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Übersetzung des Originals aus dem Tamil ins Englische von Dr. T.M.P. MAHADEVAN, M.A., Ph.D.
Published by Sri Ramanasramam, India

Ramana Maharshi


Einführung

Der hier vorliegende Text behandelt in vierzig Fragen und Antworten die Gesamtheit spiritueller Wege, die zur Erlösung (Moksha) führen. Die Fragen wurden von Gambhiram Seshayya, einem frühen Anhänger Bhagavan Sri Ramana Maharshis gestellt, der um 1900 Gemeindeinspektor in Tiruvannamalai war.

Gambhiram Seshayya war nicht nur ein leidenschaftlicher Ramabhakta (Verehrer Ramas), er interessierte sich auch für Theorie und Praxis des Yoga. Er beschäftigte sich insbesondere mit den Vorträgen Vivekanandas über die verschiedenen Yoga-Wege und mit einer englischen Übersetzung der Rama Gita. Von Zeit zu Zeit, wenn er Zweifel oder Schwierigkeiten beim Studium der Bücher und in seiner spirituellen Praxis hatte, besuchte er Bhagavan Sri Ramana Maharshi.

Bhagavan, zu dieser Zeit erst einundzwanzig Jahre alt, lebte in der Virupaksha-Höhle auf dem Berg Arunachala. Da Bhagavan schwieg – nicht weil er ein entsprechendes Gelübde abgelegt hatte, sondern weil er einfach keine Neigung zu sprechen verspürte – schrieb er die Antworten auf Seshayyas Fragen auf kleinen Zetteln nieder. Diese aus den Jahren 1900 bis 1902 stammenden Notizen übertrug Seshayya später in ein Notizbuch.

Das so gesammelte Material veröffentlichte der Sri Ramanasramam unter dem Titel Vichara Sangraham, d. h. „Kompendium der Selbst-Erforschung“. Eine Zusammenfassung der in dem Werk enthaltenen Lehre wurde später in englischer Sprache unter dem Titel „Self-Enquiry“ herausgegeben. In dieser Fassung wurde auf die Frage-Antwort-Form verzichtet und der Kern der Lehre Bhagavans in zwölf thematisch geordneten kurzen Kapiteln dargestellt. Die hier vorliegende Übersetzung folgt wiederum dem kompletten tamilischen Originaltext von Vichara Sangraham.

Vichara Sangraham ist die erste Sammlung der Unterweisungen Bhagavans, wie sie von ihm selbst niedergeschrieben wurden, und daher von einzigartigem Wert.

Das gründliche Studium der Unterweisungen Bhagavans offenbart, dass all seine Darlegungen vollständig seiner eigenen Erfahrung entspringen. Heilige Texte, die seine frühen Anhänger zu ihm brachten, und die er las, um ihnen bei der Klärung ihrer Fragen und Zweifel zu helfen, bestätigten seine Erfahrungen. Seine Unterweisungen ergänzt Bhagavan oft mit Bemerkungen wie „die Schriften erläutern“ oder „die Heiligen sagen“, auch zitiert er Stellen aus der Bhagavad Gita, dem Viveka Chudamani oder einmal auch der Ribhu Gita, stets wird aber deutlich, dass Bhagavan die Zitate nur als Beleg für die von ihm selbst in eigener Erfahrung entdeckte Wahrheit verwendet.

Die grundlegende Lehre ist die des Advaita Vedanta. Das Ziel ist die vollkommene Erfahrung des nicht-dualen Selbst, die Erforschung des Wesens des Selbst ist der Weg. Wenn der menschliche Geist das Selbst mit dem Nicht-Selbst (dem Körper, usw.) gleichsetzt, bedeutet dies Versklavung. Wenn diese Fehl-Identifikation mit Hilfe der Nachfrage „Wer bin ich?“ überwunden wird, bedeutet das Befreiung. Folglich ist Selbst-Erforschung – wie Bhagavan Ramana lehrt – der kürzeste Weg. Die „Ich“-Erfahrung hat jeder Mensch. Von allen Gedanken ist der „Ich“-Gedanke der erste, der entsteht. Notwendig ist es, die Quelle des „Ich“-Gedankens zu ergründen. Dies bedeutet die Umkehrung des in der Regel im Geist ablaufenden Prozesses. Gewöhnlich erforscht der Geist den Zustand und Ursprung aller anderen Dinge, die sich bei genauerer Untersuchung dann als seine eigene Projektion erweisen; der Geist reflektiert weder sich selbst, noch folgt er der Spur zu seiner eigenen Quelle. Selbst-Entdeckung kann aber nur erreicht werden, wenn der Geist nach innen gewandt wird. Dieser Vorgang darf nicht mit jener Innenschau verwechselt werden, auf die sich Psychologen beziehen. Selbst-Erforschung ist nicht etwa die Analyse des Geistesinhalts, sondern Selbst-Erforschung ist das Verfolgen der zu allererst entstandenen Erscheinungsform des Geistes, also des „Ich“-Gedankens, zurück zu seiner Quelle, die wiederum das Selbst ist. Wenn die Ergründung auf richtige Art und ohne jede Unterbrechung geschieht, endet schließlich auch der „Ich“-Gedanke, und was bleibt, ist das Licht des „Ich-Ich“, das reines, mit Worten nicht zu beschreibendes Bewusstsein ist. Das ist Erlösung, das ist Befreiung. Die Methode, mit der Befreiung erlangt werden kann, ist, wie schon gesagt, die Ergründung, die im Vedanta als Jnana – Erkenntnis – bezeichnet wird. Wahre Hingabe (Bhakti), Meditation (Dhyana) und Konzentration (Yoga) sind hiermit identisch.

Bhagavan sagt eindeutig: Die vollkommene Erfahrung des Selbst nicht zu vergessen, ist wahre Hingabe, wahre Geisteskontrolle, wahres Wissen und jede Art von Askese. In der Sprache der Hingabe mag das letzte Ziel als das Auflösen des Geistes in seiner Quelle, also in Gott, dem Selbst, beschrieben werden; in der Sprache des Yoga mag es beschrieben werden als Aufgehen des Geistes im Lotus des Herzens. Dies sind nur verschiedene Arten, ein und dieselbe Wahrheit auszudrücken.

Der Weg der Selbst-Erforschung wird von denen als schwierig empfunden, die noch nicht die entsprechende Befähigung erlangt haben. Denn der Geist muss zunächst rein und konzentriert sein, was wiederum z. B. durch Meditation bewirkt werden kann. Andere Wege sind also durchaus Hilfen für den direkten Weg der Selbst-Erforschung. In diesem Zusammenhang erwähnt Bhagavan drei Stufen des Strebens: die hohe, die mittlere und die niedrige. Für die Strebenden der höchsten Stufe ist der vom Vedanta empfohlene Weg der der Ergründung. Durch diesen Weg findet der Geist Ruhe im Selbst und hört schließlich auf zu existieren, es bleibt die reine Erfahrung des Selbst in seinem ungetrübten Glanz. Der Weg der mittleren Stufe ist der der Meditation über das Selbst. Meditation heißt, den Geist ununterbrochen auf ein einziges Objekt auszurichten. Es gibt viele Arten der Meditation. Die beste ist die, die „Ich bin das Selbst“ zum Objekt nimmt, sie mündet in Selbsterkenntnis. Für die Strebenden der niedrigsten Stufe ist die Übung der Atembeherrschung sinnvoll, da sie zur Beherrschung des Geistes führt.

Bhagavan erläutert den Unterschied zwischen Jnana Yoga (Pfad der Erkenntnis) und Dhyana Yoga (Pfad der Meditation) so: Jnana bedeutet, einen störrischen Stier mit Hilfe eines Büschels Gras zu locken und zu zähmen, während Dhyana bedeutet, ihn mit Gewalt zu bändigen. Dhyana Yoga und auch Jnana Yoga gliedern sich jeweils in acht Stufen. Die einzelnen Stufen des Jnana Yoga sind dem Ziel bereits ähnlicher als dies beim Dhyana Yoga der Fall ist. Zum Beispiel bedeutet das Pranayama des technischen Yoga das Regulieren und Zurückhalten des Atems, während das Pranayama des Jnana das Zurückweisen der aus Namen und Formen bestehenden Welt als nicht wirklich bedeutet, verbunden mit der Erkenntnis der Wirklichkeit, die Sein-Bewusstsein-Glückseligkeit ist.

Die Erkenntnis des Selbst kann hier in diesem Leben erlangt werden. Tatsächlich ist Selbsterkenntnis nichts, was neu erworben werden müsste. Wir sind bereits das Selbst und das Selbst allein existiert. Nur Unwissenheit verleitet uns zu der Vorstellung, dass wir das Selbst noch nicht erkannt hätten. Wenn wir diese Unwissenheit durch Wissen ersetzen, erkennen wir die Ewigkeit unseres Selbst. Wer diese Erkenntnis erlangt hat, wird Jivanmukta (lebend befreit) genannt. Anderen mag er weiterhin als Besitzer eines Körpers erscheinen. Zum Nutzen für eben diese anderen ist bestimmt, dass der Körper so lange erhalten bleibt, wie das restliche Prarabdha Karma (das aus der Vergangenheit stammende Karma, welches in der Gestalt des gegenwärtigen Körpers Frucht zu tragen begonnen hat) Wirkung entfaltet; wenn dessen Kraft erschöpft ist, stirbt der Körper, und der Jivanmukta wird zum Videhamukta. Vom Standpunkt der absoluten Wahrheit aus gibt es allerdings keine Verschiedenheit der Mukti. Man muss verstehen, dass Mukti oder Befreiung das unveräußerliche Wesen des Selbst ist.

