gelebt. Jedenfalls fand ich folgendes:
Matthäus 19,12: 12 Denn einige sind von Geburt an zur Ehe unfähig; andere sind von Menschen zur Ehe unfähig gemacht; und wieder andere haben sich selbst zur Ehe unfähig gemacht um des Himmelreichs willen. Wer es fassen kann, der fasse es!
Matthäus 22,30: 30 Denn in der Auferstehung werden sie weder heiraten noch sich heiraten lassen, sondern sie sind wie Engel im Himmel.
Ermahnung und Warnungen
Im Brief an die Galater erwähnt der Apostel Paulus die Unzucht, die Unlauterkeit, die Ausschweifung und andere Laster als „Werke des Fleisches“ und weist darauf hin, dass jene, die solches tun, das Reich Gottes nicht erlangen werden.
Gal. 5, 13-26: 13-15 Denn ihr seid zur Freiheit berufen worden, Brüder; allein gebraucht nicht die Freiheit zu einem Anlass für das Fleisch, sondern durch die Liebe dient einander. Denn das ganze Gesetz ist in einem Worte erfüllt, in dem: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Wenn ihr aber einander beißt und fresst, so seht zu, dass ihr nicht voneinander verzehrt werdet.
16-26 Ich sage aber: Wandelt im Geiste, und ihr werdet die Lust des Fleisches nicht vollbringen. Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch; diese aber sind einander entgegengesetzt, auf dass ihr nicht das tut, was ihr wollt. Wenn ihr aber durch den Geist geleitet werdet, so seid ihr nicht unter (gegen das) Gesetz. Offenbar aber sind die Werke des Fleisches, welche sind: Hurerei, Unreinigkeit, Ausschweifung, Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Zank, Zwietracht, Sekten, Neid, Totschlag, Trunkenheit, Gelage und dergleichen, von denen ich euch vorhersage, gleichwie ich auch vorhergesagt habe, dass, die solches tun, das Reich GOTTES nicht ererben werden. Die Frucht des Geistes aber ist: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit; wider solche gibt es kein Gesetz. Die aber des CHRISTUS sind, haben das Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und Lüsten. Wenn wir durch den Geist leben, so lasst uns auch durch den Geist wandeln. lasst uns nicht eitler Ehre geizig sein, indem wir einander herausfordern, einander beneiden.
Dieselbe Lehre wiederholt Paulus auch gegenüber den Ephesern:
Epheser 5,1-14: So seid nun Gottes Nachfolger… und wandelt in der Liebe, gleichwie Christus uns hat geliebt… Hurerei aber und alle Unreinigkeit oder Geiz lasset nicht von euch gesagt werden, wie den Heiligen zusteht… Denn das sollt ihr wissen, dass kein Hurer oder Unreiner oder Geiziger, welcher ist ein Götzendiener, Erbe hat in dem Reich Christi und Gottes. Lasset euch niemand verführen mit vergeblichen Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Unglaubens. Darum seid nicht ihr Mitgenossen. Denn ihr waret weiland Finsternis; nun aber seid ihr ein Licht in dem Herrn. Wandelt wie die Kinder des Lichts, die Frucht des Geistes ist allerlei Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit, und prüfet, was da sei wohlgefällig dem Herrn. Und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, strafet sie aber vielmehr. Denn was heimlich von ihnen geschieht, das ist auch zu sagen schändlich… Darum heißt es: „Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.“
Im ersten Brief an die Korinther weist der heilige Paulus darauf hin, dass „der Leib nicht für die Unzucht da ist, sondern für den Herrn und der Herr für den Leib:
1 Kor 6, 12-20: „Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles nützt mir. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich. Die Speisen sind für den Bauch da und der Bauch für die Speisen. Gott wird beide vernichten. Der Leib ist aber nicht für die Unzucht da, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib. Gott hat den Herrn auferweckt; er wird durch seine Macht auch uns auferwecken. Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Glieder Christi sind? Darf ich nun die Glieder Christi nehmen und zu Gliedern einer Dirne machen? Auf keinen Fall! Oder wisst ihr nicht: Wer sich an eine Dirne bindet, ist ein Leib mit ihr? Denn es heißt: Die zwei werden ein Fleisch sein. Wer sich dagegen an den Herrn bindet, ist ein Geist mit ihm. Wer sich dagegen an den Herrn bindet, ist ein Geist mit ihm. Hütet euch vor der Unzucht! Jede andere Sünde, die der Mensch tut, bleibt außerhalb des Leibes. Wer aber Unzucht treibt, versündigt sich gegen den eigenen Leib. Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den ihr von Gott habt? Ihr gehört nicht euch selbst; denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden. Verherrlicht also Gott in eurem Leib!“
Im Brief an die Kolosser kehrt Paulus zum selben Thema zurück:
Kolosser 3, 5: „So tötet nun eure Glieder, die auf Erden sind, Hurerei, Unreinigkeit, schändliche Brunst, böse Lust und den Geiz, welcher ist Abgötterei.“
In seinem ersten Brief an die Thessalonicher um 50 n.Chr. sprach sich Paulus gegen die Unzucht aus und mahnte die Christen zur Heiligung ihres Leibes:
1 Thessalonicher 4,3-8: „Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, und dass ihr meidet die Hurerei. Und ein jeglicher unter euch wisse sein Gefäß zu behalten in Heiligung und Ehren und nicht in der Brunst der Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen… Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung… Wer nun verachtet (Gottes Wille), der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen heiligen Geist gegeben hat in euch.“
Römer 14,4-5 : 4Diese sind’s, die sich mit Frauen nicht befleckt haben, denn sie sind jungfräulich; die folgen dem Lamm nach, wohin es geht. Diese sind erkauft aus den Menschen als Erstlinge für Gott und das Lamm, 5und in ihrem Mund wurde kein Falsch gefunden; sie sind untadelig.
1.Korinther 7,1 : 1Was aber das betrifft, wovon ihr mir geschrieben habt, so ist es gut für einen Menschen, kein Weib zu berühren.
1.Korinther 7,7-9 : 7Ich wollte zwar lieber, alle Menschen wären, wie ich bin, aber jeder hat seine eigene Gabe von Gott, der eine so, der andere so. 8Den Ledigen und Witwen sage ich: Es ist gut für sie, wenn sie bleiben wie ich. 9Wenn sie sich aber nicht enthalten können, sollen sie heiraten; denn es ist besser, zu heiraten als sich in Begierde zu verzehren.
eine andere Version lautet:
Paulus schreibt in 1 Kor 7, 1-7:
1Wovon ihr aber geschrieben habt, darauf antworte ich: Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren.