Dies sind in Kürze die Unterweisungen Bhagavan Sri Ramana Maharshis in Vichara Sangraham.

Universität Madras
15. November 1965
T.M.P. MAHADEVAN


Vorwort zur achten Auflage

Die erste mir zugängliche Ausgabe dieses Werks in Form von Fragen und Antworten stammt aus dem Jahr 1930; sie wurde von A. Shivalinga Mudaliyar und V. Subrahmanya Achari veröffentlicht und bei Saravana Bava Press, Madras, gedruckt. Muruganar verfasste das Vorwort am 16. Juni 1930. In seinem Vorwort weist er darauf hin, dass Natanananda der Herausgeber der aus Fragen und Antworten bestehenden Fassung ist. Natanananda wiederum erläutert in seiner Einleitung, dass das Werk die Unterweisungen Bhagavan Ramanas enthält, wie sie in schriftlicher Form Gambhiram Seshayya in den Jahren 1901-1902 zuteil wurden. In Frage-Antwort-Form erschien das Werk in den ersten Tamil-Ausgaben der Gesammelten Werke (Collected Works), die der Ashram veröffentlichte. In der dritten Auflage von 1940 und auch in den folgenden Auflagen erschien Self-Enquiry als Zusammenfassung. In einer Fußnote des Editorials wird darauf hingewiesen, dass die Kopie des Manuskripts aus dem Besitz des Bruders von Gambhiram Seshayya stammt, von Sivaprakasam Pillai herausgegeben und von Natanananda in die Frage-Antwort-Form gebracht wurde.

Madras
18. Januar 1971
T.M.P. MAHADEVAN


GEBET

Wie könnte es einen anderen Weg geben, das Höchste und Einzige anzubeten, als es ganz und gar zu sein!

1

Schüler: Meister! Wie kann man den Zustand ewiger Glückseligkeit, der frei von allem Leid ist, erreichen?

Meister: Nicht nur die Veden treffen die Feststellung, dass dort, wo es Körper gibt, Leid ist, dies entspricht auch der unmittelbaren Erfahrung aller Menschen; das wahre eigene Wesen, das stets unkörperlich ist, sollte daher erforscht werden, und man sollte eben dieses Wesen sein. Das ist der Weg, den Zustand zu erreichen.

2

Sch:Was ist gemeint, wenn gesagt wird, man solle das wahre Wesen erforschen und verstehen?

M: Solche Erfahrungen wie „Ich ging; ich kam; ich war; ich tat“ macht zwangsläufig jeder. Ergibt sich aus diesen Erfahrungen nicht, dass das Bewusstsein „Ich“ das Subjekt der verschiedenen Handlungen ist? Wenn man die wahre Natur dieses Bewusstseins ergründet und bei sich selbst bleibt, ist das der Weg, mit Hilfe von Erforschung die eigene wahre Natur zu verstehen.

3

Sch: Wie muss man erforschen: „Wer bin ich?“

M: Handlungen wie Gehen und Kommen betreffen lediglich den Körper. Und wenn man sagt: „Ich ging, ich kam“, unterstellt man, dass der Körper „Ich“ sei. Aber kann es richtig sein, dass der Körper, den es vor der Geburt nicht gab, der aus den fünf Elementen besteht, der während des Tiefschlafs nicht existiert und der mit dem Tod ein Leichnam wird, wirklich das „Ich“-Bewusstsein ist? Kann der Körper, der schwerfällig wie ein Holzklotz ist, das strahlende „Ich-Ich“ sein? Hier liegt der Grund, warum das „Ich“-Bewusstsein, das mit dem Körper verbunden ist, Einbildung (Tarbodham), Ego (Ahankara), Unwissenheit (Avidya), Maya, Unreinheit (Mala) oder individuelle Seele (Jiva) genannt wird. Wie kann man dies nicht ergründen wollen! Ist es nicht Sinn und Zweck der Schriften, uns mit Hilfe der Erforschung zur Erlösung zu führen, wenn sie sagen, dass die Vernichtung der Einbildung Befreiung (Mukti) bedeutet?

Man sollte also den Körper-Leichnam einen Leichnam sein lassen und, ohne das Wort „Ich“ auch nur zu sagen, direkt ergründen: „Was ist es, das jetzt als ‚Ich“ in Erscheinung tritt?“ Dann wird im Herzen ein stilles, glänzendes Licht als „Ich-Ich“ erstrahlen. Aus sich selbst heraus wird das reine, unbegrenzte, einzige Bewusstsein leuchten; alle Begrenzung und Vielfalt der Gedanken wird verschwunden sein. Wenn man dann still bleibt und diesen Zustand nicht verlässt, wird das Ego, das Gefühl der Individualität in Gestalt von „Ich bin der Körper“ vollständig aufgelöst und schließlich auch der letzte Gedanke, die „Ich“-Form, ausgelöscht werden, wie das Feuer, das Kampfer verbrennt.(1) Die Heiligen und die Schriften sagen klar, dass das allein Befreiung ist.

4

Sch: Wenn man die Wurzel der „Ich“-Einbildung erforscht, tauchen unzählige Gedanken verschiedenster Art auf, allerdings kein isolierter „Ich“-Gedanke.

M: Der Nominativ, also der erste Fall, ist innerhalb eines Satzes vielleicht nicht direkt erkennbar, und doch ist er immer die Basis sowohl des Satzes als auch der anderen Fälle; genauso ist das Ego als der primäre Mentalzustand „Ich“, also der Wahrnehmung „Ich bin der Körper“ die Grundlage aller im Herzen entstehenden Gedanken. Das Erscheinen des Ego ist also Ursache und Quelle des Entstehens aller anderen Gedanken, woraus folgt, dass mit der Zerstörung der Ego-Einbildung, die die Wurzel des illusionären Baums der Samsara (Sklaverei der Wiederverkörperung) ist, auch alle anderen Gedanken wie ein entwurzelter Baum vollständig zugrunde gehen.

Welche Gedanken sich auch einstellen und die Sadhana (den spirituellen Weg) behindern mögen, dem Geist sollte nicht erlaubt werden, ihnen zu folgen, er sollte vielmehr dazu gebracht werden, im Selbst, dem Atman, zu verweilen. Als Zeuge jedes Geschehens sollte man die Haltung einnehmen: „Wie sonderbar es auch ist, was geschieht, es geschehe!“ Diese Haltung sollte man üben. Mit anderen Worten: Man soll sich nicht mit den Geschehnissen identifizieren und niemals das Selbst verlassen. Nur so kann der Geist zerstört werden (Manonasa), dessen Eigenart es ist, den Körper als das Selbst anzusehen, was wiederum die Ursache aller eben genannten Probleme ist. Diese Methode, die auf simple Weise das Ego zerstört, wird zu Recht Hingabe (Bhakti), Meditation (Dhyana), Konzentration (Yoga) und Erkenntnis (Jnana) genannt.

Da Gott das im Herzen als „Ich“ strahlende Wesen des Selbst ist und die Schriften klar sagen, dass das Denken als solches Sklaverei ist, ist es am besten, still zu bleiben und IHN (Gott, das Selbst) niemals zu vergessen, nachdem der Geist, der nur eine Form des „Ich“-Gedankens ist, auf welche Weise auch immer, in IHM aufgelöst wurde. Dies ist die Lehre der Schriften.

5

Sch: Kann mit der Erforschung nur die falsche Selbst-Identifikation mit dem physischen Körper beseitigt werden oder ist sie auch das Instrument, die falsche Selbst-Identifikation mit dem feinstofflichen und dem kausalen Körper zu beenden?

M: Die anderen Körper existieren auf der Grundlage des physischen Körpers. Der falsche Glaube „Ich bin der Körper“ schließt die drei aus den fünf Hüllen bestehenden Körper ein. Die Beseitigung des falschen Selbst-Verständnisses bezüglich des physischen Körpers ist daher zugleich auch die Zerstörung der falschen Selbst-Identifikation mit den anderen Körpern. Erforschung ist also das Instrument, die falsche Selbst-Identifikation in allen drei Körpern zu beenden.

6

Sch: Kann man, obgleich es unterschiedliche Formen des inneren Organs, und zwar Manas (Denken), Buddhi (Intellekt), Chitta (Gedächtnis) und Ahankara (Ego) gibt, tatsächlich sagen, dass allein die Zerstörung des Geistes Befreiung bedeutet?

M: In den das Wesen des Geistes erläuternden Büchern ist folgendes festgestellt: „Der Geist wird aus den feinstofflichen Teilen unserer Nahrung herangebildet; er wächst mit Regungen wie Zuneigung und Abneigung, Verlangen und Zorn. Denken, Intellekt, Gedächtnis und Ego sind in dem Begriff „Geist“ zusammengefasst. Die typischen Eigenschaften des Geistes sind Denken, Unterscheiden, usw. Weil er ein Objekt des Bewusstseins (des Selbst) ist, ist er etwas, das erkannt wird, also tatsächlich inaktiv; dennoch hat es den Anschein, er sei bewusst, weil er mit dem Bewusstsein verbunden ist (Beispiel: rotglühende Eisenkugel). Der Geist unterliegt Begrenzungen, er ist nicht von Dauer, er ist teilbar und formbar wie Wachs, Gold oder eine Kerze; er besteht aus allen Elementen der Erscheinungswelt; sein Ort ist der Lotus des Herzens, ebenso wie z. B. der Ort des Sehens das Auge ist. Er ist ein Anhängsel der individuellen Seele; das Denken an ein Objekt formt ihn, und mit den Kenntnissen des Gehirns fließt er durch die fünf Sinnes-Kanäle, verbindet sich mit Hilfe des Gehirns (dem in ihm gespeicherten Wissen) mit Objekten, erkennt und begreift die Objekte und erfährt Befriedigung. Dieses Gebilde ist der Geist.“

Wie man ein und dieselbe Person entsprechend ihrer verschiedenen Funktionen mit unterschiedlichen Namen nennt, hat auch derselbe Geist unterschiedliche Namen: Denken, Intellekt, Gedächtnis, Ego – aufgrund seiner verschiedenen Wirkungsformen und nicht etwa wegen irgendeines tatsächlichen Unterschiedes. In Wahrheit hat der Geist jede Form, die Form der Seele, Gottes, der Welt. Wenn er durch Erkenntnis zum Selbst wird, bedeutet dies Erlösung, die das Wesen Brahmans ist. Das ist die Lehre.

7

Sch: Wenn diese vier – Denken, Intellekt, Gedächtnis und Ego – ein und dasselbe sind, warum ordnet man ihnen dann verschiedene Orte zu?

M: Es ist richtig, dass man sagt, die Kehle sei der Sitz des Denkens, das Gesicht oder das Herz der des Intellekts, der Nabel der des Gedächtnisses und das Herz oder Sarvanga der des Ego; trotz dieser Unterschiede ist für ihre Gesamtheit, also für den Geist oder das innere Organ, allein das Herz der Sitz. Dies ist in den Schriften überzeugend dargelegt.

8

Sch: Warum heißt es, dass nur der Geist, das innere Organ, als die Form von allem, also der Seele, Gottes und der Welt, leuchtet?

M: Als Instrumente der Objekterkennung befinden sich die Sinnesorgane außen und werden daher die äußeren Sinne genannt; der Geist wird der innere Sinn genannt, da er innen ist. Aber die Unterscheidung zwischen innen und außen ergibt sich nur im Bezug zum Körper; in Wahrheit gibt es weder innen noch außen. Der Geist ist von Natur aus rein wie Äther. Was man Herz und Geist nennt, ist eine Zusammenfassung der Elemente der Erscheinungswelt, die als innen und außen erscheinen. Zweifellos sind alle Erscheinungen, die Namen und Form haben, ihrem Wesen nach nichts als Geist. Alles was als außen erscheint ist in Wahrheit innen und nicht außen; um dies zu vedeutlichen, wird auch in den Veden dargelegt, dass alles seinem Wesen nach das Herz ist. Und das Herz ist nichts anderes als Brahman.

9

Sch: Inwiefern ist das Herz nichts anderes ist als Brahman?

M: Obwohl das Selbst in den Zuständen des Wachseins, des Traums und des Tiefschlafs seine jeweiligen Erfahrungen macht und sich demgemäß entweder in den Augen, in der Kehle oder im Herzen aufhält, verlässt es in Wahrheit doch nie seinen Hauptsitz, das Herz. Im Lotus des Herzens, der alles in sich birgt – anders formuliert: im Äther des Geistes – strahlt das Licht des Selbst in Gestalt des „Ich“. Da es in jedem Menschen auf diese Weise leuchtet, nennt man das Selbst auch den Zeugen (Sakshi) und das Transzendente (Turiya – wörtlich: das Vierte). Das „Ich“-lose höchste Brahman, das in jedem Körper innerhalb des Lichts der „Ich“-Form strahlt, ist der Äther des Selbst (oder der Äther der Erkenntnis): Dies allein ist die absolute Realität. Es ist das Über-Transzendente (Turiyatita). Deshalb wird gesagt, dass das, was man Herz nennt, nichts anderes als Brahman ist. Mehr noch: da Brahman in den Herzen aller Seelen als Selbst leuchtet, ist „Herz“ der Name, den man Brahman gibt.(2)

Die Bedeutung des Wortes Hridayam ist, wenn man es zu „hrit-ayam“ zerlegt, tatsächlich Brahman. Dass das als Selbst strahlende Brahman im Herzen eines jeden Menschen wohnt, wird deutlich dadurch belegt, dass jeder Mensch mit dem Finger auf seine Brust zeigt, wenn er „Ich“ sagt.

10

Sch: Wenn das ganze Universum eine Form des Geistes ist, folgt daraus nicht, dass das Universum eine Illusion ist? Falls dies aber so ist, warum ist dann in den Veden von der Erschaffung des Universums die Rede?

M: Zweifellos ist das Universum nichts als eine Illusion. Der Sinn der Veden ist in erster Linie die Offenbarung des wahren Brahman, indem gezeigt wird, dass das sichtbare Universum Trug ist. Allein aus diesem und keinem anderen Grund lassen die Veden gelten, dass die Welt erschaffen sei. Menschen mit geringem Verständnis wird demnach die Schöpfung als schrittweise Evolution von Prakriti (der ursprünglichen Natur), Mahat-Tattva (des hohen Intellekts), Tanmatras (des Feinstofflichen), Bhutas (der physischen Elemente), Welt, Körper, usw. aus Brahman heraus erklärt, während sie den Verständigen als Simultangeschehen erläutert wird, dass also diese Welt aufgrund des Unvermögens, sich als das Selbst zu erkennen, als eine Art Traumzustand durch eigene Gedanken entstanden ist.

Schon durch die Tatsache, dass die Schöpfung auf unterschiedliche Weise beschrieben wird, wird erkennbar, dass – nachdem auf die eine oder andere Art die Scheinwirklichkeit des Universums deutlich geworden ist – der Sinn der Veden allein in der Lehre des wahren Brahman liegt. Dass die Welt eine Illusion ist, kann jeder unmittelbar im Zustand der Erleuchtung erfahren, die das Erfahren der eigenen Natur als Glückseligkeit bedeutet.

11

Sch: Ist dem Geist die Erfahrung des Selbst möglich, obwohl fortwährende Veränderung seiner Natur entspricht?

M: Da Sattva Guna (der Reinheit, Intelligenz, usw. bewirkender Aspekt der Prakriti) der natürliche Zustand des Geistes und der Geist rein und klar wie Äther ist, ist das, was man Geist nennt, von seiner Beschaffenheit her in Wahrheit Wissen. Wenn der Geist in seinem natürlichen (d. h. reinen) Zustand bleibt, hat er nicht einmal den Namen „Geist“. Nur aufgrund eines Irrtums wird er für etwas anderes gehalten, das dann fälschlich Geist genannt wird. Das, was ursprünglich der reine Sattva-Geist war, dem Wesen nach also reines Wissen, vergisst seine Wissen-Natur aufgrund Unwissenheit, verwandelt sich unter dem Einfluss von Tamo Guna (dem Trägheit und Inaktivität bewirkenden Aspekt der Prakriti) zur Welt, um dann unter dem Einfluss von Rajo Guna (dem Aktivität, Leidenschaft, usw. bewirkenden Aspekt der Prakriti) die Vorstellung „Ich bin der Körper – der Körper ist wirklich“ zu entwickeln, bekommt sodann durch Zuneigung, Abneigung, usw. die sich hieraus ergebenden Belohnungen und Strafen und, aufgrund verbliebener Eindrücke (Vasanas), erfolgen Geburt und Tod. Aber der Geist, der sich seiner Unreinheiten (Sünden) durch anhaftungsfreies Handeln in vielen vergangenen Leben entledigt hat, hört bei einem echten Meister die Lehren der Schriften, reflektiert ihre Bedeutung und meditiert, um den natürlichen Geisteszustand des Selbst „Ich bin Brahman“ zu erfahren, in den die andauernde Kontemplation über Brahman führt. Und so wird die Verwandlung des Geistes in die Welt unter dem Aspekt der Tamo Guna wieder rückgängig gemacht und gleichzeitig auch das Umherschweifen in ihr unter dem Aspekt der Rajo Guna. Wenn diese Rückkehr erfolgt, wird der Geist unmerklich und reglos. Nur die Unreinheit des von Rajas und Tamas beeinflussten Geistes hindert das Erkennen der Wirklichkeit (des Selbst), die unveränderlich und sehr fein ist; auch ein Stück feiner Seide kann nicht mit einem Brecheisen genäht werden, und die Details eines fein gearbeiteten Kunstwerks sind bei im Wind flackerndem Licht nicht erkennbar. Aber in einem reinen Geist, der durch Meditation in der oben beschriebenen Weise still und reglos geworden ist, wird sich die Glückseligkeit des Selbst (d. h. Brahmans) zeigen. Ohne Geist gibt es keine Erfahrung, aber nur dem klaren Geist in seiner reinsten Form (Vritti) ist es möglich, die Glückseligkeit des Selbst zu erfahren, wenn er in eben dieser Form (der Gestalt Brahmans) verharrt. Dann wird man in aller Klarheit erfahren, dass das eigene Selbst seinem Wesen nach Brahman ist.

12

Sch: Ist die eben beschriebene Erkenntnis des Selbst auch für den Geist möglich, der in der Erfahrungswelt in Übereinstimmung mit seinem Prarabdha (dem angesammelten Karma, das bereits begonnen hat, Frucht zu tragen) agieren muss?