7Ich wollte zwar lieber, alle Menschen wären, wie ich bin, aber jeder hat seine eigene Gabe von Gott, der eine so, der andere so.
1.Korinther 7,25-38 :
26So meine ich nun, es sei gut um der kommenden Not willen, es sei gut für den Menschen, ledig zu sein.
36Wenn aber jemand meint, er handle unrecht an seiner Jungfrau, wenn sie erwachsen ist, und es kann nicht anders sein, so tue er, was er will; er sündigt nicht, sie sollen heiraten.
37 Wenn einer aber in seinem Herzen fest ist, weil er nicht unter Zwang ist und seinen freien Willen hat, und beschließt in seinem Herzen, seine Jungfrau unberührt zu lassen, so tut er gut daran.
38 Also, wer seine Jungfrau heiratet, der handelt gut; wer sie aber nicht heiratet, der handelt besser.
1 Korinther 7,29 : „Die da Weiber haben, dass sie seien, als hätten sie keine.“
Wenn wir verheiratet sind, können wir es nicht vermeiden, in den Anliegen der Welt verwickelt zu sein; es wird immer schwierig sein, sich rein von weltlichen Dingen zu halten. Und dies ist der Grund, warum Jesus uns sagt, andere haben auf Heirat verzichtet, wegen des Himmelreiches. Die Führung die uns die Bibel also gibt, ist unverheiratet zu bleiben und so zu leben, als ob wir keine Frau hätten.
Kolosser 3,1-2 : „Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist.“
Lukas 20,34-36 : „Die Kinder dieser Welt freien und lassen sich freien; welche aber würdig sein werden, jene Welt zu erlangen und die Auferstehung von den Toten, die werden weder freien noch sich freien lassen. Denn sie können hinfort nicht sterben; denn sie sind den Engeln gleich und Gottes Kinder, dieweil sie Kinder sind der Auferstehung.“
Matthäus 24,38 : „Denn gleichwie sie waren in den Tagen vor der Sintflut, sie aßen, sie tranken, sie freiten und ließen sich freien, bis an den Tag, da Noah zu der Arche einging“.
Lukas 17,26-27 : „Und wie es geschah zu den Zeiten Noahs, so wird’s auch geschehen in den Tagen des Menschensohnes: sie aßen, sie tranken, sie freiten, sie ließen freien bis auf den Tag, da Noah in die Arche ging und die Sintflut kam und brachte sie alle um“.
Hier beschreibt Jesus ein typisches weltliches Leben, ein Leben von Leuten deren Sinn und Streben auf die Dinge hier drunten ausgerichtet sind. Ihre Herzen sind bei den Dingen dieser Erde, bei weltlichen Dingen. Und freien und sich freien lassen ist so sehr Teil dieser Art des Lebens.
Und Leute, die dieses Leben führen, werden das wirkliche Leben versäumen. Im entscheidenden Augenblick wird das Verderben sie überfallen. Sie werden das große Abendmahl verpassen. Wenn die Einladung kommt, werden sie zu sehr mit ihren weltlichen Dingen beschäftigt sein und sie werden Ausreden haben und sagen, „Ich habe ein Weib genommen, darum kann ich nicht kommen“ (Lukas 14,20). Das beschäftigt sein mit dem Denken über Liebesabenteuer, mit der leiblichen Anziehungskraft andere Menschen, mit dem Wunsch nach Freundschaft zum anderen Geschlecht, mit Freien und mit dem Lesen und Sehen von Liebesgeschichten, wird uns davon abhalten, die Dinge die droben sind zu suchen. Diese Tätigkeiten werden uns daran hindern, Jesus zu folgen.
Offenbarungen des Johannes 14,3-5 : „3Und sie sangen ein neues Lied vor dem Thron und vor den vier Gestalten und den ältesten; und niemand konnte das Lied lernen außer den Hundertvierundvierzigtausend, die erkauft sind von der Erde. 4Diese sind’s, die sich mit Frauen nicht befleckt haben, denn sie sind jungfräulich; die folgen dem Lamm nach, wohin es geht. Diese sind erkauft aus den Menschen als Erstlinge für Gott und das Lamm, 5und in ihrem Mund wurde kein Falsch gefunden; sie sind untadelig.“
Wenn wir wirklich des Lammes Namen und den Namen seines Vaters geschrieben an unserer Stirn haben wollen (Offenbarung 14,1), dann müssen wir uns auf das Reich Gottes konzentrieren. Wenn wir wirklich unseren Sinn und Verstand und unser Denken, das sich in unserer Stirn befindet, auf geistige Dinge ausrichten wollen, dann müssen wir schon Abstand nehmen von weltlichen Beschäftigungen und Interessen. Unser Denken muss in eine Richtung gehen und sollte nicht gespalten sein.
1 Johannes 2,15-17: „Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist! Wer die Welt liebt, hat die Liebe zum Vater nicht. Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Die Welt und ihre Begierde vergeht; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit“
Im Brief des Paulus an die Römer (Kapitel 8) – Das Leben im Geist – steht:
6Aber fleischlich gesinnt sein ist der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede. 7Denn fleischlich gesinnt sein ist Feindschaft gegen Gott. 8Die aber fleischlich sind, können Gott nicht gefallen. 9Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn denn Gottes Geist in euch wohnt.
12So sind wir nun, liebe Brüder, nicht dem Fleisch schuldig, dass wir nach dem Fleisch leben. 13Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen; wenn ihr aber durch den Geist die Taten des Fleisches tötet, so werdet ihr leben.
Das Fleischliche bezieht sich, meiner Ansicht nach, auf die Sinne, wenn man so will auf Essen, Trinken, Süßigkeiten, Sexualität, Musik, Gerüche, visuelle Genüsse, mit anderen Worten, auf alle sinnlichen Verhaftungen. Und es sagt in meinen Augen nichts anderes aus, als das was Buddha sagt, wenn er meint, man soll sich von allen Verhaftungen lösen.
Die Bibelstelle sagt allerdings auch aus, dass man sein Leben im Geiste Christi, also geistlich gestalten sollte. Ist jemand allerdings Atheist, so würde ich diese Aussage so formulieren, dass er sein Leben nach ethischen und humanen Grundsätzen leben sollte.
Römer 13,13–14: Lasset uns ehrbar wandeln wie am Tag. Nicht in Fressen und Saufen, nicht in Wollust und Unzucht, nicht in Hader und Neid, sondern ziehet den Herrn Jesus Christus an und pflegt das Fleisch nicht zur Erregung eurer Lüste.
Eine zweite Version lautet
Römer 13,13-14: Lasset uns ehrbar wandeln als am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid; sondern ziehet an den Herrn Jesus Christus und wartet des Leibes, doch also, dass er nicht geil werde.
Lukas 14 (Nur, wer seine Familie hasst, kann Jünger Jesu sein):
25Es ging aber eine große Volksmenge mit ihm; und er wandte sich um und sprach zu ihnen:
26Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater und seine Mutter und seine Frau und seine Kinder und seine Brüder und Schwestern, dazu aber auch sein eigenes Leben, so kann er nicht mein Jünger sein;
28Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen,
29damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann’s nicht ausführen, alle, die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten,
33So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein.
Lk 18,28-30 Aus dem Hinweis des Apostels Petrus kann man herauslesen, dass die Jünger um Jesu Willen alles verlassen haben, auch Frau und Kinder:
28Da sprach Petrus: Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt. 29Er aber sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verlässt um des Reiches Gottes willen, 30der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.
Hebräer 13,4: Die Ehe soll in Ehren gehalten werden bei allen und das Ehebett unbefleckt; denn die Unzüchtigen und die Ehebrecher wird Gott richten.
1. Timotheus 5,6: „Welche aber in Wollüsten lebt, die ist lebendig tot.“
Römer 13, 11-14: „Und weil wir solches wissen, nämlich die Zeit, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf. So lasset uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichtes. Lasset uns ehrbar wandeln als am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid; sondern ziehet an den Herrn Jesus Christus und wartet des Leibes, doch also, dass er nicht geil werde.“
1. Joh 2,15-17: „Liebt nicht die Welt und was in der Welt ist! Wer die Welt liebt, hat die Liebe zum Vater nicht. Denn alles, was in der Welt ist, die Begierde des Fleisches, die Begierde der Augen und das Prahlen mit dem Besitz, ist nicht vom Vater, sondern von der Welt. Die Welt und ihre Begierde vergeht; wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit.“
Gal 6,8 : „Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten.“
1. Korinther 9,11: So wir euch das Geistliche säen, ist’s ein großes Ding, wenn wir euer Leibliches ernten? (Der heilige Hieronymus sagte über die heilige Paula: „Sie säte im Fleische, um im Geiste zu ernten.“)
2 Petrus 2,9-19 : Der Herr weiß die Gottseligen aus der Versuchung zu erlösen, die Ungerechten aber zu behalten zum Tage des Gerichts, sie zu peinigen, allermeist aber die, so da wandeln nach dem Fleisch in der unreinen Lust… Sie achten für Wollust das zeitliche Wohlleben, sie sind Schandflecken und Laster…, haben Augen voll Ehebruchs, lassen sich die Sünde nicht wehren… Sie haben verlassen den richtigen Weg und gehen irre… Das sind Brunnen ohne Wasser, und Wolken, vom Windwirbel, umgetrieben, welchen behalten ist eine dunkle Finsternis in Ewigkeit. Denn sie reden stolze Worte, dahinter nichts ist, und reizen durch Unzucht zur fleischlichen Lust… und verheißen Freiheit, ob sie wohl selbst Knechte des Verderbens sind.
Jakobus 1,13-15 : Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott versucht werde. Denn Gott kann nicht versucht werden zum Bösen, und er selbst versucht niemand. Sondern ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt wird. Darnach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod.
Die Glücklichen des Himmels
Dass der priesterliche Zölibat auch heute für alle Christen eine Bedeutung haben könnte, zeigt die Antwort Jesu auf die Frage, wie es mit der Heirat im himmlischen Jenseits steht. Jesus antwortet darauf: „Nach der Auferstehung werden die Menschen nicht mehr heiraten, sondern sein wie die Engel im Himmel“ (Mt 22,30; Mk 12,25; Lk 20,35f).
Damit deutet Jesus an, dass Heiraten etwas Irdisches und damit auch Vergängliches ist. Im Leben der Auferstehung wird unter den Menschen eine neue Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern entstehen. Es wird nicht mehr geheiratet. Diese neue Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern, auf die wir alle zugehen, nehmen diejenigen Menschen voraus, die schon in diesem Leben nach dem Rat Jesu die „Ehelosigkeit um des Himmels willen“ (Mt 19,12) leben.
Das Wort „Zölibat“ soll etymologisch vom lateinischen Ausdruck „Coeli beati“ stammen, was auf deutsch „die Glücklichen des Himmels“ bedeutet. Die Menschen, die den Zölibat leben, können ungeteilt für Gott und alle Menschen da sein. Das ist ein großer Wert, der jetzt schon von vielen Priestern und Ordensleuten gelebt wird. Es scheint, dass er heute zu wenig geschätzt wird. Auch denken viele Christen – stark mit dem Diesseits beschäftigt – nicht daran, dass wir alle auf eine Zukunft zugehen, in der die Menschen nicht heiraten und dennoch in einer großen liebenden Gemeinschaft miteinander verbunden sind. Alle, welche um des Himmelreiches ehelos leben, deuten jetzt schon auf diese Zukunft hin und haben bereits begonnen, sie zu leben. Der Zölibat hat eine große Bedeutung für die Zukunft.
Martin Gächter, Weihbischof
Pflichtzölibat
Folgenden Stellen deuten sogar auf das Pflichtzölibat hin: 1 Tim 3, 12 und Tit 1, 6 : «Deshalb soll ein Bischof ein Mann ohne Tadel sein, nur einmal verheiratet…» – «Ein ältester soll unbescholten und nur einmal verheiratet sein…» Was hier zunächst eher danach aussieht, als würde das Pflichtzölibat widerlegt, ist tatsächlich die erste, frühe Praxis des Zölibats: In den Anfängen, in denen die Christen meist Bekehrungen im Erwachsenenalter hinter sich haben, gibt es kaum Unverheiratete, die zu den ämtern zugelassen werden können. Die Priester und Bischöfe werden daher aus den Verheirateten genommen, mit der Auflage, nach der Weihe nicht noch einmal zu heiraten: Der Bischof sei nur Mann einer Frau. Damit war die Weihe eines in zweiter Ehe Lebenden, das Eingehen einer zweiter Ehe nach erfolgter Weihe und auch das Eingehen einer Ehe durch solche, die als Ehelose geweiht worden waren, verboten.