M: Ein Brahmane mag in einem Drama verschiedene Rollen spielen, und doch wird das Wissen, ein Brahmane zu sein, ihn nie verlassen. Ebenso sollte man trotz der vielfältigen Erfahrungen, in die man verstrickt wird, immer sicher wissen: „Ich bin das Selbst“, die falsche Vorstellung „Ich bin der Körper, usw.“ sollte man niemals zulassen. Wenn der Geist abschweift, muss man sofort untersuchen: „Oh, oh, wir sind keine Körper, wer sind wir?“ und so den Geist in seinen reinen, natürlichen Zustand zurückbringen. Die Ergründung „Wer bin ich?“ ist das wesentliche Instrument für die Beseitigung allen Elends und das Erlangen höchster Glückseligkeit. Wenn der Geist, wie hier beschrieben, in seinem natürlichen Zustand Ruhe findet, stellt sich die Erfahrung des Selbst zwangsläufig und ungehindert ein. Empfindungen wie Freude und Schmerz werden den Geist danach nicht mehr berühren. Alle Erscheinungsformen werden gleich einem Traum sein und nicht länger Bindung bedeuten.

Die vollkommene Erfahrung des Selbst niemals zu vergessen, ist in Wahrheit Bhakti (Hingabe), Yoga (Geisteskontrolle), Jnana (Wissen) und alle anderen Formen der Askese. Das bestätigen die Weisen.

13

Sch: Was die Aktivitäten in unserer Arbeit betrifft, so sind wir weder die Urheber noch die Nutznießer. Tätigkeit geschieht durch die drei Instrumente (also Geist, Sprache und Körper). Können wir unberührt bleiben, wenn wir daran denken?

M: Wenn der Geist veranlasst worden ist, im Selbst, also in Gott, zu ruhen und, weil er das Selbst nicht mehr verlässt, das Interesse an Erfahrungen verloren hat, wie könnte er noch so denken? Bewirken derartige Gedanken nicht Sklaverei? Wenn solche Gedanken aufgrund verbliebener Eindrücke (Vasanas) auftauchen, sollte man den Geist davor bewahren, diesen Gedanken nachzugehen und sich bemühen, ihn im Zustand des Selbst zu halten und gegenüber jeglicher Erfahrung gleichgültig werden lassen. Man sollte dem Geist keinen Raum geben für Gedanken wie „Ist dies gut oder jenes? Ist dies zu tun oder jenes?“ Schon vor dem Entstehen solcher Gedanken sollte man wachsam sein und den Geist in seinem ursprünglichen Zustand halten. Auch wenn ihm nur wenig Raum gegeben wird, wird der (unruhige) Geist uns übel mitspielen, obwohl er vorgibt, unser Freund zu sein. Wie ein als Freund getarnter Feind wird er uns zu Fall bringen. Entstehen solche Gedanken, die in immer tieferes Unglück führen, nicht allein deshalb, weil man das eigene Selbst vergessen hat? Wenn es richtig ist, dass die Analyse „Ich handle nicht, alle Handlungen geschehen durch die Instrumente“, den Geist davor bewahrt, mit den Gedanken-Vasanas zu fließen, ist es dann nicht auch richtig, dass nur der mit den Gedanken-Vasanas fließende Geist durch die eben genannte Analyse beherrscht werden muss? Kann der im Zustand des Selbst ruhende Geist überhaupt „Ich“ und „Ich verhalte mich aufgrund von Erfahrungen so und so“ denken? Auf jedem der möglichen Wege sollte man sich mehr und mehr bemühen, das eigene wahre Selbst, also Gott, nicht zu vergessen. Wenn das erreicht ist, ist alles erreicht. Der Geist sollte nichts anderem mehr zugewandt werden. Selbst wenn die eigenen Handlungen, die das Ergebnis des Prarabdha Karma sind, wie die eines Narren wirken, sollte man den Geist im Zustand des Selbst halten und dem „Ich“-Gedanken nicht gestatten, sich zu erheben.

Haben nicht unzählige Bhaktas (voller Hingabe Strebende) ihre vielfältigen weltlichen Aufgaben in einer Haltung des Gleichmuts erledigt?

14

Sch: Worin liegt der wahre Sinn von Sannyasa (Entsagung)?

M: Sannyasa bedeutet allein, dem „Ich“-Gedanken zu entsagen, und nicht etwa, die äußeren Dinge zurückzuweisen. Wer (dem „Ich“-Gedanken) entsagt hat, bleibt derselbe, unabhängig davon, ob er allein ist oder inmitten der gesamten Samsara (Erfahrungswelt). Wenn der Geist sich auf ein Objekt konzentriert, nimmt er nichts anderes wahr, so nah es auch sein mag. Ebenso verhält es sich mit dem Weisen: Er kann in beliebig viele Tätigkeiten der Erfahrungswelt verstrickt sein und ist in Wahrheit doch völlig untätig, weil sein Geist im Selbst ruht und er keinen „Ich“-Gedanken erstehen lässt. Gleich dem Träumenden, der im Traum kopfüber nach unten fällt, obwohl er in Wahrheit bewegungslos daliegt, ist der Unwissende, für den das „Ich“-Denken trotz andauernden Meditierens noch nicht aufgehört hat, Handelnder in der Erfahrungswelt.(3)

So haben es die Weisen gesagt.

15

Sch: Geist, Sinnesorgane, usw. besitzen die Fähigkeit der Wahrnehmung, warum werden sie gleichwohl als Objekte der Wahrnehmung angesehen?

M:

Drik
(Erkennender) ist Drisya
(erkanntes Objekt) ist
1. Der Sehende Topf (das gesehene Objekt)
außerdem außerdem
2. Das Organ Auge Körper, Topf, usw.
3. Der Gesichts-Sinn Das Organ Auge
4. Der Geist Der Gesichts-Sinn
5. Die individuelle Seele Der Geist
6. Bewusstsein (das Selbst) Die individuelle Seele

Wie in diesem Schema gezeigt, nennt man uns Drik (den Erkennenden), weil wir als Bewusstsein alle Objekte wahrnehmen.

In der Gruppe, zu der der Topf gehört, befinden sich die gesehenen Objekte, also das Wahrgenommene.

Aus der oben gezeigten Tabelle „Wissen : Unwissenheit (d. h. Erkennender : Erkanntes)“ ist zu ersehen, dass von den Erkennenden und den erkannten Objekten jeweils das eine bezüglich des nächsten Erkennender ist; und doch ist keines wirklich der Erkennende, solange es in Bezug auf ein anderes zugleich auch erkanntes Objekt ist.

Obwohl man sagt, wir seien der „Erkennende“ und nicht das „erkannte Objekt“, weil wir alles verstehen und es nichts gibt, das uns versteht, gilt, dass wir Erkennende nur bezüglich der erkannten Objekte sind. In Wahrheit ist allerdings das „Erkannte“ nicht von uns getrennt. Wir sind also die Wirklichkeit, die beides (Erkennenden und Erkanntes) transzendiert. Alles andere gehört in die Kategorie „Erkennender : Erkanntes“.

16

Sch: Inwiefern sind Ego, Seele, Selbst und Brahman miteinander identisch?

M:

Beispiel
Bedeutung
1. Die EisenkugelDas Ego
2. Die glühende EisenkugelDie Seele, die als Überlagerung des Selbst erscheint
3. Die Glut in der glühenden EisenkugelDas Licht des Bewusstseins, also das unwandelbare Brahman, das in der Seele eines jeden leuchtet
4. Das Feuer in der Glut, das allein übrig bleibtDas allgegenwärtige Brahman, das allein übrig bleibt

An den hier gezeigten Beispielen wird deutlich, inwiefern Ego, Seele, Zeuge und Allgegenwarts-Zeuge miteinander identisch sind.

Es verhält sich wie mit dem Wachsklumpen des Schmieds; obgleich er in sich zahllose unterschiedliche Metallteilchen birgt, sieht er aus wie ein Klumpen aus Wachs.

Physischer und feinstofflicher Körper aller individuellen Seelen sind im Zustand des Tiefschlafs von der kosmischen Maya, also der Unwissenheit, die völlige Dunkelheit ist, umschlossen. Da die Seelen im Selbst aufgelöst und mit ihm eins geworden sind, sehen sie um sich herum nichts als Dunkelheit. Aus dem Dunkel des Schlafs erhebt sich der feinstoffliche Körper, das Ego, und von ihm aus der physische Körper. Wenn das Ego in Erscheinung tritt, scheint es das Selbst zu überlagern, vergleichbar der glühenden Eisenkugel. Daher gibt es ohne die Seele (Jiva), die das mit dem Licht des Bewusstseins verbundene Ego (Geist) ist, keinen Zeugen für das Selbst, und ohne das Selbst gibt es nicht Brahman, den Allgegenwarts-Zeugen.

Auch wenn die Eisenkugel von dem Schmied in verschiedene Teile unterschiedlicher Form zerschlagen wird, verändert sich das in ihr enthaltene Feuer nicht im Geringsten. So mag auch die Seele in die unterschiedlichsten Erfahrungen verwickelt sein und Freude oder Schmerz erfahren, das in ihr liegende Licht des Selbst erfährt nicht die geringste Veränderung. Wie der Äther ist es einziges, allgegenwärtiges, reines Wissen, das im Herzen als Brahman leuchtet.

17

Sch: Wie kann man wissen, dass es das Selbst ist, das im Herzen als Brahman leuchtet?