Starb also die Ehefrau des Bischofs oder des ältesten so durfte er keine neue Ehe eingehen und war zum Zölibat verpflichtet. Zölibat
Jesus und die Essener
Heute ist es unter Wissenschaftlern auf dem Gebiet der Theologie eine allgemein akzeptierte Tatsache, dass Jesus Christus der Gemeinschaft der Nazarener angehörte, welche ein Zweig der Essener Glaubensgemeinschaft war (aus diesem Grunde müsste sein Beiname „Jesus von Nazareth“ korrigiert werden zur wohl richtigeren Bezeichnung „Jesus der Nazarener“, da zudem keinerlei Hinweise gefunden werden können, dass ein Dorf namens Nazareth in Jesus‘ Tagen existierte).
1974 wurden in den Höhlen der Quaratania-Bergen über dem Toten Meer Pergamenthandschriften und Papyrusrollen entdeckt, welche nachweisliche überreste einer großen Schriftensammlung dieser religiösen Gemeinschaft der Essener sind. Obwohl die Schriften bis heute noch nicht vollständig übersetzt und ausgewertet worden sind, kann man eine große ähnlichkeit zwischen der Lehre der Essener und der Lehre Jesu finden. Besonders interessant ist, dass sich die meisten der Jesus Christus in der Bergpredigt zugeschriebenen Seligpreisungen schon in diesen Schriftrollen vom Toten Meer finden, welche teilweise schon mehrere Generationen vor Jesus Leben verfasst worden sind! Hier stellt sich die Frage nach dem Ursprung dieser Lehren. Lassen sie sich noch weiter zurückführen als bis zur Glaubensgemeinschaft der Essener?
Bereits um etwa 150 vor Christus breitete sich die jüdischen Essener (die Frommen), eine aramäische religiöse Gruppierung innerhalb des Judentums, in Damaskus (Syrien) aus. Sie bildeten bis 70 n. Chr. neben den Pharisäern und den Sadduzäern eine dritte bedeutende jüdische Gruppierung. Sie lebten meist ehelos in Klostergemeinschaften zusammen und mussten sich vielen Reinheitsvorschriften unterziehen. Die Essener können als Vorläufer späterer Mönchsorden angesehen werden, die es aber im jüdischen Selbstverständnis damals noch nicht gab.
Nach den antiken Quellen lebten sie getrennt vom offiziellen Tempeljudentum in klösterlicher Einsamkeit. Sie forderten asketische Ordensgemeinschaft mit Gütergemeinschaft. Voll Eifer in einem Leben des Gebetes, der Enthaltsamkeit und der Arbeit erwarteten die Essener die nahe Ankunft des Messias.
Video: Zölibat in der Diskussion: Dr. Johannes J. Kreier
„Der jungfräuliche Mann ist nicht ein Bettler neben Gesättigten“
– Vortrag von Hochschulpfarrer Dr. Johannes J. Kreier
Video: Zölibat in der Diskussion Teil 1/3 (33:38)
Video: Zölibat in der Diskussion Teil 2/3 (27:56)
Video: Zölibat in der Diskussion Teil 3/3 (23:51)
Brahmacharya Sadhana
Brahmacharya ist Reinheit in Gedanke, Wort und Tat. Brahmacharya umfasst nicht nur die Beherrschung des Geschlechts- oder Fortpflanzungsanlagen sondern auch anderer Anlagen. Das ist die Definition von Brahmacharya im weiteren Sinne. Brahmacharya ist von zweierlei Art, nämlich physisch und geistig. Physisch ist die Kontrolle des Körpers und geistig ist die Kontrolle schlechter Gedanken. In geistigem Brahmacharya gelangt nicht einmal ein einziger wollüstiger Gedanke je in den Geist. Freisein von allen sexuellen Gedanken im Wach- wie im Traumzustand ist strenges Brahmacharya.
Die Lebensenergie, Virya (sexuelle Energie), die das Leben erhält, ist ein großer Schatz. Sie ist die Essenz des Blutes. Brahmacharya ist wirklich ein wertvolles Juwel. Sie ist die wirkungsvollste Medizin, der Nektar, der Krankheiten, Verfall und Tod zerstört. Die unsterbliche Seele, ist in Wahrheit die Natur von Brahmacharya. Sie wohnt in Brahmacharya.
Die sexuelle Energie ist die Essenz von Leben, Gedanken, Intelligenz und Bewusstsein. Wenn die sexuelle Energie einmal verloren ist, kann es nie im Leben wieder zurückgebracht werden, auch nicht durch das Einnehmen einer noch so großen Menge von Badam, Nerventonika, Milch, Sahne, Makaradhwaja, usw. Wenn diese Flüssigkeit sorgsam bewahrt wird, dient sie als Hauptschlüssel, um die Tore zu elysischer Wonne, zum Reich Gottes und für jegliche Art von höherer Errungenschaften im Leben zu öffnen. Nur durch Brahmacharya allein haben die Rishis (Weisen) früherer Zeiten den unsterblichen Ort von Freude und Wonne erlangt.
Ohne Brahmacharya gibt es keine Gesundheit und kein spirituelles Leben. Brahmacharya ist der Grundgedanke zum Erfolg in jedem Lebensbereich. Brahmacharya dient als Zugang zu jenseitiger Wonne. Es öffnet das Tor zu Moksha (Befreiung). Siddhis und Riddhis (übersinnliche Kräfte) liegen dem Brahmachari zu Füßen. Wer kann die Majestät und Herrlichkeit eines Brahmachari beschreiben? Brahmacharya, makellose Keuschheit, ist die beste Bußübung. Es gibt nichts auf der Welt, das ein enthaltsamer Mensch nicht erreichen könnte. Er kann die ganze Welt bewegen.
Sinnlichkeit zerstört Leben, Glanz, Kraft, Vitalität, Gedächtnis, Wohlstand, Ruf, Heiligkeit und Hingabe an das Höchste. Der Tod wird beschleunigt, wenn die Lebensenergie aus dem Körper herausgelassen wird. Das Leben wird erhalten und verlängert, wenn sie bewahrt wird. Wer viel von seinem Virya, (sexuellen Energie) der Lebensenergie verloren hat, wird leicht reizbar und faul. Er fällt jeder Krankheit leicht zum Opfer. Er stirbt früh.
Die Menschen sind körperlich, geistig und moralisch geschwächt, weil es ihnen an Brahmacharya mangelt, weil sie ihre Samenkraft verschwendet haben. Solche Menschen sind schon bei geringfügigen Anlässen leicht gereizt. Sie fallen verschiedenen Krankheiten und einem frühen Tod zum Opfer.
Ein wohldiszipliniertes Leben, Studium der Schriften, Satsang (Zusammensein mit Weisen, Heiligen und Erleuchteten), Japa (Mantrameditation), Dhyana (Meditation), gesunde Ernährung, tägliche Selbstanalyse, Praxis von Sadachara (richtiges Verhalten) und von Tapas (Askese) und anderes von dieser Art ebnen ein gutes Stück Weges, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Praxis von Enthaltsamkeit ist mit keinen Gefahren, Krankheiten oder unerwünschten Folgen verbunden, wie verschiedene „Komplexe“, die ihr von den westlichen Psychologen fälschlicherweise zugeschrieben werden. Sie haben kein praktisches Wissen auf diesem Gebiet. Sie haben die falsche Vorstellung, dass die unbefriedigte sexuelle Energie die verschiedenen Formen verhüllter Komplexe annehmen kann, wie Berührungsangst, usw. Das ist ein krankhafter Geisteszustand, der auf übermäßigen ärger, Hass, Eifersucht, Sorge und Depression zurückzuführen ist, die verschiedene Ursachen haben.
Betrachte keine obszönen Bilder. Sprich nicht vulgär. Lies keine Romane, die die Leidenschaft erregen und unedle, unerwünschte Gefühle im Herzen erzeugen. Meide schlechte Gesellschaft. Gehe nicht ins Kino. Verzichte auf Zwiebel, Knoblauch, scharfe Curries, Chutnies und scharfe Speisen. Nimm gesunde, milde, sattvige Nahrung zu dir. Verwandle die sexuelle Energie durch erhabene Gedanken, Japa (Mantrameditation), Kirtan (das Singen von Gottes Namen), Vichara, das Fragen über Atman, Pranayama (Atemreduktion), Sirshasana, Sarvangasana, das Studium der Gita, der Upanishaden und anderer religiöser Bücher in spirituelle Energie (Ojas). Habe Satsang-Gemeinschaft mit Mahatmas, Yogis und Sadhus. Du wirst dich in Brahmacharya festigen. Die sexuelle Energie wird sublimiert werden.
Hinsichtlich Brahmacharya sagt der Weise Patanjali: „Durch Festwerden im Zölibat wird Kraft gewonnen.“ Wenn der Samen durch Einhalten von Brahmacharya bewahrt und in Ojas-Shakti umgewandelt wird, wächst die spirituelle und intellektuelle Kraft. Der Samen ist eng mit Gehirn und Verstand verbunden, denn er ist die Substanz der menschlichen Vitalität. Er steht in Beziehung zu Intelligenz, Moral und Spiritualität. Es kann keinen Erfolg im Yoga geben, wenn diese fundamentale Kraft nicht im Körpersystem bewahrt wird. Die Kraft, die der Yogi hier erlangt, ist nicht nur körperlich, sondern geistig, intellektuell, moralisch, okkult und spirituell. Dadurch kann anderen Wissen vermittelt werden, ohne dass sie es wissen.
Brahmacharya ist Grundvoraussetzung für den Suchenden. Es ist die wichtigste Tugend zur Selbstverwirklichung. Brahmacharya ist Reinheit in Gedanke, Wort und Tat. Nicht einmal der Gedanke von Lust darf den Geist betreten. Ohne Enthaltsamkeit gibt es keinen Yoga und keinen spirituellen Erfolg.
von Swmai Sivananda
Frauen und Enthaltsamkeit?
In dem folgenden intimen Bericht beschreibt eine Frau von heute, die im Zölibat lebt, ihre Entscheidung, der Sexualität für eine bestimmte Zeit zu entsagen, und ihre Entdeckung einer neuen befreienden Sichtweise in Bezug auf die Möglichkeit wahrer Nähe zwischen Mann und Frau. Vor zwei Jahren trat ich in das Zölibat ein. Endlich war es soweit. Es war etwas, was ich mir sehr gewünscht hatte und in das ich hineinging mit einer unerhörten Leidenschaft. Es kam dem Ende der Welt gleich, dem Ende meiner Geschichte und Identität als attraktive Frau.
Statt dessen gab es nur noch eines jetzt: Freiheit. Wunderschöne, weite Unendlichkeit. Es war ein Rausch. Keine Romanze, keine stürmische und innige Beziehung, keine noch so warme Geborgenheit in den Armen eines Mannes – nichts kam meiner Erfahrung dieses Schrittes gleich. Es war das, wovor ich mich immer am meisten gefürchtet und was ich mir gleichzeitig am meisten gewünscht hatte: ich war allein.
Ich rasierte meine Haare ab und verpflichtete mich zu einem Leben ohne sexuelle Aktivität. Entsagung. Kein Mann wird sich nach mir umdrehen. Auch die Illusion, dass es einen Märchenprinzen in der Zukunft gibt, war vorüber. Die Reise, die ich begann, führte in unbekanntes Gebiet, und ich würde nicht zurückkommen. Es gab mich nicht mehr in dieser Welt der Schönen, der Reichen und der Berühmten. Meine Eintrittskarte zu dieser Welt war mit meinen Haaren verschwunden. Die Entscheidung zum Zölibat kam nach reiflicher überlegung und langer Betrachtung. Es war meine bewusste Wahl.