M: Äther füllt bekanntlich unverändert und ohne Begrenzung das Innere einer Flamme ebenso aus wie den Raum, der sie umgibt. So füllt auch der Äther des Wissens unverändert und ohne Begrenzung das Innere und die Umgebung des Selbst-Lichts im Herzen aus. Das ist es, was als Brahman bezeichnet wird.

18

Sch: Wie erscheinen die drei Erfahrungszustände, die drei Körper, usw., die ja Vorstellungen sind, im Licht des Selbst, das von sich aus leuchtet und einzig und unteilbar ist? Und wenn sie erscheinen, wie kann man erkennen, dass nur das Selbst immer unbewegt bleibt?

M:

image

Beispiel
Bedeutung
1. LichtSelbst
2. TürSchlaf
3. TürschwelleMahat-Tattva
4. InnenwandNichtwissen oder kausaler Körper
5. SpiegelEgo
6. FensterDie fünf Wahrnehmungsorgane
7. Innere KammerTiefschlaf – der kausale Körper erscheint
8. Mittlere KammerTraum – der feinstoffliche Körper erscheint
9. HofWachzustand – der physische Körper erscheint

 

Das Selbst, das dem Licht (1) entspricht, leuchtet von sich aus in der inneren Kammer, die gleichbedeutend mit dem kausalen Körper (7) ist, dessen Innenwand (4) Nichtwissen und dessen Tür (2) der Schlaf ist. Wenn durch die Gesetzmäßigkeiten des Lebens, bedingt durch Zeit, Karma, usw. die Tür des Schlafs geöffnet wird, erscheint eine Spiegelung des Selbst im Ego-Spiegel (5), der sich nahe der Türschwelle – Mahat-Tattva – befindet; der Ego-Spiegel sorgt für Helligkeit in der mittleren Kammer, dem Traum-Zustand (8), und sorgt durch die Fenster, also die fünf wahrnehmenden Sinnesorgane (6), für Licht auch im äußeren Hof, dem Wachzustand. Wenn sich dann nach den Gesetzmäßigkeiten des Lebens, bedingt durch Zeit, Karma, usw., die Tür des Schlafs wieder schließt, gibt es mit der Beendigung des Wach- und des Traumzustands auch kein Ego mehr, und es leuchtet nichts als das Selbst. Das Beispiel macht deutlich, dass das Selbst unbewegt ist, das Selbst und das Ego sich voneinander unterscheiden und auf welche Weise die drei Erfahrungszustände, die drei Körper, usw. in Erscheinung treten.

19

Sch: Obgleich ich den Erläuterungen bezüglich der Erforschung und ihrer Merkmale in allen Einzelheiten gefolgt bin, hat mein Geist doch keinen Frieden erlangt. Warum ist das so?

M: Weil es dem Geist an Kraft und Konzentration mangelt.

20

Sch: Warum mangelt es dem Geist an Kraft?

M: Die Fähigkeit zur Erforschung erlangt man durch Meditation, Yoga, usw., worin man sich durch Übung nach und nach vervollkommnen sollte, damit die Mentalzustände erreicht werden, die sowohl natürlich als auch förderlich sind. Wenn ein derart gereifter Geist von der Erforschung hört, von der hier die Rede ist, wird er unmittelbar seine wahre Natur, das Selbst, erkennen und, ohne je wieder abzuschweifen, vollkommenen Frieden finden. Für einen unreifen Geist ist unmittelbare Erkenntnis allein durch das Hören von Erforschung kaum möglich. Wenn aber die Methoden zur Geisteskontrolle einige Zeit geübt werden, kann Frieden des Geistes schließlich gewonnen werden.

21

Sch: Welche Methode ist für die Beherrschung des Geistes die wichtigste?

M: Die Beherrschung der Atmung ist das Instrument zur Beherrschung des Geistes.

22

Sch: Wie kann man die Atmung beherrschen?

M: Die Atmung kann entweder durch vollständiges Zurückhalten des Atems (Kevala Kumbhaka) oder durch Regulierung (Pranayama) beherrscht werden.

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Sch: Was ist vollständiges Zurückhalten des Atems?

M: Es ist das Festhalten des Atems im Herzen, ohne dass Einatmung oder Ausatmung geschieht. Man erreicht es durch Meditation über das Gesetz des Lebens, usw.

24

Sch: Was ist Regulierung der Atmung?

M: Es ist das Festhalten des Atems im Herzen durch Ausatmung, Einatmung und Anhalten der Atmung, wie die Yoga-Texte dies empfehlen.

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Sch: Wie bewirkt die Beherrschung der Atmung die Beherrschung des Geistes?

M: Es kann keinen Zweifel geben, dass Atembeherrschung die Beherrschung des Geistes bewirkt, denn der Geist ist wie der Atem Teil der Luft, beide bewegen sich auf gleiche Weise, beide entspringen derselben Quelle, und wenn eins von beiden beherrscht wird, ist gleichzeitig das andere beherrscht.

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Sch: Atembeherrschung macht den Geist still (Manolaya), zerstört ihn aber nicht (Manonasa), wie kann es dann sein, dass Atembeherrschung das Instrument für die Erforschung ist, die wiederum die Zerstörung des Geistes zum Ziel hat?

M: Die Schriften beschreiben den Weg zur Selbsterkenntnis auf zweierlei Weise – als achtstufigen Yoga (Ashtanga Yoga) und als achtstufige Erkenntnis (Ashtanga Jnana). Durch Regulierung (Pranayama) oder durch vollständiges Zurückhalten des Atems (Kevala Kumbhaka), was auch ein Glied des Yoga ist, wird der Geist beherrscht. Wenn man es nicht dabei belässt, sondern auch die weiteren Übungen praktiziert, wie das Zurückziehen des Geistes von den äußeren Objekten (Pratyahara), dann wird schließlich Selbsterkenntnis, die das Ergebnis von Erforschung ist, erlangt werden.

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Sch: Welches sind die Stufen des Yoga?

M: Yama, Niyama, Asana, Pranayama, Pratyahara, Dharana, Dhyana und Samadhi.

Im Einzelnen –

(1) Yama: Hierunter versteht man die Bildung der Grundlagen richtigen Verhaltens, wie Gewaltlosigkeit (Ahimsa), Wahrheit (Satya), nicht zu stehlen (Asteya), Enthaltsamkeit (Brahmacharya) und Besitzlosigkeit (Apari-Graha).

(2) Niyama: bedeutet das Befolgen der Regeln richtigen Verhaltens, wie Reinheit (Saucha), Zufriedenheit (Santosha), Genügsamkeit (Tapas), Studium heiliger Texte (Svadhyaya) und Gottesverehrung (Ishvara-Pranidhana).(4)

(3) Asana: Von den verschiedenen Körperhaltungen sind vierundachtzig Haltungen die wesentlichen, von denen vier als besonders wichtig gelten, nämlich Simha, Bhadra, Padma und Siddha.(5) Von diesen ist wiederum Siddha die beste. So erläutern es die Yoga-Texte.

(4) Pranayama: Die heiligen Texte machen bezüglich des Maßes folgende Vorgaben: das Ausströmen der Atemluft ist Rechaka, das Einströmen Puraka und ihr Zurückhalten im Herzen Kumbhaka. Bezogen auf die „Maßeinheit“ sagen manche Texte, dass Rechaka und Puraka gleichlang sein sollten und Kumbhaka doppelt so lang, während andere Texte sagen, dass Rechaka eine Maßeinheit, Puraka zwei und Kumbhaka vier Maßeinheiten ausmachen sollten. Mit „Maßeinheit“ ist hier die Zeitpne gemeint, in der das Gayatri Mantra einmal rezitiert werden kann. Es wird empfohlen, Pranayama, bestehend aus Rechaka, Puraka und Kumbhaka, jeden Tag entsprechend der eigenen Möglichkeiten langsam und schrittweise zu üben. Der Geist werde dann den Wunsch entwickeln, unbewegt im Glück zu verweilen. Anschließend sollte Pratyahara geübt werden.

(5) Pratyahara: bedeutet, den Geist daran zu hindern, sich äußeren Namen und Formen zuzuwenden. Der Geist, der bisher unruhig war, wird dann beherrscht. Hilfen sind insoweit erstens die Meditation über Pranava, zweitens das Fixieren der Aufmerksamkeit zwischen den Augenbrauen, drittens der Blick auf die Spitze der Nase und viertens das Beobachten des Nada. Der Geist, der auf diese Weise Konzentration erlangt hat, ist fähig, an einem Ort zu bleiben. Anschließend sollte Dharana geübt werden.

(6) Dharana: Hierunter versteht man das Fixieren des Geistes an einer für die Meditation geeigneten Stelle. Für die Meditation besonders geeignete Stellen sind das Herz und Brahmarandhra (die Öffnung auf der Oberseite des Kopfes). Man sollte sich vorstellen, dass in der Mitte des hier befindlichen achtblättrigen Lotus (6) die Gottheit, also das Selbst oder Brahman, wie eine Flamme strahlt, und sollte den Geist dort fixieren. Anschließend sollte man meditieren.

(7) Dhyana: Hierunter versteht man die Meditation mit dem Gedanken „Ich bin Er“, also mit der Vorstellung, dass man selbst nichts anderes als die eben erwähnte Flamme ist. Mehr noch, falls man nachfragt „Wer bin ich?“, wird man, wie die Schriften erläutern, „das allgegenwärtige Brahman, das im eigenen Herzen als das Selbst strahlt und der Zeuge des Denkens ist“ als das im Herzen als „Ich-Ich“ strahlende göttliche Selbst erkennen. Diese Art der Betrachtung ist die beste Meditation.