Vor kurzem, als wir aus dem Fenster hinaus auf zwei alte Nonnen in schwarzen Gewändern schauten, sagte ein nichts ahnender Arbeitskollege gedankenverloren: „Sieh mal, Nonnen! Das ist auch eine Sache der Vergangenheit.“ Er bemerkte nichts. Eigentlich ist mein Zölibat unauffällig, obwohl mit jedem Voll- und Neumond regelmäßig mein Kopf rasiert wird und alle sich neu formierenden Ansätze von Identität, von so etwas wie gutem Aussehen verschwinden. Aber es geschieht still, andächtig und mit zunehmender Selbstverständlichkeit. Zur Arbeit trage ich Hüte, Mützen, Kappen – immer etwas auf dem Kopf. Natürlich erregt das Neugierde, aber nach dem ersten Schock fällt es nicht mehr auf und scheint auch nicht weiter von Interesse zu sein.
Anfänglich begegnen mir ungläubiges Kopfschütteln, ironisches Grinsen und schiere Sprachlosigkeit. Manchmal auch die ein oder andere verlegene Frage nach dem Grund. Manchmal entsteht ein Gespräch, meistens mit Frauen, die Parallelen sehen, sich gleichzeitig angezogen und abgestoßen fühlen. Ist es möglich, dass eine von uns sich dem Werteschema unserer Gesellschaft in Bezug auf Frauen so absolut entzieht? Auf eine Weise entzieht, die unmissverständlich ist und persönlich eine große Standfestigkeit verlangt. Als Frau in unserer Gesellschaft keine Haare zu haben ist eine große Herausforderung. Schließlich besteht diese Welt, unser Denken, unsere Sehnsüchte aus Ideen über sexuelle Macht. Oder nicht?
„Hast du denn keine körperlichen Bedürfnisse? Ich könnte ja niemals ohne!“ Das ist die am meisten geäußerte Meinung. Es ist schwierig für den modernen Mann oder die moderne Frau, sich ein Leben ohne sexuelle Aktivität vorzustellen. Unser Selbstwertgefühl steht und fällt mit unserem Empfinden über die eigene Attraktivität, mit deren Bestätigung und mit der Häufigkeit und Intensität körperlicher Befriedigung. Sexualität ist ein moderner Gott. Die Idee, wahre Erfüllung in romantischen und sexuellen Beziehungen zu finden, ist heute noch immer die mächtigste Versuchung und die größte Illusion.
Auch mein eigenes Leben war geprägt und getrieben von der Sehnsucht, tiefes Eins-Sein, überwältigendes Vertrauen und absolute Hingabe in Romanzen und sexuellen Abenteuern zu erfahren – und nie wieder zu verlieren. So sehr mich Zweifel daran auch plagten, konnte ich es schon als Teenager nicht erwarten, in die Welt der Erwachsenen vorzudringen, einen Freund zu haben, jemand zu sein, das Leben in mir sprudeln zu fühlen durch die Elektrizität romantischer und sexueller Gefühle. Humphrey Bogart und Ingrid Bergman in Casablanca sind zeitlose und dramatische Ikonen eines sich nicht erfüllenden Versprechens von ewiger, ekstatischer Glückseligkeit.
Ihre Gesichter nass vom Regen in der Abschiedsszene. Sie weiß nicht, dass er bereits dazu entschlossen ist, ihre Liebe einer größeren Verantwortung zu opfern. Sie ist verliebt, in einem schwerelosen Taumel. Das ist alles, was sie zu wissen scheint und wissen will. Endlich haben die Liebenden wieder zusammengefunden, und die Welt erscheint ihr im Gleichgewicht, trotz aller Turbulenzen, die sie erfährt. Sie wird Victor Laszlo verlassen und mit Rick in eine ungewisse, aber berauschende Zukunft gehen.
Als ich diese Szenen zum ersten Mal sah, konnte ich lange Zeit den Schmerz kaum ertragen, als Rick ihr zu verstehen gibt, dass sie nun doch mit Victor ins Flugzeug steigen wird und er zurückbleibt. Die beiden Männer verstehen sich. Der französische Polizist versteht. Alle drei Männer sind erhaben über den enormen emotionalen Schlag, den Ingrid Bergmans Augen so eindringlich zum Ausdruck bringen. Here’s looking at you, kid.
Die Welt der Frau ist die Liebe zum Mann. Ohne ihn ist sie nichts, ganz egal wie emanzipiert wir heute zu sein glauben. Warum sonst würden wir uns so viel Mühe geben, unsere Anziehungskraft zu betonen und zu pflegen? Diese Macht und Sicherheit, die uns die Liebe und Zuneigung eines Mannes bringen, sind uns enorm wichtig. Wir erleiden unsägliche Qualen und tiefe Zweifel, sollten sie uns abhanden kommen und in Frage gestellt werden. Männer und Frauen haben sich auf einen Code geeinigt, innerhalb dessen eine gegenseitige Verschwörung und Gefangenschaft aufrechterhalten bleibt. Men leave. Baby, please don’t go!
Nach der dritten großen und gescheiterten Liebesaffäre in meinem Leben begann ich aufmerksam zu werden. Wilhelm Reich sagt, dass wir Menschen uns nach einem biologischen, hormonellen Programm paaren. Für die Dauer von etwa vier Jahren werden bestimmte Hormone ausgeschüttet in Mann und Frau gleichermaßen, die eine sexuelle Anziehung garantieren. Danach hört das auf. Es ist ungefähr der Zeitraum, der nötig ist, eventuelle Kinder aus dem Gröbsten heraus zu haben.
Die Fortpflanzung der Rasse muss gesichert werden. Dann geht man weiter. Das genau beschrieb meine eigene Erfahrung. Nach vier Jahren etwa verlor ich das Interesse an meinem sexuellen Gegenüber. Meist verliebte ich mich in jemand anders, manchmal war ich einfach gelangweilt und oft so verärgert über die persönlichen Ticks meines ehemaligen Märchenprinzen, dass eine Trennung einfach das Vernünftigste war. Jeder konnte das sehen. Alle unterstützten mich in dieser Meinung, und den Männern erging es meist nicht anders.
Für eine Weile, während meiner Studentenzeit, zog ich wie viele damals die Konsequenzen aus meiner Einsicht, dass wahre Liebe eine Illusion ist, und unterhielt mehrere, ausschließlich sexuelle Beziehungen. Die sexuelle Befreiung war gerade gut unterwegs mit den jungen Leuten und hatte ihre zerstörerische Phase begonnen. Die Zeit der mutigen Experimente der Kommunen war zu Ende, und jetzt kam immer häufiger eine zynische und aggressive Note zum Vorschein.
Niemand wollte sich wirklich mehr auf etwas einlassen: Wir sind zusammen, aber wir verpflichten uns zu nichts. Zu groß war die Angst, wieder verletzt, nass und kalt im Regen zu stehen, nicht zu verstehen, warum das Versprechen der immerwährenden, alles gutmachenden Liebe, die „mein Leben“ von Grund auf heilt, die alle Fragen beantwortet, sich nicht erfüllte. No more Ingrid Bergman, no more Casablanca.
Die Wut über diese Desillusionierung trug ich auch zu den Frauengruppen. Da waren wir uns alle einig über den wahren Feind: der Mann, das Patriarchat. Als Frauen hatten wir den kürzeren gezogen, wohin man auch immer schaute: Im Beruf waren wir unterprivilegiert, in der Liebe waren wir die Dummen, und wenn Kinder da waren, hatten wir allemal die volle Verantwortung. Unsere Zusammenkünfte waren voller ärger und voll der hilflosen Gewalttätigkeit von Opfern großer Ungerechtigkeit. Es gab kein Verzeihen. Dennoch – heute, nach etwa 15 Jahren, gibt es diese Frauengruppe nicht mehr, und fast alle sind in „festen“ Beziehungen, entweder mit einem Mann oder mit einer Frau. Meistens aber mit Männern.
Was ist aus der Revolution geworden? Was ist aus unseren Einsichten geworden? Einer meiner Freunde sagte damals zu mir: „Wir verzweifeln nicht, wenn der Krieg in Vietnam nicht zu Ende geht, wenn das Atomkraftwerk nun doch gebaut wird; wir verzweifeln, wenn unsere Beziehungen in die Brüche gehen.“ Nach wie vor scheinen Liebesbeziehungen das Wichtigste in unserem Leben zu sein, trotz aller Bewusstwerdung, trotz aller mühsam errungenen politischen Fortschritte in Bezug auf Frauenrechte, trotz aller Erkenntnisse durch alle möglichen Meditationen.
Die sexuelle Seite des menschlichen Lebens ist sehr verwirrend. Lust, sexuelles Begehren, kann jeden Moment unsere Wahrnehmung überfluten und uns zu Handlungen veranlassen, die wir manchmal schon kurze Zeit später bereuen. Mein eigenes Leben ist voller Beispiele für die zerstörerischen Konsequenzen, die ein solch unreflektiertes Handeln nach sich ziehen kann. Ich hatte lange überlegt, bevor ich mich zum Zölibat entschlossen hatte. Die Entscheidung kam nach der Einsicht, dass ich dem Mann, den ich am meisten begehrte, nicht vertraute. Eine sexuelle Beziehung war daher ausgeschlossen.
Ich wollte meine Vergangenheit nicht wiederholen und endlose Machtkämpfe führen. dass es mir an Vertrauen fehlte, hatte mich zutiefst schockiert. Aber es eröffnete eine Untersuchung für mich, in der ich den fundamentalen Fragen meines Lebens zum ersten Mal mit echtem Interesse begegnete: Was ist Liebe? Was ist sexuelle Anziehung? Warum fürchte ich mich davor, allein zu sein, allein und unabhängig? Wer bin ich wirklich, wenn ich auf meine sexuelle Anziehungskraft verzichte, wenn ich auf die sexuelle Seite des Lebens allgemein verzichte? Was bedeutet es wirklich, darauf zu verzichten? Was heißt es, für mich selbst Verantwortung zu übernehmen?
Immer wieder war ich Kompromisse eingegangen, wenn es um das Objekt meiner körperlichen Begierde ging, wenn romantische Ideen mir das Paradies auf Erden versprachen. Das Leben ist so groß, so unfassbar in seinen Geheimnissen, so überwältigend in seiner Schönheit, und ich konnte mich nicht von den nagenden Sorgen meines Liebeslebens und meiner sexuellen Verstrickungen befreien. Der Mann stand immer im Zentrum meines Universums. Gleich neben mir. Da standen wir, und alles neben, hinter, unter oder über uns konnte ich nur vage ausmachen. Es war kaum etwas anderes zu erkennen. Und gleichzeitig gab es eine Sehnsucht in mir, die nie und nimmer ihre Erfüllung in diesem Rahmen finden würde. Aber ich hatte immer die Sicherheit des Konventionellen gewählt.
Als ich das Zölibat in Erwägung zog, war ich am meisten von dem Frieden angezogen, der sich immer wieder abzeichnete: Keine noch so große Versuchung würde mich von meinem Entschluss, alles für die Freiheit zu geben, abbringen. Kein Feilschen, keine Geheimnisse, kein Drama. Nur die Klarheit meiner Absicht, frei zu sein. In allen Beziehungen hatte ich mir immer gewünscht, dass ich allein sein könnte. Nun war ich allein und frei, all meine Ideen zu hinterfragen, meine ganze Erfahrung zu prüfen und herauszufinden, ob es möglich ist, sie auf ganz andere Art zu sehen, eine Art, die ein wirkliches Verstehen des menschlichen Lebens beinhaltet.
Dem Entschluss, sexueller Begierde nicht mehr nachzugeben, verdanke ich eine Perspektive auf sexuelle Gefühle, die mir verdeutlicht, wie unpersönlich, wie mechanisch und wie bedeutungslos sie sind. Es ist etwas, das seinen eigenen Rhythmus zu haben scheint. Es liegt an uns, darauf zu reagieren oder nicht. Nicht zu reagieren heißt, dass nichts passiert. Kein Karma wird geschaffen, es gibt keine Konsequenzen. Obwohl ein tosender Wirbelwind sexuellen Begehrens mich gerade fast verschlungen hätte, bin ich immer noch frei. Gefühle, von denen ich früher überzeugt war, dass sie mich zerreißen würden, tauchen auf – und ziehen vorbei. Nichts passiert. Ganz im Gegensatz zu dem, wie ich früher glaubte und hoffte, haben sexuelle Gefühle und Erfahrungen nichts mit Freiheit zu tun.