(8) Samadhi: Als Ergebnis und Erfüllung der vorgenannten Meditation löst sich der Geist in dem Objekt der Meditation auf, ohne die Vorstellung „Ich bin dieses oder jenes“oder „Ich tue dies oder das“ länger in sich zu bergen. Dieser subtile Zustand, in dem sogar der „Ich-Ich“-Gedanke vergeht, ist Samadhi. Wenn man täglich übt und darauf achtet, nicht vom Schlaf überwältigt zu werden, wird Gottes Gnade nicht lange auf sich warten lassen und man wird den höchsten Zustand völliger Stille des Geistes erfahren.

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Sch: Welchen Sinn hat die Empfehlung, bei Pratyahara über Pranava zu meditieren?

M: Meditation über Pranava zu empfehlen, hat diesen Sinn: Pranava ist das aus dreieinhalb Matras, nämlich A, U, M und Ardha Matra bestehende Omkara. A steht für den Wachzustand Visva-Jiva und den physischen Körper; U steht für den Traumzustand Taijasa-Jiva und den feinstofflichen Körper; M steht für den Zustand des Tiefschlafs Prajna-Jiva und den Kausalkörper; Ardha Matra repräsentiert Turiya, also das Selbst oder das Wesen des „Ich“, jenseits dessen Turiyatita, der Zustand reiner Glückseligkeit, liegt. Auf den vierten Zustand, also den Zustand der „Ich“-Natur, bezogen sich die Betrachtungen über Meditation (Dhyana): Er wird unterschiedlich beschrieben – als Wesen des Amatra, welches die drei Matras A, U und M einschließt; als Maunakshara (Silbe des Schweigens); als Ajapa (das geräuschlose Murmeln) und als das Advaita Mantra, welches wie Panchakshara der Kern aller Mantren ist. Um seine wahre Bedeutung zu erkennen, sollte man über das Pranava meditieren. Eine solche Meditation ist ihrem Wesen nach Hingabe und Reflexion der Wahrheit des Selbst. Dieser Vorgang mündet in Samadhi, Erlösung, dem Zustand unsagbarer Glückseligkeit. Auch die ehrwürdigen Gurus sagen, dass Erlösung allein durch Hingabe erlangt werden kann, die nichts anderes ist als die Reflexion der Wahrheit des Selbst.

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Sch: Welchen Sinn hat die Empfehlung, mit dem Gedanken „Ich bin Er“ über die Wahrheit zu meditieren, dass zwischen mir und der wie eine Flamme von allein strahlenden Wirklichkeit kein Unterschied besteht?

M: (A) Die Empfehlung, sich vorzustellen, nichts anderes als die selbst-strahlende Wirklichkeit zu sein, hat folgenden Grund: Die Schrift definiert Meditation so: „Im Zentrum des achtblättrigen Lotus des Herzens, also des Ganzen, das Kailasa, Vaikunta, und Paramapada genannt wird, liegt die Wirklichkeit, daumengroß, hell wie ein Blitz und strahlend wie eine Flamme. Wenn der Mensch hierüber meditiert, erlangt er Unsterblichkeit.“ Wir sollten verstehen, dass wir durch diese Art der Meditation die Fehler, (1) des unterscheidenden Denkens, also „Ich bin anders, und jenes ist anders“, (2) der Meditation über das Begrenzte, (3) der Vorstellung, das Wirkliche sei begrenzt und (4) es sei auf einer Ort beschränkt, vermeiden.

(B) Der Sinn der Empfehlung, mit dem Gedanken „Ich bin Er“ zu meditieren, liegt außerdem in Sahaha

M: Soham; Sah, es ist das höchste Selbst, Aham das Selbst, das als „Ich“ manifestiert ist. Der Jiva, der als Shivalinga im Lotus des Herzens wohnt, hat seinen Sitz im Körper, der Stadt Brahmans; der Geist wendet sich als Ego nach außen und identifiziert sich mit dem Körper, usw. Der Geist sollte im Herzen aufgelöst und die sich auf den Körper beziehende Ich-Wahrnehmung aufgegeben werden; wenn man demgemäß unbeirrt ergründet „Wer bin ich?“ zeigt sich sehr fein das Wesen des Selbst als „Ich-Ich“; Es ist zugleich alles und nichts und ohne Unterscheidung von innen und außen als höchstes Selbst gegenwärtig; wie oben beschrieben, ist es hell wie eine Flamme und bezeugt die Wahrheit „Ich bin Brahman“. Wer es in der Meditation nicht als mit sich selbst identisch erkennt, sondern glaubt, es sei etwas anderes, den wird die Unwissenheit nicht verlassen. Aus diesem Grund wird die Identitäts-Meditation empfohlen.

Wenn man für lange Zeit ungestört und ununterbrochen mit dem Gedanken „Ich bin Er“, also der Technik, das Selbst zu reflektieren, über das Selbst meditiert, wird das Dunkel der Unwissenheit aus dem Herzen vertrieben und mit ihr auch alle Hindernisse, die nichts als Folgen der Unwissenheit sind; vollkommene Weisheit wird erlangt.(7)

Die Wirklichkeit in der Höhle des Herzens in der Stadt (Brahmans), dem Körper, zu erkennen, ist gleichbedeutend mit der Erkenntnis des einzig vollkommenen Gottes.

Der Weise lebt sorglos in der Stadt mit den neun Toren, dem Körper.(8)

Der Körper ist der Tempel; der Jiva ist Gott (Shiva). Wer ihn mit dem Gedanken „Ich bin Er“ anbetet, findet Erlösung.

Der aus den fünf Hüllen bestehende Körper ist die Höhle; das höchste Wesen, das hier wohnt, ist der Herr der Höhle. Das erklären die Schriften.

Da das Selbst die Wirklichkeit aller Götter ist, ist die Meditation über das Selbst, das man ja selbst ist, die beste aller Meditationen; andere Meditationen sind nur Teile dieser Meditation, und nur um sie zu erreichen, werden die anderen Meditationen empfohlen. Wenn sie erreicht ist, sind die anderen nicht mehr notwendig. Das eigene Selbst zu kennen, bedeutet Gott zu kennen. Wenn das meditierende Selbst nicht erkannt wird und man glaubt, dass man über eine von einem selbst verschiedene Gottheit zu meditieren habe, wird dies von den Weisen mit dem Versuch verglichen, den eigenen Schatten mit Schritten auszumessen, oder auch mit der Suche nach einer wertlosen Muschel, nachdem man einen unbezahlbaren Edelstein wegwirft, den man bereits besitzt.(9)

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Sch: Obgleich nur das Herz und Brahmarandhra die für die Meditation geeigneten Stellen sind – kann man eventuell auch in den sechs mystischen Zentren (Adharas) meditieren?

M: Die sechs mystischen Zentren, usw., von denen gesagt wird, sie seien Orte der Meditation, sind nichts als Produkte der Einbildung. Sie sind für Anfänger im Yoga gedacht. Bezüglich der Meditation in den sechs Zentren sagen die Shivayogis: „Gott, der seinem Wesen nach nicht-duales, vollkommenes Selbst-Bewusstsein ist, erschafft uns, unterhält uns und löst uns wieder auf. Es ist eine große Sünde, diese Realität zu leugnen, indem man sie hinter verschiedenen Namen und Formen wie Ganapati, Brahma, Vishnu, Rudra, Maheshvara und Sadashiva verbirgt“, und die Vedantins sagen: „Sie alle sind nichts als Vorstellungen des Geistes“. Wenn man daher das eigene Selbst kennt, das seinem Wesen nach allwissendes Bewusstsein ist, ist man allwissend. Die großen Weisen haben auch gesagt: „Wenn das Eine erkannt wird, das in sich selbst enthalten ist, wird alles bisher nicht Gewusste erkannt“.

Wir haben so viele verschiedene Gedanken; wenn wir über Gott meditieren, der das Selbst ist, werden wir die Vielfalt unserer Gedanken durch diesen einen Gedanken überwinden können; und auch dieser eine Gedanke wird schließlich verschwinden. Das ist gemeint wenn man sagt, das Selbst zu kennen, heißt Gott zu kennen. Dieses Wissen ist Erlösung.

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Sch: Wie soll man an das Selbst denken?

M: Das Selbst strahlt von sich aus jenseits von Dunkelheit und Helligkeit, es ist die sich selbst manifestierende Wirklichkeit. Daher sollte man nicht denken, dass es dieses oder jenes sei. Schon der Gedanke zu denken führt in Sklaverei. Der Sinn der Meditation über das Selbst besteht darin, den Geist die Form des Selbst annehmen zu lassen. In der Mitte der Höhle des Herzens ist das reine Brahman unmittelbar manifestiert als Selbst in Gestalt des „Ich-Ich“. Kann es eine größere Torheit geben, als auf vielfältige Art an es zu denken, statt es als das eben Beschriebene zu erkennen?

32

Sch: Es wurde gesagt, dass Brahman als Selbst in Gestalt des „Ich-Ich“ im Herzen manifestiert ist. Können weitere Erläuterungen das Verständnis dieser Feststellung erleichtern?