So ekstatisch sie auch sein mögen, sosehr sie mich auch über meinen Verstand hinausgetragen haben mögen – sie sind nicht von Dauer und eröffnen keine wahre Befreiung. Sie sind Teil der menschlichen Erfahrung. Der Teil, der etwas so Unromantisches und Mechanisches wie die Fortpflanzung der Rasse mit all seinen süßen Verlockungen unnachgiebig fordert. Ihnen zu entsagen, hat meine überzeugung gestärkt, dass es möglich ist, in diesem Leben wirklich frei zu sein. Das bedeutet für mich mehr und mehr eine lebendige und reale Perspektive jenseits von Gedanken, jenseits von Gefühlen und jenseits von Zeit. Den Mut, dieser Perspektive Ausdruck zu verleihen, muss ich alleine finden. In diesem Mut zum Alleinsein liegt die Möglichkeit wirklichen Vertrauens in das Leben selbst.
Mein Zölibat ist zunächst auf drei Jahre begrenzt. Ursprünglich erschien mir das wie eine Ewigkeit, aber heute möchte ich dieses Leben gegen kein anderes tauschen. Nichts in mir drängt auf ein Ende dieser Zeit der Entsagung. Immer größer wird der Friede in mir, immer weniger attraktiv ist die Aussicht auf eine Beziehung. Das tiefe Verlangen, mich an die Schulter eines Mannes zu lehnen und geborgen zu fühlen, schwindet und damit meine selbst gewählte Abhängigkeit von der Illusion, dass es in diesem Leben irgendeine Sicherheit gibt.
Das Zölibat ist eine kostbare Gelegenheit für mich, wahre Unabhängigkeit zu entdecken und zutiefst zu erforschen, unabgelenkt und mit großer Hingabe. Je mehr ich mich von all meiner romantischen Hilflosigkeit und den zornigen Anklagen löse, desto mehr sehe ich in Männern die Menschen, die sie sind, und nicht den Erzfeind, den Frau bezwingen muss, um zu überleben. Es ist möglich, ihnen zu vertrauen. Es ist möglich, zuallererst Mensch unter Menschen zu sein.
Ich stelle mir ein neues Casablanca vor … Bogart steht da im Regen, sein Gesicht ist ernst und nass. Er scheint etwas erstaunt, aber sehr erleichtert, dass Ingrid ohne zu blinzeln, ohne eine Träne zu vergießen ins Flugzeug steigt und ihm zuruft: „Ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!“
von Carin J.
Die enthaltsam lebenden Dani aus Neuguinea
Ein Bericht aus dem Time Magazine – Montag, Aug. 2, 1976
Die Dani sind ein Volk aus Neuguinea (Nord-Zentral-Irian Jaya, Indonesien, nördlich von Australien), mit 370.000 Einwohnern. Sie hatten in den ersten beiden Jahren nach der Heirat keinen Geschlechtsverkehr und lebten für 4 bis 6 Jahre nach der Geburt eines Kindes vollkommen enthaltsam. Vorehelicher und außerehelicher Geschlechtsverkehr sind praktisch unbekannt, und es gibt scheinbar keine Homosexualität oder andere sexuelle Formen der sexuellen Befriedigung (Onanie). Darüber hinaus scheint niemand irgendwelche Anzeichen von Unglück oder Stress zu zeigen. Die Männer vom Stamm der Danis tragen einen Penisköcher (Koteka), ohne den sie sich nackt fühlen würden. Dieser wird aus der getrockneten Hülle des Flaschenkürbisses hergestellt.
übermenschen? Eine Erfindung, die der Phantasie eines Science Fiction Autors entsprungen ist? Tatsächlich leben die Dani ziemlich schön, im großartigen Tal von Westirian (früher Westneu-Guinea), wo sie für 2 ½ Jahre von Karl Heider, einem Anthropologe von der Universität Südkarolina (USA), studiert wurden. Heider, der an den amerikanischen Universitäten von Harvard, Brown und Stanford lehrte, beschreibt das enthaltsame sexuelle Verhalten der 5.000 Mitglieder des Stammes in der aktuellen Ausgabe des „The Journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain“. Er fand keine starken Bestrafungen gegen sexuelle Betätigungen oder irgendeine brauchbare Erklärung für eine unterentwickelte Libido (sexuelles Verlangen) der Dani. Nach der Befragung, sagten die Stammesangehörigen, die Verletzung der Enthaltsamkeit nach der Schwangerschaft würde Probleme mit den Geistern des Stammes verursachen. Dennoch wirkten die Dani keineswegs gezwungen gegenüber ihren Geistern, und Heider stellt fest, dass die Befolgung dieser übernatürlichen Bestimmungen als ziemlich zwanglos verstanden werden muss.
Das Dani scheinen einfach keinen größeren Drang zu kennen, weder sexuell noch in anderer Weise. Es gibt kaum starke Gefühle, wenig künstlerische Ambitionen und nur wenig Streit. Anstatt seiner Wut Ausdruck zu verleihen, entfernt sich der Dani lieber von der belastenden Situation. Kriege haben, laut Heider, den emotionalen Charakter der Rotwildjagd in Amerika. Die Krieger unterhalten sich eine längere Zeit, kämpfen dann eine Stunde lang, und setzen danach die Unterhaltung fort. Wut und Rache spielen dabei nur selten eine Rolle. Die Dani wollen einfach nur ihre Geister besänftigen und den Kampf so schnell wie möglich beenden. Ihr einzig wirkliches Interesse gilt der Schweinehaltung und dem Anbau der Süßkartoffel. Die Rundhütten der Dani haben ein mit Gras gedecktes Dach. In der Mitte der Hütte befindet sich eine Feuerstelle. Der Eingang ist gerade mal so groß, dass man kriechend in das Innere der Hütte gelangt.
Heider kann es sich nicht erklären, warum das Energieniveau der Dani so „niedrig“ ist. Der Stamm scheint eine niedrige Kindsterblichkeitsrate, eine ausreichende Ernährung und keine ernsten Krankheiten zu haben. Heider glaubt nicht, dass genetische oder biologische Faktoren die Ursachen für dieses „niedrige Energiesystem“ der Dani sind, sondern dass sie kulturell bedingt ist. Wenn das so ist, dann müsste die westliche Theorie über den angeborenen sexuellen Trieb, der vor allen Dingen von Freud postuliert wurde, neu überdacht werden.
Weitere Artkel zum Thema:
Brahmacharya für Jungen und Mädchen
No sex, no drugs – but rock’n roll?
Sie tauchen ein in ekstatische Welten und Dimensionen. Dabei wird das Herz für mehr Liebe geöffnet, sexuelle Energie und Charisma erhöht und Angst und Hemmschwellen werden reduziert…