M: Hat nicht jeder die Erfahrung, dass es während des Tiefschlafs, der Ohnmacht, o.ä., kein wie auch immer geartetes Wissen gibt, weder über sich selbst noch über irgendetwas anderes? Wenn sich anschließend die Erfahrung einstellt „Ich bin aus dem Schlaf erwacht“ oder „Ich habe die Ohnmacht überwunden“ – ist dann nicht eben dieses Wissen aus dem zuvor genannten unterscheidungslosen Zustand hervorgegangen? Dieses spezielle Wissen nennt man Vijnana. Vijnana zeigt sich niemals allein, sondern nur in Verbindung mit dem Selbst oder dem Nicht-Selbst. Wenn es in Verbindung mit dem Selbst steht, ist es der Mentalzustand, dessen Objekt das Selbst ist oder der das Ungeteilte (Selbst) zum Inhalt hat, und man nennt man es wahres Wissen. Wenn es aber in Verbindung mit dem Nicht-Selbst steht, nennt man es Unwissenheit. Der Zustand von Vijnana wird, wenn es auf das Selbst bezogen und als Form des Selbst manifestiert ist, „Ich-Manifestation“ genannt. Diese Manifestation kann nicht getrennt von dem Wirklichen, also dem Selbst, erfolgen. Es ist diese Manifestation, die als Erkennungszeichen der unmittelbaren Erfahrung des Wirklichen dient. Gleichwohl kann sie nicht aus sich heraus den Seinszustand des Wirklichen erschaffen. Dies, je nachdem in welcher Beziehung die Manifestation erfolgt, ist die grundlegende Wahrheit, die auch Prajnana genannt wird. Der Vedanta-Text „Prajnanam Brahma“ lehrt dieselbe Wahrheit.

Erkenne auch dies als den Sinn der Schrift. Das von sich aus leuchtende Selbst, der allgegenwärtige Zeuge, zeigt sich als Vijnanakosa (der Hülle des Intellekts) innewohnend. Richte den Geist unbeirrt auf dieses Selbst als Ziel aus und erfreue dich des Selbst.

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Sch: Was versteht man unter dem inneren Gebet oder der Anbetung des Eigenschaftslosen?

M: In Texten wie der Ribhu Gita ist die Anbetung des Eigenschaftslosen ausführlich erklärt (als besondere Disziplin). Jedoch sind in Wahrheit alle Wege, z. B. die Darbringung von Opfern, Wohltätigkeit, Selbstzucht, das Einhalten von Gelübden, Japa, Yoga und Puja, Spielarten der Meditation „Ich bin Brahman“. Deshalb sollte man auf jedem der Wege darauf achten, dass man sich nicht von dem Gedanken „Ich bin Brahman“ entfernt. Das ist der Sinn der Anbetung des Eigenschaftslosen.

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Sch: Welches sind die acht Stufen der Erkenntnis (Jnana Ashtanga)?

M: Es sind die bereits erwähnten Stufen, also Yama, Niyama, usw, hier aber anders definiert:

(1) Yama: bedeutet die Beherrschung der Sinnesorgane und das Erkennen der Unvollkommenheiten der Welt, zu der auch der Körper gehört.

(2) Niyama: bedeutet, an dem Strom geistiger Einstellungen, die auf das Selbst bezogen sind, festzuhalten und alle entgegengesetzten Bestrebungen abzuwehren. Anders ausgedrückt: Es bedeutet die unablässig aufströmende Liebe zum höchsten Selbst.

(3) Asana: Was fortwährende Meditation über Brahman entpnt ermöglicht, ist Asana.

(4) Pranayama: Rechaka (Ausatmung) bedeutet das Beseitigen von Namen und Formen, also der beiden unwirklichen Aspekte der Dinge, aus denen Welt und Körper bestehen; Puraka (Einatmung) bedeutet das Erfassen der drei wirklichen Aspekte Sein, Bewusstsein und Glückseligkeit, die allezeit in den Dingen gegenwärtig sind; Kumbhaka bedeutet das Festhalten der so erfassten Aspekte.

(5) Pratyahara: bedeutet, den Geist vor der Rückkehr der zuvor beseitigten Namen und Formen zu schützen.

(6) Dharana: bedeutet, den Geist dazu zu bringen, im Herzen zu verweilen und nicht nach außen abzuschweifen, und zu erkennen, dass man nichts anderes ist als das Selbst, nämlich Sein-Bewusstsein-Glückseligkeit.

(7) Dhyana: ist die Meditation „Ich bin nichts als reines Bewusstsein“. Wenn man den aus den fünf Hüllen bestehenden Körper unbeachtet lässt und ergründet „Wer bin ich?“, führt dies dazu, dass das als reines Selbst strahlende „Ich“ übrig bleibt.

(8) Samadhi: Wenn schließlich auch die „Ich“-Manifestation endet, ergibt sich (äußerst fein) unmittelbare Erfahrung. Das ist Samadhi.

Für das hier beschriebene Pranayama, usw. sind die im Zusammenhang mit Yoga beschriebenen Übungen wie Asana, usw. nicht erforderlich. Die Stufen der Erkenntnis können an jedem Ort und zu jeder Zeit praktiziert werden. Je nachdem was einem zusagt und in welcher Situation man sich befindet, mag man dem Yoga-Weg oder dem Weg der Erkenntnis oder auch beiden Wegen folgen. Die großen Lehrer sagen, dass das Vergessen die Wurzel allen Übels ist und für die, die Erlösung suchen, Tod bedeutet(10), daher sollte man den Geist veranlassen, im Selbst zu ruhen und niemals das Selbst vergessen. Das ist das Ziel. Wenn der Geist beherrscht wird, kann alles beherrscht werden. Der Unterschied zwischen dem achtstufigen Yoga und der achtstufigen Erkenntnis ist in den heiligen Texten umfassend dargestellt; daher ist hier nur das Wesentliche der Lehre wiedergegeben.

35

Sch: Ist es möglich, zugleich das Pranayama des Yoga und das Pranayama der Erkenntnis zu praktizieren?

M: So lange der Geist noch nicht veranlasst werden konnte, im Herzen zu verweilen, sei es durch völliges Zurückhalten des Atems (Kevala Kumbhaka) oder durch Ergründung, sind Rechaka, Puraka, usw. notwendig. Daher sollte das Pranayama des Yoga in den Übungszeiten praktiziert werden und das andere Pranayama zu jeder Zeit. Beide können also praktiziert werden. Es reicht aus, das yogische Pranayama so lange zu üben bis man die Fähigkeit des vollständigen Zurückhaltens erreicht hat.

36

Sch: Warum wird der Weg zur Erlösung auf unterschiedliche Weise gelehrt? Schafft dies bei den Suchenden nicht Verwirrung?

M: Um den verschiedenen Entwicklungsgraden der Strebenden zu entsprechen, sind in den Veden viele Wege beschrieben. Da aber Erlösung nichts anderes als die Zerstörung des Geistes ist, ist das Ziel jedes Bemühens die Beherrschung des Geistes. Obgleich die Arten der Meditation unterschiedlich zu sein scheinen, münden sie letztlich alle in ein und demselben. Daran sollte man nicht zweifeln. Man möge den Weg wählen, der der Reife des eigenen Geistes am besten entspricht.

Die Beherrschung des Prana ist Yoga, und die Beherrschung des Geistes ist Jnana(11) – beide sind die wesentlichen Instrumente für die Zerstörung des Geistes. Einigen mag der erste Weg leichter erscheinen, anderen der zweite. Und doch ist Jnana vergleichbar der Zähmung eines störrischen Bullen mit Hilfe von saftigem Gras und gutem Zureden, während Yoga seiner Bändigung durch Anwendung von Gewalt entspricht. Die Weisen sagen daher: Es gibt drei Stufen wahrhaft Strebender; die Strebenden der höchsten Stufe erreichen das Ziel, wenn sie den Geist dazu bringen, unbeirrt im Selbst zu bleiben, indem sie durch die vedantische Ergründung das Wesen der Wirklichkeit herausfinden und auf sich selbst und alle Dinge als Teil der Wirklichkeit blicken; die Strebenden der mittleren Stufe erreichen das Ziel, indem sie mit Hilfe von Kevala Kumbhaka den Geist dazu bringen, im Herzen zu verweilen und für lange Zeit über die Wirklichkeit meditieren; die Strebenden der niedrigsten Stufe erreichen es, indem sie jenen Zustand nach und nach mit Hilfe von Atemkontrolle, usw., erreichen.

Der Geist sollte veranlasst werden, im Herzen zu verweilen, bis der „Ich“-Gedanke, der in Gestalt von Unwissenheit im Herzen wohnt, zerstört ist. Dies genau ist Jnana; dies allein ist auch Dhyana. Alles andere ist nichts als ein Abschweifen in Worten und Texten. Das sagen die Schriften. Falls man also die Fähigkeit erlangt, den Geist im Selbst zu halten, durch welches Instrument auch immer, braucht man sich um anderes nicht zu sorgen.

Die großen Lehrer haben auch gesagt, dass der voller Hingabe Strebende einen höheren Rang hat als der Yogi(12), und dass Hingabe Erlösung bewirkt, weil Hingabe ihrem Wesen nach eine Spiegelung des eigenen Selbst ist.(13)

Es ist also der Pfad der Erkenntnis Brahmans, der Dahara Vidya, Brahma Vidya, Atma Vidya oder auch anders genannt werden mag. Was gibt es mehr zu sagen als dies? Alles Weitere kann durch Folgerung verstanden werden.

Die Schriften unterweisen auf unterschiedliche Art. Nachdem sie alle Arten analysiert haben, bestätigen die Weisen, dass dieser Weg der kürzeste und beste ist.

37

Sch: Wenn man den oben erläuterten Anweisungen folgt, mag man die Hemmnisse des Geistes, wie Unwissenheit, Zweifel, Irrtum, usw. überwinden und Stille des Geistes erlangen. Trotzdem ist da ein letzter Zweifel. Sobald der Geist sich im Herzen aufgelöst hat, bleibt allein das als vollkommene Wirklichkeit strahlende Bewusstsein übrig. Wenn der Geist demnach die Gestalt des Selbst angenommen hat, wer kann dann noch ergründen? Ergründung müsste zwangsläufig zu Selbst-Anbetung führen. Es wäre ähnlich der Geschichte von dem Hirten, der das Schaf sucht, das er die ganze Zeit über auf seinen Schultern hatte!

M: Der Jiva ist bereits Shiva; Shiva selbst ist der Jiva. Es ist in der Tat so, dass der Jiva nichts anderes als Shiva ist. Wenn das Korn in seiner Hülle liegt, nennt man es Paddy; wenn es enthülst ist, nennt man es Reis. Gleichermaßen ist man Jiva, solange man an Karma gebunden ist, wer aber die Fessel der Unwissenheit zerbrochen hat, strahlt als Shiva, die Gottheit. So wird es in einem Text der Schriften erläutert. Folglich ist der Jiva, der Geist, in Wirklichkeit das reine Selbst; aber weil er diese Wahrheit vergessen hat, bildet er sich ein, eine individuelle Seele zu sein und ist in der Gestalt des Geistes gefangen. Daher ist in der Tat seine Suche nach dem Selbst, welches er selbst ist, wie die Suche des Hirten nach dem Schaf. Doch wird der Jiva, der sein Wesen vergessen hat, nicht durch bloße Wissensvermittlung zum Selbst. Aufgrund der Hindernisse, die sich durch verbliebene Eindrücke aus früheren Geburten angesammelt haben, vergisst der Jiva immer wieder seine Identität mit dem Selbst und lässt sich täuschen, indem er sich mit dem Körper, usw. identifiziert. Wird man ein hoher Beamter, indem man nach ihm Ausschau hält? Ist nicht ein ständiges zielgerichtetes Bemühen notwendig, um an verantwortlicher Stelle beamtet zu werden? Dementsprechend sollte der aufgrund seiner Identifizierung mit dem Körper gefangene Jiva das Selbst mit vermehrter Anstrengung fortwährend reflektieren; wenn der Geist dann zerstört ist, wird der Jiva zum Selbst werden.(14)

Auf diese Weise praktiziert, wird die Selbst-Reflexion den Geist und danach auch sich selbst zerstören, so wie der bei der Leichenverbrennung zum Schüren der Asche benutzte Stock. Dieser Zustand ist es, den man Erlösung nennt.

38

Sch: Wenn der Jiva seinem Wesen nach mit dem Selbst identisch ist, was ist es dann, das den Jiva daran hindert, sein wahres Wesen zu erkennen?

M: Es ist das Vergessen des wahren Wesens des Jiva; man nennt es die Macht der Verschleierung.

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Sch: Falls es richtig ist, dass der Jiva sich selbst vergessen hat, wie entsteht dann die „Ich“-Erfahrung eines jeden?

M: Der Schleier verbirgt den Jiva(15) nicht vollständig, er verbirgt lediglich die Selbst-Natur des „Ich“ und projiziert die Empfindung „Ich bin der Körper“; aber er verhüllt nicht die Existenz des Selbst, des „Ich“, das real und ewig ist.

40

Sch: Welches sind die Merkmale des Jivanmukta (des zu Lebzeiten Befreiten) und des Videhamukta (des im Tode Befreiten)?

M: „Ich bin nicht der Körper. Ich bin das als das Selbst manifestierte Brahman. In mir, der vollkommenen Wirklichkeit(16), ist die aus Körpern bestehende Welt nichts als trügerischer Schein, ähnlich dem Blau des Himmels.“

Wer diese Wahrheit erkannt hat, ist ein Jivanmukta. Doch aufgrund der Beziehung zu den Objekten, bedingt durch das Prarabdha (Karma, das begonnen hat, Frucht zu tragen, und im gegenwärtigen Körper wirkt) wird man auch weiterhin Leid erfahren, wenn der Geist noch nicht aufgelöst ist; und solange die Regungen des Geistes nicht beendet sind, wird sich auch nicht die Erfahrung der Glückseligkeit einstellen. Die Erfahrung des Selbst ist nur dem Geist möglich, der als Folge langdauernder Meditation still und reglos geworden ist. Wer einen derart reinen Geist und die Erfahrung des Selbst erlangt hat, wird Jivanmukta genannt. Der Zustand der Jivanmukti ist gemeint, wenn von dem eigenschaftslosen Brahman und von Turiya die Rede ist. Wenn sich schließlich auch der fein gewordene Geist auflöst und die Wahrnehmung des Selbst endet, wenn man dann in einem Meer von Glückseligkeit versunken und unterschiedslos eins mit ihm geworden ist, wird man Videhamukta genannt. Der Zustand der Videhamukti ist gemeint, wenn von dem transzendenten eigenschaftslosen Brahman und dem transzendenten Turiya die Rede ist. Dies ist das letzte Ziel.

Bezogen auf die Abstufungen von Leid und Glück, werden hinsichtlich der Erlösten, der Jivanmuktas und Videhamuktas, vier Kategorien genannt – Brahmavid, Brahmavara, Brahmavariyan und Brahmavarishta. Aber diese Unterscheidungen gibt es nur vom Standpunkt des Betrachters. In Wahrheit gibt es keinen Unterschied in der durch Jnana erlangten Erlösung.

HULDIGUNG

MÖGEN DIE FÜSSE RAMANAS, DES MEISTERS, DER DER GROSSE SHIVA SELBST IST, DER MENSCHENGESTALT ANGENOMMEN HAT, EWIG GERÜHMT WERDEN


(1) also ohne jeden Rückstand

(2) In den Herzen aller individuellen Seelen ist das, was leuchtet, Brahman, der daher das Herz genannt wird – Brahma Gita.

(3) Wie jene, die einer Geschichte lauschen, deren Aufmerksamkeit aber an anderer Stelle ist; der Geist, in dem sich keine Eindrücke mehr finden, ist untätig, auch wenn es den Anschein hat, er sei tätig. Der Geist aber, der nicht frei von restlichen Eindrücken ist, ist tätig, auch wenn es den gegenteiligen Anschein haben mag; es ist wie mit einem Menschen, der träumt: Er bleibt tatsächlich an derselben Stelle, obwohl er im Traum meint, einen Hügel zu erklimmen und von ihm herabzustürzen.

(4) Das Ziel von Yama und Niyama ist, einen der Wege zu erreichen, die denen offen stehen, die für das Erlangen von Moksha befähigt sind. Weitere Einzelheiten finden sich im Yoga Sutra und im Hathayoga Dipika.

(5) Siddhasana: Die linke Ferse sollte über dem Genital liegen, die rechte Ferse über der linken. Der Blick sollte auf die Stelle zwischen den Augenbrauen fixiert und der Körper reglos und aufrecht wie ein Stab sein.

(6) Obwohl es richtig ist, dass gesagt wird, der Kronenlotus des Kopfes habe 1000 Blütenblätter, kann man auch sagen, er habe 8 Blütenblätter, von denen wiederum jedes aus 125 weiteren besteht.

(7) Wenn die Meditation in Form von „Ich bin Shiva“ (Shivoham Bhavana), die davor schützt, dass die Gedanken nach außen schweifen, fortwährend geübt wird, wird Samadhi sich einstellen – Vallalar.

(8) In der Stadt mit den neun falschen Toren wohnt Er als Glückseligkeit – Bhagavad Gita.

(9) Wir sollten über das meditieren, was in Gestalt des Ich das Atma-Tattva ist, strahlend leuchtet und in allem Lebendigen immer „Ich-Ich“ sagt. Nach einem Gott außerhalb zu suchen, ohne den Gott in der Höhle des Herzens zu sehen, ist so, als werfe man einen unbezahlbaren Edelstein fort und suche stattdessen eine wertlose Glasperle.

(10) Tod oder Kala heißt, auf dieser Erde die Kontemplation über das Selbst aufzugeben, was niemals auch nur im Ansatz geschehen sollte – Viveka Chudamani.

(11) Der Schrift gemäß alles als das Wirkliche anzusehen: Ich bin Brahman – ein einziges ohne ein zweites.

(12) Von allen Yogis ist allein der mir lieb, der seinen reglosen Geist und seine Liebe in mir ruhen lässt – Bhagavad Gita.

(13) Von den Wegen zur Erlösung kann nur Bhakti (Hingabe) der höchste genannt werden. Denn Bhakti ist die fortwährende Reflexion des eigenen Selbst – Viveka Chudamani.

(14) Obwohl es viele Hindernisse geben mag, die zur Sklaverei der Geburt führen, ist die alleinige Ursache für alle diese Wandlungen Ahankara. Diese Ursache muss für immer zerstört werden – Viveka Chudamani.

(15) Unwissenheit kann nicht das elementare „Ich“ verbergen, aber sie verbirgt die grundlegende Wahrheit, dass der Jiva das Höchste (Selbst) ist.

(16) Wenn ich fortwährend darüber meditiere, dass die Welten eine Erscheinung in mir, der vollkommenen Wirklichkeit, sind, wo kann sich dann Unwissenheit halten?

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